Heinrich BÖLL
258 Seiten
Ansichten eines Clowns
"Ich bin ein Clown und sammle Augenblicke"
Der Clown Hans Schnier, offizielle Berufsbezeichnung Komiker, flüchtet vor der Realität in die Vergangenheit. Seine Karriere scheint beendet und seine Ex - Verlobte Marie, die er nach wie vor liebt, hat einen anderen geheiratet. Fast die gesamte Handlung des Buches spielt sich in der Erinnerung Schniers ab. Bei ganz alltäglichen Tätigkeiten wird er an Augenblicke seines Lebens mit Marie erinnert. Der Leser hat das Gefühl in einem Fotoalbum zu blättern, in dem eine ungewöhnliche Liebesgeschichte erzählt wird. Für Schnier und den Leser verschmilzt die Vergangenheit, in der noch alles in Ordnung war, mit der deprimierenden Gegenwart; der Komiker wird davon so überwältigt, daß er sogar an Selbstmord denkt. Hans Schnier hat im Leben versagt.
Die Handlung klingt fast wie die Biographie einer labilen Persönlichkeit. Das ist jedoch nur teilweise richtig. Vielmehr beschreibt der Nobelpreisträger Heinrich Böll eine einseitige, aber um so stärkere Liebe seitens Schniers. Diese Liebe ist so bedingungslos, daß sie sogar ein Teil seines Charakters geworden ist. Er hat eine äußerst schwache Persönlichkeit, und seine Liebe zu Marie hilft ihm, nicht wahnsinnig zu werden. Hans Schnier ist so unzufrieden mit sich selbst, daß er sogar bereit ist, sich mit einer hoffnungslosen Liebe zu quälen. Er glorifiziert die einzige Person, die er lieben kann, zu einem Ideal, das er niemals finden wird. Er liebt gar nicht mehr die Person Marie, mit all ihren Fehlern und Schwächen, er versinkt einfach in bedingungsloser Anbetung für "seinen" perfekten Menschen.
Nun, man könnte meinen, der Roman bietet dem Leser überhaupt keine Identifikationsfigur. Immerhin ist die Hauptfigur nicht gerade das, was man als ein Idol bezeichnen würde. Dadurch, daß der ganze Roman aber aus der ich - Perspektive Schniers erzählt wird, kommt der Leser der Figur des Hans Schnier sehr nahe. Wenn man sich auch nicht unbedingt mit ihm identifizieren kann, so wird man doch viel mehr in die Geschichte einbezogen, als es bei auctorialem Erzählen der Fall wäre.
Über die Gestalt des Hans Schnier übt Böll mit bissigem Sarkasmus Kritik an den heuchlerischen Moralvorstellungen seiner Zeit, was das Buch für den Leser oft auch sehr amüsant macht. So bekommen Judenverfolger Auszeichnungen wegen "politisch korrekten Verhaltens" in der Nazi - Zeit, oder sitzt seine Mutter, die die "heilige deutsche Erde gegen die jüdischen Yankees" verteidigen wollte, im "Komitee zur Versöhnung rassistischer Gegensätze". Besonders greift Böll aber die Moralvorstellungen der Kirche über die Ehe und die Liebe an. So wird dieses Buch auch zu einer Art Selbstfindung für den Autor, allerdings ist dies fast nebensächlich in der Handlung und beeinträchtigt den Lesegenuß nicht.
Ansichten eines Clowns" ist eine sehr ungewöhnliche Liebesgeschichte, die durch den eher schlichten und leicht lesbaren Stil Bölls ein angenehmer Einstieg in die Weltliteratur ist.
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