Referat zu Erich Hackls Buch „Sara und Simón“
Geschichtliche und politische Hintergründe Uruguays
Auf Grund von tiefen Wirtschaftskrisen und von verstärkten terroristischen Aktivitäten der revolutionären Tupamaros, einer linken nationalen Befreiungsbewegung, wurden dem von 1967 bis 1972 amtierenden Präsidenten Areco diktatorische Vollmachten eingeräumt. In den Folgejahren setzte sich unter Präsident Bordaberry der Wandel zur Diktatur und somit zur Militärherrschaft fort. Bordaberry wurde allerdings 1976 von den Militärs gestürzt, die eine Art Demokratie anstrebten und letztendlich auf blutige Weise durchsetzten, wobei viele sozialistische Parteien bei den Wahlen von der Teilnahme ausgeschlossen wurden.
Inhaltsangabe des Romans
Die junge Sara Méndez, eine angehende Volksschullehrerin in Montevideo, ist in den sechziger Jahren eine begeisterte Revolutionärin und beteiligt sich mit anderen Studenten an Demonstrationen und Streiks gegen die „ewig gültige politische Ordnung“. Sara ist davon überzeugt, daß dem Lande nur durch einen radikalen Umschwung zu helfen sei, und tritt aus diesem Grunde der Anarchistischen Föderation Uruguays bei, einer verbotenen Gruppierung. Dort lernt sie auch den Architekturstudenten und Keramiker Mauricio Gatti kennen, der als ein führendes Mitglied der Föderation tätig ist. Mauricio wird Anfang der siebziger Jahre verhaftet, kommt jedoch zufällig während eines politischen Aufruhrs frei und lebt fortan im Untergrund. Sara, die inzwischen eine Lehrstelle hat, setzt ihre Arbeit in der Föderation eifrig fort, da sie die miserablen Schulzustände empören. Als im Februar 1973 Soldaten die Wohnungen ihrer Mutter und ihrer Schwester stürmen, entschließt sich Sara nach Buenos Aires, ins Nachbarland Argentienien, zu fliehen. Schon bald folgen ihr Mauricio und dessen Bruder Gerardo, ebenfalls Mitglied der Föderation. Das Militär übernimmt in Uruguay die Macht.
Die nun arbeitslose Sara hält sich versteckt. Mauricio, hingegen, verdient als einer der Führer der aus der Föderation entstandenen Partei „Partido por la Victoria del Pueblo“ seinen Unterhalt. Im Februar 1974 erhalten die beiden Kenntnis, daß die argentinische Polizei, die mittlerweile eng mit den Sicherheitskräften Uruguays kooperiert, unter dem Vorwand geplanter Attentate zahlreiche Flüchtlinge aus Uruguay verhaftet hat. Ende 1974 werden in Montevideo fünf aus Buenos Aires entführte Personen tot aufgefunden, unter ihnen auch das Ehepaar García Hernández, deren dreijähriger Sohn Amaral künftig als verschwunden gilt. Sara und Mauricio ziehen oft um, ändern zunehmend ihre Gewohnheiten, Sara sogar ihren Namen. Sara will nicht als Märtyrerin für zukünftige Generationen leben, sondern in der Gegenwart in der Familie ihr Glück finden. Als jedoch Anfang Juni 1976 Mitglieder der Föderation verschwinden, sind Mauricio und die inzwischen im neunten Monat schwangere Sara zutiefst besorgt und verlassen noch am selben Tag ihre Wohnung. Sie erfahren, daß Saras Freundin María gefaßt wurde und sofort gestand, worauf alle ihr bekannten Wohnungen von Soldaten gestürmt wurden. Der ebenfalls festgenommene Gerardo, Mauricios Bruder, wurde solange gefoltert bis er einen Schlaganfall erlitt. Obwohl er nun gelähmt ist, veranlaßt er die Föderation, das geforderte Lösegeld für seine Freilassung nicht zu zahlen. Sara bringt einen Sohn zur Welt, den sie Simón nennt. Das Kind hat standesamtlich keinen Vater.
Während Mauricios Abesenheit wird Sara eines Tages vom Major Gavazzo aus ihrem Haus entführt. Der Säugling bleibt in einem Korb zurück.
Die folgenden Monate verbringt Sara in einem Kerker unter demütigenden Umständen. Sie wird jeden Tag auf bestialische Weise gefoltert und ist in stetiger Besorgnis um Simón. Die körperlichen Schmerzen vermögen es nicht, Sara Angst einzuflößen. Als sie jedoch erfährt, daß der Kerker sich mitten in einem Wohngebiet der Innenstadt von Buenos Aires befindet, sagt sie, nun wisse sie, was Gruseln sei.
Inzwischen planen die Militärs, u.a. Gavazzo, gemeinsam mit dem verräterischen Botschafter der Vereinigten Staaten eine Verschwörung. Sie wollen uruguayische Terroristen unter dem Vorwand von geplanten Attentaten verhaften lassen, sodaß die Regierung ihr internationales Prestige zurückerlangt und finanzielle Unterstützung der USA erhält. Aus diesem Grunde wird die unwissende Sara nach Uruguay überstellt, wo sie unter Folter gezwungen wird an dem angeblichen Terroristenkomplott teilzunehmen. Sara wird in einem spektakulärem Medienrummel mit den anderen beteiligten Gefangenen verhaftet und kommt für sieben Jahre in ein Frauengefängnis. Immer wieder versucht sie Auskunft über Simóns Schicksal zu erhalten, doch auch ein Vorsprechen bei Gavazzo, der ihr verspricht sich um Informationen zu bemühen, und ein Ersuchen beim britischen Botschafter führen zu keinem Ergebnis.
Als sie im Mai 1981 endlich freigelassen wird, bekommt sie einen Brief von Mauricio, der mittlerweile Im Exil in Barcelona lebt, und ihr vorschlägt überzusiedeln. Doch die sich entfremdet fühlende Sara bleibt in Südamerika, um sich auf die Suche nach Simón zu begeben. In Buenos Aires, dem Entführungsort, schließt sie sich den Abuelas an, einer Gruppe engagierter Frauen, die nach Personen, hauptsächlich Kindern, fahnden, welche während der Diktatur verschwandenen. Chicha Mariani, die Vorsitzende, erzählt ihr, daß Simóns Beschreibung und die Umstände der Entführung auf einige adoptierte Kinder zuträfen. Sara fängt mit ihren Nachforschungen an, entfremdet sich dabei immer mehr von Mauricio, der in Europa drei Herzinfarkte hat, und verliebt sich schließlich in den Revolutionär Raúl, der in einem Gefängnis ähnliche Qualen wie Sara erlitt. Von Chicha Mariani erfährt Sara näheres über den Verbleib des vor Jahren verschwundenen Amaral Garcías. Sara ist nun zuversichtlich, auch Simón wiederzufinden. Nach einem Gespräch mit einer Informantin, der Lehrerin Frau Pelacoff, vermutet Sara im September 1984, daß Alejandro, ein rothaariger, in Deutschland lebender Junge, aufgrund seiner Ähnlichkeit zum rothaarigen Mauricio Simón sein könnte. Sara bemüht sich den Jungen ausfindig zu machen. Kurze Zeit später kommt Mauricio aus Spanien, um ihr bei der Suche zu helfen, doch es kommt zunehmend zu Streit zwischen den beiden. Schließlich erfahren sie kurz vor Weihnachten, daß Alejandro schon vor dem Termin der Entführung adoptiert wurde. Er ist also nicht Simón.
In der Folgezeit demonstriert sie gegen ein Amnestiegesetz, das den ehemaligen kriminellen Machthabern Straffreiheit zusichern soll. Als es während einer Demonstration zu Ausschreitungen kommt und Polizeikräfte mit Schlagstöcken auf Sara einschlagen wollen, wirft sich Raúl schützend vor sie und wird dabei verletzt. Doch dies hält die beiden nicht ab weiterzumachen. Das Gesetz wird dennoch verabschiedet und somit entgeht Saras Peiniger, Major Gavazzo, seiner Strafe. Eines Tages erhält Sara Nachricht von dem Direktor einer unabhängigen Radiostation. Er verweist die besorgte Mutter auf einen Jungen namens Gerardo Vázquez. Dieser soll im August des Jahres 1976, also einen Monat nach Saras Entführung auf der Straße gefunden worden sein. Weiterer Hinweise auf die Identität des Jungen seien die ungewöhnlich schnelle Abwicklung des Adoptionsverfahrens, die Ähnlichkeit zu Mauricio und die Tatsache, daß die Adoptivmutter des Jungen eine Verwandte von Major Gavazzos Vorgesetzten sei.
Sara ist nun im siebten Monat schwanger, die Ärzte rechnen jedoch mit einer Mißbildung des Kindes. Zusammen mit Mauricio begibt sie sich zu der Schule des Jungen, um dort ein Gespräch mit dem Direktor zu führen, der auf ihrer Seite steht und somit bereit ist, das Treffen zwischen den Suchenden und den Adoptiveltern, Carlos Vázquez und Zully Morales, im September 1987 herbeizuführen. Diese reagieren jedoch aggressiv und wollen Gerardo unter keinen Umständen hergeben. Zully Morales sei nämlich von Geburt an steril, und deswegen habe das Paar lange Zeit auf eine Adoption warten müssen. Unverhohlen zeigen die beiden ihre Angst, daß man ihnen Gerardo, den sie als ihren Sohn betrachten, wieder abnimmt. Doch auch Gerardo, der mit drei Jahren von der Adoption erfuhr, zeigt nicht das geringste Interesse, seine wahren Eltern kennenzulernen. Nachdem sich das Arbeiterpaar auch nach mehreren Anfragen Saras und nach einem schriftlichen, gefühlvollen Bitten Saras immer noch vehement weigert, einer Blutprobe zuzustimmen, und sich stur stellt, sieht sich Sara veranlaßt vor Gericht zu gehen, um wenigstens zu erfahren, ob Gerardo überhaupt ihr leiblicher Sohn ist.
Kurze Zeit später bringt sie ihre Tochter zur Welt, die gleich nach der Geburt verstirbt. Daraufhin versucht eine Bürgerinitiative, das Amnestiegesetz, das den Kriegsverbrechern ihre Freiheit garantiert, außer Kraft zu setzen. Im ganzen Land werden in Wahllokalen Unterschriften gesammelt, bis es endlich zur Volksabstimmung kommt. Doch Saras zahllose Mühen, Ansprachen und Flugblätteraktionen haben keinen Erfolg; das Gesetz wird von 57 Prozent der Bevölkerung befürwortet. Der 1989 folgende Prozeß wird von einem jungen, unerfahrenen Richter geführt, der sich aufgrund der Tatsache, daß der Adoption eine Entführung durch das Militär voranging, auf eben jenes Amnestiegesetz beruft und dem Ehepaar Vázquez Morales recht gibt. Es finden noch weitere Revidierungen des Urteils statt, die von Presse und Öffentlichkeit mit Interesse verfolgt werden. Doch sie verlaufen immer erfolglos, da das Ehepaar immer wieder Einspruch erhebt. Gerardo und seine Eltern wollen nichts mehr von Sara wissen, die nach dem plötzlichen Herzinfarkttod Mauricios Gedanken an eine glückliche Familie endgültig aufgegeben hat. Für Gerardo sind nicht die leiblichen Eltern wichtig, sondern vielmehr die Eltern, die ihn großgezogen haben. Wer seine leiblichen Eltern sind, ist für ihn irrelevant. Er macht außerdem Sara den Vorwurf, sie hätte damals besser auf ihn aufpassen sollen. Die Entführung deutet der inzwischen Fünfzehnjährige als fahrlässigen Akt und somit als Gleichgültigkeit Saras gegenüber seinem Schicksal. Doch Sara gibt nicht auf. Obwohl sie sich immer wieder bemüht sein Verhalten zu verstehen, wird sie letztendlich von ihm verstoßen.
Struktur und Aufbau der Erzählung
Das Buch ist in Kapitel gegliedert, deren Länge sehr unterschiedlich ist.
Die Mischung aus chronologischen geschichtlichen Daten und biographischen Elementen aus dem Leben der Hauptsarstellerin lassen die Erzählung auf den Leser realistischer und zugleich plastischer wirken.
Ein Vergleich mit Hackls Buch „Auroras Anlaß“ führte zu einer besonders auffälligen Tatsache: Am Anfang beider Romane wird jeweils ein besonderes, schwerwiegendes Ereignis dargestellt. Bei „Aurora“ ist es der Mord an Hildegart. Und in diesem Buch ist es die Aussetzung des Säuglings Simòn. Erst im weiteren Verlauf der Erzählung erfährt der Leser näheres. Von Anfang an vermag Hackl die Aufmerksamkeit und das Interesse des Lesers auf geschickte Weise zu erwecken.
Außerdem zieht sich der üppige Spannungsbogen durch das ganze Buch. Zuerst durch die Bedrohung Saras und ihrer Entführung und dann durch die Schilderung der Folter, stellt sich der Leser die permanente Frage: Hält Sara das aus und wird es ihr gelingen Simón irgendwann wiederzufinden. Die anschließende Suche nach dem Kind, die etwa die Hälfte des Buches in Anspruch nimmt, verläuft nicht weniger spannend. Der besorgte Leser weiß nicht, ob die die Mutter und das Kind nun zusammenfinden werden oder nicht. Da die Geschichte letztendlich offen bleibt und nicht mit einem Happy End schließt, befindet sich der Leser bis zuletzt in einem Spannungszustand. Er wird diesen Roman so schnell nicht vergessen.
Hackl erzählt den Roman in der allwissenden Form. Der Leser weiß also von Ereignissen die Sara nicht kennt, die aber über ihr Schicksal entscheiden werden, z.B. von der Militär-Verschwörung. Hackl steigert somit die Besorgnis des Lesers.
Die gefühlvolle Schilderung aus Saras Sicht besonders zum Schluß der Erzählung, als sie Simón wiedergewinnen will, läßt eine enge Verbundenheit zwischen dem Leser und der Mutter entstehen.
Aussageabsicht des Autors 16682rnz15hqh5b
In kaum einem anderen Roman werden die Narben, die eine Diktatur in der Seele und im Leben eines Menschen hinterläßt so prägnant und gleichsam gefühlvoll geschildert. Noch Jahre nach der grausamen Folter durch das uruguayische Militär führt Sara ein leidvolles Leben und versucht die verlorenen Jahre nachzuholen, denn auslöschen kann sie sie weder aus ihrem Verstand noch aus ihrem Herzen. In stetem Zweifel um den Verbleib ihres Sohnes Simón ist sie dazu verdammt, sich auf eine langwierige Suche zu begeben, die am Ende doch erfolglos bleiben wird. Die Revolution, das Gefängnis, und vor allem die Trauer haben die Verbindung zwischen Simón und seiner Mutter verwaschen. Der Sohn will seine Mutter nicht einmal mehr kennenlernen. Sara bemüht sich verzweifelt, eine Freundschaft zu den Adoptiveltern zu knüpfen, die jedoch befürchten, die leibliche Mutter wolle ihnen ihren Sohn mit allen Mitteln entreißen. Wörtlich schreibt sie in einem Brief: „[…] Wir dürfen uns nie als Feinde betrachten, als Opfer und Täter. Für das, was wir jetzt durchmachen, sind andere verantwortlich, und diese Anderen stehen tatsächlich auf der anderen Seite.“ Hackl macht uns durch die Schicksale vieler Betroffenen deutlich, daß unsere Freiheit, unser Glück von den Machthabern abhängen. Anhand des Buches erkennen wir, daß die Freiheit unser wertvollstes Gut ist. Gewaltlosigkeit, Frieden und innere Ruhe, sowie Demokratie sind in keinem Land eine Selbstverständlichkeit. Noch vor einem Jahrzehnt wurde in unserem Nachbarland, der DDR, gemordet und gefoltert und auf dem Kosovo, in Palestina oder in Algerien herrscht noch heute die Angst. Erich Hackl deutet an, daß wir uns glücklich schätzen können, in einem friedlichen Staat zu leben und nicht Opfer politischen Terrors zu sein. Nach der Lektüre deses Buches erscheinen uns politische Streitgespräche in unseren Landen wie z.B. um einen Lauschangriff oder um eine Rentenreform als Lappalien. Sie sind unbedeutend, verglichen mit Saras Pein, ihren Nöten und ihren Sorgen.
Hackl macht aber am Beispiel Saras auch deutlich, daß man Vergangenes manchmal vergessen muß, um wieder zu einer frohen Lebenseinstellung zu gelangen. Sie setzt sich noch Jahre nach ihrer Entlassung aus dem Zuchthaus mit der Entführung auseinander, denkt anfangs jeden Tag nach, was sie hätte besser machen können. Sie braucht lange Zeit, um festzustellen, daß man der Vergangenheit nicht ewig nachtrauern kann, da das Leben weitergeht. Zum Schluß erfahren wir von ihr: „Zur eigenen Vergangenheit stehen, aber das Recht beanspruchen, mit ihr fertig zu werden. Nicht alles wegwerfen, nicht alles weitertragen.“ Das sei nun auch Saras Weg.
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