Das Glasperlenspiel
Versuch einer Lebensbeschreibung des
Magister Ludi Josef Knecht
samt Knechts hinterlassenen Schriften
herausgegeben von 58139brq29uos9j
Hermann Hesse
Inhalt
Dieser utopische Roman spielt um 2200, im vom Literaturhistoriker Plinius Ziegenhalß später genannten "feuilletonistischen Zeitalter", im Orden Kastalien, einem Gelehrtenstaat, der von der unwürdigen Außenwelt total abgeschirmt ist. Die Hierarchie wird von einer obersten Behörde mit dem Ordensleiter und daneben dem Ludi Magister, dem Glasperlenspielmeister, der den zwölf Magistern übergeordnet ist, geführt. Das Glasperlenspiel ist wichtig für die Überwindung dieses "feuilletonistischen Zeitalters".
In der Einführung beschreibt Hesse einiges aus dem Leben von Josef Knecht, späterer Magister Ludi Josephus III. Außerdem erfährt man, wie und warum das Glasperlenspiel entstand. ro139b8529uoos
Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht
Die Berufung
Über Knechts Eltern ist nichts bekannt. Er war mit zwölf Jahren in einer Lateinschule in Berolfingen, wo er einmal vom Musikmeister, einem der Magister, geprüft wird. Diese Begegnung bleibt Knecht unvergessen, er spürt seine Berufung.
Waldzell
Er wird nun nach Waldzell versetzt, eine Schule, die die Glasperlenspieler hervorbringt. Doch seine anfänglich Musikbegeisterung läßt ihn das Glasperlenspiel vernachlässigen. Er trifft Plinio Designori, der eigentlich nicht aus Kastalien stammt. Deshalb hat er auch eine weltliche Einstellung und verteidigt sie gegen die "hochmütige Geistigkeit" Kastaliens. Josef bekommt den Auftrag des Musikmeisters, den er um Hilfe fragt, Kastalien gegen ihn zu verteidigen. Die beiden liefern sich oft Wortgefechte, Knecht wird langsam unsicher. Der Musikmeister lernt ihm Meditationsübungen, auch Plinio ändert sich; er will vielleicht für immer in der Provinz bleiben. Knecht erfährt langsam seine zweite Berufung: die des Glasperlenspieles.
Studienjahre
Mit 24 wird Josef Knecht aus Waldzell entlassen. Als Student genießt er größte Freiheit, er muß nur jedes Jahr einen "Lebenslauf" schreiben; dazu muß sich der Schüler in eine frühere Epoche zurückversetzen und sich dort eine ihm entsprechende Existenz auszudenken. Diese Lebensläufe sind Selbstbiographien, die die Verfasser zur Selbsterkenntnis führen sollen. Die von Knecht verdeutlichen den Sinn seines Lebens und seines Todes.
Während seiner Glasperlenstudien trifft er wieder Plinio. Nach einer Prüfung vom Magister Ludi von der Trave wird er in den Orden der Glasperlenspieler aufgenommen und als Lehrer des Spiels ins Kloster Mariafels geschickt.
Zwei Orden
Dort lernt er geduldig zu sein und auch zu verzichten. Es gelingt ihm, den Abt Gervasius und besonders den Pater Jakobus für Kastalien zu gewinnen.
Die Mission
Knecht bekommt Urlaub und wir mit den meisten Magistern und Studienleitern bekannt gemacht. Der Magister Ludi trägt ihm auf, den Pater Jakobus dazu zu bewegen, in Rom für eine dauernde Vertretung Kastaliens zu stimmen, was ihm auch gelingt. Fritz Tegularius hilft ihm bei den Vorbereitungen für den Wettkampf der Elite im Glasperlenspielen, wo er gewinnt.
Magister Ludi
Knecht kehrt nach Waldzell zurück, das er erst mied. Der Magister Ludi liegt im sterben, sein "Schatten", der ihn vertritt, ist unbeliebt und wird vertrieben. Als Magister Ludi Thomas stirbt, wird Josef Knecht überraschend zum Glasperlenspielmeister ernannt.
Im Amte
versucht er, das Glasperlenspiel auf dem höchst möglichen Niveau nach den neusten Erkenntnissen der Wissenschaft zu halten. Auch entdeckt er seine Liebe zu den Jüngeren. Vom Studenten Petrus erfährt er, das es dem Altmusikmeister auch nicht mehr so gut geht.
Die beiden Pole
Knecht kommt stark unter den Einfluß des Pater Jakobus. Langsam erkennt er auch die Vergänglichkeit und die Gefahr der Provinz und des Spiels. Einerseits fühlt er sich zum treuen Dienst der Hierarchie hingezogen, andererseits will er aber auch die Wahrheit begreifen.
Ein Gespräch
Nach langer Zeit begegnet er wieder Plinio Designori, der bald wieder Josefs Freund und Vertrauter wird. Es kommt zu einem Gespräch, in dem beide ihre bisherigen Wege und ihre Gedanken einander offenbaren.
Vorbereitungen
Nach wiederholter Einladung seines Freundes besucht er ihn und seine Familie einmal in der Hauptstadt. Als Plinio ihm vorschlägt, die Erziehung seines Sohnes Tito zu übernehmen, willigt Knecht ein. Er beauftragt nun Tegularius - das wollte er schon seit längerer Zeit - ein Entlassungsgesuch an die Erziehungsbehörde zu entwerfen. Knecht weist darin auf die Gefahren für Kastalien und das Glasperlenspiel hin, denn das Schönste ist das Vergänglichste. Am Schluß bittet er noch, ihm eine gewöhnliche Schule anzuvertrauen, nachdem er des Amtes als Magister Ludi enthoben wurde. Die Behörde weist seine Bedenken aber zurück.
Die Legende
Knecht bestellt seinen Stellvertreter, da er für unbestimmte Zeit verreisen müsse; auch Tegularius weiht er nicht in seine Pläne ein. Nun reist er nach Hirsland zu Ordensmeister Alexander, um Abschied zu nehmen. Dieser schlägt ihm erst Urlaub vor, hält ihn dann aber nicht von seinem Vorhaben ab.
Jetzt begibt er sich zu den Designoris, wo er erfährt, daß Tito schon ins Berghaus wanderte. Knecht geht ihn nach und wird oben herzlich empfangen. Am nächsten Morgen will Tito um die Wette schwimmen. Knecht ist zwar unsicher, macht dann aber doch mit und ertrinkt. Tito sucht ihn lange, findet ihn trauriger Weise nicht und bekommt Schuldgefühle. Er weiß aber, daß Josef Knechts Tod ihn selbst und sein Leben umgestalten wird.
Josef Knechts hinterlassene Schriften
Die Gedichte des Schülers und Studenten
Jedes Gedicht kann entweder als Ergänzung und Erweiterung der "Glasperlenspiel"-Handlung gesehen werden, oder als völlig selbständiges Gedicht. Denn sie sind schon vor dem "Glasperlenspiel" veröffentlicht worden. Entstanden sind sie im Roman in den Waldzeller Jahren Knechts; sie sind ein Zugeständnis an die Weltauffassung Plinios. Gedichteschreiben galt in Kastalien als lächerlich und verpönt - es wurde durch die Wissenschaften und das Glasperlenspiel ersetzt - deshalb gehörte schon Mut dazu, sie zu schreiben und sich auch zu ihnen zu bekennen.
In den Gedichten geht es öfters um die Vergänglichkeit, die Stufen des Lebens, die inneren Triebe des Menschen, die Verantwortung,…
Die drei Lebensläufe
Der Regenmacher
Vor vielen Jahren, als die Frauen an der Herrschaft waren, lernt der Waisenknabe Knecht Ada, die Tochter des Regenmachers Turu, kennen. Er folgt ihr nach Hause und ist begeistert von ihrem Vater. Nach langer Zeit wird er endlich Lehrling, dann Gehilfe Turus und bekommt Ada zur Frau. Als der Regenmacher stirbt, übernimmt Knecht das Amt. Die Aussaat im nächsten Jahr muß aber oft verschoben werden, der Sommer wird sehr trocken. Die Leute mißtrauen Knecht langsam und er übergibt seine Aufgabe seinem Sohn Turu. Er selbst meldet sich freiwillig, das erste Opfer zu sein, das Turu dann verbrennt.
Der Beichtvater
Josephus Famulus, der als Einsiedler in der Wüste lebt, kann besonders gut zuhören. Viele Pilger kommen zu ihm, die er immer mit einem Kuß auf die Stirne verabschiedet. Er wird oft mit dem Beichtvater Dion Pugil verglichen, der aber im Gegensatz zu Josephus auch Strafen und Bußen verhängt. Eines Tages fühlt er sich nicht mehr würdig in seinem Amt und beischließt, Dion Pugil aufzusuchen. In einer Oase trifft er ihn, der selbst in seiner Not Josephus aufsuchen wollte. Josephus beginnt nun in der Klause von Dion zu arbeiten, der stirbt aber bald. Er wird von Famulus begraben, auf das Grab pflanzt er eine Palme, deren ersten Früchte er noch erlebt.
Hier hinein sollte noch ein vierter Lebenslauf kommen, in dem Knecht ein Theologe des 18. Jahrhunderts ist. Hesse begann zwar, den Lebenslauf zu schreiben, betrachtete ihn aber als gescheitert. Er fügte ihn dem Glasperlenspiel aus zwei Gründen nicht hinzu: die Überfülle an Material, die Hesse über das 18. Jh. hatte, und die Machtergreifung Hitlers, die er in seinem Werk kritisieren will und deshalb historische Studien zurückstellte. Außerdem hatte er Angst, daß die Leute seine Gedanken auf Grund des geringen Zeitabstands nicht erkennen würden.
Indischer Lebenslauf
Der Fürst Ravana lebt in zweiter Ehe. Seine Frau will seinen Sohn Dasa (bedeutet Knecht) aus der ersten beseitigen, damit ihrer, Nala, der Thronfolger wird. Der Hofbrahmane merkt das aber, und schickt Dasa deshalb ins Gebirge, wo er sich mit einem Yogin anfreundet. Als Ravana stirbt und Nala die Nachfolge antreten soll, will Dasa beim Fest dabei sein, ohne aber zu wissen, das er eigentlich der Nachfolger sein müßte. Dasa tötet Nala, weil er seine Frau Pravati entführen wollte. Auf der Flucht vor den Verfolgern trifft er wieder auf den Yogin, bei dem er bleibt. Als er vom Wasserholen zurückkommt, erfährt er, daß man ihn als Rajah einsetzen will. Er wird empfangen, seine Stiefmutter mußte fliehen und ein Sohn wird geboren.
Es ist aber dennoch nicht alles gut, denn es gibt Überfälle der benachbarten Fürsten. Am Hof bilden sich jetzt zwei Parteien: die Friedenspartei (Dasa und wenige andere) und die Kriegspartei (Pravati, Priester, Offiziere). Der Palast wird nun besetzt und Dasa gefangengenommen, er schläft ein. Als er aufwacht, ist er nicht mehr im Kerker, sondern auf der Wiese beim Yogin. Er hat den Wald nicht mehr verlassen.
Interpretation
Das Glasperlenspiel ist, wie Hesse im Motto schreibt, zwar eine Utopie, aber eine Möglichkeit des geistigen Lebens. Dadurch, daß sie als seiend gedacht wird, kommt sie der Möglichkeit des Geborenwerdens und damit dem Sein einen Schritt näher. Auch in diesem Roman geht es um die Polarität; diesmal ist es die Meditation, die den Menschen sich selbst gegenüberstellt. Der Hauptgedanke ist aber der der Einheit, wie man auch in den Lebensläufen sehen kann. Hilfsvorstellung für die Einheit ist das Spiel, das alle Bestandteile auf der Welt zueinander und miteinander in Beziehung setzen kann, das Glasperlenspiel. Es ist Symbol für die Weltformel.
Die Darstellung der Gespaltenheit ist dem Dichter im "Glasperlenspiel" insofern am besten gelungen, als daß man die Ahnung hat, daß der Gedanke weiterlebt; daß sich Weltoffenheit und kastalische Geistigkeit in Tito Designori paaren werden.
Die Idee des Dienens - Zentralthema aller vier Autobiographien - wird durch die jeweils das gleiche bedeutende Namen symbolisiert: ‘Knecht’ (für den Magister Ludi, den Regenmacher, den Organisten), ‘Famulus’ (Knecht auf lateinisch für den "Diener" und Schüler des Beichtvaters) und ‘Dasa’ (Knecht auf sanskrit für den angehenden Yogin im indischen Lebenslauf). Am Ende der Lebensläufe findet die Hauptgestalt jeweils einen Nachfolger (Regenmacher ® Dion Pugil, Yogin ® Bach), genauso ist es am Schluß der ‘Legende’ (Knecht ® Tito, was auch symbolisiert wird: Tito trocknet und wärmt sich mit dem Bademantel Knechts).
Die Zeit, in der die Handlung spielt ist nicht genau definierbar. Hesse gibt zwar einige Andeutungen, die aber nicht auf eine bestimmte Handlungszeit schließen läßt.
Das feuilletonistische Zeitalter
So wird die Zeit der ersten Hälfte des 20.Jh’s aus der Zukunft aus gesehen genannt. Nach dem Mittelalter suchte der nunmehr freie Mensch nach einer neuen Autorität außerhalb von Kirche und Staat, ohne sie zu finden. Hesse klagt die Unsicherheit und Unechtheit des geistigen Lebens an. Die Leute bekommen nur Wissensbruchstücke angeboten, z.B. durch die Feulletons in der Tagespresse. Nicht bedacht ist aber, daß das Feuilleton eines der ersten Opfer des Nationalsozialismus gewesen war und daß Hesse selbst sein Leben lang auch welche geschrieben hat. Durch die bewußte Entaktualisierung des Buches verleiht der Autor dem Buch seine ständige Aktualität.
An den Kennzeichen des feuilletonistischen Zeitalters (Feuilletons, Kreuzworträtsel, Vorträge, Massenware, Meinungsforschung, Wissenschaftsplauderei, Entwertung des Wortes) kann man den Zerfall dieser Kultur erkennen. Untergangsstimmung, Sinken der geistigen Ansprüche und Leistungen, Sinken der Moral, Pessimismus. In dieser Zeit entstand das Glasperlenspiel und die kastalische Provinz.
Kastalien
ist ein Gelehrtenstaat, der vom Staat erhalten wird; besonders begabte Knaben werden an seine Eliteschulen geschickt. Das Hauptgewicht bei der Bildung liegt in der Mathematik und der Musik, die Literatur wird stark vernachlässigt. Die höchste Stufe der Bildung ist das Glasperlenspiel. Der beste wird "Magister Ludi", unterstützt von 12 Magistern. Die Würdenträger müssen ein Gelübde ablegen, daß aber nicht so streng ist wie bei der Kirche. Die Kluft zwischen Kastalien und der Welt wird immer größer.
Das Glasperlenspiel
entstand gleichzeitig in Deutschland und England. Erfunden wurde es von Musikgelehrten und war ursprünglich nur als Gedächtnis- und Kombinationsübung gedacht. Später wird es von Mathematikern und auch anderen Wissenschaftlern übernommen und vereint alle Forschungszweige. Die Magister müssen die Weiterbildung des Spiels überwachen.
Das Glasperlenspiel ist eine Zeichen- und Formelsprache, es übernimmt die Rolle der Kunst und der Philosophie. Es ist der Weg vom Werden zum Sein, vom Möglichen zum Wirklichen. Kirche und Glasperlenspiel sind gleichwertig und aufeinander angewiesen. Für die Forscher ist das Glasperlenspiel eine Arbeit, doch für den privaten Menschen eher ein musizieren.
Personen
Josef Knecht: Ganz am Anfang gibt uns Hesse gleich zu verstehen, daß er Knechts Leben nicht aus Personenkult beschrieben hat. Knecht wird als ruhiger und gelassener Mensch beschrieben der frei von jedem Ehrgeiz, charmant, weltoffen, verantwortungsbewußt ist; er hat die Gabe, sich angenehm und beliebt zu machen und auch eine Veranlagung zum Umgang mit schwierigeren Menschen (Tegularius). Anfangs ist er schüchtern und schweigsam, wird aber mit Plinio Designori in Waldzell immer gelöster. Er hat mehr Spiel und Witz, als die meisten Leute ahnen. Sein Weg ist ihm klar bewußt. Er ist immer bereit, der Stimme des Schicksals ins Unbekannte zu folgen. Wie in seinem Gedicht Stufen: nicht am Altgewohnten hängenbleiben, auch stufenweises Erwachen und Erkennen weist ihm den Weg; er bejaht die Wirklichkeit. Das Glasperlenspiel bedeutet zwar höchste Vollkommenheit für ihn, aber nicht die ganze Welt, die sein Geist erfassen will. Am Anfang empfindet er das Vorhandensein der Welt außerhalb Kastaliens kaum, erst Plinio macht es ihm mehr bewußt.
Josef Knecht ist sein ganzes Leben lang nur Diener: er dient Kastalien, als er es gegen Plinio verteidigt, später in Mariafels und als Magister Ludi. Auch als er sich zur Ruhe setzt, bleibt er Dienender bei den Designoris. Das Dienen wird zum Symbol für den Versuch, Kastalien und die Welt zu versöhnen.
Der Tod Knechts hat für Hesse, wie er in einem Brief schrieb, die Bedeutung eines Opfers. Die Erziehung wurde auch nicht abgebrochen, sondern vollendet. Viele sehen den Tod Knechts als zufällig an, als Verzweiflung des Autors. Doch es wird vorher geradezu auf ihn hingearbeitet (Erschöpfung nach Zusammenkunft mit Tito, Müdigkeit nach der Wanderung = Todesmüdigkeit).
Plinio Designori: sieht das Leben in Kastalien als Ausweichen vor der Realität, unnatürlich, künstlich, Spielerei; den Kampf um das Dasein überläßt man anderen. Er ist Welt- und Geistesmensch. Am Versuch, die beiden Welten in sich und seinem Leben zu vereinen, scheitert er. Plinio empfindet eine Haßliebe zu Kastalien. Indem er anfangs Knechts Gegner ist, führt er ihn zu sich selbst.
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