Werk teils autobiographisch:
Beschreibung von Aschenbachs Schriften ergibt fast eine Liste von Manns eigenen Schriften, oder Werken von denen er die Absicht hatte sie zu schreiben
Beispiel: Aschenbach hat einmal an wenig sichtbarer Stelle unmittelbar ausgesprochen, daß "beinahe alles Große, was dastehe, als ein Trotzdem dastehe, trotz Kummer und Qual, Armut, Verlassenheit, Körperschwäche, Laster, Leidenschaft, und tausend Hemmnissen zustande gekommen sei". Mann gebrauchte selbst einmal diese Worte in einer Antwort auf eine Zeitungsumfrage auf den Alkohol als schöpferischen Stimulus
Aussagen:
Grundaussage Manns Werk: "Kampf" zwischen Leben (tätsächliches, sinnliches Erleben) und Geist (Ideale, Kultur), wobei das Leben dominierend ist:
Aschenbach, der scheinbar über allen Verdacht erhaben in seinem zuchtvollen Dienst an der Kunst stürzt ab aus der Höhe seiner disziplinierten Tugenden und zivilisierten Leistungen ins Chaos; er kann sich dem Zudrang des wirklichen Erlebens nicht erwehren
Aschenbachs Werke sind im klassischen Stil geschrieben, den der Sieger über den Abgrund verwendet. Mann schreibt den Tod in Venedig auch im klassischen Stil, jedoch um zu zeigen, wie der Abgrund letztendlich doch über seinen vermeintlichen Überwinder triumphiert
Leistungsethik: vgl. Leistungssport -> Aschenbachs Beispiel ., aber ohne daß ein Glaube dahintersteht und stützt
gleichgeschlechtliche Liebe als allgemeines Thema Manns
Form hat zwei Gesichter: ein sittliches und ein unsittliches: sittlich als Ergebnis und Ausdruck der Zucht, unsittlich aber und selbst widersittlich, insofern, als sie von Natur aus eine moralische Gleichgültigkeit in sich schließt. Somit hat sie auch eine Richtung in den Abgrund. So können auch die Formen der Kunst nicht sein, ohne daß sie vom dunkeln Grund aller Schöpferkraft genährt werden. -> näheres am Ende
zum Werk:
Richtung: extremer psychologischer Realismus
im Tod in Venedig gibt es kein Detail, das überflüssig ist. Jedes ist symbolisch, aber trotzdem wirkt die Symbolik nicht unrealistisch
Tod ist stets zugegen, als Richter und schließlicher Sieger
Die Gefahr der Formlosigkeit ist nicht nur ein Thema der Novelle, sondern es wird auch zur Bereicherung der Form verwendet
auf den ersten Seiten des Tod in Venedig finden wir eine Ouvertüre, die das ganze Drama enthält und doch nur der Anfang der Geschichte ist: Auftritt des Todes (Vagabund, einzelne seiner Züge kehren immer wieder; sein Aussehen erinnert an das Dürer-Bildnis von Gevatter Tod) und von Venedig. Der Kampf zwischen dem klassischen Menschen und dem Chaos tritt das erste Mal auf, als Aschenbach von einer Vision des Dschungels überkommen wird.
buckelige, unreine Matrose, der mit grinsender Höflichkeit den Fahrschein verkauft: personifizierter Zwang, der Aschenbach treibt
falscher Jüngling: erzeugt in Aschenbach ein Gefühl, das seine objektive Entsprechung in Venedig hat: Venedig als die Hauptstadt des Reichs der Unwirklichkeit, der Taubenschlag der romantischen Unruhe. Sie ist auch in der neueren deutschen Literatur die Residenz des Eros Thanatos (Liebestod)
Tadzio ist eine Überraschung für Aschenbach, da Aschenbach immer geglaubt hat, die vollkommene Schönheit in der Kunst zu finden, entdeckt sie jetzt aber in der Realität
Kampf zwischen Form und Chaos, zwischen Leben und Geist tritt auf:
vom heiter betrachtendem Geist zur zerstörenden Leidenschaft
zwischen Hexametern und lang ausgedehnten u-Lauten
Tadzio wird später selbst zu einem Todesboten, als er "die Füße gekreuzt, die rechte Hand in der tragenden Hüfte" - vgl. Vagabund in München- am Geländer steht, während die Musiker spielen
Aschenbachs Liebe an Tadzio entspricht der Liebe zu Narziß, einer Liebe, die zur Niederlage führen muß, da Narziß nur sich selbst liebt
Aschenbachs Liebe ist der Krankheit verschwistert, sie ist der Rausch des kranken Lebens, sie entspricht dem Liebestod Aschenbachs in Venedig. Es ist der pessimistische Rausch der Liebe, die keine Liebe ist, sondern eine erotische Verstrickung ohne Auflösung, es ist eine hoffnungslose Leidenschaft, nicht wegen der Verweigerung des Objekts, sondern weil es die Hoffnung nicht gibt. Enttäuschung gehört zu ihrem Wesen, da ihr nach berauschender Illusion gelüstet.
Wobei der Wille nach permanentem Abenteuer und Ekstase, nach einem Glück, das höher ist als die Vernunft und auf ewig währt die romantische Variation des Themas des Todes ist.
Venedig: Temperatur steigt von Tag zu Tag, das Blau des Himmels wird bleifarben, der Scirocco setzt ein und der Geruch nach Karbol - und somit die Krankheit - breitet sich in den Gassen aus
musikalischer Clown, als letzte Todesgestalt: sein Abschiedslied endet in Hohngelächter, das die ganze Hotelgesellschaft mitzieht. Er ist die Vereinigung aller vorhergegangenen Todesboten mit seinem hageren, stumpfnäsigem Gesicht, seinem auffälligen Adamsapfel, seinen bleckenden Zähnen, seinem despotischen Ausdrucks, dem Vagabundentum (alle Todesboten kommen aus der Fremde), seiner ungewöhnlichen Daseinsform, seinen Grimassen, seinem Anflug von Laszivität und dem Anreiz, der von ihm ausgeht, die Regeln der wachsamen Disziplin zu brechen. Dabei kommt bei ihm der Geruch der Krankheit hinzu sowie zweifelhafte Assoziationen mit der Musik.
Aschenbach ist sittlich vernichtet:
seine Häufung von Sinnesfreuden führt zum Exzeß, sein ästhetisches Vergnügen wird zur Verliebtheit, die zur Liebe wird, die zur erniedrigenden Selbstpreisgabe führt und im Tod endet.
nach einiger Zeit will Aschenbach nicht mehr zurück: das letzte Aufbegehren seines sittlichen Willens - die Abreise aus Venedig - mißlingt, und je weiter die Geschichte fortschreitet, desto mehr will er nicht mehr nach Hause, er ist erfüllt von wilden, schwindeligen Hoffnungen, er hofft auf eine von Tod und Panik verwüstete Stadt, eine von zwei Überlebenden geteilte Einsamkeit, einen Schrecken von ungeheurer Süßigkeit. "Tugend und Kunst zählen nichts im Vergleich mit den Vorteilen des Chaos"
er ist kosmetisch verjüngt, wie der falsche Jüngling
verfolgt hilflos Tadzio
=> Tod in Venedig ist mehr als eine tragische Parodie:
Der Tod in Venedig ist ein Werk der Kunst, in welchem sich eine so radikale Kritik an der Kunst verkörpert, daß sie ihrer Verwerfung gleichkommt. Die Kunst wird von vielen moralischen Fragen eingekreist.
Es geht z.B. um den sittlichen Wert oder Unwert der Kunst.
Die Kunst wird auch als ein ästhetischer Nihilismus gedeutet, und auf die Lebensfremdheit des Künstlers hingewiesen.
Ein Problem der Kunst ist, daß sie das stumme Chaos des Seins den ordnenden Gesetzen de Geistes unterwerfen möchte. Dies führt zu immer mehr Vergeistigung und alles stofflich-wirkliche wird hinter sich gelassen. Am Ende wird selbst der Glaube an die Wirklichkeit abgelehnt, die dann um so sprachloser ist. Das ist auch der Punkt, an dem Aschenbachs Welt der Vollkommenheit, des Maßes und der Helligkeit den blinden, unbegrenzten Mächten unterliegt. So kommt es auch zu Aschenbachs Einsicht, daß es nur dort, wo es keine Worte gibt, wahres Glück zu finden ist, denn Worte sind stets matt, kühl, durch Förmlichkeit und bürgerliche Übereinkunft bestimmt, bedingt und geprägt. Jedes einzelne Wort wird zur Phrase.
Asthet: (überfeinerter, schwärmerischer) Freund des ästhetisch Vollkommenen Asthetik: Lehre von den Gesetzen u. Grundlagen des Schönen, bes. in der Natur und Kunst |
Am Beispiel Aschenbachs wird auch gezeigt, daß der Künstler ohne Gewissen nur ein Asthet ist.
Für Mann ist die Kunst für Mann nur ein Mittel, sein Leben ethisch zu füllen.
Quelle: Erich Heller: "Thomas Mann", suhrkamp taschenbuch
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