Deutsch Referat
Georg Trakl - Der Herbst des Einsamen
Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle,
Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen.
Ein reines Blau tritt aus verfallener Hülle;
Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen.
Gekeltert ist der Wein, die milde Stille
Erfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen.
Und hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel;
Im roten Wald verliert sich eine Herde.
Die Wolke wandert übern Weiherspiegel;
Es ruht des Landmanns ruhige Gebärde.
Sehr leise rührt des Abends blauer Flügel
Ein Dach von dürrem Stroh, die schwarze Erde.
Bald nisten Sterne in des Müden Brauen:
In kühle Stuben kehrt ein still Bescheiden
Und Engel treten leise aus den blauen Augen
der Liebenden, die sanfter leiden.
Es rauscht das Rohr; anfällt ein knöchern Grauen,
Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden.
Autobiographisches zum Autor:
Georg Trakl wurde am 03.02.1887 als Sohn eines Kaufmanns in Salzburg geboren. Ab 1897 besuchte er das Humanistische Gymnasium; ab 1905 machte er eine Lehre in einer Apotheke. Seit dieser Zeitnahm Trakl Drogen. 1908 Beginn des Studiums der Pharmazie in Wien.
1913 erschien der erste Gedichtband (Gedichte) des seit 1904 Schreibenden. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs war er Sanitäter; in der Schlacht bei Grodek (siehe auch das Gedicht gleichen Titels) 1914 muß er sich um 90 Schwerverwundete allein kümmern.
Trakl unternimmt einen Selbstmordversuch und wird daraufhin ins Krakauer Garnisonshospital abkom-mandiert zwecks Untersuchung seines Geistes-zustands. Dort stirbt er im November 1914 an einer Überdosis Kokain.
Außere Form
-drei Strophen à 6 Verse
-Metrum: fünfhebige Jamben
-Reimschema: ab ab ab
Sprechsituation
-kein explizit genanntes lyrisches Ich
-temporale Ebene: Übergang des Tages (Sommer) in den Abend (Herbst)
-lokale Ebene: nicht näher definiert (irgendwo in der freien Landschaft)
Gedanklicher Aufbau / Inhalt
Strophe: Beschreibung des Herbstes anhand typischer Elemente
Strophe: Übergang vom Sommer in den Herbst / Einbruch der Nacht
Gesamtthematik: Ablauf von
Jahreszeit (Sommer Herbst), Tageszeit (Tag Nacht), Lebenszeit
-Beschreibung des Herbstes durch "Frucht und Fülle" (V.1) und "Wein" (V.5)
-Übergang des Sommers in den Herbst angedeutet durch "roten Wald" (V.8) und "dunkle[r] Herbst" (V.1)
-Übergang des Tages zur Nacht ersichtlich durch "des Abends blauer Flügel" (V. 11) und "Sterne"
(V.13); zusätzlich durch Farbadjektive unterstützt "dunkel" (V. 1), "schwarz" (V. 12/18)
Sprachliche Mittel
Alliteration: "Frucht und Fülle" (V.1)
Chiffren: "dunkler Fragen" (V. 6), "schwarz der Tau" (V.18), "dunkle Herbst" (V.1), "milde Stille" (V.5), "nisten Sterne" (V.13)
Personifikation: "Wolke wandert" (V.9)
Symbol: "Kreuz" (V.7)
Interpretation / Analyse / Deutung
-Trotz Herbst- und Abendthematik Motive des Unheimlichen, Verfalls und des Todes.
-Früher: Natur wurde als Stimmung erfahren
"Heute" (Anfang des 20. Jhds.): Funktionsverlust und Sinnentleerung der Natur in einer modernisierten Gesellschaft (vgl. Industrialisierung, soziale Frage)
Traditionsanschluss und Traditionsbruch zugleich (bezgl. der Naturlyrik)
Klassisches Verständnis der Natur taucht in "alten Sagen" (V.4) auf
-Leben und Fruchtbarkeit:
"Frucht und Fülle" (V.1), "schöne Sommertage" (V.2), "Wein" (V.5)
Verlust und Mangel der Lebensenergie:
"dunkler Herbst" (V.1), "knöchern Grauen" (V.17), "Kreuz auf ödem Hügel" (V. 7), "kahlen Weiden" (V.18), "dürrem Stroh" (V.12)
Kontrast zwischen Leben und Verfall
(wird besonders provozierend in Versen hervorgehoben bei denen beide Pole neben- und gegeneinander auftreten; z.B. V.17)
-Abwesenheit eines Sprechers der seiner inneren Gestimmtheit Ausdruck verleiht:
kein Aufbau eines sympathetischen Naturerlebnisses (vgl. Gedichte von Goethe)
kein Aufbau eines Naturerlebnisses bei dem die umgebende Landschaft eine die Empfindung und Gefühlsäußerung steigernde Funktion erfüllt (vgl. Gedichte von Klopstock)
=Abbau der poetischen Subjektivität (indifferenzierter Sprecher),
d.h. keine individuelle Kontur eines Subjekts
-"Landmanns" (V. 10), "die Liebenden" (V.16), "des Müden" (V.13)
= offene Personenbezeichnungen
-Komposition der verwendeten Farben
"vergilbter Glanz" (V.2), unspezifisches "dunkel" (V.1/6)
"blau" (V.3/11/15), "schwarz"(V.12/18), "rot"(V.8)
Undifferenzierte Farbbezeichnungen und für die Realität zu reine Farben erheben das Dargestellte über das Individuelle eines erlebenden Subjekts ins Allgemeine.
Verhindert das Miterleben des Rezipienten da weder Identifikation noch Mitleiden stattfindet
wird unterstützt durch:
-Ruhe vermittelnde Adjektive: "leise" (V.6/11/15), "still" (V.14), "milde Stille"(V.5), "ruhige" (V.10).
-Reduktion bzw. Charakteristik der Verben (einander entgegengesetzte Aktivitäten formulierende Verben): "kehrt ein" (V.1/14), "tritt aus" (V.2), "verliert sich" (V. 8), "wandert" (V.9)
Atmosphäre der Lautlosigkeit und gedämpften Aktivitäten
Zusammenfassung:
Abbau innerer und äußerer Landschaft = Übernahme traditionsreicher Motive aus der Naturlyrik (jedoch mit Verfallstendenzen) + verstummte poetische Subjektivität
Unfähigkeit/Unmöglichkeit der Nachvollziehung der traditionellen Naturerfahrung (aufgrund sozioökonomischer Veränderungen in der Gesellschaft)
Deutung des Gedichtes nur durch einen Vergleich mit Naturlyrik möglich
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