Gliederung:
1.Entstehung des Werkes "Nathan der Weise" von G.E. Lessing
2.Analyse der "Ringparabel" (Vers 1911 - 2054)
2.1 Erläuterung von Inhalt und Form
2.1.1 Inhalt und gedanklicher Aufbau
2.1.2 Sprachlich-stilistische Gestaltung
2.2 Interpretation
2.2.1 Konflikt
2.2.2 Erziehungsarbeit Nathans
2.2.2.1 Allgemeiner Mensch
2.2.2.2 Deismus
2.2.2.3 Humanität
2.3. Vergleich der ,,Ringparabel' von G.E. Lessing mit ,,Die drei Ringe' von Giovanni
Boccaccio
2.3.1. Inhaltlicher Vergleich
2.3.2. Vergleich von Sprache und Form
3."Nathan der Weise" als "zeitabhängiges" oder "zeitloses" Werk?
Der Durchleuchtigste Fürst und Herr (Titul. Sereniss.) lassen dem Hofrat und Bibliothekar Lessing [] hiermit die Resolution erteilen, [], dass er in Religionssachen, so wenig hier als auswärts, auch weder unter seinem noch anderen angenommenen Namen, ohne vorherige Genehmigung des Fürstl. Geheimen Ministerii ferner etwas drucken lassen möge, []1. Mit diesem Brief erteilte der Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel Gotthold Ephraim Lessing am 17.August 1778 ein Verbot Abhandlungen über die Religion zu schreiben. Auslöser dieser Zensur war der Streit mit dem Hamburger Hauptpastor Johan Melchior Goeze über die ,,Wolfenbüttler Fragmente eines Ungenannten', die Lessing zwischen 1774 und 1777 veröffentlichte. Sie stammten aus der Feder des Hamburger Gymnasialprofessors und Orientalisten Hermann Samuel Reimarus (+1768) und waren geprägt von der deistischen These, Gott habe eine Welt geschaffen, in der das materielle, geistige und sittliche Leben nach unverrückbar feststehenden Gesetzen geregelt sei.2 Obwohl sich Lessing von diesen Schriften distanzierte, riefen sie einige orthodoxe Eiferer auf den Plan, so auch Pastor Johan Melchior Goeze. Er beschwor Gottes Zorn von der Kanzel der Katharinenkirche herab und verfasste wütende wie bösartige Schmähschriften gegen den Hofrat. Lessings schrieb darauf die polemischen Briefe ,,Anti-Goeze 1-11' und lehrte damit seinen Widersacher das Fürchten. Diese Briefe, in denen er mit ,,den Waffen der guten Gründe und der geschliffenen Sätze'3 focht, haben in der deutschen polemischen Literatur einen hohen Stellenwert. Als nun der Herzog das Veröffentlichungsverbot verhängte, schrieb Lessing am 6. September 1778 an Elise Reimarus: ,,Ich muss versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater, wenigstens noch ungestört will predigen lassen.'4 So entstand Lessings ,,Nathan der Weise', quasi als ,,Anti-Goeze 12' und Glaubensbekenntnis des Autors.Es ist zugleich eines der wichtigsten aufklärerischen Werke und beinhaltet alle Ideen und Wertvorstellungen dieser Epoche wie ich im folgenden erläutern werde.Wertvorstellungen dieser Epoche wie ich im folgenden erläutern werde.
Im Mittelpunkt des ,,dramatischen Gedichts in fünf Aufzügen' steht die Erzählung Nathans über das Gleichnis der drei Ringe. Saladin ist in Geldnöten und will den reichen Juden Nathan in eine Falle locken. Ich will nun auf Sprache, Inhalt und Gesamtaussage der ,,Ringparabel' näher eingehen und sie mit der Erzählung ,,Die drei Ringe' aus dem 13. Jahrhundert vergleichen.Im folgenden Abschnitt wird nun der Inhalt kurz zusammengefasst und auf die sprachlichen und formalen Kennzeichen näher eingegangen.
Nathans Klugheit hat ihm im Volk den
Beinamen ,,der Weise' verschafft. Saladin will ihn auf die Probe stellen
und überrascht ihn mit der Frage, welcher der rechte Glaube sei, der
christliche, der jüdische oder der islamische. Nach einer kurzen Bedenkzeit
antwortet Nathan mit der ,,Ringparabel', dem Kernstück des Dramas:
Im Altertum besaß ein Mann einen Ring von unschätzbarem Wert, der die
Zauberkraft hatte, den Träger vor Gott und den Menschen angenehm zu machen,
falls er ihn in dieser Zuversicht trug. Der Ring wurde von Generation zu
Generation vererbt, bis er zu einem Fürsten gelangte, welcher drei Söhne hatte
die ihm alle gleich lieb und wert waren. Da er sich nicht entscheiden konnte
und keinen der Söhne kränken wollte, ließ er zwei weitere Ringe anfertigen, so
dass sie nicht mehr vom Original zu unterscheiden waren. Der Vater rief jeden der
Söhne an sein Sterbelager und überreichte ihm einen der Ringe. Nach seinem Tode
kam es zum gerichtlichen Streit zwischen den Brüdern, denn jeder wollte nun der
alleinige Erbe sein. Der Richter aber wies die Kläger ab, da sich die
Wunderkraft an keinem offenbarte und gab ihnen den Rat sich zu bemühen nach der
Wunderkraft des Rings zu streben. Nathan bezieht dieses Märchen dann auf die
drei Weltreligionen, die einmal von Gott geschaffen, an die Menschen
weitergeben wurden und dann zum Streit zwischen diesen führten.
Saladin ist nach anfänglicher Skepsis von Nathans Weisheit und Toleranz
überwältigt und bittet ihn um die Freundschaft.
Die Verse 1911 bis 2054 der ,,Ringparabel' kann man grob in fünf
gedankliche Schritte unterteilen, die jeweils von Einwürfen Saladins abgegrenzt
werden. Der erste Teil (V. 1911-1928) bildet die Exposition, in der Nathan die
Ausgangssituation darlegt. Nun folgt die Hinführung zum eigentlichen Konflikt
(V. 1929-1955), an deren Ende der Sultan Nathan drängt zum Ende zu kommen, da
er den Sinn des ,,Märchens' (vgl. V. 1957) noch nicht verstanden
hat. Im Abschnitt von Vers 1956 bis 1974 enthält ihm Nathan die Auflösung des
Gleichnisses vor und testet die Intelligenz des Sultans. Als Saladin sich nun
auf den Arm genommen fühlt klärt ihn der Jude auf, worauf Saladin einen Ausruf
der Einsicht macht (V. 1974-1992). Den Schluss bildet der Richterspruch (V.
1993-2054), der lediglich von zwei Aussprüchen des Entzückens aufseiten
Saladins unterbrochen wird. Die Szene ist somit in der klassischen Form des
aristotelischen Dramas aufgebaut, beinhaltet eine Einleitung, einen Konflikt
inklusive Steigerung, einen Höhepunkt in Form der Auflösung und der Einsicht
des Saladin und einen Schluss, den der Richterspruch darstellt.
Die ,,Parabel' ist eine literarische Kurzform der gleichnishaften Erzählung und enthält Bilder, die der Leser entschlüsseln und auf die Realität beziehen muss. Man kann dies auch mit der mathematischen Parabel vergleichen, bei der die Ausgangswerte zwar verschieden sind, das Ergebnis aber dasselbe. Sie ist auch eine Spiegelung und trifft sich in einem Punkt, welcher in unserem Falle die ,,Wunderkraft' ist, die die Ringe mit den Religionen verbindet. G.E. Lessing wählte diese Art der Darstellung mit didaktischer Absicht. Der Leser soll die ,,Ringparabel' nicht als unterhaltsames Märchen ansehen, sondern als Spiegel der Realität, in dem er sich finden und verändern soll.
Lessing führte mit seinem Werk den ,,Blankvers' in das deutsche Drama ein, d.h. er benutzt den fünffüßigen Jambus, wechselnde Kadenzen und keine Reime. Diese Art des Metrums stört den Lesefluss und nötigt den Leser die Verse genau zu durchdenken und damit besser zu verstehen. Lessing bemerkte, dass die Verse ,,besser sind, wenn sie schlechter sind'. Das heißt, je zerrissener und verdrehter die Verse, desto besser wirken sie auf den Leser. Der Text erscheint zwischen Prosa und Lyrik hin- und hergerissen, da er durchgehend Enjambements enthält (vgl. V. 1921 f., V. 1942 f.). Häufig wechseln die sprechenden Personen auch im Vers (vgl. V. 1958 f., V. 1927 f.). ,,In der zusammenhängenden Rede treten große rhythmische Perioden auf, deren Glieder nicht durch die Verse abgegrenzt sind, sondern rückwärts das Ende des vorhergehenden Verses mitziehen oder vorwärts in den Anfang des folgenden sich hineindrängen' (Wilhelm Dilthey)5. Mit kurzen aber prägnanten Sätzen schafft Lessing Klarheit und eine gewisse Lebendigkeit (vgl. V. 1980 ff.). Der Abschnitt ist voll von Metaphern und Bildern, als Beispiele sind die Ringe als Symbole der drei verschiedenen Glaubensrichtungen zu sehen, der Vater ist als Gott zu verstehen, die drei Söhne als die Anhänger der Weltreligionen. Zur Spannungssteigerung und zu Denkanstössen an den Leser benutzt der Autor die Einwürfe Saladins (V. 1964, V. 1970 ff.). Durch geschickte Dialogismen und rhetorische Fragen (V. 1975, Vers ff.) gestaltet er den Text lebendiger und interessanter. Als einzelne Stilmittel sind noch ein Hendiadyoin (V. 1952), ein Chiasmus (V. 1940), eine Klimax (V. 1948 f.) und die häufige Wiederholung des Wortes ,,drei' zu nennen, die zur Heraushebung und Verstärkung einzelner Gedanken und zur Irritation des Lesers dienen. Mit der Hyperbel in Vers 2049/50 spielt Lessing auf die Utopie an, in dieser Streitfrage zu richten.
Die Ringparabel ist aber nicht nur der formale Mittelpunkt des Dramas, sie ist auch das inhaltliche Zentrum, so entspricht die Handlung des Stückes der der Ringparabel. Welche Religion beziehungsweise welcher Ring der richtige ist, ist nicht herauszufinden. Laut Nathans Erzählung (und damit auch nach Lessings Meinung) kommen alle drei Religionen, wie die drei Ringe, vom Vater - also Gott - und sind, als 'Gabe Gottes', echt. Ein Streit um den echten Ring ist daher sinnlos und lenkt vom Sinn und Zweck der Religion ab.
Letztendlich stellt die Ringparabel
den Höhepunkt der Erziehungsarbeit Nathans dar:
Während Nathan in der Vorgeschichte zur Ringparabel Recha, seine
Adoptivtochter, von ihrem Wunderglauben heilt und später den Tempelherrn von
seinen Vorurteilen, so erzieht Nathan hier den ranghöchsten Moslem in
Jerusalem, Sultan Saladin. Auch die Fehler oder die Fragen der zu Erziehenden
sind zunächst sehr konkret (Wunderglaube, Vorurteile), später sehr allgemein
(Frage nach der wahren Religion) und damit für den 'Erzieher'
schwerer zu beantworten. Die Aussage, sich immer so zu verhalten, als müsse man
durch Menschlichkeit beweisen, dass seine Religion die richtige sei, ist das
ultimative Mittel, um Frieden, Menschlichkeit und Toleranz zwischen den
Religionen aufzubauen, nachdem vorher zwei andere Lösungswege gescheitert sind:
die Lösung des Saladin, der durch Heiratspolitik mit den Christen ein neues,
gemischtes Herrscherhaus gründen will und die des Derwischs Al Hafi und des
Klosterbruders, die sich beide von der schlechten Welt abkehren, um entweder
wie Al Hafi an den Ganges zu gehen ('Am Ganges, / Am Ganges nur gibt's
Menschen.' ) oder wie der Klosterbruder, der sich am liebsten völlig aus
der Welt zurückziehen würde ('Ich mag / Nicht fein sein; mag nicht
überreden; mag / Mein Näschen nicht in alles stecken; mag / Mein Händchen nicht
in allem haben.' ).
Betrachtet man die Erziehungsarbeit Nathans insgesamt, so lassen sich vier
Ideale, zu
denen er erziehen will, erkennen. Nathan (und damit Lessing) setzt sich für
Toleranz ein, was in einer Erläuterung Nathans zur Ringparabel deutlich wird:
'Wie kann ich meinen Vätern weniger / Als du den deinen glauben? / Oder
umgekehrt. - / Kann ich von dir verlangen, daß du deine / Vorfahren Lügen
strafst, um meinen nicht / Zu widersprechen?' Nathan betont also, dass
sich alle Religionen auf Geschichte gründen, dass man alle anderen Religionen
tolerieren muss, da jeder der Überlieferung seiner Vorfahren am meisten Glauben
schenkt und so nie objektiv entscheiden und handeln kann. Nach Nathans Meinung unterscheiden
sich die Religionen ohnehin nur in Formalismen, der 'Kern' ist immer
gleich und von Gott gegeben.
Nathans Handeln entspricht auch dem aufklärerischen Gedanken vom
'allgemeinen Menschen', von der 'Gleichheit' der Menschen.
Durch die Erziehung Rechas, des Tempelherrn und Saladins erzieht er jeweils
einen Vertreter der drei Religionen (wenn man Recha als Jüdin zählt), außerdem
nimmt er keinerlei Rücksicht auf den sozialen Rang der zu erziehenden Personen.
Auffällig an Lessings Drama ist auch, dass das Sprachniveau unabhängig von der
sprechenden Person konstant hoch gehalten wird; der Derwisch Al Hafi hat die
gleiche Ausdrucksweise und hohe Sprache wie Saladin.
Nathan selbst ist bereits ein Beispiel für einen 'allgemeinen
Menschen', so spricht Nathan neben Hebräisch Arabisch bzw. Persisch und
erwidert auf den Hinweis des Klosterbruders, der ihm Assads Tagebuch bringt
'Es ist Arabisch aber, was der Herr / Hineingeschrieben'
'Einerlei! Nur Her! -' . Peter Pütz schreibt hierzu
'Die Frage mag naiv klingen (): Welche Sprache mögen Moslems, Juden und
Christen unter sich und miteinander gesprochen haben? Diese Frage ist
herkömmlicherweise für Tragödien zumindest irrelevant (). Daß dies im
Lustspiel anders sein kann, zeigt in der Minna von Barnhelm die Figur des
radebrechenden Franzosen. () Nathan also liest und spricht Arabisch; gilt
das aber auch für den Tempelherrn, Recha und die anderen? Wenn also die Frage
nach der Verständigungsmöglichkeit im Drama schon einmal aufgeworfen wird, ohne
daß eine abschließende Antwort zu finden ist, dann scheint folgende Deutung
nicht unzulässig: Daß ausgerechnet an einem Ort mit wahrhaft babylonischer
Vielfalt und Verschiedenheit der Sprachen dennoch eine reibungslose
Verständigung praktiziert werden kann, ist ein weiterer Beleg dafür, daß selbst
Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religion dennoch alle an der einen
menschlichen Natur und Vernunft teilhaben, und hierzu gehört auch die Fiktion
einer gemeinsamen Sprache als eines menschheitsumfassenden Ringes.'
Diese Gesellschaftsutopie einer universalen Verbundenheit aller Menschen taucht
auch im Schlusstableau wieder auf: Die Christen Recha und Curd von Stauffen
sind mit den Muslimen Saladin und Sittah verwandt; Nathan ist gewissermaßen der
geistige Vater Rechas.
Ein weiteres sehr wichtiges Ideal Nathans ist die religionsübergeifende
Humanität, so läßt Nathan den Richter den Rat geben, jeder möge so handeln, als
müsse man durch möglichst menschliches Handeln die Echtheit seiner Religion
beweisen, womit er bereits dem kategorischen Imperativ Kants vorgreift (in der
'Kritik der reinen Vernunft' von 1781). Humanität ist nach Nathans
Ansicht nichts, das den zu Erziehenden von Grund auf beigebracht werden muss,
vielmehr besitzt jeder Mensch eine 'Grundhumanität' , die je nach
Lebenswandel gepflegt oder vernachlässigt wird. ('Ich weiß, wie gute
Menschen denken; weiß, / Daß alle Länder gute Menschen tragen' ) Nathans
Erziehung zur Humanität ist daher eine Art Hilfe zur Selbsthilfe, durch
bedingungslose Menschlichkeit gegenüber dem anfangs judenverachtenden
Tempelherrn bringt er diesen zunächst aus der Fassung ('Aber, Jude - / Ihr
heißet Nathan? - Aber, Nathan - Ihr / Setzt Eure Worte sehr - sehr gut - sehr
spitz - / Ich bin betreten' ), woraufhin er zum Freund Nathans wird.
Wie Lessing ist auch Nathan ein Anhänger des Deismus und der Vernunft. Deismus
bedeutet, dass Gott die Welt zwar erschaffen und mit vernünftigen Naturgesetzen
ausgestattet hat, aber seit der Erschaffung der Welt nicht mehr aktiv in die
Welt eingreift.
Ein Beleg in der Ringparabel findet sich in der Tatsache, dass der Vater, also
Gott, seinen Kindern die drei Ringe überlässt und daraufhin stirbt, er kann
also nicht mehr aktiv in den Streit seiner drei Söhne eingreifen, sie sind auf
sich allein gestellt und es gibt keine Möglichkeit, den Vater wieder zum Leben
zu erwecken und ihn um Rat zu fragen. Auch in der Exposition des Stückes
erzieht Nathan zu Deismus und Vernunft: Recha glaubt anfangs fest, ein Engel
habe sie aus dem Feuer gerettet. Er stellt dem Wunderglauben Rechas und Dajas
seine Ansicht entgegen, dass bereits alltägliche Dinge als Wunder aufgefasst
werden können. Nathan stellt den Wunderglauben als eine sehr bequeme
Möglichkeit dar, Dank und Verantwortung zu umgehen, einem Engel kann man
schließlich keinen Gegendienst erweisen; ganz im Gegensatz zu einem Menschen,
dem man später einen Gegendienst erweisen kann, was Nathan für Recha
abschließend noch einmal zusammenfasst: 'Begreifst du aber, / Wieviel
andächtig schwärmen leichter, als / Gut handeln ist?' , er erzieht sie vom
'süße[n] Wahn' zur 'süßern Wahrheit' .
Die Idee zu seinem Werk erhielt G.E. Lessing aus ,,Die drei Ringe' von Giovanni Boccaccio. In einem Brief an seinen Bruder Karl schrieb er über den Inhalt des Werkes: ,,wenn Ihr, Du und Moses, ihn wissen wollte, so schlagt das Decamerone des Boccaccio auf []. Ich glaube, eine sehr interessante Episode dazu gefunden zu haben, dass sich alles sehr gut soll lesen lassen und ich gewiss den Theologen einen ärgeren Possen damit spielen will als noch mit zehn Fragmenten.'7 (siehe 2.4.). Lessing erweiterte die Erzählung aber um einige weitere Aspekte und machte sie so zu einer Parabel mit erzieherischem Wert. Die Unterschiede werden im folgenden erläutert.
Inhaltlich unterscheidet sich der Text des deutschen Autors von dem des italienischen in einigen wichtigen Dingen. Boccaccio beschreibt den Ring lediglich als ,,wunderschön und wertvoll' (Z. 6) , Lessing beschreibt ihn als Opal der ,,hundert schöne Farben spiegelt' (V. 1914 f.). ,,Dies, die unermessliche Vielfältigkeit, über alle verständige Eindeutigkeit hinaus, das in Gott begründete Überrationale, kennzeichnet die positive Religion'8(Otto Mann). Darüber hinaus gibt Lessing ihm die Zauberkraft ,,vor Gott und den Menschen angenehm zu machen' (V. 1916 f.), allerdings nur dem, der ihn in dieser Zuversicht trägt. Mit diesem Zusatz will Lessing ausdrücken, dass die religiöse Zugehörigkeit allein nicht ausreicht ein guter Mensch zu sein. Auch Saladins zeitweises Unverständnis (V. 1964) und die anfängliche Ungeduld (V. 1957 f.) sind aus Lessings Feder. Er spricht damit dem einen oder anderen Leser aus dem Mund und bezieht ihn in die Erzählung mit ein. Der ausführliche Richterspruch im deutschen Werk verstärkt Lessings Ansichten und das Gewicht der Gleichheit, der Toleranz und der Auslegung der Religionen (V. 2010 ff.).
Der größte sprachliche Unterschied ist natürlich der Unterschied zwischen Prosa und Lyrik. Die Erzählung Boccaccios ist im märchenhaften ,,dahinplätschernden' Erzählstil geschrieben, Lessings Parabel voller Fragen, Einwürfen, Spitzfindigkeiten und exakten Beschreibungen. Die Auflösung und Überzeugung Saladins ist sprachlich ausgefeilter, redegewandter, fast schon sophistischer Natur (V. 1974 ff.). Auch das Metrum und die kompakte, treffsichere Sprache zwingt den Leser sich auf das Gesagte zu konzentrieren. Letztendlich hat Lessing aus der ,,netten' Erzählung Boccaccios eine didaktisch wertvolle Parabel hervorgebracht, die nicht zur Unterhaltung sondern zum Nachdenken dient.
Lessings Stück 'Nathan der
Weise' wurde vom Publikum mit sehr unterschiedlichen Reaktionen
aufgenommen. Während bei der Uraufführung am 14. März 1783 das Theater bis auf
den letzten Platz gefüllt war, blieb schon bei der dritten Aufführung der
Ansturm aus. Kritik wurde in Fachkreisen vor allem an der dramatischen Form von
Lessings Drama geübt: 'Freilich hat das Stück nur wenig
theatralisches' .
Erst von der Inszenierung Schillers (Weimar, 1801) geht größere
'theatralische Wirkung' aus. Er verändert den 'Nathan'
beträchtlich, indem er in das Metrum eingreift, gedankliche Passagen streicht
und allzu kritische und anstößige Textstellen, wie beispielsweise Nathans
Auseinandersetzung mit Rechas Wunderglaube oder Sittahs Kritik am Verhalten der
Christen, entschärft. Noch widersprüchlicher wird die im Nathan entwickelte
Religionsidee aufgenommen. Während der Meininger Hofprediger Johann Georg
Pfranger sogar ein Gegendrama entwirft, weil er sich über die Herabsetzung des
Christentums und die Verherrlichung des Judentums entrüstet, sieht Friedrich
Schlegel diese Idee der Toleranz durchwegs positiv. Der häufigste Kritikpunkt
war allerdings, dass der 'Held' des Dramas ein Jude ist. Immanuel
Kant soll nach der Lektüre der ersten zehn Druckbögen gesagt haben, er könne
keine Helden aus diesem Volk leiden .
Der materialistische Philosoph Eugen Dühring bezeichnete den 'Nathan'
sogar als ein 'plattes Judenstück () auf einem sehr niedrigen
Geistesniveau' . Antisemitismus war auch 1933 der Grund für das
Verschwinden des Dramas von der Bühne und aus dem Schulunterricht. Dabei steht
es außer Frage, dass die Aussage des Stückes, Humanität und Toleranz, zu allen
Zeiten aktuell war und es auch bleiben wird. Diese Werte haben gerade in den
vergangenen Jahren, in denen übertriebener Nationalismus und Intoleranz wieder
aufflammten, eine besondere Wichtigkeit erlangt.
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