Fritz Wagners Vergeltungsaktion - Motive für sein Handeln und Bewertung seiner Vorgehensweise in Stefan Zweigs Novelle "Angst"
Die Erpressung als Druckmittel
Zunehmende Entdeckungsgefahr der Erpressung durch Annäherung an das Wohnhaus Irene Wagners
Schnelle, schrittweise Steigerung der Geldsumme sowie Akzeptanz von Sachgütern als Bezahlung
Die psychologische Komponente in seinem Vorgehen
Fritz Wagner befragt seine Frau eindringlichst über das aus, was mit ihr geschieht
Im Gegensatz dazu: Er versucht seiner Frau
verständnisvoll gegenüberzutreten, um ihr ein Geständnis zu erleichtern
Familiäre und gesellschaftliche Gründe für seine Tat
Er wünscht, dass Irene sich wieder ihren häuslichen Pflichten widmet
Fritz will seine Frau zurückgewinnen, da die Kinder ihrer bedürfen
Egoistische Einflüsse auf die Ausführung seines Planes
Fritz trachtet danach, ihr Schuldgeständnis zu hören
Er liebt seine Frau immer noch, und kann deshalb die Fortsetzung der Affäre nicht dulden
Fritz Wagner nimmt Schäden in der Psyche seiner Frau in Kauf
Er verstößt gegen das Gesetz um seine Frau zurückzugewinnen
II. Das Beantworten dieser Frage ist Gegenstand meiner Abhandlung.
Zuerst möchte ich Fritz Wagners Vorgehen bei der Durchführung dieser "Vergeltungsaktion" behandeln.
Sein Handeln lässt sich wiederum in zwei Kategorien einteilen, wobei ich mit der Erpressung seiner Frau, einem starken Druckmittel, beginnen möchte. Dies ist zum einen durchaus verständlich, da er seine Frau nicht verlieren möchte, aber zum anderen sehr fragwürdig, da er als Rechtsanwalt und somit als Rechtskundiger eigentlich gesetzestreu sein sollte. Es ist umso mehr zu verurteilen, da er eine dritte Person, die Schauspielerin, zu einem Verbrechen anstiftet.
Auffallend ist hier, dass die Schauplätze des Zusammentreffens von Irene und der "Erpresserin" immer näher an das Wohnhaus der Wagners heranrücken. Das was in einem neutralen Hausflur begann, findet seinen Höhepunkt in der Wohnung der Wagners. Durch diese Steigerung der Entdeckungsgefahr wird Irene einem immensen psychischen Druck ausgesetzt, der dazu dienen soll ihr Geständnis zu provozieren. Dies entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn Frau Wagner fürchtet die Entdeckung, sie ist sogar bereit die "Erpresserin" zu protegieren, ohne jedoch zu ahnen, dass diese Aktion von ihrem eigenen Mann initiiert wurde. Fritz Wagner inszeniert diese Erpressung nur zu dem Zweck, die psychische Gegenwehr seiner Frau zu durchbrechen, um ihr Geständnis zu hören. Er rechnet jedoch nicht damit, dass dieser Druck zu einem Selbstmordversuch seiner Frau führen könnte.
Eine weitere Steigerung der Brisanz findet bei den Erpressungssummen statt.
"[]einer vagen Eingebung gehorchend, [griff Irene] in ihr Portemonnaie und faßte, was ihr gerade an Banknoten in die Hand kam." (S. 5) Der Geldbetrag erhöht sich im Laufe der Erzählung, bis sich Irene schließlich gezwungen sieht, ihren Ring zu verpfänden: "Ohne erst zu überlegen, riß sie sich den Ring vom Finger und streckte ihn der Wartenden hin[]" (S. 44). Sie ahnt nicht, dass all dies auf Geheiß ihres Mannes geschieht, sieht für sich keinen Ausweg mehr und fasst schließlich den Entschluss Selbstmord zu begehen. Fritz Wagner will mit dieser Erpressung seine Frau auf den rechten Weg zurück zwingen, für ihn stellt die Bezahlung mit dem Ring das Ende des Seitensprungs dar. Er glaubt, seine Frau würde auf Grund dieses finalen Schrittes die Beziehung abbrechen, denn der Preis der ihre Ehe symbolisiert, war zu hoch.
Die zweite Kategorie, in welche sich Fritz Wagners Handeln einteilen lässt, ist diejenige, welche seine psychologischen Maßnahmen beschreibt. Ihr Einsatz ist äußerst verantwortungslos, da er als Rechtsanwalt keine oder keine ausreichende psychologische Ausbildung erfahren hat. Er nimmt also in Kauf, irreparable Schäden an der Psyche seiner Frau anzurichten, und ihr Urvertrauen zu vernichten.
Er versagt seiner Frau seine Unterstützung in dieser für sie sehr schwierigen Lage, er führt sogar verhörähnliche Gespräche mit ihr, in welchen er durchklingen lässt, dass er ihr Geständnis fordert: " [] ein Zittern um [die] Nasenflügel [], das bei ihm immer Zorn verriet. Ruhig blickte er jetzt herüber; "Ich will dich nur aufmerksam machen, daß du nicht verpflichtet bist, mir deine Briefe zu zeigen. Wenn du es wünscht, Geheimnisse vor mir zu haben, so steht dir das vollkommen frei."" (S. 30) Diese Sätze enthalten eine unterschwellige Drohung und eine kaum verhohlene Aufforderung zum Gehorsam gegenüber ihrem Mann. Dieses Mittel benutzt Fritz, um seiner Frau jeden Rückhalt in der Familie zu entziehen und sie so in einen Zustand der geistigen Labilität zu versetzen, in welchem sie dann ihren Widerstand aufgibt und ihm ihre Affäre gesteht. Er rechnet nicht damit, dass Irene diesem Druck standhalten könnte und sieht sich somit gezwungen, seine "Vergeltungsaktion" fortzuführen.
Ganz im Gegensatz dazu steht sein verständnisvolles Verhalten, welches er oft nach diesen psychologischen Angriffen an den Tag legt. "Die drohende Strenge jener ersten inquisitorischen Tage war bei ihm einer eigenen Art von Güte und Besorgtheit gewichen, []". Dies ist genau das selbe Verhaltensschema, welches er bei der improvisierten Gerichts-verhandlung mit seiner Tochter anwendet. (s. S. 35 ff) Er stellt gegenüber dem Angeklagten, also seiner Frau, den strengen unbeugsamen Richter dar. Sobald sich Irene in sich selbst zurückziehen will, ändert er seine Taktik und gibt sich verständnisvoll um ihr Vertrauen zu erlangen und um sie somit zu verleiten, ihre Affäre zu gestehen. Dieses Vorgehen ist recht geschickt, dennoch erreicht er das gewünschte Geständnis nicht.
Im Folgenden widme ich mich dem Aspekt der Motive, welche Fritz Wagner zu dieser ungewöhnlichen "Vergeltungsaktion" verleitet haben.
Als einen Grund für seine Tat führt er die Notwendigkeit an, seine Frau zurück zu ihren "Pflichten" als Ehefrau und Mutter (S. 56) zu rufen. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, als die Rechte der Frau noch beschnitten und ihr Aufgabenbereich auf den heimischen Bereich beschränkt war, galt es als unschicklich, seiner Ehepartnerin ein Leben außerhalb der bestehenden Normen zu erlauben. Da Fritz zudem noch als bekannter Anwalt der bürgerlichen Oberschicht angehört, kann er die Eskapaden seiner Frau erst recht nicht dulden, es sei denn, er wolle einen Ansehensverlust in Kauf nehmen.
Ein weiteres, ebenfalls nicht zu unterschätzendes Motiv ist die Erziehung der Kinder, die einer Mutter bedürfen. Er versucht sich im klärenden Gespräch gegen Ende des Buches zu rechtfertigen, indem er die Kinder anführt: "[]nur wegen der Kinder, weißt du, wegen der Kinder mußte ich dich doch zwingen[]" (S. 56). Dies zeigt Fritz Wagner als einen Mann, dem die Zukunft seiner Familie und vor allem seiner Kinder sehr wichtig und dem es deshalb unmöglich ist, diese ohne Mutter aufwachsen zu lassen. Dies beweist, dass der Aspekt der Kindeserziehung zu seiner Entscheidung, diese "Vergeltungsaktion" durchzuführen, beigetragen hat.
Doch Herr Wagner wird nicht nur durch diese, für einen Vater natürliche Motive geleitet, bei ihm spielen auch egoistische Faktoren eine Rolle.
Fritz Wagners Liebe zu "psychologischen Spürjagd[en]" ( S. 29) nimmt beinahe fanatische Züge an, die in mehreren Versuchen Irenes Geständnis zu erringen, gipfeln.
"Da traf sie sein Blick, in dem eine Gier war, nach dem Geständnis, nach irgend etwas von ihrem Wesen, eine glühende Ungeduld,[]" (S. 40) Dies zeigt sein Verlangen nach Irenes persönlichem Geständnis, welches diese aber nicht ablegt. Aus diesem beständigen Schweigen folgt eine Eskalation der ganzen Situation, was beinahe Irenes Selbstmord zur Folge gehabt hätte. Dies zeigt, dass Fritz wegen seiner Vorliebe zu psychologischen Spürjagden, in äußerst leichtsinniger Weise das Leben Irenes riskiert .
Sein extrem pervertierter Versuch seine Eheprobleme zu lösen kann nur als Vergeltungsaktion bezeichnet werden, das Vertrauen seiner Frau in ihn wird dadurch sicher erschüttert werden.
III. Stefan Zweig hat mit seiner Novelle "Angst" ein Werk geschaffen, das Leser aller Altersschichten zu fesseln vermag. Das Thema des Buches hat auch heute noch nichts von seiner Brisanz eingebüßt. Er verknüpft Charaktere und Handlung seiner Novelle mit Spannung und psychologischem Tiefgang. Das Buch weist auf die Gefahr hin, wie leicht eine scheinbar logische Maßnahme zur Rettung der Ehe eskalieren und sich somit in eine lebensbedrohende Situation wandeln kann. Das offene Ende, die Ungewissheit über den Fortgang der Geschichte, veranlasst den Leser über das Buch nachzudenken und selbst nach Lösungen zu suchen. Somit werden Parallelen zwischen Fiktion und Realität gezogen, welche als Lebenshilfen dienen können.
LITERATURVERZEICHNIS:
Rahe, Sebastian : Biographie Stefan Zweigs, Vorgelegt im Referat
Schuljahr : 1996/ 97
Klasse 10a
Zu finden unter: www.fundus.org
Zweig, Stefan: "Angst" , Nachwort, Stuttgart 1957