Reigen
von Arthur Schnitzler
Der österreichische Schriftsteller wurde am 15.5.1862 in Wien geboren und ist ebendort am 21.10.1931 verstorben. Als Sohn des angesehenen Arztes und Universitätsprofessors Johann Schnitzler studierte Schnitzler ebenfalls Medizin und schloss sein Studium 1885 ab. Bis 1893 arbeitete er als Assistenzarzt in verschiedenen Wiener Krankenhäusern, danach eröffnete er eine Privatpraxis. Schnitzler übte seinen ungeliebten Beruf aber kaum aus und betätigte sich schon damals als Schriftsteller, wobei sich seine Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse von Sigmund Freud in einigen Werken niederschlägt. Später lebte er als freier Schriftsteller in Wien. Durch seine ersten Publikationen lernte er 1890 Hugo von Hofmannsthal, Richard Beer-Hofmann und Hermann Bahr kennen, mit denen er einen Literaturzirkel bildete, der als "Jung(es) Wien" bekannt wurde.
Schnitzler entnahm die Themen seiner literarischen Arbeiten der sozialen und politischen Realität der österreich-ungarischen Monarchie des ausgehenden 19 und beginnenden 20 Jh.s . Psychologisch genau und mit skeptischer Ironie stellte er die bürgerliche Wiener Gesellschaft dar, wie sie langsam an ihren inneren Widersprüchen zerbrach. Typische Gestalten der Epoche führte er als Dramatiker mit dem "leichtsinnigen Melancholiker" Anatol (1893) und den Figuren des Reigen (1900) vor. Die Schauspiele Der einsame Weg (1904), Das weite Land (1911) und Professor Bernhardi (1912) sind Dokumente für die Zersetzung der traditionellen Werte und den Zerfall der bürgerlich-liberalen Ordnung vor dem 1. Weltkrieg.
Neben den konventionellen Formen der Erzählkunst verwendet Schnitzler bereits die Stilmittel der erlebten Rede und - erstmals in der deutschen Literatur - des inneren Monologs (Lieutenant Gustl, Fräulein Else). Thematisch steht im Zentrum fast aller Erzählungen die existentielle Krise eines Menschen, aus der dieser jedoch meist ungeläutert wieder hervorgeht (eine der wenigen Ausnahmen bildet die Traumnovelle (1926) und in einem labilen Zustand verbleibt.
Zu Schnitzlers Prosawerk gehören auch zwei Romane, Der Weg ins Freie (1908) und Therese (1928), mit denen er eine Bestandsaufnahme der ganzen Wirklichkeit seiner Zeit zu unternehmen versuchte. Zu erwähnen sind auch eine Autobiographie, die 1968 unter dem Titel Jugend in Wien herausgegeben wurde.
Heute gilt Schnitzler als einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller der Jahrhundertwende.
Weitere Werke: Liebelei (1896), Der grüne Kakadu (1899), Komtesse Mizzi oder Der Familientag (1909), Casanovas Heimfahrt (1918),
In diesem Buch führen zehn Figuren zehn Dialoge und zehnmal findet sich ein Paar zu sexueller Vereinigung. Nach jeder Szene wird ein Partner ausgetauscht und dabei die gesellschaftliche Leiter auf- und abgestiegen. Der Liebesreigen nimmt seinen Anfang bei der Dirne und dem Soldaten, dreht sich weiter vom Soldaten und dem Stubenmädchen zum Stubenmädchen und dem jungen Herrn. , vom jungen Herrn und der jungen Frau zur Szene des Ehepaard junge Frau und Ehemann, und über den Ehemann und das süße Mädel, das süße Mädel und den Dichter, den Dichter und die Schauspielerin, die Schauspielerin und den Grafen zum Grafen und zur Dirne der ersten Szene; der Kreis ist geschlossen. Die Dialoge beschränken sich immer auf die Zeit vor und nach dem Geschlechtsverkehr. Das eigentliche Handlungsziel der Personen, ihre Triebbefriedigung wird nur oberflächlich angedeutet und schließlich durch eine Linie von Gedankenstrichen ersetzt. Im Sog der Begierde werden die Personen aber einander gleich wie der Kaiser und der Bettler vor dem Tod. Über die Struktur des Stückes, das Verhalten der Personen und ihrer Sprache vermittelt sich Schnitzlers kritische Sicht der tabuisierten Sexualsphäre. Im Kreislauf der Paare verwirklicht sich Schnitzlers These von einer Gesellschaft, die Sexualität an die "heilige" Institution der Ehe bindet, diese aber durch Doppelmoral und die allgemein praktizierte Trennung von Lust und Liebe unterläuft. Mit den gesellschaftlich repräsentativen Figuren fallen hohle Liebesideale. In der Redeweise der Figuren, in uneigentlichem Sprechen offenbart sich auch der unfreie Umgang mit der eigenen Sexualität (Die junge Frau: "Nein, nein, nicht, ich darf nicht zum Bewusstsein kommen Sonst müsste ich vor Scham in die Erde sinken"). Ein weiteres Thema des Stücks sind die unterschiedlichen sexuellen Verhalten der Geschlechter. Die Beziehungen zwischen Mann und Frau verlaufen in einer gegenläufigen Gefühlskurve. Die Frau wechselt von spröder Ablehnung zu zärtlicher Anhänglichkeit, der Mann von sinnlicher Erregung zu kalter Abwendung.
Schnitzler, der sich ja intensiv mit der Psychoanalyse auseinandergesetzt hat, nimmt im Reigen eines der bestimmenden Themen im Wien der Jahrhundertwende auf. So erschienen in dieser Zeit eine Reihe von Büchern die den tiefenpsychologischen Aspekt sexuellen Verhaltens behandeln. Auch hob Sigmund Freud in einem Brief an Schnitzler die weitreichende Übereinstimmung in psychologischen Problemen hervor.
Das Stück selbst wurde im Winter 1896/97 geschrieben. Erstmals erschienen ist der Reigen im Jahre 1900 in Wien nur als Privatdruck (200 Exemplare), der an Freunde ging. Dem Dichter war die Skandalträchtigkeit seines Stückes von Anfang an bewusst, denn in seinem Vorwort schreibt er, dass ein Erscheinen der nachfolgenden Szenen vorläufig ausgeschlossen ist. Die erste öffentliche Ausgabe des Werkes im Jahre 1903, die der Wiener Verlag dennoch wagte, löste eine Woge der Empörung aus, die geltenden Bestimmungen der Sittlichkeitszensur im österreichischen Kaiserreich versperrten dem Werk die Bühne. Dennoch fand das Buch Verbreitung: Der "Reigen" wurde ein bekanntes unbekanntes Buch.
Zur Uraufführung des gesamten Werkes kam es fast zwei Jahrzehnte später, am 23.12.1920, am Max Reinhardts Berliner Kleinem Schauspielhaus. Die Aufführung wurde von Demonstrationen gestört und der preußische Kultusminister untersagte jede weitere Aufführung. Schließlich gab es noch einen Reigenprozess, in dem 2 Schauspieler wegen Unzucht und Erregung öffentlichen Argernisses angeklagt wurden, der jedoch mit einem Freispruch endete. Als es nach Aufführungen in Wien und in München zu organisierten Krawallen deutschnationaler, katholischer und antisemitischer Kreise kam, verbot Schnitzler jede weitere Aufführung. Erst 1982, nach dem Tod Schnitzlers Sohn und Erben Heinrich, gelangte das Werk wieder auf die Bühne.
Harenberg Lexikon der Weltliteratur
Reigen - Vorwort von Günther Rühle
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