"Auroras Anlaß" von Erich Hackl
Das Buch 'Auroras Anlaß" von Erich Hackl, in dem es um die Lebensgeschichte der spanischen Feministin Aurora Rodriguez Caballeira und um ihre Verschiedenheit zu den gesellschaftlichen Normen geht, ist meiner Meinung nach sehr interessant geschrieben. Der Autor berichtet in seinem Buch über die wirre und chaotische Zeit um 1920 (vor der Zeit Francos), in der die Frau eine untergeordnete Rolle zu spielen hatte. Außerdem arbeitet Erich Hackl klar heraus, daß Menschen nicht wie Maschinen funktionieren, da sie ein Eigenleben, eigenständige Gefühle und Gedanken haben, kurz gesagt, weil sie Individuen sind. Auch will er den Leser dazu anregen, über die damalige und die heutige Stellung der Frau nachzudenken.
Dem Autor fällt es im nachhinein schwer, das Geflecht von Fakten und Mutmaßungen zu ordnen und zu entwirren. Der Anstand erfordert es aber, wenigstens die wichtigsten Dokumente zu nennen, ohne deren Kenntnis die vorliegende Erzählung nicht hätte geschrieben werden können (Hildegarts Artikel, die zwischen Mai 1929 und Juni 1933 in der Tagespresse veröffentlicht wurden, der Inhalt der Gespräche, die Eduardo de Guzman mit Aurora Rodriguez nach der Tat im Gefängnis führte und die er in seinem Buch "Mi hija Hildegart" wiedergab, sowie die Prozeßberichte in den Madrider Zeitungen vom Mai 1934). Erich Hackls Erzählung beruht somit auf einer wahren Begebenheit.
Eines Tages sah sich Aurora Rodriguez veranlaßt, ihre Tochter zu töten. Wer bei diesem Anfangssatz an einen spannenden Krimi denkt, liegt völlig falsch. Auf 140 Seiten erzählt Hackl minutiös, wie es zu diesem Anlaß kam, welches die Beweggründe waren und wie sich Aurora rechtfertigt. Er schreckt auch vor der heiklen Frage nach dem idealen Menschen nicht zurück, ein Traum, den Aurora durch ihre Tochter zu verwirklichen versucht, dann aber nach anfänglichen Erfolgen trotzdem scheitert. Daneben werden einem interessante Einblicke in die Lage der Frau in Spanien der Vorkriegszeit gewährt, sowie eine Darstellung des politischen Durcheinanders der 20-er Jahre geliefert. Sie ist also auf der Suche nach Selbstverwirklichung und möchte ihre Träume von einer besseren Welt, von einer anderen, fähigeren Person realisiert sehen (Hildegart).
Obwohl man den Schluß des Buches schon nach dem Lesen der ersten Seiten kennt, wird das Buch trotzdem nicht langweilig, da man wissen will, wie es zu diesem Schluß kommt. Außerdem ist es interessant, wie Aurora versucht einen perfekten Menschen zu schaffen, der alles das verwirklichen soll, was sie und ihr Vater nicht erreichen konnten. Zu dem ist für Frauen in dieser Zeit ihr Lebensstil und ihre Einstellung zu einigen Dingen, wie zB ihre besondere Art der Kindererziehung, sehr ungewöhnlich.
Der Leser bekommt einen Einblick in die Geschichte Spaniens zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Jedoch ist dies für Leser, die nicht an Geschichte interessiert sind, zu lang und zu ausführlich beschrieben.
Nach eigener Beurteilung regt das Buch zum Nachdenken an. Man macht sich nach dem Lesen Gedanken über die Stellung der Frau heutzutage, ob es sinnvoll ist, einen perfekten Menschen erschaffen zu wollen, über Erziehung und über die Tatsache, wie man seine feministischen Überzeugungen am besten umsetzen könnte, um nicht fehlzuschlagen. Ihr Plan ist es daher, Spanien zu verändern und um diese Wünsche zu realisieren, setzt sie ihre Tochter Hildegart als Mittel ein. Die Erziehung Hildegarts wird sehr drastisch und recht überzogen dargestellt. So wird deutlich, daß eine Erziehung ohne jegliche Freiräume zur individuellen Entwicklung des Kindes schwerwiegende Folgen hat und somit erstrebenswert erscheint.
Die artistische Sicherheit, mit der Erich Hackl zu Werke geht und die Präzision, mit der dieser Schriftsteller Auroras Abenteuer auf eine Weise, die mich nachhaltig in die größte Spannung versetzt, so daß ich fast nicht glauben mag, daß sich diese Geschichte tatsächlich zugetragen hat, ist bewundernswert.
Eines Tages sah sich Aurora Rodriguez veranlaßt, ihre Tochter zu töten. Sie schoß viermal mit ihrer erworbenen Pistole auf ihre Tochter. Den Waffenschein und die Pistole eignete sie sich an, weil sie einen bedrohenden Telefonanruf bekam, wo eine laute Stimme schrie: "Du rote Hure. Du und deine saubere Tochter. Bald erwischt es euch!" Nach der Tat stellte sie sich freiwillig dem Gericht.
Ihr Vater war ein wohl angesehener Mensch. So sollte er bei den Gesellschaften, den Tertulias, dem Freiheitsdrang in den ehemaligen spanischen Kolonien großes Verständnis entgegengebracht haben. Auch im Seekrieg gegen die Vereinigten Staaten nahm er eine Haltung ein, die von der Mehrheit der Bürger keineswegs geteilt wurde. Hildegarts Mutter versuchte eben dadurch ein Leben nach dem Vorbild von Arzten, höheren Offizieren und Großgrundbesitzern zu führen.
Ihr Vater schrieb über die Zustände in ein Buch: "Die Not der niederen Stände ist unerträglich. Wir sehen, wie alles aus den Fugen gerät, aber wir haben Angst vor jedem Wandel. Wir sind unzufrieden, aber feige. In diesem Land wirkt die öffentliche Meinung wie eine starke Strömung, die eine Frau mit sich reißt, bis sie ein Strudel erfaßt, der sie endgültig in die Tiefe zieht."
Hildegart schaltete sich bald in die politischen Angelegenheiten ein. Sie stand auf der Seite der Republikaner, die einen Erfolg verzeichnen konnten, nachdem der Monarch gestürzt wurde. Sie setzte sich auch für die Emanzipation der Frauen ein. Später schied sie aus dem Jugendverband wegen parteischädigenden Verhaltens aus. Beim Zerwürfnis zwischen der Tochter und der Mutter entschloß sich Hildegart, sich von ihrer Mutter zu trennen. Doch dann kam es zum Mord. Die Motive dafür waren: Ihre Tochter wollte ein unabhängiges Leben führen. Der zweite Grund war, daß sie sich verliebte und drittens kehrte sie der Politik den Rücken zu. Wegen dem Mord an ihre Tochter wurde sie zu 26 Jahren Haft verurteilt.
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