Kriegsbegeisterung 1914
Die Frage, wie es zum Ersten Weltkrieg kam, ist noch immer umstritten. War
Deutschland allein schuld, wie der Versailler Vertrag behauptete? Trug es
besondere Verantwortung, wie viele Historiker meinen? Oder sind, nach dem Wort
von Lloyd George, die Mächte »hineingeschlittert«? Wie dem auch sei, es war ein
Krieg, der mit Zustimmung weiter Bevölkerungskreise angefangen wurde.
Die Stimmung der europäischen Völker beim Kriegsausbruch 1914 beschreibt der
amerikanische Historiker Gordon Craig so: »Sie war eine seltsame Mischung aus
einem schlichten Patriotismus, einer romantischen Kreuzzugseuphorie und der
naiven Erwartung, daß der bevorstehende Waffengang auf die eine oder andere
Weise all jene Probleme lösen werde, die sich in den Friedensjahren
aufgestapelt hatten. Die meisten Deutschen waren ebenso wie die meisten
Engländer und die meisten Franzosen zutiefst davon überzeugt, ihr Land sei das
Opfer eines brutalen Überfalls geworden.«
Hier ein paar Zeugnisse aus Deutschland, denen ähnliche aus den anderen Ländern
an die Seite gestellt werden könnten. Eine Zeitungsmeldung vom 1. August: »Auf
Befehl des Kaisers trat kurz nach 5 Uhr aus dem Portal des Schlosses ein
Schutzmann und teilte der harrenden Menge mit, daß die Mobilisation beschlossen
sei. Die tief ergriffene Menge stimmte unter den Klängen der Domglocken den
Choral an: >Nun danket alle Gott!<« In einer Frauenzeitschrift hieß es
wenig später: »Ist es nicht eine Wonne zu leben, in diesen wonnevollen Tagen?
Was für ein wunderbares Schicksal ist über uns hinweggegangen.«
Auch elitär und differenziert denkende Intellektuelle verfielen dem allgemeinen
Taumel. Der Literarhistoriker Friedrich Gundolf schrieb an Stefan George: »Ich
lebe und webe in der Größe der deutschen Taten, die ihresgleichen nicht in der
Welt haben und ein neues Weltalter heraufführen müssen.« Der scharfzüngige
Kritiker Alfred Kerr, durchaus kein Freund des wilhelminischen Staates, wies im
Überschwang des Erlebens das Forschen nach Ursachen zurück: »Wir wollen in den
Tagen / der steilsten Lebensfahrt / nicht säumen - und nicht fragen, / wie
alles ward.«
Thomas Mann faßte im September 1914 seine Empfindungen und die der meisten
Zeitgenossen so zusammen: »Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir
empfanden, und eine ungeheure Hoffnung.« Jahrzehnte später zog sein Sohn Golo
Mann das Fazit: »Im August 1914 zeigte der Krieg sich von seiner schönsten
Seite und von seiner unwahrsten. Das blieb nicht so.«
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