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Mommsen, Wolfgang J., 1848: Die ungewollte Revolution, Die revolutionären Bewegungen in Europa 1830-1849, Frankfurt: Fischer 1998 (Bearbeiter:Klaus Gauger)

Sachregisterinformationen:

Julirevolution 1830

0.Juli

Frankreich

In Frankreich bemühte sich das Regime unter Karl X. mit allen Kräften, die Ergebnisse der Französischen Revolution wieder zu revidieren. In der Nacht vom 27. zum 28. Juli 1830 kam es zu einem Aufstand in Paris, der sogleich auch die Unterstützung der Unterschichten fand. 'Vornehmlich wegen der anhaltend schlechten Wirtschaftslage und der bedrückenden sozialen Situation der Handwerker und kleinen Kaufleute lösten die Pariser Ereignisse eine starke, wenngleich diffuse Protestwelle gegen die Regierung Polignac und die bestehenden Verhältnisse aus. Karl X. wurde zur Abdankung gezwungen und Louis Philippe, der populäre Herzog von Orleans, wurde zum neuen 'Bürgerkönig' gewählt. Die bestehende Verfassung wurde behutsam liberalisiert und dem parlamentarischen System angenähert. Allerdings wurde ein hoher Wahlzensus beibehalten. 'Entscheidend aber war die Ausstrahlung der revolutionären Vorgänge in Frankreich auf das übrige Europa; erstmals war ein Eckpfeiler der Neuordnung Europas im Zeichen der Restauration eingebrochen' (S. 44)




Die Suche nach dem nachrevolutionären Gleichgewicht

Das napoleonische Frankreich

Das Ende des Direktoriums

Das Bild des Direktoriums in der Historiographie schwankt zwischen zwei Positionen:
- positiv wird ihm zugerechnet die Neuschaffung von modernen Institutionen vor allem im Bildungsbereich (ENS; Institut) und die Überwindung der Inflation von 1796 sowie die Abwehr royalistischer Restaurationsversuche. Als entlastend muß auch angeführt werden die Konfrontation mit der Europäisierung des durch die revolutionäre Herausforderung und die Konkurrenz zu England ausgelösten militärischen Konfliktes
- negativ fällt vor allem die Schwäche der Exekutive auf, die keine dauerhaften Institutionen im politischen Bereich schaffen kann.

Zuspitzung in der Krise des Jahres 1799:
- militärische Niederlagen in Italien und Agypten
- Massierung der royalistisch inspirierten Erhebungen im Westen und Süden sowie gleichzeitig der Wahlerfolge der linken Opposition machen das Ausspielen beider Gefahren gegeneinander obsolet

Auswahl eines Kandidaten für den von vielen in der politischen Klasse als opportun angesehenen Staatsstreich: Machtergreifung Napoleon Buonapartes im coup d'état vom 18 brumaire

Auflösung des Direktoriums, Bildung von Kommissionen, die eine neue Verfassung erarbeiten sollen und Machtübergabe an ein Konsulat (Bonaparte, Sieyes, Ducos)
Über die Stationen Erster Konsul und Konsul auf Lebenszeit (1802) erreicht Napoleon seine Krönung zum "Kaiser der Franzosen" (1804).
Konsulatsverfassung vom Dezember 1799 
- erklärt die Revolution für beendet
- Festigung der bürgerlichen Grundlagen der Gesellschaft 
- Ausbau des Staatsapparates zur Sicherung der Revolutionsergebnisse sowie den Schutz des Eigentums 
- Sicherung der wirtschaftlichen Prosperität bis zur Krise von 1810.

Träger des Kaiserreichs ist ein Notabelnbürgertum (Fusion von Grundeigentümern adliger, bürgerlicher und großbäuerlicher Herkunft, Finanz- und Handelskapital sowie großen Manufakturbesitzern, vornehmlich den Armeelieferanten, nach dem Kriterium des Reichtums)

Innenpolitische Reformen in Konsulat und Kaiserreich

- straffe Zentralisierung im Staatsaufbau
- unbegrenzte Machtbefugnisse des Ersten Konsuls (verkündet Gesetze, ernennt und setzt die Minister, Mitglieder des Staatsrates und andere hohe Staatsbeamte ab) bei konsultativer Funktion von Staatsrat, Legislative (in drei Kammern: Tribunat für Beratung der Gesetzesentwürfe, Gesetzgebende Körperschaft für Abstimmung dieser Entwürfe, Senat für Verfassungskontrolle) 
- allgemeines Wahlrecht und Plebiszit zu wichtigen Fragen 
- Verwaltungsreform: (Präfektursystem)
- Assimilation der alten und neuen Eliten (Hof; Ehrenlegion)
- Bildungsreform (Lyzeum 1802; kaiserlichen Universität 1806) 
- Justizreform (Zentralisierung der Richterwahl; 1804 Zivilgesetzbuch (Code civil, ab 1807 als Code Napoléon bezeichnet), Zivilprozeßordnung, Strafgesetzbuch (code pénal), Strafprozeßordnung, Handelsgesetzbuch): Verankerung der Freiheit des Eigentums, der staatsbürgerlichen Gleichheit, der Laizität des Staates, der Glaubens- und Gewissensfreiheit als Prinzipien.
- Konkordat mit Papst Pius VII. 180: Überwindung der Kirchenspaltung (Bischöfe vom Konsul ernannt, vom Papst nach kanonischem Recht eingesetzt; Anerkennung des Katholizismus als "Religion der überwiegenden Mehrheit der Franzosen"; Papst akzeptiert staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden, Protestanten und anderen nichtkatholischen Gläubigen sowie die Nationalisierung der Kirchengüter). 

Wirtschaftspolitik

- Manufakturförderung (v.a. Textilbranche)
- Kontinentalsperre (1806 in Berlin verkündet) gegen den Hauptkonkurrenten England als protektionistische Förderung des Gewerbes
- technologische Fortschritte in Richtung industrielle Revolution (1797 Dampfmaschine im Kattundruck; 1802 in der Spinnerei; 1805 Jacquard-Webstuhl speziell für die Seidenproduktion)
- Gründung der Banque de France 1800 und Währungsstabilisierung durch Kursfestsetzung des Franc 1803 
- Vereinheitlichung des Steuer- und Finanzwesens, die das überregionale Kreditwesen erleichtern.
- Landwirtschaft bleibt zurück (Bipolarität von Kleineigentum und Großproduktion)

Etappen und Ziele der napoleonischen Außenpolitik

Außenpolitik dient 
- Sicherung der Revolutionsergebnisse gegen Österreich, Preußen und Rußland
- Entscheidung der Konkurrenz mit England um Zugriff auf die überseeischen Märkte 
- persönlichem Machtstreben Napoleons und der Versorgung seiner Familie
Bis zum Frieden von Tilsit (1807) dient der Krieg Frankreich vorrangig zur Verteidigung seiner Gesellschaftsordnung und eines entsprechenden Umfeldes, danach vorwiegend einer durch Machthunger motivierten Expansion.
Der Krieg entfaltet sich zu einem gewaltigen Krieg der Massenheere.
1812 (Rußlandfeldzug) und 1813 (u.a. Schlacht bei Leipzig) scheitert Frankreich an der Unbeherrschbarkeit des eroberten Territorums und dem Druck der Allierten.
1814/15 Wiener Kongreß (Restauration der Bourbonen; Interessenausgleich der Alliierten; Gründung der Heiligen Allianz)
 

Restauration, Julirevolution und Julimonarchie: 1815-1848

Restauration bedeutete nicht Rückkehr zum Ancien Régime
unterscheiden lassen sich 
eine liberale Phase unter Ludwig XVIII. (1814/15-1824)
eine stärker konservative Phase unter Karl X. (1824-1830)

Politisches System und Verfassung der Restauration

Konstitutionelle Monarchie mit Exekutivgewalt und Gesetzesinitiative beim König
Parlament (Zweikammernsystem nach englischem Vorbild: Pairskammer und Abgeordnetenhaus) ohne Verantwortung der Minister gegenüber dem Parlament
Verfassung (charte constitutionnelle, 1814) als Negation des Prinzips der Volkssouveränität, aber Garantie grundlegender Rechte (Gleichheit vor dem Gesetz, individuelle Freiheitsrechte gegen willkürliche Machtausübung, Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit sowie Unverletzlichkeit des Eigentums)
Zensuswahlrecht (Mindestalter 30 Jahre; Mindeststeuersatz 300 Francs für das aktive Wahlrecht; Mindesalter 40, Mindeststeuersatz 1000 Francs für das passive Wahlrecht))
soziale Trägerschicht bleibt das Notabelnbürgertum, das seine Substanz erweitern kann
politischer Hauptkonflikt: Ultraroyalisten um den künftigen Karl X. ("plus royalistes que le roi") vs. Liberale 
zunächst Dominanz der Ultras auch mit Hilfe der terreur blanche,
1816-20 folgt eine liberale Phase ("Royaliser la nation et nationaliser la royauté"), 
Nach der Ermordung des Herzogs von Berry (1820) bis 1828 Repressionen gegen Liberale und Vorherrschaft der Ultras (Zensur, Aufhebung individueller Freiheitsrechte, Verschärfung des Wahlzensus, Emigrantenmilliarde zugunsten des Altadels, Inszenierung des mittelalterlichen Königtums bei Salbung Karl X. in Reims 1824, größerer Einfluß der katholischen Kirche)
1828-29 erneutes liberales Zwischenspiel, ab August 1829 wieder Ultras an der Macht

ab 1825/26 Finanz-, Industrie- und Agrarkrise nach kurzer Konjunktur (Arbeitslosigkeit, Hungerkrisen; Bankenkrach; Vernichtung investiven Kapitals) führt zu anhaltender sozialer Unruhe

Die Julirevolution

Nach Machtdemonstration der Ultras (Juliordonnanzen) erhebt sich Protest in der Hauptstadt (Julikrise 28.-30.7.1830 als Bestandteil einer europäischen Revolution)
Erneuerung der konstitutionellen Monarchie (Louis Philippe) setzt sich gegen die minoritäre Idee einer Republikanisierung durch
Julirevolution bleibt wesentlich auf die politische Sphäre beschränkt: Sieg der liberalen Opposition, die sich in "Partei der Bewegung" (Manufaktur- und Industriebourgeoisie sowie Vertreter der freien Berufe) und "Partei der Ordnung" (Großgrundbesitzer, Hochfinanz, Besitzer von Kohle- und Eisenbergwerken, aber auch zahlreiche Intellektuelle) spaltet
erhebliche außenpolitische Folgen: Störung des Gleichgewichts der Heiligen Allianz 
 

Das Reformwerk der Julimonarchie und die Formen der politischen Opposition

Modifizierung der charte constitutionnelle (Bezug auf monarchische Souveränität entfällt; königliche Notstandsgesetze beseitigt; Zensur verboten; Beschränkung des katholischen Einflusses im Staat; Louis-Philippe figuriert als Roi des Français, nicht mehr als Roi de France et de Navarre) 
Demokratisierung der Nationalgarde (1831: Wahl der Offiziere) Verwaltungsreform (Wahl der Gemeindevertreter)
Zugang für Bügerliche zur Pairskammer wird geschaffen (Dezember 1831)
Festhalten am Zensuswahlrecht (bei Herabsetzung des Zensus: Verdoppelung der Wahlberechtigten von 94.600 auf 167.000)
Wirtschaftspolitik betrifft v.a. den Ausbau von Kanälen, Häfen, Straßen und Beteiligung am Eisenbahnbau sowie die tradierte Schutzzollpolitik
Einführung eines obligatorischen Volksschulwesen (loi Guizot 1833).

Politische Opposition:

1) Legitimisten mit geringem Einfluß nach der Erhebung in der Vendée 1832
2) Bonapartisten gewinnen in 40er Jahren an Zulauf
Republikanisch-demokratische Opposition bleibt lange differenziert, die Erhebungen in Lyon 1831 und 1834 sowie in Paris 1832/34 bieten ihr Kristallisations- und Identifikationskerne. Bis 1835 reicht die Mobilisierungskraft der Revolution (Société des amis du peuple (Juni 1830), Société des Droits de l'Homme et du Citoyen (1832). In den 40er Jahren gelingt die semilegale Organisation der rep.-dem. Opposition (Bankettwesen, Aufschwung des Utopismus) 

1846/47 erneut Agrarkrise und in der Folöge Finanz- und Industriekrise mit hoher Arbeitslosenrate
Politisierung erfolgt entlang der Forderungen nach Wahlrechtsreform

Verbot eines Banketts mit Forderungen nach allgemeinem Wahlrecht am 22. Februar 1848 provoziert den Sturz der Regierung und leitet die Revolution ein.

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