Fräulein Else
(von Arthur Schnitzler)
Zum Autor: Arthur Schnitzler (15.Mai 1862-21.Oktober 1931) stammt aus einer jüdischen Familie. Bereits sein Vater ist Arzt, und so steht die Berufswahl für ihn von vornherein fest, denn der Beruf des Arztes genießt hohes soziales Ansehen in der Habsburgermonarchie. Schnitzler fühlt sich in Wien als Jude halb zugehörig, halb fremd; mit dem stärker werdenden Antisemitismus bekommt er allerdings das Gefühl, sogar ein Feind zu sein.
Für sein literarisches Werk ist die naturwissenschaftliche Ausbildung ebenso bedeutend wie seine praktische Erfahrung als Arzt. Mit Sigmund Freud teilt er das Interesse für psychische Erkrankungen und die damals gerade aufkommenden unkonventionellen Behandlungsmethoden; der Psychoanalyse steht er positiv gegenüber. Schnitzler wendet sich später vom Arztberuf ab.
Problematisch sind zeit seines Lebens die Beziehungen zu Frauen und zur Ehe. Er eilt von einer Beziehung zur anderen, leidet unter extremer Bindungsangst. Erst als 42jähriger heiratet er äußert widerwillig Olga Gussmann. Die Ehe scheint jedoch von Anfang an zum Scheitern verurteilt zu sein, sie wird 1921 geschieden. Die Beziehungen zwischen Mann und Frau sind auch das immer wieder variierte Hauptthema seiner Werke.
Seine Werke: Abenteurernovellen; Sterben; Komödiantinnen; Frau Berta Garlan; Der blinde Geronimo und sein Bruder; Die Hirtenflöte; Doktor Gräsler, Badearzt; Flucht in die Finsternis; Die Frau des Richters; Traumnovelle; Ich; Fräulein Else; Spiel im Morgengrauen; Casanovas Heimfahrt; Der Weg ins Freie; Anatol; Freiwild; Das Vermächtnis; Der Schleier der Beatrice; Lebendige Stunden; Zwischenspiel; Der junge Medardus; Das weite Land; Komödie der Worte; Die Schwestern oder Casanova in Spa; Das Wort; Therese; Im Spiel der Sommerlüfte; Reigen; Liebelei; Jugend in Wien; Medizinische Schriften; Leutnant Gustl;
Zur Epoche Für die eigenständige Ausformung der österreichischen Dichtung am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde noch kein unumstrittener Name gefunden. Alle Benennungen treffen nur einen Teil der vielschichtigen Dichterpersönlichkeiten und ihrer Werke, keine umfaßt die Vielfalt der Absichten und Gestaltungen. Die Bezeichnung "Wiener Moderne" wurde schon um die Jahrhundertwende häufig gebraucht. Andere Benennungen sind: "Das junge Wien", "Jugendstil", "Dekadenzliteratur", "Kaffeehausliteratur", "Fin de siècle" und Asthetizismus". Alle diese Namen bezeichnen wesentliche Merkmale, aber kein Begriff vermag die charakteristischen Kennzeichen dieser Epoche der österreichischen Dichtung zu umfassen.
Zum Inneren Monolog Die Form, die Arthur Schnitzler gerade für diese Erzählung entwickelt hat, der innere Monolog, steht "genau in der Mitte zwischen Novelle und Drama" - sie unterstreicht, daß es ihm bei seinem Schreiben zugleich um äußeres, reales Geschehen wie um das innere, das psychische Erleben der Gestalten der Menschen seiner Zeit ging.
Inhalt Fräulein Else, ein neunzehnjähriges Mädchen, verbringt auf Einladung einer reichen Tante Ferientage in einem luxuriösen Hotel in San Martino di Castrozza. Sie ist die Tochter eines bekannten Advokaten, der Mündelgelder veruntreut, um Schulden begleichen zu können, die er im Spiel machte. Diesmal sind Schulden jedoch zu hoch. Deshalb schickt Elses Mutter ihr einen Expreßbrief, in welchem sie Else bittet mit Herrn von Dorsay, einem alten Bekannten der Familie, zu sprechen und ihn zu fragen, ob er helfen kann.
Zuerst weiß sie nicht wie sie das anstellen soll. Sie bittet Dorsay dann aber doch, ihr die 30.000 Gulden für ihren Vater zu leihen. Else verspricht auch, daß ihr Vater alles schnellstens zurückzahlen wird, da er zur Zeit einen sehr guten Fall übernommen hat.
Herr von Dorsay sieht kein Problem darin; er will aber eine Gegenleistung von Else. Er will "eine Viertelstunde dastehen dürfen in Andacht vor ihrer Schönheit." Das junge Mädchen soll sich bis nach dem Dinner entscheiden.
Sie geht auf ihr Zimmer und macht sich schön für das Dinner. In dieser Zeit denkt sie sogar an Selbstmord und mischt ein starkes Schlafmittel, um es zu trinken. Sie schafft es dann doch nicht sich umzubringen und da sie noch Zeit bis zum Essen hat, macht sie einen Spaziergang. Während dieses Spazierganges kann sie an nichts anderes denken als an Dorsays Angebot. Sie entschwindet in eine Phantasiewelt und merkt gar nicht daß es schon sehr spät ist. Das Dinner ist schon beinahe vorbei als sie ins Hotel zurückkommt. Dort erhält sie einen zweiten Expreßbrief von ihrer Mutter und hofft daß alles geklärt ist. Im Gegenteil: sie muß Dorsay nun um 50.000 Gulden bitten. Else faßt aber den Entschluß, daß nicht nur der Herr von Dorsay alleine sie nackt sehen soll.
Nur mit einem Pelzmantel bekleidet, geht sie hinunter in die Halle um sich zu entblößen. Zuerst kann sie den Mann nicht finden, als sie aber im Spielzimmer des Hotels ankommt entdeckt sie ihn. Ohne zu Zögern läßt sie den Mantel von ihren Schultern fallen, stößt einen spitzen Schrei aus und fällt in Ohnmacht. Daraufhin wird sie in ihr Zimmer getragen und es wird jemand geschickt, um einen Arzt zu holen.
In dieser ganzen Zeit bekommt Else alles mit, nur kann sie sich nicht bewegen und nichts sagen. Im Zimmer nützt sie einen kurzen Moment, in dem sich niemand im Zimmer aufhält und erwacht. (Lesestelle);
Charaktere Dorsay: Herr der Stunde; der Kunsthändler, von dem nichts Genaues in Erfahrung zu bringen ist, ungeklärter Herkunft, gekleidet in die Titel, die ihm der jähe finanzielle Erfolg brachte. Er ist der Nutznießer unheimlicher Kapitalbewegungen; die Ursache seines Reichtums bleibt auch ungeklärt.
Else: junges Fräulein; obwohl der Vater ein berühmter Advokat ist, stammen sie aus mittleren Verhältnissen; hat eine Veränderung durchmachen müssen: Else muß erfahren, daß sie jener Gesellschaft nur mehr durch einen Gnadenakt ihrer Tante angehört; eigentlich sehr pessimistisch, ohne wirkliche Lebensfreude; für die Rettung der Elterngeneration würde sie alles tun;
Problematik Vom geschichtlichen her zeigt Schnitzler die damalige Situation zur Zeit der Inflation auf. Geld spielt für die wohlhabenden keine Rolle; als Else "scherzend" meint ob ihr Dorsay eine Million Gulden gibt, willigt er sogar in dieses Geschäft ein. Die Gesellschaft wird sehr kritisiert. Mit dem materiellen Wohlstand korrespondiert eine geachtete Stellung in der Gesellschaft - die Hotelbewohner sind angesehene Leute. Den äußeren Vorzügen entsprechen jedoch keineswegs die moralischen Qualitäten. In dieser Beziehung, so meint Else, seien sie alle "Schufte", "Gesindel". Solch ein "Schuft" ist Elses eigener Vater, einer der angesehensten und begabtesten Advokaten Wiens. Von Berufs wegen entscheidet er über Recht und Unrecht. Aber er selbst hat Mündelgelder veruntreut, um Bakkarat zu spielen und auf der Börse zu spekulieren. Zur selbstverständlichen Gewohnheit ist es ihm geworden, die eheliche Treue zu brechen. Nach außen hin muß aber die Moral gewahrt bleiben. Dabei scheut er sich nicht, seine hübsche Tochter zu verkaufen, um seinen eigenen verwerflichen Leichtsinn nicht ruchbar werden zu lassen.
Else, die als "Mädchen aus guter Familie" keinen Beruf erlernte, sondern nur darauf vorbereitet wurde, sich bei einer "reichen Partie" möglichst vorteilhaft zu verkaufen, muß lernen, daß die sittlichen Ideale Scheinideale sind. Sie, die ihre Schönheit nicht für Geld preisgeben will, zerbricht an der Unmoral jener Gesellschaft, in der sie lebt. Die Bitte ihres Vaters und die Forderung Dorsays treiben sie in eine ausweglose Situation. Ihr bleibt nur die Flucht in den Selbstmord.
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