VOM RECHT
I. Grundzüge des Römischen Rechts
Die Römer konnten das Neutrum ius nicht männlich oder weiblich personifizieren. Wohl wurde unter Tiberius eine Münze geschlagen, die einen Frauenkopf mit der Umschrift IVSTITIA zeigt; aber Iustitia, die seit dem Mittelalter an Gerichtsstuben und Rathäusern als weibliche Gestalt mit Augenbinde, Waage und Schwert dargestellt wird, hatte in Rom weder Tempel noch Kult. Iupiter trägt Beinamen wie Optimus Maximus oder Omnipotens, aber nicht den Beinamen Iustus. Kein Herrscher ist als Iustus bekannt Aeneas ist Pius, Romulus Pater Patriae aber nicht iustus. Doch gehört das Recht zu den Fundamenten des Staates, und es reiht sich iustitia mit pietas, fides, clementia, magnitudo animi, modestia und virtus zu den virtutes, denen Rom seine Größe verdankt.
II. Der Aufbau des Rechts
Volksrecht: Leges
'Lex est, quod populus iubet atque constituit' 'Gesetz
ist, was das Volk verordnet und beschließt', heißt es bei Gaius, einem
Juristen des 2. Jhdts, n. Chr. In seinem vielbenutzten Anfängerlehrbuch Institutiones
(Unterweisungen). So war es schon in der Königszeit. Das Recht der Gesetzgebung
ist von alters her nicht ein Recht des Königs, sondern ein Recht des Königs und
der Gemeinde, wobei der König vorschlägt, das Volk zustimmt oder verwirft. Das
Recht, eine Volksversammlung zu berufen und zu leiten und damit das Recht der
Befragung oder Antragstellung, ging später auf die Amtsnachfolger des Königs
über, auf die Konsuln und Prätoren, die Träger der allgemeinen Befehlsgewalt.
Nach den Befragern oder Antragstellern bekommt auch später jede lex ihren Namen
(z.B. die lex Hortensia nach dem Diktator Hortensius). Die nach und nach
zustande gekommenen leges bilden das gültige Recht. Den in Generationen
zusammengetragenen Schatz zu wahren und zu überschauen, dazu sind immer nur
wenige imstande und befugt; in Rom war es das Kollegium der pontifices.
Veranlasst durch die Ständekämpfe kam es zur Veröffentlichung: 12
Gesetzestafeln, z.T. nach griechischem Vorbild abgefasst, wurden auf dem Forum
aufgestellt.
Senatus consulta. Vor der sog. Volksgesetzgebung erlangt in den letzten Jahrhunderten der Republik das senatus consultum allmählich den Vorrang. Die gesetzgebende Gewalt des Senats war bestritten, senatus consultum bedeutet ja auch nur Rat, Empfehlung des Senats. Aber hinter solcher Empfehlung stand eine auctoritas (Gültigkeit), die sie zur bindenden Anweisung für die in den hohen Magistraten verkörperte Vollzugsgewalt machte in republikanischer Zeit mehr im Bereich der Politik, später, als der princeps diese bestimmte, mehr im Bereich des privaten Rechts. Aber auch der Senat verlor schließlich seine Initiative an den Kaiser: Das senatus consultum wurde abgelöst durch die oratio principis, die vor dem Senat durch einen Hofbeamten verlesene und ohne Erörterung angenommene kaiserliche Botschaft.
Kaiserrecht: Constitutiones
Das Kaiserrecht tritt neben das Volksrecht und das Senatsrecht, ohne diese außer Kraft zu setzen. Die Gesetzeskraft der constitutio principis, des kaiserlichen Erlasses, d.h. die legislative Befugnis des princeps, wird auf das imperium proconsulare gegründet, das den Kaiser zum Oberbefehlshaber des Heeres macht und ihm die Kommandogewalt in den Provinzen gibt. Man unterscheidet 4 Arten constitutiones:
Mandata sind dienstliche Anweisungen an Beamten und Behörden
Dekrete sind echte richterliche Entscheidungen auf Grund mündlicher
Verhandlung, gehören also dem Bereich der Rechtssprechung an
Epistulae oder rescripta: das berühmteste Beispiel dafür ist jener Bescheid
Trajans an Plinius, den Stadthalter von Bithynien, auf dessen Anfrage wegen
Behandlung der Christen. Infolge immer zahlreicherer Anzeigen gegen diese war
eine neue Rechtslage entstanden, für deren Beurteilung die sog. Vorgänge
fehlten und die daher einer verbindlichen Regelung durch die höchste Instanz
bedurfte. Trajan legt klugerweise noch kein detailliertes Verfahren fest,
sondern billigt Plinius 'vorläufige Maßnahme und empfiehlt Milde. Denkbar
einfach die Form dieses amtlichen Schriftwechsels: Plinius' Brief ist
adressiert an den Imperator. Als Anrede genügt ein einmaliges domine im ersten
Satz. Die Antwort lapidar: Traianus Plinio.
Edictum: Der Form nach ein Edikt, d.h. eine öffentlich bekanntgegebene
Anordnung war jene constitutio Antoniniana des Carcalla vom Jahre 212 n. Chr.,
mit der das römische Bürgerrecht auch den Provinzbewohnern verliehen wurde.
Amtsrecht: edictum perpetuum, ius honorarium
Indem der Kaiser durch Reskript Bescheid erteilt, übt er die alte
Gutachtertätigkeit der römischen Juristen aus, das ius respondendi, von dem
später noch die Rede sein wird. Mit seinen Edikten ist er Nachfolger jener
Beamten des römischen Volkes, die das ius edicendi haben.
Es ist zunächst der Prätor. Ihm lag die Rechtssprechung ob, seitdem den Konsuln
infolge ihrer starken Beanspruchung durch militärische Kommandos keine Zeit
mehr blieb für das Richteramt, das sie samt den Insignien der von Liktoren
getragenen fasces und der auf hoher Bühne (tribunal) stehenden sella curulis
vom König übernommen hatten. Nun machte aber der Prätor die Erfahrung, dass das
sog. Volksrecht (ius civile) der leges bei weitem nicht für die vorkommenden
Fälle ausreichte oder dass seine konsequente Anwendung zu unbilligen
Entscheidungen führte. So wurde das für römische Bürger gültige Recht, das ius
civile, ergänzt aus dem ius gentium, das man am ehesten als ein internationales
Verkehrsrecht bezeichnen kann. Dies regelte die Beziehungen der in Rom
ansässigen Fremden untereinander und zu den römischen Bürgern und sollte für
die Ausbildung des Handels- und des Vertragsrechtes bedeutsam werden.
Der Adil, der Provinzstatthalter und dessen Stellvertreter als Gerichtsherr,
und der Quästor machten zu Beginn ihres Amtsjahres auf einer Holztafel (album)
die Grundsätze und Formeln, nach denen sie Recht zu sprechen gedachten. Die
Nachfolger übernahmen Bewährtes, verbesserten und ergämzten notfalls und so
trat neben das starre und unzureichende ius civile allmählich das ius
honorarium, das von den Inhabern der Ehrenämter (honores) geschaffene
Amtsrecht. Im Jahre 130 n. Chr. Beauftragte Kaiser Hadrian seinen Kronjuristen,
die überlieferten Jurisdiktionsedikte für eine endgültige Veröffentlichung
abschließend zu redigieren. Mit diesem edictum perpetuum war der
Weiterentwicklung des ius edicendi ein Ende gesetzt.
Juristenrecht
So seltsam es scheint: weder der Prätor noch der von ihm bestellte Richter
waren juristisch geschult. Wer das Recht in Anspruch nehmen wollte, der musste
beim Prätor Klage erheben. Das konnte er aber erst, nachdem er sich über die
richtigen Formeln Auskunft geholt hatte.
Im letzten Jahrhundert der Republik gingen einige Männer hervor, die sich an
Gesamtdarstellungen ganzer Rechtsgebiete wagten, immer mit dem Ziel, der Praxis
zu dienen. Schon unter Augustus Zeiten erhalten ihre hervorragensten Vertreter
das ius respondendi, das ihre responsa (Rechtsbescheid) gleichsam zu
höchstrichterlichen, verbindlichen Entscheidungen macht.
III. Rechtsstudium
Die Rechtsschöpfung ist eine der großen kulturellen Leistungen Roms, an der
viele Männer jahrhundertelang beteiligt gewesen sind. Wie aber stieg der
einzelne, der die Aufgaben des Richters und Anwalts übernehmen wollte, in diese
große Tradition ein?
Das war, da das Altertum keine Universitäten und Fakultäten kannte, nur möglich
dadurch, dass er als Schüler eines Rechtskundigen, eines iuris prudens, in der
Praxis lernte, wenn dieser selbst Auskunft erteilte, wenn der Prätor die Klage
entgegennahm, wenn der Richter den Fall entschied, wenn der Anwalt sprach. Denn
alle am Rechtsgang Beteiligten berieten sich mit dem Juristen in einem
consilium. Der junge Rechtsbeflissene war dabei. Zu dem audire des Schülers
trat dann ergänzend das instituere des Lehrers, der den jeweiligen Fall
erläuterte und aus seiner Erfahrung analoge Fälle heranzog. Aus dem Bedürfnis,
das Material für das instituere möglichst vollständig bereit zu haben,
entsprang dann die literarische Tätigkeit der Juristen, die mit der
Veröffentlichung von Gesetzes- und Ediktensammlungen beginnt.
IV. Rechtssprechung
Der Zivilprozeß. Wer in den frühen Jahrhunderten der Republik Recht suchte,
der musste zusammen mit seinem Gegner mittels einer seinen Rechtsspruch
betreffenden mündlich vorgebrachten Klagformel vor dem Prätor ein Verfahren
beantragen. Mit der Klageformel wurde der erste Teil des Prozesses, des
Verfahrens eingeleitet. Der Prätor entschied, ob in dieser Sache überhaupt ein
Prozeß möglich war. Dann legte er fest, nach welchen Rechtssätzen der Fall
entschieden werden sollte, und ließ die Parteien einer der zahlreichen durch
ihre auctoritas ausgewiesenen Senatoren oder Ritter, die in einer Richterliste
verzeichnet standen, als Schiedsmann wählen. Vor diesem vollzog sich dann der
zweite Teil des Prozesses. Ein Berufungsverfahren war bei Zivilprozessen nicht
möglich.
Der Kriminalprozeß. In der Vorverhandlung hatte der Prätor die Zulassung (oder
Ablehnung) der vom Ankläger vorgebrachten Klage festzustellen und ein Verhör
des Angeklagten vorzunehmen. Nur in zweifelsfreien Fällen entschied der Prätor
selbst; ansonsten überwies er den Fall, wenn der Angeklagte von der Todesstrafe
bedroht war, an die Comitien, alle anderen Fälle an einen der ständigen
Gerichtshöfe. In der Verhandlung vor dem Gerichtshof folgte auf die Reden des
Anklägers und des Angeklagten die Zeugeneinvernahme. Das Urteil des
Richterkollegiums verkündete der Prätor. Gegen die Todesstrafe und die Strafe
der Auspeitschung besaß der Bürger ein Provokationsrecht (Berufungsrecht) an
die Volksversammlung.
V. Strafen
Ursprünglich verfiel der Täter der Rache des Verletzten oder Geschändigten;
so war die Bestrafung weitgehend dem Privatrecht überlassen. Seit dem
Zwölftafelgesetz standen auf bestimmte Delikte bestimmte Strafen. Neben
schweren sakralen Delikten waren schwere Delikte gegen das Gemeinwesen
(Hochverrat, Amtsmissbrauch) mit der Todesstrafe bedroht. Diese verlor im Laufe
der Republik an Bedeutung, besonders seitdem sich der Täter durch freiwilliges
Exil der Verurteilung entziehen konnte. In der Kaiserzeit wurde für schwere Vergehen
die Zwangsverschickung und Anhaltung an einem bestimmten Ort festgesetzt.
Die Oberschicht genoss das Privileg, dass sogar bei Mord die mildere Form der
Verbannung angewandt wurde. Gegenüber dem einfachen Mann ging man mit
schwersten Strafen vor: die Kreuzigung, die früher nur bei Sklaven angewandt
wurde, die Verurteilung zur Tierhetzt, die Einweisung in die Gladiatorenschulen
und Zwangsarbeit in den Bergwerken.
Die Verbannung erfolgte:
1. in der Form der milderen Verbannung. In der Republik bedeutete sie ein
Aufenthaltsverbot für Ausländer und Bürger in Rom. Ein Verbannungsort konnte
für die Relegierten bestimmt werden.
2. in der Form des exilium, in alter Zeit das freiwillige Verlassen der Stadt.
Wer ins Exil ging, wurde geächtet und verlor das Bürgerrecht. Seit dem 1. Jhdt.
V. Chr. Bahnte sich ein anderes Verfahren an: die nunmehr als Strafe
ausgesprochene Achtung hatte die Verbannung als Folge. Seit Caesar bestand die
Bestimmung, dass der Verbannte das halbe Vermögen einbüßte; Verlust des Bürgerrechts
war die Regel.
Proskription. Die Achtung römischer Bürger durch öffentlichen Anschlag, ein Verfahren, das Sulla und die Männer des zweiten Triumvirats anwandten. Auf Grund einer solchen Achterklärung konnte jedermann den Proskribierten töten; man stellte ihm dafür sogar eine Belohnung in Aussicht. Das Vermögen der von der Proskription Betroffenen wurde eingezogen. Unter dem Regime Sullas waren die Söhne und Enkel der Proskribierten von der Amterlaufbahn ausgeschlossen.
VI. Das Testament
Der Abfassung eines Testaments kam bei den Römern größere Bedeutung zu als
in unserer Gesellschaft. Der letzte Wille war zugleich letzte Bestätigung des
Freundschaftsverhältnisses, was dadurch zum Ausdruck gebracht wurde, dass die
Freunde unter den Erben aufschienen. Die schriftliche Niederlegung des letzten
Willens unter Hinzuziehung von Zeugen war bei den Begüterten die Regel, aber
selbst auch bei Soldaten üblich.
Unmündige, Entmündigte, Geisteskranke, Taubstumme und Sklaven konnten kein
rechtskräftiges Testament abfassen. Die oft im Testament den Erben aufgetragene
Sorge für das Begräbnis und die Grabstätte war zwar juridisch nicht bindend,
gehörte aber zu den Pflichten, deren Einhaltung die öffentliche Meinung
erzwang.
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