Vorwort
"Solon ist nicht nur die erste Persönlichkeit von Fleisch und Blut der attischen Geschichte, sondern der erste Staatsmann auf dem Boden Europas, der diesen Namen verdient. Er hat den ersten modernen Staat des griechischen Mutterlandes geschaffen, mit seiner Schöpfung beginnt die Geschichte der Staatsidee in Europa." (H. Bengtson, Griech. Geschichte, s. 110-115)
Auf der Suche nach einem Motiv für meine Hausarbeit, fiel mir der oben zitierte Satz auf und weckte mein Interesse für einen Menschen, über den solche Worte geschrieben wurden. Je mehr ich mich mit diesem Solon, ein Mann der vor mehr als 2500 Jahren lebte und dessen Gesetze den Weg zum ersten demokratischen Staat in Europa ebneten, beschäftigte, um so beeindruckter war ich von ihm. Aus diesem Grund möchte ich das Werk Solons und die Ursachen dafür zu meinem Facharbeitsthema machen.
Während meiner Ausarbeitung musste ich feststellen, dass mir das Wissen über die politischen und gesellschaftlichen Strukturen des Stadtstaatensystems zu Solons Zeit fehlte, ohne dieses, sollte mir aber der Grund für seine Gesetzgebung verschlossen bleiben. Infolgedessen habe ich einige Erläuterungen zum Thema "archaische Polis" vorangestellt, welche auf den ersten Blick sehr umfangreich anmuten, jedoch nur einen sehr wagen Überblick verschaffen, da eine detaillierte Beschreibung den Rahmen der Arbeit sprengen würde.
Die von mir in dieser Arbeit beschriebenen Ereignisse fanden alle vor Beginn unserer Zeitrechnung statt. In Folge dessen habe ich die hierfür allgemein übliche Abkürzung v.u.Z. nach den Jahreszahlen nicht verwendet.
Die archaische Polis
Die Polis
Mit dem Begriff "Polis" (Plural: Poleis) wurden im Griechischen ursprünglich kleine befestigte Höhensiedlungen oder auch Siedlungskomplexe bezeichnet. Solche Wehrgemeinschaften wurden ab dem 9. Jahrhundert im Schutz eines Burgberges im gesamten hellenistischen (griechischen) Raum, welcher zu dieser Zeit Teile Ost- und Südspaniens, Südfrankreichs, Süditaliens, Siziliens, Klein-Asiens, den gesamten Schwarzmeerraum, die Agäis und Griechenlands umfasste, errichtet.
Die vorgenannten Poleis entwickelten sich zu politisch autonomen, religiös-kulturell fundierten, oligarchischen oder demokratischen Stadt- oder Gemeindestaaten. Dieser Prozess vollzog sich über fünf bis sechs Jahrhunderte und fand im 4. und 3. Jahrhundert seinen Höhepunkt in Athen.
Die Polisbildung
Um das 13. Jahrhundert war Griechenland noch von der mykenischen Zivilisation geprägt, welche aus verschiedenen Gründen, die hier nicht weiter Gegenstand der Betrachtung sein sollen, im 12. Jahrhundert zerfiel.
Der Zusammenbruch des mykenischen Reiches hatte Unruhen und Kriege in Südeuropa und Vorderasien zur Folge und löste eine, den gesamten Raum betreffende, Völkerwanderung aus. Ganze Stammesverbände (Ethnos), bestehend aus einigen Familien und in der Regel nur wenige hundert Personen stark, waren auf ständiger Flucht vor Kriegen, bewaffneten Auseinandersetzungen und Vertreibung. Auf der Suche nach einer neuen Heimat führten sie ein nomadenhaftes Leben und ernährten sich hauptsächlich von der Viehzucht. Etwa ab dem 11. Jahrhundert fanden die Ethnos weite Teile Griechenlands und Klein-Asiens so dünn besiedelt, dass sie mit wenig Gegenwehr zu rechnen hatten, als sie sich hier niederließen, feste Häuser bauten und wieder Ackerbau betrieben konnten. Im Verlauf der nächsten drei Jahrhunderte wurden an der gesamten europäischen Mittelmeerküste, in Klein-Asien sowie im Schwarzmeerraum Siedlungs- und Wehrgemeinschaften errichtet, welche Vorraussetzungen für die Bildung von Polisgemeinschaften waren.
Die meisten der Poleis bestanden aus wenigen tausend Bewohnern und hatten Flächen von kaum mehr als 100 km² zu bewirtschaften. Ausnahmen bildeten hier Sparta, Kreta, Korinth und Athen. Die attische Polis, in deren Zentrum Athen lag, war mit einer zu bewirtschaftenden Fläche von 2650 km² und einer Gesamtbewohnerzahl von 250 000 Personen, davon nur 40 000 bis 50 000 Vollbürger, wahrscheinlich die größte.
Die ansteigenden Bevölkerungszahlen in den einzelnen Gemeinschaften machten eine soziale Strukturierung notwendig, welche ein Wachstum über mehrere Jahrhunderte erfuhr und in den einzelnen Poleis durchaus Unterschiede aufwies.
Die dörfliche Gemeinschaft bestand aus mehreren Familien, die je in einem eigenen Haus (Oikos) lebten und über ein eigenes Stück Land verfügten. Das Familienoberhaupt (Oikosherr) beherbergte nicht nur seine Familie, sondern auch Sklaven und unfreie Landarbeiter.
Die Oikosherren versammelten sich in kultischen Gemeinschaften (Genen) und gehörten Phratrien (siehe 1.4.1.) an, von denen es je nach Größe einer Polis bis zu vier gegeben hat. Den Vorsitz solcher Gene und Phratrien führten immer die reichsten Oikosherren (Adlige), meist diejenigen, welche über die größten Ländereien verfügten. Aus deren Mitte wurde auch der Basileus (Erster, König) gewählt. Dieser stand gemeinsam mit dem Adelsrat der Siedlungsgemeinschaft vor, war jedoch nicht Machthaber einer absoluten Monarchie. Er war vom Wohlwollen des Adels und des Demos (freie Bevölkerung) abhängig. Um Entscheidungen zu treffen, musste er den Adelsrat einberufen und den Demos sowie das Heer informieren. Der Demos und das Heer hatten in den frühen Stadien der Polisgeschichte zwar keine Entscheidungsgewalt, sie konnten jedoch ihrem Unwillen oder ihrer Zustimmung Ausdruck verleihen. Erst im Verlauf der Zeit wurde das Amt des Basileus abgeschafft und durch einen mehrköpfigen Staats- oder Gemeindevorsitz, den Archonten, ersetzt und eine Volksversammlung (Ekklesia) einberufen. Durch die Ekklesia erwarb der Demos ein Stimmrecht, welches er mittels Handzeichen oder Stimmsteinen zum Ausdruck bringen konnte.
Im 6. Jahrhundert führte das Erbrecht - jeder Oikosherr vererbte sein Land zu gleichen Teilen seinen männlichen Nachkommen - zur weitgehenden Verarmung und Verschuldung der bis dahin freien bäuerlichen Bevölkerung und zum wachsenden Reichtum sowie Einfluss der Adligen.
Die Fehden der Adelshäuser untereinander und die Empörung der kleinen und mittleren Bauern über die immer krasser werdenden Besitzunterschiede führten in vielen Poleis zu Krisensituationen. In vielen Gemeinschaften kam es zur absoluten Herrschaft einzelner Adliger, die durch Brutalität und Untergrabung der Polisordnung ihre Machtstellung behaupteten.
In Athen wurde Solon, selbst ein Adliger, zum Archon (hohen Beamten) und zum Diallaktes (Versöhner) bestellt. Er erkannte, dass das Volk in den Prozess des Regierens mit einbezogen werden musste, da der Adel trotz seiner hervorgehobenen Stellung nicht in der Lage war, die sich entwickelnden Probleme zu lösen. Solon kann als Wegbereiter der demokratischen Polisordnung bezeichnet werden.
Die Geschichte der Poleis war ab dem 6. Jahrhundert durch ein ständiges Auf und Ab in den Machtverhältnissen und den Rechten des Demos gekennzeichnet und nahm in den einzelnen Gemeinschaften einen unterschiedlichen Verlauf.
Die gesellschaftlichen Strukturen
Der Adel
Die griechische Sprache kannte für die von uns als Adel bezeichnete Schicht keinen Namen, im allgemeinen wurde sie als Oberschicht bezeichnet.
Als ursprünglich selbst einfache Oikosherren, sind sie im Laufe der Zeit zu mehr Land und Reichtum gekommen als andere Bauern der Gemeinschaft und gewannen dadurch in den Poleis an Macht und Einfluss.
Sie selbst nannten sich die Elite der "Besten" (Aristoi) und fanden sich in Adelsgruppen (Hetairien), in deren Mittelpunkt immer eine dominierende Persönlichkeit stand, zusammen. Diese Bürger führten ein exklusives, vornehmes Leben. Sie legten sich Stammbäume an, welche ihre göttliche Abkunft bewiesen und Rechtfertigungen für die gehobene gesellschaftliche Stellung waren.
Ihr Reichtum ermöglichte ihnen die unbezahlten gesellschaftlichen Funktionen wahrzunehmen.
Sie hatten unter den anderen adligen und nichtadligen Oikosherren Gefolgsleute (Therapontes) und Gefährten (Hetairoi), welche ihnen in Kriegs- und Friedenszeiten zur Seite standen und oft dem selben Genos abstammten.
Der Demos
Auch dieser Begriff lässt sich nicht in allen Einzelheiten erklären, da die Situation der kleinen und mittleren Bauern sowie der freien Handwerker in den einzelnen Regionen Griechenlands sehr unterschiedlich war.
In den frühen Phasen der Polisgeschichte stand "Demos" für alle einer Siedlungsgemeinschaft zugehörigen freien Bürger. Das heißt, dass hiermit nicht nur Bauern und Handwerker sondern ebenso die Hochgeborenen gemeint waren.
Es lässt sich jedoch anhand der ursprünglichen Begriffsdefinition feststellen, dass bereits zu dieser Zeit eine Siedlungs- oder Wehrgemeinschaft als eine personelle Einheit empfunden wurde.
Mit Zunahme der Unterschiede zwischen den Adligen und dem gemeinen Volk, wurde später mit Demos die "breite unabhängige Masse" betitelt und konnte so von den "Hochgeborenen" unterschieden werden.
Das freie unabhängige Volk war durch genossenschaftliche Vereinigungen (Phratrien und Phylen [siehe 1.4.1. und 1.4.2.]), an deren Spitze wiederum Adlige standen, mit dem Gemeinwesen verbunden.
Die Unfreien
Im Allgemeinen wurden mit Unfreien die uns als Sklaven bekannten Menschen bezeichnet. Aber auch hier gab es wieder Unterscheidungen, die ich nur kurz erläutern möchte.
Bürger, die in ihrer eigenen Polis durch Überschuldung in ein Abhängigkeits-verhältnis gerieten, waren bis zum Abzahlen dieser Schuld in der Douleia (Sklaverei). Sie konnten wieder freie Bürger ihrer Gemeinschaft werden und lebten zum Teil in ihren alten Häusern, wo sie das von ihnen verpfändete Land bestellten.
Zum Doulos (Sklave) wurde auch derjenige, der durch Krieg oder Kolonialisierung in Gefangenschaft geriet. Für diese Sklaven wäre es ein zweifelhaftes Privileg gewesen, frei gelassen zu werden, da sie keinerlei Möglichkeiten hatten, in eine Gemeinschaft aufgenommen zu werden.
Was beide Formen der Sklaverei gemeinsam hatten, war ihre absolute Abhängigkeit. Es gab keinerlei Reglementierungen für den Umgang mit Unfreien. Sie konnten jeder Zeit, ohne rechtliche Konsequenzen für die Peiniger, verkauft, misshandelt oder getötet werden. Daran lässt sich feststellen, dass die gesellschaftliche und rechtliche Trennlinie nicht zwischen Adel und Demos sondern zwischen Frei und Unfrei verlief.
Die genossenschaftlichen Elemente
Die Phratrien
Phratrien (Bruderschaften) waren die Grundeinheit der personellen Ordnung einer Polis, die durch Beziehungen und Abhängigkeiten von Adligen und freien Bürgern zueinander bestimmt war und als reiner Personenverband angesehen werden konnte. Wahrscheinlich dienten solche nachbarschaftlichen Vereinigungen dem Schutz der Gemeinschaft nach innen. Die Anfänge lassen sich bis in das 8. Jahrhundert zurückverfolgen.
Unterbau der Phratrien waren die kultischen Vereinigungen (Genien), die wiederum aus einzelnen Familien bestanden.
Jährlich wurde aus den der Bruderschaft zugehörigen Adligen der Phratriearchos (Oberhaupt) bestimmt, der die Agora (Phratrieversammlung) leitete und die Verwaltung sowie rechtliche und religiöse Aufgaben übernahm.
Die Mitgliedschaft in einer Phratrie war Voraussetzung für die Zuerkennung der Bürgerrechte innerhalb der Polis und so war die wichtigste Aufgabe des Phratriearchos die Anerkennung der männlichen Kinder eines Bürgers als rechtmäßige Nachkommen.
Die Phylen
Phylen waren bis etwa in das 6. Jahrhundert keine regionalen, sondern vielmehr politisch agierende Polisbehörden. Der Vorsteher (Phylobasileus) wurde jährlich vom Basileus (später vom Stadtoberhaupt) bestimmt und handelte im Auftrag der Polis. Er vertrat also überregionale rechtliche, wirtschaftliche und andere Interessen.
Aus Aufzeichnungen Aristoteles geht hervor, dass es ab dem 6. Jahrhundert nach und nach in allen Poleis zu einer Phylenreform gekommen war. Nach Aristoteles gab es in der attischen Polis vier Phylen, die jeweils in drei Trittyen (drittel) unterteilt waren und zu denen 360 Genien aus je 30 Männern gehörten. So kann man davon ausgehen, dass in der nachsolonischen Zeit Phylen regionale Behörden waren.
Die gesellschaftlichen Institutionen
Das Amterwesen
Der Formungsprozess der Polis war in wesentlichen Punkten eine schrittweise Ausgestaltung der Organe des Gemeinwesens. Die personengebundene Ausübung von Macht und Herrschaft wurde mehr und mehr überwunden, indem Einrichtungen geschaffen wurden, die eine kontinuierliche, durch bestimmte Normen und Verfahrensweisen geregelten Besetzungen der Amter ermöglichten.
In den einzelnen Polisstaaten wurden hierfür wiederum sehr unterschiedliche Verfahrensweisen gefunden. Insgesamt gesehen ließen sich aber gewisse gemeinsame Grundzüge feststellen.
Wesentlich war hierbei die Tendenz zu Kompetenzverteilung und Einführung weiterer Oberämter. Die Zahl der höheren Beamten blieb in den kleinen Poleis begrenzt, da der Verwaltungsaufwand niedrig gehalten werden sollte, was in den großen auf Grund der wachsenden öffentlichen Aufgaben schwer möglich war. Aus diesem Grund wurden Magistrate geschaffen, die für bestimmte Aufgabenbereiche zuständig waren.
Der Adelsrat
Das ursprünglich absolute Kontrollorgan einer Polis war in den ersten Jahrhunderten seiner geschichtlichen Entwicklung der aus dem Beirat des Basileus entstandene Adelsrat.
In den Königsjahren wird die Ernennung der Ratsmitglieder im Ermessen des Obersten gelegen haben. Jedoch dürfte sich nach dessen Entmachtung an der Zusammensetzung des Adelsrates kaum etwas geändert haben, da die Ratsfähigkeit weiterhin auf Ansehen und Geltung der Adligen beruhte.
Im Zuge der Institutionalisierung der Organe des öffentlichen Lebens ab dem 6. Jahrhundert ergab sich eine Umstrukturierung der Institutionen, bei der der Adel immer mehr an Macht und Bedeutung verlor.
Obwohl der Adelsrat weiter existierte und seine Mitglieder Entscheidungen trafen, konnten diese ohne Zustimmung der Volksversammlung (siehe 1.5.3.) nicht wirksam werden.
Die Volksversammlung
Die Entstehung der ersten, noch ohne Stimmrecht tagenden Volksversammlungen (Ekklesia) geht auf das 7. Jahrhundert zurück. Sie dienten der Zusammenkunft und Beratung des Demos über Beschlussfassungen des Adelsrates, blieben jedoch vorerst nur sporadisch und formlos.
Etwa ab dem 6. Jahrhundert hatte die Ekklesia in Athen den Charakter einer Institution gewonnen, deren Zustimmung etwa zum Einsetzen der Archonten notwendig war. Der Adelsrat war ab dieser Zeit gezwungen sich das Einverständnis der Vertreter des Demos einzuholen, bevor er die Öffentlichkeit betreffende Entscheidungen durchsetzen konnte.
Die Staatswerdung der Polis vollzog sich unter der Voraussetzung der Institutionalisierung der wichtigsten Organe des öffentlichen Lebens. Zum Einen war die herrschende Schicht selbst bestrebt, die Kompetenzen der Amtsträger zu präzisieren, um damit die Macht der Beamten zu begrenzen. Andererseits erhielt die Volksversammlung bestimmte Befugnisse, wodurch sie eine politische Institution wurde, der Entscheidungen zukamen, die für die Gesamtheit bindend waren. Beide Linien der Machtentwicklung waren für die Entstehung einer politischen Gleichheit von großer Bedeutung. So bildete sich in der Oberschicht eine Gleichheit der Führungskräfte, während die Gleichstellung der Vollbürger einer Gemeinschaft in Wahlen und Abstimmungen der Ekklesia zum Ausdruck kamen.
Die Stellung der Frau
Die griechische Frau stand in einem rechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zu einem Vormund, meist dem Vater und nach dessen Tod dem ältesten Bruder oder Ehemann. Die Unterordnung zeigte sich darin, dass Frauen grundsätzlich an keinen politischen Entscheidungen teilnehmen konnten. Eine Frau vermochte auf der einen Seite den Ehemann nicht frei zu wählen und war nur durch einen Vormund geschäftsfähig. Auf der anderen Seite war sie persönlich frei, musste versorgt und für die Ehe mit einer Mitgift ausgestattet werden, die der Ehemann im Falle einer Scheidung wieder zurückzugeben hatte und genoss einen Klageschutz bei schlechter Behandlung.
Die Frau war keineswegs an das Haus gebunden und spielte bei Kulten eine wichtige Rolle. Insgesamt genossen Frauen ein hohes öffentliches Ansehen, welches aus Theaterstücken, Malereien oder Mosaiken hervor geht.
Die solonischen Neuerungen
Solon
Solon war ein vermutlich um 640 hochgeborener athenischer Dichter und Staatsmann. Er wurde 594 in seiner Heimatstadt zum Archon (hoher Beamter) und zum Diallaktes (Versöhner) bestellt, um die soziale Krise, die Athen umfasste zu schlichten. Sein Lebenswerk wurde zur Grundlage des vordemokratischen athenischen Staates. Er starb 540 im Alter von 80 Jahren.
Die vorsolonische Krise
Ab dem 7. Jahrhundert war das soziale Gefälle zwischen Adel und Demos in Folge des Bevölkerungswachstums und der hierdurch bedingten Wertsteigerung von Grund und Boden zunehmend größer geworden.
Jedoch waren die Ursachen der Krise Athens in vorsolonischer Zeit natürlich nicht allein in der Not der ländlichen Bevölkerung zu sehen. Die explosive Lage vor
der Gesetzgebung war auch Folge der Machtkämpfe zwischen den athenischen Adelshäusern. So spielte der Putschversuch Kylons und seiner Gefolgsleute - fast ausschließlich junge Adlige - im Jahr 632 eine überaus wichtige Rolle. Die Polisbehörde musste das attische Heer mobilisieren, um Kylon zu schlagen. Nach der Niederschlagung des Putschversuches nahmen die Auseinandersetzungen neue Dimensionen an. Die Gefolgsleute Kylons, welche den Kampf überlebten, wurden in Blutrachefehden (kylonischer Frevel) getötet. Vermutlich resultieren die Feindschaften der Adelshäuser untereinander aus dieser Zeit. Es war sicher auch kein Zufall, dass wenige Jahre später 642 die Gesetzgebung Drakons (drakonische Gesetze) zur Unterbindung der blutigen Fehden eingeführt wurden.
Eine weitere Ursache ist auch im Erb- und Schuldrecht der damaligen Zeit zu suchen. Die Bauern vererbten ihr Land zu gleichen Teilen an ihre männlichen Nachkommen. Dies hatte eine zunehmende Parzellierung des Bodens zur Folge. Weiterhin dürften mangelhaftes Düngen, Monokulturen und die Störung des Wasserhaushaltes durch Rodungen Ursachen für immer geringer werdende Ernten gewesen sein. Hierdurch nahm die wachsende Zahl von Kleinbauern ein bedenkliches Ausmaß an.
Die Schuldner verpfändeten zwar nicht ihre Person, konnten aber bei Zahlungsunfähigkeit zur Arbeit für den Gläubiger gezwungen oder als Schuldsklaven verkauft werden.
Eine andere Form der Schuldeneintreibung war die Verpflichtung der Bauern, regelmäßige Abgaben an den Gläubiger zu leisten. Dies war in der Regel ein Sechstel der eigenen Ernte, weshalb sie auch Hektemoroi (Sechsteiler) genannt wurden. Da die Hektemoroi durchweg sehr kleine Parzellen zu bearbeiten hatten, war ihre Abgabenpflicht eine bedrückende Last, garantierte jedoch dem Gläubiger selbst in schlechten Erntejahren einen guten Ertrag.
In dieser Zeit lebten viele ehemals freie Athener in ihrer Heimat in Knechtschaft, während weitere als Schuldsklaven in andere Poleis verkauft wurden oder sich als Flüchtlinge außerhalb Athens aufhielten.
Diese explosive Lage führte dazu, dass der Adel sowie der Demos nach einer Neuordnung der Polisgesellschaft verlangten.
In dieser Situation wurde Solon, ein athenischer Adliger, zum Archon und Diallaktes im Jahre 594 bestellt. Da er die Gefahr der Tyrannis auf das Schärfste kritisierte, bot er die Gewähr, die ihm zu übertragende Macht nicht zu missbrauchen und hatte durch seine Kritik an der ungerechten Landverteilung den Demos hinter sich. Solon hatte vor den Folgen der sozialen Krise gewarnt und den Gedanken der Polisgemeinschaft betont sowie einen Sinneswandel hin zur Gerechtigkeit gefordert.
Die solonischen Gesetze
Die Seisachteia
Solon erkannte, dass seine vordringlichste Aufgabe darin bestand, die Not der Kleinbauern zu lindern. Nur hierdurch konnte die allgemeine soziale Unzufriedenheit gemindert und die Gefahr der Tyrannis gebannt werden.
Seine erste Maßnahme war die Aufhebung der Hypothekenschuld für Bodenbesitz und die Befreiung aus der Schuldknechtschaft, was allgemein als die Seisachteia (Lastabschüttlung) bezeichnet wurde.
Mit der Seisachteia war also eine "Amnestie" für alle Schuldner verbunden. Schuldsklaven wurden zurückgekauft und flüchtige Schuldner kehrten nach Athen und Attika zurück.
Er verbot weiterhin den Zugriff auf die Person des zahlungsunfähigen Schuldners, in dem er das bis dahin bestehende Zugriffsrecht aufhob und schaffte somit die Schuldknechtschaft ab. Ebenfalls erhielten die Hektemoroi ihr Land wieder zur freien Verfügung und wurden so von ihren Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern befreit.
Jedoch hatte Solon viele Bauern enttäuscht, in dem er die Forderung nach einer gänzlichen Neuverteilung des Landbesitzes nicht erfüllte. Eine allgemeine Landverteilung barg aber die Gefahr eines Bürgerkrieges, da er nicht davon ausgehen konnte, dass der Adel freiwillig auf einen erheblichen Teil seiner Ländereien verzichten würde. Hinzu kam, dass der Grundbesitz die Basis der politisch führenden Schicht war. Es herrschte nach der Seisachteia aber auch Enttäuschung unter den Gläubigern, da sie dadurch erhebliche Einbußen erlitten.
Maß-, Gewichts- und Münzreform
Die Neugliederung und Vereinheitlichung der Maße und Gewichte war auf Grund der Vielzahl von verschiedenen, in Attika verwendeten Systemen notwendig geworden. Solon passte die attischen Maß- und Gewichtseinheiten dem dorischen, einem im archaischen Griechenland weitverbreiteten System, an. Diese Reform diente der Erleichterung des Binnen- und Außenhandels Athens, war aber für Solon von weit größerer Bedeutung. Auf diese Weise wurde es ihm möglich, die solonische Ordnung (siehe 2.3.5.) herzustellen.
Die Münzreform bleibt ungeklärt, da zu solonischer Zeit in Attika weder Münzen geprägt wurden, noch als Zahlungsmittel im Umlauf waren. Der Handel basierte auf der Naturalwirtschaft, so dass die eingeführten Silber- und Goldmünzen ausschließlich einen materiellen Wert besaßen.
Die Förderung des Handwerks
Da nicht jeder der ehemaligen, nach Attika zurückkehrenden Schuldnern mit einem Grundstück versorgt werden konnte, mussten neue Erwerbsmöglichkeiten gefunden werden. Solon bemühte sich, auswärtige Handwerker nach Athen zu holen. Sie konnten die athenischen Bürgerrechte erhalten, wenn sie mit ihren Familien nach Attika übersiedelten.
Ein Gesetz bezugnehmend auf diese neu anzusiedelnden Handwerker förderte die Ausbildung und Umschulung grundbesitzloser athenischer Bürger.
Die juristische Neuerungen
Erstmalig wurden durch Solon Gesetze verfasst, welche die schon erwähnten wirtschaftlichen Probleme, wie auch Delikte gegen Personen, Straftaten gegen das Gemeinwesen, familienrechtliche Angelegenheiten, Fragen des Kultes sowie das Nachbarschaftsrecht behandelten.
Er führte ebenfalls die Möglichkeit der "Popularklage" ein. Sie ermöglichte "jedem" Bürger, Straftaten und Rechtsbrüche anzuzeigen, wenn der Geschädigte selbst nicht dazu in der Lage war und die Verfolgung des Unrechts im öffentlichen Interesse lag.
Weiterhin verpflichtete Solon jeden Bürger Athens, unter Androhung der Verluste seiner Bürgerrechte, bei inneren Unruhen zu den Waffen zu greifen. Wahrscheinlich sollte mit diesem Mittel ein Abschreckungseffekt erzielt werden, so dass potenzielle Verschwörer von vornherein mit dem Widerstand der breiten öffentlichen Masse rechnen mussten.
Die Blutgesetze des Drakon aus dem Jahre 642, welche das Verfahren bei Tötungsdelikten regelten, wurden von Solon nicht angetastet. So blieben die wegen eines Mordes oder Umsturzversuches verbannten ehemaligen Athener von der solonischen Amnestie ausgeschlossen.
Die solonische Ordnung
Die von Solon geschaffene Einteilung der Bürger in vier Schichten, auch Timokratie genannt, basierte auf der Naturalwirtschaft, obwohl die Bezeichnungen der drei unteren Klassen aus einer früheren Zeit stammten, in der die Bürger nach ihrer militärischen Zuordnung innerhalb einer Phalanx (Schlachtreihe) eingeteilt wurden.
Die Bezeichnung Pentakosiomedimnoi (Fünfscheffler) zeigt, dass die Zuordnung nach jährlichen Ernteerträgen vollzogen wurde. Um zu der ersten oder Oberschicht zu gehören, musste man also 500 Medimnoi (Scheffel) fester oder flüssiger Produkte (ca. 22500 l Getreide oder 18000 l Öl oder Wein) Ertrag nachweisen. 300 Medimnoi Einkunft waren notwendig, um der zweiten Schicht, den Hippeis (Reiter), anzugehören. Die dritte Klassen waren die Zeugiten (von Zeugon, einem Glied in der Phalanx). Diese hatten ein Mindestmaß von 200 Medimnoi zu erwirtschaften. Die als Theten (leicht Bewaffnete, Proviantträger) benannte vierte Schicht waren die ärmeren Athener. Sie waren aber trotzdem Landbesitzer und somit freie Bürger, deren Vertreter in der Ekklesia saßen.
Es ist leider nicht geklärt, wie die im athenischen Polis beschäftigten Handwerker zur Zeit der Naturalwirtschaft klassifiziert wurden, da ein messbarer Ernteertrag nicht vorhanden war.
Als Problem dieses Zensussystems stellte sich das Abmessen der Erträge dar, da es an ausreichend Messinstrumenten fehlte. Die Ernte der einzelnen Landbesitzer wurde einfach einer Timema (Schätzung) unterzogen. Dies führte dazu, dass die solonische Ordnung auch Timokratie genannt wurde.
Diese Neuordnung hatte zur Folge, dass reichen Bauern, die nicht adliger Abkunft waren, die Möglichkeit gegeben wurde, in die höchsten politischen und gesellschaftlichen Positionen vorzudringen.
Die Boulè
Die Schaffung eines dritten gesellschaftlichen Organs, das die Lücke zwischen Volksversammlung und Adelsrat schließen sollte, war eine der letzten Neuerungen Solons. Die Boulè, auch Volksrat oder Rat der Vierhundert genannt, setzte sich aus je einhundert delegierten Mitgliedern der vier Phylen zusammen und durfte nur Bürger der Zeugiten, der Hippeis sowie Pentakosiomedimnoi aufnehmen.
Es war sehr wahrscheinlich, dass Solon nicht nur die bereits erwähnte Lücke schließen, sondern auch den genossenschaftlichen Elementen zu einer Aufwertung verhelfen wollte, damit sie eine starke Institution gegen das Machtstreben einzelner Schichten oder Personen bildeten.
Von größter Bedeutung für die Polisbildung war die Bindung kleinerer personeller Gemeinschaften an mehr oder weniger begrenzte landschaftliche Räume oder Regionen. Hier war gemeinschaftsbezogenes Denken und Handeln der einzelnen Personenverbände, die sich im Verlauf der Jahrhunderte zu staatlichen Einheiten entwickelten, notwendig, um den Frieden nach innen zu bewahren und dadurch stark nach außen zu sein. Die Einführung bestimmter Zulassungskriterien für die Ausübung von Gemeinfunktionen, die Aufteilung der Kompetenzen von Beamten und Gremien sowie die Verfahrensregelung bei der Besetzung von Funktionen und dem Ablauf von Entscheidungsprozessen ermöglichte auch bei wachsenden Bevölkerungszahlen ein gesellschaftliches, öffentliches Leben.
Mit Solon begann eine dieser neuen Etappen der politischen Entwicklung. Seine Neuordnung ließ fast keinen Lebensbereich aus, so dass mir nur ein Vorstellen der Maßnahmen übrig blieb, die mir nach heutiger Sichtweise am Eindrucksvollsten erschienen. Nicht ohne Grund sahen die Athener, auch lange Jahre nach seinem Tod, in Solon den Begründer des demokratischen Gedankens und somit der Demokratie selbst.
Jedoch scheint mir dies eine Fehleinschätzung einiger Historiker aus alter Zeit und der Athener selbst zu sein. Solon war ein Traditionalist und verstand sich zunächst als Schlichter, der die in Streit geratenen politischen und sozialen Lager wieder in die alte Ordnung zurückführen wollte. Er löste diese Aufgabe im Sinne eines Mittlers zwischen den Parteien. Da er wusste, dass der von ihm gewählte mittlere Weg beide Lager wenig befriedigen würde, führte er die attische Bevölkerung durch seine Gesetzgebung zu einem Bewusstsein der Einheit und Zusammengehörigkeit. Das war das eigentlich Neue und weit in die Zukunft Weisende an der solonischen Neuordnung. Jedoch verknüpfte Solon politisches Recht mit dem wirtschaftlichen Vermögen der Bürger und in deren Abstufung mit Vermögensklassen. Er gab jedem freien Bürger das Recht, Mitglied eines Gremiums oder gar Beamter zu werden, gleichzeitig verwehrte er den kleineren Bauern und Händlern durch die Einführung der Timokratie diese Möglichkeit. Er glaubte fest daran, dass nur der Adel in der Lage wäre, einen Staat zu führen und so versuchte Solon auch nicht an dessen Vormachtstellung zu rütteln.
So möchte ich abschließend feststellen, dass Solon aus heutiger Sicht ein wahrhaft großer Staatsmann gewesen ist, welcher zwar keinen demokratischen Staat geschaffen hat, wohl aber den Grundstein dafür legte. Seine Gesetzgebung gleicht nicht unserem Grundgesetz, das allen Bürgern gleiche Rechte und Pflichten einräumt, sonder war das Fundament für die erste im Jahre 510 durch Kleistenes eingeführte Verfassung.
Wörter: 4.288
Fachnote Geschichte: 1-
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