Die Errichtung einer Währungsunion ist Bestandteil des Vertrags von Maastricht und somit geltendes Recht. Trotzdem läßt der Vertrag Spielräume zu, über deren Nutzung aus der aktuellen Gegebenheit heraus entschieden werden kann. Dieses gilt vor allem für den Starttermin der Währungsunion und z.T. auch für die in Art. 109j EGV festgeschriebenen Konvergenzkriterien. Diese Spielräume spiegeln sich auch in der öffentlichen Debatte über die Maastricht-Kriterien und dem Starttermin wider.
Die Debatte über die Konvergenzkriterien sowie Kritik und Alternativen, die Debatte über den Starttermin, die Situation in ausgesuchten EU-Ländern und die Perspektiven nach dem Währungsunionstart (EWS II, Stabilität) werden in diesem Bericht thematisiert.
Eine knappe Darstellung der "Meilensteine auf dem Weg zur Europäischen Währungsunion" soll zum eigentlichen Thema dieser Arbeit "Status Quo und Perspektiven der Europäischen Währungsunion" hinleiten.
Verfasser:
Tania Block, Werner Otter und Holger Budelmann
Uni Bremen im Sommersemester 1996
1. Meilensteine auf dem Weg zur Europäischen Währungsunion
Bis es zu einem Beschluß über die heute geplante und in Vorbereitung befindliche Währungsunion kommen konnte, mußten im Nachkriegseuropa viele Integrationsschritte getan werden, um aus den z.T. ehemals verfeindeten Staaten Partner für Europa zu machen. Einige dieser "Meilensteine" werden nachstehend kurz dargestellt.
Motive für die EGKS
Der erste Motiv war der Wunsch, die deutsche Montanindustrie kontrollieren zu können. Die deutsche Montanindustrie war im zweiten Weltkrieg das Rückrat der deutschen Rüstungsindustrie. Man dachte, daß die Einbindung in einen europäischen Rahmen, die Verwendung von Montanprodukten für ungewünschte Zwecke verhindern kann.
Das zweite Motiv war das Vorantreiben des Wiederaufbaus und eine Stärkung des Wohlstands. Dadurch sollte eine soziale Befriedung erreicht werden, die zur Entspannung und Stabilisierung in Europa beitragen sollte.
Die politische und wirtschaftliche Stärkung Westeuropas war das dritte Motiv. Die politische Stärkung war vor allem wegen der sich verschärfenden Ost-West-Konfrontation gewollt. Die wirtschaftliche Stärkung Westeuropas war notwendig um im stärker werdenden internationalen Wettbewerb mit USA, Canada und Australien und später auch Japan mithalten zu können.
Das vierte Motiv war der Wunsch die Montanindustrie regulieren zu können, um so Störungen so klein wie möglich zu halten. Störungen können z.B. Überproduktion oder Mangel sein. Zur Gründungszeit der EGKS 1952 herrschte eher ein Mangel an Kohle und Stahl.
Insgesamt hatten die politischen Motive (Befriedung und Stärkung des Wohlstandes Westeuropas) ein höheres Gewicht bei der Gründung der EGKS als die wirtschaftlichen. So gingen die "Väter" der ersten europäischen Einigung Monet und Schuman davon aus, daß eine politische Integration wichtiger sei als eine rein wirtschaftliche.
Regulierungsbedarf
Wegen der strategischen Bedeutung der Montanindustrie war es wichtig durch Regulierung so einzuwirken, daß es zu einer gerechten Verteilung der Güter kam. Verstärkt wurde die Bedeutung des Montanbereiches durch die vorgelagerte Stellung der Branche, die eine hohe Konjunkturreagibilität hat, und deshalb zum Motor aber auch zum Bremser des Wiederaufbaus werden konnte.
Institutionen - Organe
Die Organe der Montanunion entsprachen im Prinzip bereits denen der späteren EG: im Mittelpunkt ein mit weitgehenden Befugnissen ausgestattetes Exekutivorgan, die "hohe Behörde", deren Entscheidungen in allen Mitgliedsstaaten unmittelbare Geltung hatten, einen "Rat" der nationalen Minister, eine parlamentarische "Versammlung", ein Gerichtshof sowie ein "Beratender Ausschuß" aus Vertretern der betroffenen Interessengruppen.[1]
Trotz des letztlichen Scheiterns der EGKS ist sie als "Vorreiterin" der europäischen Einigung von großer historischer Bedeutung. Das Scheitern der EGKS lag im wesentlichen in den falschen Einschätzungen der wirtschaftlichen Entwicklung zum Zeitpunkt ihrer Konzeption. Man ging am Anfang davon aus einen andauernden Mangel regulieren zu müssen. Wie sich jedoch rasch herausstellte, kam es schnell zu einem Überangebot an Kohle und Stahl.
Auf einer Konferenz in Messina 1955 beschlossen die Außenminister der Montanunionmitgliedsländer, die Schaffung eines vereinigten Europas durch die schrittweise Fusion der nationalen Wirtschaften und durch die Schaffung eines gemeinsamen Markts.
Gleichzeitig sollte der Versuch gemacht werden, auch andere Staaten Westeuropas, vor allem Großbritannien, einzubeziehen. Großbritannien lehnte jedoch ab; die politischen und wirtschaftlichen Bindungen an das neu organisierte Commonwealth waren ihm wichtiger; zudem hielt es die Frage der parlamentarischen Kontrolle der vorgesehenen supranationalen Behörden für ungeklärt. Die skandinavischen Staaten schlossen sich England an, so daß wiederum nur sechs Staaten (BRD, Benelux, Frankreich und Italien) 1957 die "Römischen Verträge" unterzeichneten und damit eine "Europäische Wirtschaftsgemeinschaft" (EWG) und eine "Europäische Atomgemeinschaft" (Euratom) gründeten.
Es wurde u.a. (in Art. 3) festgelegt:
a) die Abschaffung der Zölle und der mengenmäßigen Beschränkungen bei der Ein- und Ausfuhr von Waren sowie aller sonstigen Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedsstaaten;
b) die Einführung eines gemeinsamen Zolltarifs und einer gemeinsamen Handelspolitk gegenüber dritten Ländern;
c) die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten;
d) die Einführung einer gemeinsamen Politik auf dem Gebiet der Landwirtschaft;
e) die Einführung einer gemeinsamen Politik auf dem Gebiet des Verkehrs;
f) die Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des gemeinsamen Markts vor Verfälschungen schützt;
g) die Anwendung von Verfahren, welche die Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten und die Behebung von Störungen im Gleichgewicht ihrer Zahlungsbilanz ermöglichen;
h) die Angleichung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, soweit dies für das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Markts erforderlich ist;
i) die Schaffung eines europäischen Sozialfonds, um die Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer zu verbessern und zur Hebung ihrer Lebenshaltung beizutragen;
j) die Errichtung einer Europäischen Investitionsbank, um durch Erschließung neuer Hilfsquellen die wirtschaftliche Ausweitung der Gemeinschaft zu erleichtern;
k) die Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete, um den Handelsverkehr zu steigern und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung durch gemeinsame Bemühungen zu fördern.[2]
Nach der im EWG-Vertrag vorgesehenen Zeitfolge sollte der Gemeinsame Markt während einer Übergangszeit von zwölf Jahren, d.h. bis zum 31. Dezember 1969, schrittweise verwirklicht werden. Dieses Ziel wurde jedoch nicht erreicht. Lediglich im Bereich des freien Warenverkehrs gelang es, und zwar früher als vorhergesehen, mit der Errichtung einer Zollunion die Voraussetzungen für einen Freihandel innerhalb der Gemeinschaft zu schaffen. Andere wichtige Wirtschaftsbereiche, wie der freie Personen- und Dienstleistungsverkehr, die Niederlassungsfreiheit und der freie Kapital- und Zahlungsverkehr, kamen abgesehen von einzelnen Teilerfolgen hingegen nicht entscheidend voran. Auch die angestrebte Konvergenz der nationalen Wirtschaftspolitiken blieb in den Wirtschaftskrisen der 70er Jahre ohne zählbaren Erfolg stecken. Von einem wirklichen Gemeinsamen Markt, in dem die nationalen Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten für den Wirtschaftsverkehr keine Rolle mehr spielen, konnte bis weit in die 80er Jahre keine Rede mehr sein.
Es bedurfte neuer politischer Anstöße, um den wirtschaftlichen Einigungsprozeß aus der Sackgasse, in die er hineingeraten zu sein schien, wieder herauszuführen.[3]
Diese Anstöße kamen Mitte der 80er Jahre aus der Kommission in Gestalt des Binnenmarktprogramms "Europa 92", das der Kommissionspräsident Jaques Delors am 12. März 1985 vor den Abgeordneten des Europäischen Parlaments entwickelte und das die Vollendung eines europäischen Binnenmarktes bis Ende 1992 vorsah. Zu diesem Zweck stellte die Kommission im Jahre 1985 in einem "Weißbuch" einen Katalog von konkreten Maßnahmen auf, die zur Vollendung des Binnenmarktes nach einem genau festgelegten Zeitplan bis Ende 1992 zu treffen waren.
Dieses Weißbuch wurde 1985 vom damaligen Vorsitzenden der Kommission Jaques Delors vorgelegt. Der Binnenmarkt sollte nicht nur für den Warenverkehr gelten, sondern auch den freien Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sowie die Niederlassungsfreiheit innerhalb der Gemeinschaft garantieren. Weiter sollten auch die nicht-tarifären Handelshemmnisse abgebaut werden. Unter nicht-tarifären Handelshemmnissen werden physikalische Barrieren (z.B. Grenzen), fiskalische Barrieren (z.B. Steuern) und technische
Barrieren (z.B. unterschiedliche Produktnormen) verstanden. Das Binnenmarktkonzept sieht zwei Möglichkeiten vor diese nicht-tarifären Handelshemmnissen zu beseitigen. Die erste ist einheitliche Zulassungsbestimmungen (Harmonisierung) von Produkten. Die zweite ist die Strategie der gegenseitigen Anerkennung. Das bedeutet, daß z.B. eine Bohrmaschine, die in Portugal in den Handel gebracht werden darf, auch in Deutschland verkauft werden kann.
Den politischen Auftrag zur Verwirklichung des Programms "Binnenmarkt 1992" erhielt die Kommission vom europäischen Rat noch im gleichen Jahr auf dem Gipfeltreffen in Mailand. Um aber mit einiger Aussicht auf Erfolg in nur sieben Jahren ein Ziel zu erreichen, das mit weniger Mitgliedstaaten in fast drei Jahrzehnten nicht verwirklicht werden konnte, bedurfte es mehr als nur einer politischen Willenserklärung und der Verabschiedung eines Programms: Das Ziel "Binnenmarkt 1992" mußte Bestandteil des Gründungsvertrags der E(W)G werden.
Dies wurde mit der am 1. Juli 1987 in Kraft getretenen Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) erreicht, durch die der E(W)G-Vertrag um einen Artikel ergänzt wurde.[4]
Nach Inkrafttreten des Binnenmarkts am 31.12.1992 hatte die o.g. Strategie der gegenseitigen Anerkennung konkrete Auswirkungen. "Oft behinderten als Schutzvorschriften getarnte Hindernisse den Warenaustausch zwischen den EU-Staaten. Im Streit um die Einfuhr von <<Cassis de Dijon>>-Likör aus Frankreich sah z.B. der Europäische Gerichtshof das deutsche Einfuhrverbot als übertriebene Maßnahme zur Erreichung des erwünschten Ziels (Verbraucherschutz) an und bezeichnete deutliche Angaben auf dem Etikett der Flaschen - hier über den Alkoholgehalt - als ausreichend. Diese Rechtssprechung führt das für die Verwirklichung des Binnenmarkts nicht nur im Warenbereich wegweisende Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ein."[5]
Die EEA war die erste umfassende Revision der Verträge der drei Europäischen Gemeinschaften EGKS (Montanunion, 1951), EAG (Euratom, 1957) und EWG (1957). Verabschiedet am 28.02.1986, in Kraft seit dem 01.07.1987, bezieht die EEA neue Tätigkeitsfelder in die Verträge mit ein, die seither Gegenstand gemeinsamer Politik der EG-Mitgliedsstaaten sind, u.a. die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) im Bereich der Außenpolitik. Das Ziel einer Währungsunion wurde in der EEA erstmalig in Art. 102a vertraglich fixiert. Im Mittelpunkt der EEA steht die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes zum 31.12.1992. Außerdem beinhaltet sie eine Erweiterung der Rechte des Europäischen Parlaments (Einführung des Kooperationsverfahrens) sowie eine teilweise Ablösung des Prinzips der Einstimmigkeit durch eine Mehrheitsentscheidung im Ministerrat, vor allem für die binnenmarktrelevanten Richtlinien und Verordnungen.
"Als Ergänzungsvertrag zu den Römischen Verträgen kann die EEA zwar nicht als 'qualitativer Sprung' bei der Vertiefung der europäischen Integration gewertet werden, doch sie hat wegen ihres nüchternen Augenmaßes und wegen des Interessenausgleichs zwischen allen Mitgliedsstaaten nicht nur eine Zwischenetappe des Einigungsprozesses geschaffen, sondern darüber hinaus auch den Boden für weitergehende Integrationsschritte zur Wirtschafts- und Währungsunion sowie zur Politischen Union bereitet."[6]
Die Regierungschefs der Europäischen Union haben 1991 in Maastricht beschlossen, eine Wirtschafts- und Währungsunion mit einer einheitlichen Währung in Europa zu schaffen. Das heißt, es soll eine gemeinsame Geldpolitik betrieben werden, und es soll ein gemeinsames Geld in den Mitgliedstaaten geben. Damit entfällt der Umtausch und die Umrechnung in die verschiedenen Währungen, und es bestehen auch keine Wechselkursrisiken mehr für die Unternehmen. Es wurden gewisse Kriterien, sogenannte Konvergenzkriterien festgelegt, die die Teilnehmerstaaten erfüllen müssen, wenn sie in den Verbund aufgenommen werden wollen. Ein Europäisches Währungsinstitut (EWI) wurde ins Leben gerufen. Dessen Nachfolgerin wird die Europäische Zentralbank sein, die für die Zinspolitik und die Geldmengensteuerung verantwortlich sein wird. Oberstes Ziel dabei ist die Geldwertstabilität. Diese Europäische Zentralbank soll nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank von politischen Weisungen unabhängig sein. Sie erhält dadurch eine enorme Verantwortung, womit ihr auch große Bedeutung zukommt. Man kann nur hoffen, daß sie wirklich in die Fußstapfen der Deutschen Bundesbank tritt und maßgeblich zur Stabilität der neuen Euro-Währung beitragen kann und wird. Sie muß zunächst durch ihre stabilitätsorientierte Politik entsprechendes weltweites Ansehen auf den Finanzmärkten erlangen, um für die neue Euro-Währung eine psychologische Stütze zu sein und entsprechendes Vertrauen für sie zu schaffen. Nur wenn das gelingt, kann von einer Stabilität der neuen Euro-Währung ausgegangen werden. Der Sitz der Europäischen Zentralbank wird in Frankfurt/Main sein.
Übersicht über die drei Phasen der Wirtschafts- und Währungsunion
Es wurde ein konkreter Stufenplan entwickelt, der den zeitlichen Ablauf der Verwirklichung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion beschreibt. Dieser Terminplan steht im Grünbuch der Europäischen Kommission.
Phase A: Ingangsetzen der Währungsunion (01.01.1998)
Zu Beginn der Phase:
Verzeichnis der Teilnehmer
Termin für den Start der Währungsunion
Termin für die Umstellung des Geldes
Errichtung der Europäischen Zentralbank
Herstellung von Noten und Münzen
Während der Phase:
Vorbereitung und Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen
Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen
Einrichtung zentraler Koordinierungsstellen
Pläne für Kreditwirtschaft und öffentliche Finanzen
Phase A dauert 1 Jahr
Es gelten die bisherigen Währungen
Phase B:
Zu Beginn der Phase:
Festlegung der Umrechnungskurse
Euro-Geld ist eine eigenständige Währung
Geld- und Wechselkurspolitik in der neuen Euro-Währung
Geld-, Kapital- und Devisenmärkte in Euro-Währung
Neuemissionen der öffentlichen Hände in Euro
Jeweilige Bruttozahlungssysteme in Euro
Während der Phase:
Kreditwirtschaft intensiviert die Umstellung
Weitere Umstellung der öffentlichen Hände und Unternehmen
Phase B dauert 3 Jahre
Es gelten nebeneinander
- die eingenständige Euro-Währung als Verrechnungseinheit
- die alten Noten und Münzen zu festen und unveränderbaren Kursen in Relation
zum Euro
Phase C: Einführung des Euro-Geldes (01.01.2002)
Einführung neuer Noten und Münzen
Abschluß der Währungsumstellung bei der Kreditwirtschaft
Einzug von Noten und Münzen in nationaler Währung
Komplette Umstellung des öffentlichen und privaten Sektors
Ausschließliche Verwendung der Euro-Währung
Phase C dauert einige Wochen
Nur noch Euro-Währung, neue Noten und Münzen gültig
Entsprechend den Vereinbarungen von Maastricht soll 1998 festgestellt werden, welche Länder die Konvergenzkriterien erfüllen. Letzte Entscheidung, welche Länder beitreten dürfen, hat dann der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs mit qualifizierter Mehrheit.
Der Weg ist durch den Fahrplan der Maastrichter Beschlüsse vorgezeichnet. Wie sieht die Situation nun in ausgewählten Ländern aus, die hier betrachtet werden?
Im folgenden sollen exemplarisch einige "Kernländer" der EU untersucht werden. Dieses sind die Gründungsmitglieder Deutschland, Frankreich, England und Italien. Es wird anhand einer Übersicht dargestellt, wie die Länder in Bezug auf wirtschaftliche Fakten und politischer Überlegungen zu einer Währungsunion stehen.
Augenblicklich bestehen in Italien große Diskussionen, wie das Haushaltsdefizit in diesem Jahr ausfallen wird. Ob es bei den geplanten 109 600 Milliarden Lire oder umgerechnet 107 Mrd. DM bleibt oder sogar auf umgerechnet 136 Mrd. DM steigen wird ist noch nicht exakt absehbar. Für die Notenbank mahnte Carlo Santini, enger Mitarbeiter des Notenbankchefs Antonio Fazio: "Ohne eine sofortige Haushaltskorrektur ist jeder Versuch zur Wiederbelebung der Wirtschaft mit dem Risiko einer Finanzkrise, einer Krise der Lira und dem Risiko hoher Zinssätze verbunden."[8]
Diese Warnung erfolgte einen Tag nachdem bekannt wurde, daß der zusätzliche Kassenbedarf des Staates in den ersten vier Monaten dieses Jahres mit 67,7 Mrd. DM um 14,6 Mrd. DM höher war als in der gleichen Zeit 1995. Nachdem der Kassenbericht für das erste Quartal bereits eine anteilige Überschreitung der Ausgaben um 9,4 Mrd. DM über das im Haushalt festgesetzte Jahresziel von 107 Mrd. DM für 1996 angezeigt hatte, lösen die beträchtlichen Überschreitungen im April die Besorgnis aus, Roms Gesamtdefizit in diesem Jahr könne wesentlich höher liegen als geplant.[9]
Der Abteilungsleiter für Fiskalfragen beim Weltwährungsfonds, Vito Tanz, mahnt, in der Frage der Ausgabenüberschreitung müsse die italienische Regierung sofort handeln. Das Land dürfe in seinen Bemühungen keine Pause einlegen, denn sonst würden die Kapitalmärkte sehr bald ein negatives Urteil abgeben. Das wahre Problem für Italien sei nicht, die im Hinblick auf Maastricht für dieses Jahr geplanten 107 Mrd. DM Defizit einzuhalten, sondern es bestehe darin, daß Italiens ungedecktes Defizit noch grundsätzlich zu hoch sei, daß die Gesamtverschuldung sehr bedeutend ist und daß es böse Überraschungen geben könne, wenn die Zinsen noch weiter steigen würden. Die Ausgaben müßten radikal gekürzt werden.
Vor allem müsse die Haushalts- und Ausgabenstruktur völlig reformiert werden. [10]
Das derzeitige größte Problem ist: Rom rechnete bei seiner Haushaltsplanung mit einem Wirtschaftswachstum von drei Prozent gerechnet, doch wird es nach jetzigem Stand daraus wohl günstigstenfalls nur ein Prozent. Die Differenz von zwei Prozent weniger Wachstum entspricht in etwa 19,6 Mrd. Staatseinnahmen weniger.[11] Wie dieses Loch gestopft werden soll, darüber sind sich die Fachleute noch nicht einig.
Die Staatsverschuldung erreichte im Sommer 1995 mit 2,1 Billionen Mark einen neuen historischen Rekord. Der Staat muß wöchentlich drei Milliarden DM Zinsen zahlen, wobei der Zinssatz um vier Prozentpunkte über dem in Deutschland liegt. Kreditgeber sind in erster Linie die Italiener selbst. Die Hälfte der Staatsschuld wird mit kurzfristigen Titeln von einer Laufzeit zwischen drei und zwölf Monaten finanziert. Solange die Renditen so hoch sind, sind Staatsanleihen oft ertragreicher als Investitionen, die die Wirtschaft ankurbeln.[12]
Die Inflationsrate ist 1995 wieder gestiegen, die Arbeitslosenquote lag im letzten Quartal 1995 bei beängstigenden 12,7 Prozent. Zudem ist das Wirtschaftswachstum in erster Linie der starken Abwertung der Lira zu verdanken. Für eine DM gibt es derzeit ca. 1050 Lire.
Vor dem Zwangs-Austritt aus dem EWS im September 1992 waren es nur 730 Lire.
Daß die Staatsfinanzen bis Ende 1997 die Maastricht-Auflagen erfüllen, glaubt niemand in Italien. Sowohl Silvio Berlusconi, als auch sein Gegenspieler Romano Prodi erhoffen sich von den europäischen Partnern eine "flexiblere Zielgebung".[13]
Untermauert wird die wirtschaftliche Situation[14] in Italien durch kürzlich erschienene neue Berichte. Darin wird festgestellt daß nach einem ca. 3% Anstieg des Bruttosozialprodukts im Jahr 1995 Italien 1996 einen steilen Abstieg erlebt. Nur noch 0,7 bis 1% Wirtschaftswachstum erwarten die Institute auf der Schätzbasis von Juni.
Die Arbeitslosenquote stieg im April gegenüber der Vorjahreszeit um 0,3 Punkte auf 12,7%. Das Sozialprodukt nahm in dieser Zeit noch um 1,5% zu. "Deutschland und Frankreich sind mit Abstand Italiens größte Handelspartner. Da nur eine Exportsteigerung für nennenswerte Belebung sorgen kann, hängt die Konjunkturentwicklung weitgehend davon ab, was in diesen beiden Ländern geschieht."[16]
Doch der Exportboom ist vorbei. Erstens ist die starke Abwertung der Lira an den Devisenmärkten einigermaßen korrigiert und zweitens durchlaufen Frankreich und Deutschland eine Konsolidierung der Haushalte, was sich auch in einer Verschlechterung der nationalen volkswirtschaftlichen Wirtschaftsindikatoren ausdrückt. Demzufolge ist eine Wiederholung des Exportbooms nicht mehr kurzfristig zu erwarten.
Englischen Euroskeptikern ist jedes, noch so schwache Argument willkommen. Die Krise rund ums britische Rindfleisch, so merken sie an, haben auch ihre guten Seiten. Die von der Gemeinschaft erzwungenen Notschlachtungen würden sich so nachhaltig negativ in der volkswirtschaftlichen Bilanz niederschlagen, daß das Land die Kriterien für den Eintritt in die Europäische Währungsunion mit einiger Sicherheit 1999 nicht erfüllen werde.[17]
Doch im Gegensatz zum Rinder-Skandal verspricht die politische Debatte um die Währungsunion mittelfristig mehr Spannung. Im Kabinett von Regierungschef John Major bahnte sich im April 1996 in Machtkampf an, der sich fast in einen gewaltigen politischen Vulkanausbruch verwandelt hätte. Der Hintergrund: Major muß mit einer schwindenden Mehrheit von mittlerweile nur noch zwei Sitzen im Unterhaus regieren. Daher ist er besonders auch die Stimmen der Euroskeptiker angewiesen. Zudem stehen auch die Wiederwahlchancen nicht besonders gut, da die Opposition in den Meinungsumfragen führt und er zusätzlichen Druck durch eine neue Partei bekommt.
Um alle diese Schwierigkeiten auf einmal zu lösen, verkündete er, daß er über eine Volksabstimmung über den Euro-Beitritt nachdenke. Dies wiederum führte zu Verstimmung bei den "Freunden Europas" in der Major-Partei, so daß es lediglich den Kompromiß der Aufnahme einer Volksabstimmung in das Wahlprogramm der Konservativen bezüglich einer Währungsunion kam.[18]
Doch all dies politische Taktieren hat den Engländern in der Frage um den Beitritt zur Währungsunion nicht weitergeholfen. Die Regierungspartei, nicht wenige Industrielle, einige Bankiers, hohe Beamte wie Notenbankchef Eddie George und weite Teile des konservativen Establishments leben in der Hoffnung auf eine Verschiebung der Währungsunion.
Für Leon Brittan steht jedoch fest: "Deutschland und Frankreich werden die Kriterien für den Beitritt zur Währungsunion rechtzeitig erfüllen. Neben diesen beiden Ländern werden sich noch vier bis fünf weitere Staaten für den Beitritt qualifizieren."[19], sagt der Vizepräsident der Europäischen Kommission. Und dazu zähle auch England. "Dem System dann nicht beizutreten, wäre ein schwerer Fehler" , sagt er.
Eine solche Haltung würde höhere Zinsen und sinkende Investitionen ausländischer Konzerne in England zur Folge haben. Am Ende hätte England dann weniger Souveränität als heute.
Für eine Rückbesinnung rationaler Argumente Pro Europa dürften am Ende die Bankindustrie der Londoner City und ausländische industrielle Investoren wie Bosch, BMW, Siemens, Honda, Toyota oder die amerikanischen Computerhersteller sorgen. Sie alle haben kein Interesse daran, daß England sich aus der Europäischen Gemeinschaft herauskatapultiert. Vor allem die ausländischen Konzerne fürchten um den Wert ihrer Investments. Doch auch die kleine Zahl der noch eigenständigen englischen Banken und die meisten britischen Bankiers wissen, daß die City durch die Einführung des Euro zwar einerseits Geschäft verliert, sich jedoch andererseits auch neue Gewinnpotentiale erschließen. Sicher ist, daß der Stellenwert der City im internationalen Wettbewerb der Finanzplätze deutlich sinken würde, wenn England der Währungsgemeinschaft nicht beitreten sollte.[21]
Diesen Tatsachen zufolge ist es wahrscheinlich eine Fehleinschätzung des "politischen Willens" der Partner in Europa gegenüber, die diese englische Haltung begründet. "In der Regierung mag es niemand für möglich halten, daß am Ende politische Entscheidungen und weniger wirtschaftliche Fakten über den Beginn der Währungsunion bestimmen werden." [22] Noch mag dies so sein, doch am Ende wird sich die Regierung umbesinnen, und England wird bei der Währungsunion dabei sein.
In Deutschland gibt es erhebliche Zweifel, ob Frankreich in der Lage sein wird, die Maastricht Kriterien zu erfüllen. Und das Zusammenspiel zwischen den aktuellen Schwierigkeiten der Regierung Juppe, für 1996 ein Budget vorzulegen, das den Namen Sparhaushalt verdient, und dem viel zu hohen Zinsniveau in Frankreich dürfte die Pessimisten in Bonn und Frankfurt bestärken. Umgekehrt herrscht in Frankreich der Eindruck vor, daß Deutschland die Währungsunion im Grunde nicht braucht, folglich also zu keinerlei Zugeständnissen an die Partner bereit ist. Die jüngsten Außerungen der deutschen Wirtschafts- und Finanzminister und vor allem von Bundesbank-Präsident Tietmeyer werden in Paris als Versuch interpretiert, die Meßlatte für den Einstieg in die Währungsunion immer höher zu legen. Dabei steht die französische Bevölkerung nach den Ergebnissen einer Meinungsumfrage der Einheitswährung inzwischen positiver gegenüber als die Deutschen.
Bundeskanzler Kohl trat der Meinung, daß Deutschland die Meßlatte für den Einstieg in die Währungsunion höher legen wolle, um so die Einheitswährung zu verhindern oder zu verzögern, mit den Worten entgegen, er habe gar keinen Zweifel, daß Deutsche und Franzosen den Weg zur gemeinsamen Währung zusammen gehen würden. Kohl ging es nicht darum, die Latte höher anzulegen, vielmehr mußte er gerade mit Blick auf das jüngste Herbstgutachten der Forschungsinstitute betonen, daß für beide Regierungen eine Aufweichung der Stabilitätskriterien nicht in Frage komme. Die Institute hatten vorgeschlagen, auf eine feste Schuldengrenze zu verzichten und bei dem Budgetdefizit nur die strukturelle und nicht die konjunkturelle Komponente zu berücksichtigen.
Frankreich versucht durch einen Kraftakt die Sanierung der angeschlagenen Sozialversicherung durchzuführen und sie wieder auf finanziell solide Beine zu stellen. Bemerkenswert ist dabei, daß sich Juppe erstmals nicht mit einem Griff in die Taschen der Steuerzahler bescheidet, sondern zusätzlich wirkliche Sparmaßnahmen vorstellt. Hinzu kommen strukturelle Veränderungen in der Funktionsweise des Sozialversicherungssystems. Insgesamt reichen die finanziellen Auswirkungen des Maßnahmenkatalogs weiter als die von Juppe selbst ursprünglich formulierten Ziele.
Wollte der Premier zunächst den Fehlbetrag der Sozialversicherung im Jahr 1996 auf 30 Mrd. FF halbieren und 1997 den Ausgleich der Konten erreichen, ist nach den nun vorgesehenen Planungen für 1996 ein Defizit von nur noch 17 Mrd. FF zu erwarten. Im Jahr darauf soll das System gar einen Überschuß von 12 Mrd. FF erwirtschaften.
So macht Frankreich derzeit einen großen Schritt in Richtung Maastricht. Nachdem die Abgeordneten dem Juppe-Plan und seiner schnellen Umsetzung im Wege von Dekreten zustimmten, sind nun die Voraussetzungen geschaffen, das Budgetdefizit im nächsten Jahr auf vier und 1997 schließlich auf drei Prozent zu reduzieren.
Die OECD behauptet jedoch, daß weder Deutschland noch Frankreich die Kriterien erfüllen, die nötig sind für den Eintritt in die geplante Europäische Währungsunion. In beiden Ländern werde der Haushalt ein Defizit aufweisen, das voraussichtlich mehr als drei Prozent des BIP beträgt. Mitte April 1996 hatte bereits der Internationale Währungsfonds vorhergesagt, daß Deutschland und Frankreich die Schuldenkriterien des Maastrichter Vertrages 1997 nicht erfüllen würden. In Deutschland sei zudem mit einer Gesamtverschuldung von 61,1 Prozent des BIP zu rechnen. Damit würde Deutschland auch das zweite Kriterium nicht erfüllen.
Allein den Maastrichter Vertrag für das Heulen und Zähneklappern bei den notwendigen Sparmaßnahmen verantwortlich zu machen, wäre jedoch eine falsche Einschätzung der Situation. Die Sanierung der öffentlichen Haushalte wäre auch ohne Maastricht durchzuführen. Nicht die Währungsunion und der Euro sind Giftpillen für die Erholung der europäischen Volkswirtschaften, sondern die in der Vergangenheit geduldete Geldverschwendung - von großzügigen Subventionszahlungen an kränkelnde Industrien bis hin zu einem nicht mehr bezahlbaren System der sozialen Sicherung.[23]
Ein vorzeitiges Begräbnis der Währungsunion liefe auf eine politische Bankrotterklärung hinaus: Die Politiker könnten sich in diesem Fall eigentlich nur noch eingestehen, daß die Sparmaßnahmen wieder einmal nur halbherzig verwirklicht wurden. Doch geht es ausschließlich darum, eine grundlegende Anderung des wirtschaftspolitischen Kurses durchzuführen, um im internationalen Wettbewerb noch mithalten zu können. [24]
Grundsätzlich kann man feststellen, daß die einzelnen EU-Staaten einen unterschiedlichen Einfluß auf die Währungsunion haben. Dabei ist vor allem der anteilige Schuldenstand und der Anteil des BIP am BIP der gesamten EU-Staaten zu beachten.
Zusammen mit Deutschland hat Italien den größten absoluten Betrag an Schulden angehäuft. Berechnet nach vorläufigen Zahlen der Europäischen Kommission für 1995 und mit Hilfe der Wechselkurse vom Jahresende, machten die deutschen Staatschulden zum Ende des vergangenen Jahres 23,5 Prozent, die italienischen 22,9 Prozent der gesamten staatlichen Verbindlichkeiten in der Europäischen Union aus. Während das deutsche BIP etwa 30 Prozent des gesamten Wertes in der Europäischen Union entspricht, hat Italien daran nur einen Anteil von etwas mehr als 13 Prozent.[25] Solche Vergleiche von absoluten Werten sind allerdings immer von den Schwankungen der Wechselkurse abhängig. Nachdem sich der Wert der italienischen Lira seit Jahresbeginn um ca. 5 Prozent erhöht hat, würde aus heutiger Sicht Italien die Rolle des Spitzenreiters unter den Schuldenmachern einnehmen.
Aus der Gegenüberstellung von absoluten Werten läßt sich allerdings ablesen, daß die Schulden der einzelnen Länder unterschiedlichen Einfluß auf eine Europäische Währungsunion hätten.
Betrachtet man beispielsweise die Staatsschulden Belgiens, die im Verhältnis zum BIP des Landes sehr hoch sind, nämlich bei mehr als 134 Prozent, so kommt man zu der Schlußfolgerung, daß dieses Land erstens noch sehr weit vom Maastricht-Kriterium von 60 Prozent des BIP entfernt ist, und zweitens daß es nahezu unmöglich ist dieses Kriterium bis Ende 1997 noch erfüllen zu können. Andererseits macht der absolute Betrag der belgischen Schulden nur 6 Prozent des europäischen Gesamtwertes aus. [26]
Die Mitgliedschaft Italiens in einer Währungsunion würde dagegen die Relation zwischen Staatsschulden und Volkseinkommen innerhalb der gesamten Währungsunion weitaus mehr belasten: So würde eine Währungsunion mit Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Luxemburg, insgesamt noch knapp unter dem Maastricht-Kriterium liegen, einschließlich Belgiens nur zwei Prozent darüber.
Auch der Einschluß Österreichs und Irlands fiele dabei wenig ins Gewicht, obwohl beide Länder das Maastricht-Kriterium für die Staatsschulden nicht erfüllen. Die Aufnahme Italiens würde dagegen die Relation von Staatsschulden und Volkseinkommen in der Währungsunion auf 71 Prozent verschlechtern, wobei dieser Wert noch unter dem Gesamtdurchschnitt aller 15 EU-Mitgliedsländer von 74 Prozent liegt.
Abb.: Die größten Schuldenmacher in Europa
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Anteil der Staatsschulden der EU-Mitgliedsländer an den Schulden der EU in Prozent
Quelle: FAZ vom 23.03.1996
Die geplante Währungsunion verspricht allgemein einen vereinfachten Waren- und Zahlungsverkehr der den Handel erleichtert. Inwieweit dies einen deutlichen wirtschaftlichen Fortschritt bringen soll ist aber noch nicht bewiesen.
Gehen wir davon aus, daß sich durch die Währungsunion ein starker Wirtschaftsblock bilden wird, ist es natürlich klar, daß kein Land unbestimmte Zeit außen vor bleiben möchte. Denn eines ist sicher, wer den Zug verpaßt, hat es sehr schwer, später noch aufzuspringen, da der Abstand der Teilnehmer zu den Draußengebliebenen schnell größer werden könnte. Bisher erfüllen nur Luxemburg und mit "Einschränkung" Deutschland die Kriterien.[28] Somit haben sich nur zwei Länder qualifiziert.
"Österreich, Niederlande, Dänemark und Irland könnten es noch schaffen. Aber es wird schließlich keine Währungsunion ohne Frankreich geben. Da Luxemburg mit Belgien eine Währungsunion hat, muß auch Belgien dabei sein. Ebenso möchte man den Block der Beneluxstaaten nicht auseinanderreißen. Allerdings erfüllt Belgien mit seiner hohen Staatsverschuldung nicht die Kriterien. Wenn Belgien trotzdem hinein darf, wird sicher Italien, als wesentlich bedeutendere Industrienation und als Gründungsmitglied der EG, auch darauf pochen, mit von der Partie zu sein. Wenn Italien dabei ist, will womöglich auch Spanien dabei sein und in dessen Gefolge auch Portugal. Dann meldet sich vielleicht auch Griechenland."[29]
Dies zeigt, daß sicherlich ein enormer Druck der einzelnen "Partnerländer" auf die Gemeinschaft ausgeht, der es sehr schwierig machen wird, an den strikten Konvergenzkriterien festzuhalten.
"Im Gespräch ist auch, daß man jedem Land sozusagen das Fehlen eines Kriteriums zugestehen könnte, wenn die anderen Kriterien einwandfrei erfüllt wären und bei dem problematischen Kriterium ein entsprechendes Bemühen und die Aussicht auf eine Besserung bestünde. Im Vertrag lautet der Passus, "wenn eine deutliche Annäherung erkennbar ist"."[30]
Diese Aussage ist jedoch sehr zweifelhaft, denn wenn ein Kriterium auf dem Prüfstand steht, dann ist die Frage "Welches, und warum nicht alle?" noch nicht geklärt. U.E. ist dieses Problem auch nicht auf ein Kriterium anwendbar, da der Stand der Konvergenz in den einzelnen Ländern zu unterschiedlich ist. Würde dieser Aspekt in die Überlegungen einer Währungsunion einbezogen, so müßte man sich vorher einigen, ob eine einheitliche politische Aussage über eine Vollziehung einer Währungsunion besteht. Davon ist allerdings auszugehen, was u.E. wieder zu der Schlußfolgerung führt, daß die Konvergenzkriterien bei einer politischen Währungsunion ihre Existenzgrundlage verlieren würden.
Dabei ist zu beachten, daß die Währung "Euro" um so schwächer wird, je mehr die Konvergenzkriterien aufgeweicht bzw. sogar "wegfallen" werden, und deshalb mehr weiche Währungen hinzukommen. Aus anderer Sicht ist aber eine Währungsunion nur sinnvoll, wenn sie auch einen entsprechenden Nutzen bringt, der natürlich um so größer wäre, je mehr Staaten an der Währungsunion teilnehmen. Ob eine politische Währungsunion allerdings diesen Nutzen bringen wird ist fraglich, da die Auswirkungen auf den Euro als negativ zu beurteilen wären.
"Welche Länder nun dabei sein werden oder nicht, hängt davon ab, wie streng man die Konvergenzkriterien anwenden wird. Ob man bei der wirtschaftlichen Vernunft bleiben oder sich einem politischen Muß beugen wird. Sollte es zu diesem Beugen kommen, ist mit allen negativen Begleiterscheinungen für die Stabilität der Euro-Währung zu rechnen."[31]
Italien hat dabei, und das ist u.E. keinesfall als "italien-feindlich" zu bezeichnen, die geringsten Chancen, in die Währungsunion zu kommen, was auf die hohe Verschuldung im Vergleich zum BIP zurückzuführen ist. Außerdem wäre der erste Schritt eine Rückführung der Lira in das EWS, was allerdings die Marktteilnehmer wieder zu Spekulationen reizen würde, wie es schon einmal geschehen ist. Die Zeche zahlt dann wieder die Italienische Notenbank. Einzige Möglichkeit ist das Vertrauen der Marktteilnehmer zu gewinnen. "Die Regierung muß die Märkte durch vertrauensbildende Maßnahmen davon überzeugen, daß die Lira höher bewertet werden sollte."[32]
Zusammenfassend gesehen, ist Italien auf dem Weg seinen Haushalt zu konsolidieren, jedoch wird dies sicher nicht genügen die Konvergenzkriterien zu erfüllen. "Aber eine "Außenseiterchance" aufgrund politischer Erwägungen sollte man Italien einräumen."[33]
Oft genannt und im Maastrichter Vertrag festgelegt, muß man sie dennoch immer wieder aufführen. Nach Meinung des britischen EU-Kommissars Leon Brittan haben sie in den letzten Jahren ihre heilsame Wirkung bereits bewiesen, selbst wenn es zu keiner Währungsunion käme.[34]
Inflation: Die durchschnittliche Inflationsrate während des letzten Jahres vor der Prüfung darf nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der höchstens drei preisstabilsten Länder der EU liegen.
Zinsen: Die durchschnittlichen langfristigen Zinsen während des letzten Jahres vor der Prüfung dürfen nicht mehr als 2 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der höchstens drei preisstabilsten Länder der EU liegen.
Budgetdefizit: Das geplante oder tatsächliche staatliche Budgetdefizit auf allen Staatsebenen, ohne Erträge aus Privatisierungen von Staatsbetrieben, aber inklusive Arbeitslosen- und Pensionskassen, darf nicht mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen.
Staatsschulden: Die Staatsschulden dürfen nicht mehr als 60% des BIP betragen.
Wechselkurse: Einhalten der normalen Bandbreite im EWS ohne größere Probleme während mindestens zwei Jahren vor Beginn der Währungsunion. Insbesondere ist eine Abwertung aus eigener Initiative in dieser Zeitspanne untersagt.
Bei Beginn der dritten Stufe der Währungsreform ist bei allen beteiligten Staaten die Unabhängigkeit ihrer Zentralbank von der Regierung vorausgesetzt.
Die erste Stufe der Währungsreform hat mit Inkrafttreten des Maastrichter Vertrags begonnen, die zweite wurde mit der Einrichtung des Europäischen Währungsinstitutes in Frankfurt erreicht. In ihr befindet sich gegenwärtig die EU. Die dritte Stufe wird mit der Auswahl der Teilnahmeberechtigten vorbereitet und mit der Fixierung des dauerhaften Verhältnisses ihrer Währungen zu der einheitlichen Währung erklommen. Auf ihr geht es dann, ab dem 1.1.99 um die technische Umstellung der gemeinsamen, aber in unterschiedlichen Geldzeichen ausgedrückten Währung auf ein einheitliches Geldzeichen.[35]
Obwohl es nur mehr zwei Jahre sind, bis die dritte Stufe der EWährungsunion eingeleitet werden soll, gehen die Meinungen von Politikern und Experten über die Risiken und Vorteile der Europäischen Währungsunion weit auseinander.
Zwei gegensätzliche Meinungen werden deshalb im folgenden dargestellt:
Positive Stimmen zu den Konvergenzkriterien
Kritische Stimmen zu den Konvergenzkriterien
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Klaus Haensch (SPD) , geht davon aus, daß die Währungsunion 1999 wie geplant in Kraft treten kann. Auch die Europäische Kommission in Brüssel ist überzeugt, daß die Bürger sich dem Euro anschließen werden.
EU-Kommissionspräsident Jacques Santer betonte hierzu vom 22.-24.1.1996 in Brüssel die Wichtigkeit der Einführung einer einheitlichen Währung ab dem 1.1.1999. Ziel der Einführung einer einheitlichen Währung sei die Rückeroberung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit sowie die Verbesserung des Wirtschaftssystems, wodurch neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die einheitliche Währung sei ein "Peitschenhieb für unser Integrationsvorhaben", meinte Jacques Santer . Die Bürger müßten davon überzeugt werden, daß der "Euro gut für die Beschäftigung" sei, forderte Santer . "Alle betroffenen Akteure" sollten ihre Energie gebündelt in einen "Vertrauenspakt" einbringen.
Auch der Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer betonte, daß die politische Entscheidung für die Währungsunion mit dem Vertrag von Maastricht und seiner Ratifizierung gefallen sei. Jetzt komme es darauf an, eine stabile und dauerhafte ökonomische und politische Grundlage für dieses Vorhaben zu schaffen. Ansonsten würde die Währungsunion zu einer schweren politischen Hypothek für die weitere europäische Integration werden. Eine Lockerung der Konvergenzkriterien würde nach Tietmeyer zu einem Vertrauensverlust auf den Finanzmärkten führen, der nur schwer wieder wettzumachen wäre.[36]
Günter Rexrodt (FDP) fordert auf, "weder die Konvergenzkriterien zu verändern, noch am Termin der dritten Stufe der Währungsunion zu rütteln. Sonst bestehe die Gefahr, daß zu viele Teilnehmer versuchen würden, die Kriterien zu ihren Gunsten aufzuweichen." Danach würde seiner Ansicht nach der ganze Binnenmarkt in Gefahr geraten.[37]
Als "nicht zielführend" bezeichnete Österreichs Finanzminister Viktor Klima Diskussionen über Veränderungen der Maastricht-Kriterien oder eine Verschiebung des für Anfang 1999 vorgesehenen Starts der 3. Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Er warnte davor, damit "Verunsicherung in die Kapitalmärkte hineinzutragen". Nach den kurzfristigen Anstrengungen im Budgetkonsolidierungspaket müßten nun strukturelle Reformen vorangetrieben werden, z. B. zur Finanzierung der Sozialsysteme sowie Verwaltungsreformen. [38]
Die Schweiz werde der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zwar nicht beitreten, sei aber als Land mit eigener harter Währung an einem starken Euro "überaus interessiert", erklärte der Schweizer Finanzminister Kaspar Villiger. Zweifel an den Maastricht-Kriterien für die europäische Währungsunion könnten nämlich, so Villiger, "durchaus in eine Bewegung in den Schweizer Franken führen", was sowohl die Schweizer Volkswirtschaft als auch die Nationalbank vor Probleme stellen würde.[39]
Am 2.4.1996 stellte der Präsident des Europäischen Währungsinstituts Alexandre Lamfalussy in Frankfurt den zweiten Jahresbericht vor. Aus dem Bericht geht hervor, daß nach Einschätzung des EWI der Termin des 1.1.1999 für den Beginn der dritten Phase der Währungsunion und die Einführung der einheitlichen Währung eingehalten werden könne. Voraussetzung sei "eine angemessene Wirtschaftspolitik bei strikter Anwendung der Konvergenzkriterien und eine zufriedenstellende Wirtschaftsentwicklung in der Gemeinschaft". Ein allgemeiner Rückgang der Konjunktur sei nicht zu befürchten, es werde im Gegenteil 1996 mit einem Wachstumsaufschwung gerechnet. Lamfalussy betonte, daß nach wie vor die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten den größten Anlaß zur Sorge gebe. Die staatlichen Finanzen bildeten den Schwachpunkt des Konvergenzprozesses. Die Schuldenquote in der EU sei weiter gestiegen und habe 1995 bei über 70 % des Bruttoinlandsproduktes gelegen. Eine unverzügliche Verstärkung der Politik der Haushaltskonsolidierung sei deshalb unumgänglich.[40]
Auch EU-Kommissar Yves-Thibault de Silguy erklärte am 13.2.1996 in Frankreich, daß an dem Termin 1.1.1999 festzuhalten sei. Eine Verschiebung würde das politische Gleichgewicht erschüttern. Neuverhandlungen müßten geführt werden. Negative Auswirkungen auf die Konvergenzkriterien, die kollektive und individuelle Glaubwürdigkeit der Mitgliedstaaten seien die Folge. Eine Verschiebung liefe somit auf ein Scheitern hinaus. Die Einführung der einheitlichen Währung sei aber erforderlich, um Währungsturbulenzen mit ihrer negativen Auswirkung auf Wirtschaftswachstum und Wettbewerb zu verhindern. Weiter betonte de Silguy erneut die Notwendigkeit der Zurückführung der öffentlichen Defizite. Die vertraglich festgelegten Konvergenzziele seien realisierbar. Parallel zur Senkung der öffentlichen Defizite sei eine angemessene Strukturpolitik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unumgänglich. Um die Politische Union neben der Währungsunion voranzubringen, müsse der politische Wille zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik innerhalb der EU vorhanden sein. Weiter sprach sich de Silguy für eine Stärkung des Finanzministerrates aus. Er müsse "zu einer echten Entscheidungsinstanz werden und ggfs. Zwangsmaßnahmen treffen". Auf Vorschlag der Kommission müsse der Rat entscheiden können, ob Defizite Sanktionen erforderten.[41]
OECD-Generalsekretär Jean-Paul Paye ist der Ansicht, daß mit Einführung der Währungsunion u.a. die Kosten des grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehrs verringert werden. Absicherungen gegen Wechselkursschwankungen werden überflüssig. Da Transaktionen nicht mehr in verschiedenen Währungen durchgeführt werden müßten, sänken Rechnungslegungskosten und schrumpften die Spannen bei kleineren Überweisungen. Preis- und Kostenvergleiche würden vereinfacht und somit würde die Entstehung eines wirklichen Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen gefördert. Allerdings gebe es in der Übergangsphase zur Währungsunion noch viele Probleme zu lösen. Der Abbau der konjunkturellen Arbeitslosigkeit erfordere niedrige Zinsen und ein "sehr günstiges Geschäfts- und Konsumklima". Dabei werde der deutschen geldpolitischen Ausrichtung eine Schlüsselrolle für die Zinsentwicklung im EWS-Verbund zufallen.[42]
Bundesbankdirektor Issing sieht große Risiken für das Inkrafttreten im Jahr 1999 voraus. Er kritisierte: "Die Währungsunion als Schrittmacher der Politischen Union einsetzen zu wollen, heißt das Pferd vom Schwanze aufzuzäumen". Sparkassenpräsident Horst Köhler plädiert für eine Verschiebung, wenn die Stabilitätskriterien nicht von genügend Ländern erfüllt sind. Die Währungsunion dürfe nur kommen, wenn die Euro-Währung so stabil ist wie die DM. Qualität müsse Vorrang vor Terminen haben. Ahnlich sieht es der Chefvolkswirt der Dresdner Bank, nach dessen Meinung angesichts der Entwicklung des vergangenen Jahres die Einführung der gemeinsamen Währung mehr gefährdet sei als noch vor einem Jahr. Der Münchner Finanzexperte Gottfried Heller meint, daß die Konvergenzkriterien nur zu erfüllen seien, wenn in allen EU-Staaten drastische Einschnitte in das soziale Netz gemacht würden. Abgesehen davon, daß Heller dies politisch nicht für durchsetzbar hält, würde eine starke Reduzierung der Ausgaben eine verhängnisvolle Spirale in Gang setzen: schwächeres Wachstum, steigende Arbeitslosigkeit, zunehmende soziale Spannungen, geringere Steuereinnahmen, größeres Haushaltsdefizit, erneute Steueranhebungen, weitere Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland, weitere Abschwächung der Konjunktur etc..[43]
Durchaus kritisch sieht die Professorin für Außenwirtschaft an der Universität Stuttgart-Hohenheim, Renate Ohr , die Einführung einer gemeinsamen Währung. Allein für die technische Umstellung im Bankensektor, d.h. für die Anpassung aller Buchungs-, Abrechnungs- und Zahlungsverkehrssysteme liegen laut Renate Ohr bereits Kostenschätzungen in Höhe von ca. 10 Mrd. ECU vor. Anpassungskosten entstehen jedoch auch in allen übrigen Wirtschaftsbereichen. Jede Buchhaltung muß auf die neue Währungseinheit umgestellt werden. Ferner müssen alle Formulare, gesetzlichen Bestimmungen, die geldliche Vorgaben beinhalten, sowie Geldautomaten, Registrierkassen, öffentliche Fernsprecher, Fahrkartenautomaten, Zigarettenautomaten, Süßigkeitenautomaten, Kaffeeautomaten und ähnliches auf Euro umgestellt werden. Die Professorin rechnet mit einem Preisschub im Zuge der Währungsumstellung von mindestens 2-3 %. Diese Ausgaben würden keinen produktiven Zwecken dienen, sondern würden unproduktiv verbraucht und voraussichtlich auf den Endverbraucher abgewälzt.[44]
Selbst eifrige Anhänger einer europäischen Einheitswährung wie z.B .der einstige Premier Valery Giscard d`Estaing, meldeten Zweifel an. D' Estaing spricht sich für eine Aufweichung der Kriterien- zumindest was das Haushaltsdefizit angeht- aus. So sollten statt der vorgeschriebenen 3 Prozent des Bruttosozialprodukts, das Haushaltsdefizit auch mal 3,5 Prozent betragen dürfen.[45] Nach d' Estaing ist die Auslegung der Kriterien Ermessenssache des Europäischen Rates, der dabei die Konjunktur in Rechnung stellen kann. Es gehe somit also nicht um eine Minderung, sondern um eine flexible, rechtmäßige Interpretation der Kriterien.
Auch in Deutschland wächst die Zahl der Währungs-Verweigerer, die das Tempo in Richtung Maastricht drosseln wollen. Wissenschaftler, wie der Vizepräsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Ullrich Heilemann, empfehlen, einen neuen "geeigneten Zeitpunkt zu suchen, zu dem die Maastricht-Ziele ohne großen Schaden zu erreichen" seien. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, rät, die Zugangskriterien für die Währungsunion nicht juristisch penibel, sondern "ökonomisch vernünftig zu interpretieren".[47]
In allen europäischen Ländern werden derzeit die Wachstumserwartungen kräftig reduziert. Das hat Folgen für die Etats. Die Steuereinnahmen bleiben weit unter den Plansätzen, die krisenbedingten Ausgaben schießen darüber hinaus. Einsparungen, die also nötig wären um für Maastricht fit zu sein, bewirken jedoch eine weitere gesamtwirtschaftliche Abschwächung, sagen Heilemann und seine Kollegen voraus: "Weil es alle Nachbarn gleichzeitig versuchen müßten, klappt es am Ende bei keinem." Das einzig sichere Ergebnis wären somit weitere Hunderttausende von Arbeitslosen.
Die Europäer, allen voran die Deutschen sitzen in der Maastricht-Falle:
Wollen sie die verabredeten Bedingungen zum Eintritt in die Währungsunion rechtzeitig erfüllen, müssen sie die Staatsausgaben so massiv kappen, daß es mit der Wirtschaft noch schneller abwärts geht und aus der "Wachstumspause" eine Rezession wird - mit noch mehr Arbeitslosen;
geben sie den Maastrichtplan auf, werden Anleger und Spekulanten Milliarden von Franc, Lire und Peseten in die vermeintlich stabile DM wechseln, deren Kurs noch höher treiben und den deutschen Export damit drastisch verteuern - auch das würde viele Jobs kosten.[48]
Der spanischen Außenminister Carlos Westendorp soll nach Meldung der Agentur EFE anläßlich eines Arbeitsessens mit Journalisten am 24.1.1995 erklärt haben, daß er vom Zustandekommen der Europäischen Währungsunion absolut überzeugt sei, da der Preis der Nichtverwirklichung höher sei als der ihrer Verwirklichung. Allerdings könne er sich die Währungsunion nicht ohne Frankreich und Deutschland vorstellen. Auch müßte zumindest einer der drei anderen "großen" Staaten der EU (Großbritannien, Italien und Spanien) teilnehmen. Für den Fall, daß nicht genügend Staaten für die Einführung der Währungsunion am 1.1.1999 bereit seien, solle man die Möglichkeit nicht ausschließen, "die Uhren anzuhalten".
Wenn zum 01.01.1999 nur wenige Länder die Konvergenzkriterien erfüllen, sollte nach Ansicht des Wirtschafts-Sachverständigenrates der "Fünf Weisen" die geplante Europäische Währungsunion verschoben werden. Die Konvergenzkriterien "strikt und eng" zu erfüllen, müsse Vorrang vor Terminzwängen haben, schreibt der Rat in seinem Jahresgutachten, das er am 14. November 1995 in Bonn vorlegte. Der Rat hält 1999 nur eine "kleine Teilwährungsunion" für möglich, deren Kosten und Risiken die Vorteile jedoch übersteigen würden. Auch könne eine kleine Währungsunion die Europäische Einigung gefährden.[49]
Die knappen Zeitvorgaben erzwingen entweder eine Aufweichung der Konvergenzvorgaben oder aber eine Spaltung Europas, warnt Frau Ohr , da bis 1999 nur wenige Länder - und auch diese zumeist nur annähernd - die Maastricht-Kriterien erfüllen können. Entsteht jedoch nur eine kleine Währungsunion, reduzieren sich die ökonomischen Vorteile auf ein Minimum, während die Wechselkursinstabilitäten gegenüber den "disqualifizierten" Ländern zunehmen werden, fürchtet Renate Ohr.[50]
Wie bereits in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag mahnte Stoiber in der Klausurtagung der CSU-Landesgruppe in Kreuth am 10.1.1996 vor einer zu kleinen Währungsunion. Es reiche nicht aus, wenn nur Deutschland, Frankreich und die Beneluxstaaten mit der Euro-Währung starten würden, erklärte Stoiber . Für Länder, die noch nicht an der Währungsunion teilnehmen können, - etwa Italien und Spanien - fordert Stoiber , daß diese "in irgendeinem Verbund mit dabei sein müssen". Es müsse also eine Regelung zwischen den Staaten, die an der Währungsunion teilnehmen, und denen, die noch nicht an ihr teilnehmen, gefunden werden.[51]
In einem Brief an den amtierenden Vorsitzenden des Rates für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN), Lamberto Dini, sowie an die Finanzminister der anderen Mitgliedstaaten erläutert der britische Schatzkanzler Kenneth Clarke die britischen Überlegungen zur Währungsunion. Ausgangspunkt sei die Tatsache, daß es innerhalb der EU nach Einführung der einheitlichen Währung zwei Gruppen geben werde, die der teilnehmenden Staaten und die Gruppe der nichtteilnehmenden. Dies stelle die "geteilte Union, die stets eine Union gleichberechtigter Partner bleiben muß", vor enorme Herausforderungen. Es müsse gewährleistet werden, daß die Einführung des Euro und die Wechselkursbewegungen zwischen dem Euro und den Währungen der nicht teilnehmenden Staaten nicht zu Funktionsbeeinträchtigungen des Binnenmarktes führen.
Ein Wechselkursmechanismus nach dem Muster des EWS sei zu starr und könne Zeiten größerer Spannungen und Turbulenzen auf den Märkten nicht verkraften. Es müsse daher nach alternativen Politiken und Maßnahmen gesucht werden. Wichtig sei es, daß der Unionshaushalt weiterhin unter strenger Kontrolle stehe. Jeder Druck zu neuen Haushaltstransfers zugunsten teilnehmender Staaten, die Probleme mit den Anforderungen einer einheitlichen Währungspolitik haben, oder zugunsten nichtteilnehmender Staaten, die auf diese Weise ihre Konvergenz verbessern wollen, lehnt Clarke ab. Andernfalls wäre es unmöglich, die Haushaltsdisziplin aufrechtzuerhalten, die "wir auf der Ebene des Unionshaushaltes alle für nötig halten". Weiter schreibt Clarke, daß es den Ländern, die nicht in der ersten Gruppe vertreten sind, nicht schwieriger gemacht werden dürfe, dieser beizutreten. Entscheidend sei, daß die Fortschritte in Richtung Konvergenz fortgesetzt werden, auch nachdem die Eurozone gebildet worden ist. Auf jeden Fall müssen Lösungen gefunden werden, die verhinderten, daß eine politische und wirtschaftliche Kluft zwischen den teilnehmenden und nichtteilnehmenden Ländern entsteht.[52]
Für die Wechselskursbeziehungen zwischen den Ländern der europäischen Währungsunion und den Staaten, die nicht von Anfang dabei sein können, sind für Tietmeyer drei Aspekte von besonderer Bedeutung. Es dürfe nicht ein System geschaffen werden, bei dem die nominalen Wechselkurse auch bei deutlichen Divergenzen aufrechterhalten blieben. Deshalb bedürfe es eines geeigneten Entscheidungsverfahrens, um Wechselkurse rechtzeitig anzupassen. Die zentrale Frage sei, welches Entscheidungsverfahren dies sicherstellen könne und eine Regelbindung dafür hilfreich sei. Zweitens dürfe ein solches System nicht von Interventionsverpflichtungen der europäischen Notenbank abhängen, weil dadurch die Stabilitätspolitik innerhalb der Währungsunion gefährdet würde. Und drittens müsse angesichts der unterschiedlichen wirtschaftlichen Verfassung der Nichtteilnehmer über unterschiedliche Wechselkurssysteme, zumindest aber über differenzierte Regeln innerhalb eines gemeinsamen Systems nachgedacht werden.[53]
Auch Lamfalussy fordert eine Bindung der Nichtteilnehmerstaaten an den Euro um eine Minimierung der Wechselkursschwankungen zwischen den "Ins" und den "Outs" zu erreichen. Hierbei dürfe die EZB nicht zur Intervention verpflichtet werden. Diese Thema stand auch im Mittelpunkt eines Gespräches zwischen Lamfalussy und Bundesaußenminister Klaus Kinkel über die Umsetzung der Wirtschafts- und Währungsunion am 29.11.1995. Kinkel und EWI-Präsident Lamfalussy waren sich einig, daß hierfür in den nächsten Monaten ein Modus gefunden werden müsse, sowohl was die Länder betrifft, die die Konvergenz zwar erfüllen, aber noch nicht teilnehmen wollen und den Ländern, die die Konvergenzkriterien noch nicht erfüllen.[54]
OECD-Generalsekretär Jean-Paul Paye befürwortet die Beteiligungen von vielen Mitgliedstaaten an der Währungsunion. Auch seiner Meinung nach müßten zwischen den "Ins" und "Outs" Wechselkursvereinbarungen getroffen werden, um Kursschwankungen zu dämpfen und das einwandfreie Funktionieren des europäischen Einheitsmarktes nicht zu gefährden.[55]
Mit einer Doppelstrategie aus Stabilitätspolitik und straffen Wechselkurskontrollen will die EU eine Spaltung durch die Einheitswährung verhindern. Die Beziehungen zwischen den "Ins" - den Ländern, die sich im ersten Anlauf für den Geldverbund qualifizieren - und den "Outs", die die Maastrichter Kriterien nicht erfüllen oder zunächst nicht mitmachen wollen, sollen im Rahmen eines neuen europäischen Wechselkurssystems "EWS II" geregelt werden. Dieses künftige Wechselkurssystem soll flexibler ausgestaltet sein als das bisherige. Der Euro wird in ihm die Rolle einer Ankerwährung übernehmen. Darauf verständigten sich am 13./14.4.1996 auf einem Treffen in Verona die Mehrheit der Finanzminister und Notenbankchefs der EU-Mitgliedstaaten. Der neue Wechselkursverbund soll 1999 wirksam werden und größere durch die wirtschaftlichen Grundlagen nicht gerechtfertigte Kursausschläge zwischen dem Euro und den "noch" selbständigen nationalen Währungen verhindern.[56]
Das EWS II wird sich nach Bundesfinanzminister Theo Waigel von seinem Vorgänger erheblich unterscheiden. Vor allem soll die Währungsunion nicht für finanzpolitische Disziplinlosigkeiten der Nichtmitglieder geradestehen. Die Nachzügler sollen gehindert werden, sich durch übermäßige Abwertungen Exportvorteile zu Lasten der Euro-Länder zu verschaffen. Waigel unterstützte die Forderungen Frankreichs, eine solche Strategie mit Kürzungen der Zuwendungen aus der Brüsseler Kasse zu bestrafen. Das Europäische Währungsinstitut, Vorläufer der Europäischen Zentralbank (EZB), wollte bis zum EU-Gipfel im Juni 1996 in Florenz detaillierte Vorschläge zum EWS II ausarbeiten. Die endgültige Entscheidung über die Spielregeln zwischen der "Euro-Vorhut" und den übrigen Staaten soll im Frühjahr 1998 fallen, wenn die EZB in Frankfurt die Arbeit aufgenommen hat.[57]
Die Frage, die sich stellt, ist wie die Nachzügler daran hindern will, sich durch übermäßige Abwertung Exportvorteile zu lasten der Euro-Länder zu verschaffen. Eine Möglichkeit wäre diese Abwertungen durch massive Stützungskäufe zu verhindern. Dies jedoch nicht gewollt und somit keine Lösung. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Handelshemmnisse zu erlassen, was jedoch das Ende des Binnenmarkts bedeuten würde, was niemand möchte. Eine dritte Möglichkeit wäre Druck auf die Länder auszuüben, damit sie selber intervenieren. Diese Möglichkeit enthält allerdings einen konzeptionellen Mangel. Könnten diese Länder selber bei zu starken Wechselkursschwankungen intervenieren, wären sie wahrscheinlich bei der Währungsunion von Anfang an dabei.
Eine andere Frage ist, wie die geforderten unterschiedlichen Bandbreiten festgelegt bzw. bestimmt werden sollen.
Über die Regeln, nach denen das künftige Währungssystem arbeiten soll, gehen die Meinungen noch weit auseinander. Grundsätzlich wollen jedoch alle Regierungen aus den Fehlern lernen, die bei der Schaffung des ersten EWS gemacht wurden. So wird daran gedacht, die Pflicht der Notenbanken zur Währungsstützung auf Fälle zu beschränken, in denen die wirtschaftlichen Grunddaten im hilfsbedürftigen Land stimmen, und je nach dem Grad der Konvergenzfortschritte unterschiedliche Bandbreiten für Währungsschwankungen festzulegen.[58]
Dabei gibt es zwei Möglichkeiten. Zum einen könnten diese Bandbreiten für jedes Land politisch festgelegt werden. Oder man könnte sie nach einem bestimmten mathematischen Verfahren, das noch genauer zu bestimmen ist, berechnen. Die Bandbreiten könnten hier eine Funktion der Veränderung bzw. Trends der Handelsbilanz und der Inflation sein.
Zu diskutieren ist, ob die Bandbreiten bewußt immer etwas enger als eigentlich notwendig gehalten werden sollten, um eine zusätzliche "anspornende" und disziplinierende Wirkung zu erreichen. Weiterhin sollten die Bandbreiten zum Euro stufenweise verkleinert werden, um die "Outs" an die Teilnahme an der Währungsunion heranzuführen. Die Verengung der Bandbreiten sollte aber nicht automatisch geschehen, sondern mit den einzelnen Ländern jeweils abgestimmt werden.
Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer fand für einen Vorschlag Interesse, dem Präsidenten der künftigen Europäischen Zentralbank eine Art "Auslöserrolle" für Auf- und Abwertungen innerhalb des EWS zu verleihen. Entscheiden muß nach Meinung Tietmeyers letztlich die jeweilige Regierung über eine Währungsanpassung. Doch könnte der Zentralbankspräsident nach seiner Meinung den Anstoß für rechtzeitige Paritätsänderungen geben.[59]
Konzeptionelle Mängel
"Das theoretische Fundament der Maastrichter Konvergenzkriterien ist eher bescheiden. Weder die stark auf monetäre und fiskalische Sachverhalte ausgerichtete Auswahl der Kriterien, noch die Präzisierung der Grenzwerte und Bandbreiten lassen sich ökonomisch stichhaltig begründen."[60] Nach der Ansicht der Autoren Christian Schmidt und Thomas Straubhaar läßt der o.g. Sachverhalt darauf zurückführen, daß der EG-Vertrag in weiten Teilen einen Kompromiß darstellt. Auch das Europäische Währungsinstitut (EWI) beschreibt statistische Probleme bei der Feststellung und welcher inhaltlicher Präzisierungsbedarf bei der Beurteilung der Kriterien noch vorhanden ist. So bemängelt das EWI, daß unter einem "hohen Grad" der Preisstabilität eine Inflationsrate zu verstehen sei, "die nicht mehr als 1,5% über der Inflationsrate jener - höchsten drei - Mitgliedsstaaten liegt, die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben". Unklar bleibt aber, ob höchsten drei auch die besten zwei oder den besten alleine meinen kann. Weiter bemängelt das EWI, daß bezogen auf das Kriterium öffentliche Finanzen einzelne Interessengruppen einen gewaltigen Intepretationsspielraum finden, weil bei den Ausnahmebestimmungen nicht gesagt wird, wie groß der Trend zu Einhaltung des Defizit sein muß. Auch wird nichts über die zulässige Häufigkeit von ausnahmsweiser und vorübergehender Überschreiten des Referenzwerts gesagt.
Kritik an den Konvergenzkriterien
Die im Maastrichter Vertrag festgelegten harten Konvergenzkriterien führen zu einer Vielzahl von Entwicklungen, die der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der sozialen Lage in der Europäischen Gemeinschaft Schaden zufügen können. So haben die Konvergenzkriterien eine verschärfende Wirkung auf die momentane Stagnation. In den letzten Jahren haben die durchschnittlichen europäischen Wachstumsraten der Bruttoinlandsprodukte nur zwischen einem und zwei Prozent betragen. Besonders dramatisch schlägt sich die Wachstumsschwäche auf den Arbeitsmarkt nieder. Wurde zwischen 1986 und 1990 noch ein hoher Zuwachs der Beschäftigung erreicht, verringerte sich die Zahl der Erwerbstätigen 1992 um 0,7% und 1993 um 0,75%. Die Ursachen für die augenblickliche Krise ist zum einem in der Wachstumsverlangsammung in den Industrieländern seit 1990 und zum anderen in der durch die Konvergenzkriterien bedingten restriktiven Wirtschaftspolitik zu sehen.[62]
"Ein wichtiger Grund für die fortgesetzte Konjunkturschwäche in Europa ist, daß in fast allen Ländern die Geldpolitik verengt worden ist. Bedeutsam hierfür waren die in dem Vertrag von Maastricht festgelegten Bedingungen für die Teilnahme an der europäischen Währungsunion. () Diese Kriterien können von vielen Ländern nur erreicht werden, wenn sie sich nachhaltige Anderung ihrer Wirtschaftspolitik bemühen"[63] schreibt das Institut für Weltwirtschaft in seiner Konjunkturprognose von Dezember 1992. Restriktiv ist aber nicht nur die Geldpolitik. Von der Finanzpolitik gehen auch keine expansiven Impulse aus. Grund dafür ist oft die starke Orientierung der Mitgliedsländer an der Einhaltung der Konvergenzkriterien, die so eine flexible, den jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnissen angepaßte Politik verhindert. Es besteht also Gefahr, daß die weitere ökonomische Entwicklung in der EU durch die Konvergenzkriterien stark belastet wird.
Die Strategien der einzelnen Mitgliedsländer sind im wesentlichen von folgenden Momenten geprägt:
Erhöhung der (indirekten) Steuern und der Beiträge für die Sozialversicherungssysteme bei gleichzeitigem
Abbau staatlicher, insbesondere sozialer Leistungen,
Stagnation oder Abbau der Realeinkommen der abhängig Beschäftigten,
Reduktion der realen Lohnstückkosten, d.h. Umverteilung des Einkommens zugunsten der Kapitaleigentümer und
steigende Arbeitslosenquoten.[64]
Die Konvergenzpolitik bringt folglich in den vor uns liegenden Jahren ein Verschlechterung der sozialen Lage der abhängig Beschäftigten mit sich.
Der Maastrichter Vertrag hat vor allem bei den Staatsfinanzen Kriterien geschaffen, die trotz aller Sanierungsgesinnung für viele Staaten unerreichbar bleiben: Wer an der Währungsunion teilnehmen will, dessen jährliche Neuverschuldung darf maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Und die gesamten, über die Jahre angehäuften Staatsschulden dürfen 60 Prozent desselben nicht überschreiten. Norbert Walter, Chefökonom der Deutschen Bank, hält vor allem das zweite Kriterium für unrealistisch: "Wer glaubt, daß ein Staat mit einem Verschuldensgrad von 137 Prozent wie Belgien innerhalb von zwei oder auch fünf Jahren auf 60 Prozent kommt, macht sich etwas vor. Das ist Quatsch erster Ordnung."[65]
Weil aber auch eine Währungsunion ohne Belgien (und damit ohne die EU-Hauptstadt Brüssel) oder ohne Frankreich keine Chancen auf Realisierung hat, tobt über die Sinnhaftigkeit der Verschuldungsobergrenzen zwischen Ökonomen und Politikern ein heftiger Streit. Roland Döhrn, Europaexperte des deutschen Wirtschaftsinstitutes RWI in Essen: "Da hat in Maastricht irgend jemand in den Himmel geschaut, und dabei sind ihm die Zahlen 3 und 60 eingefallen." Eine direkte ökonomische Begründung für die Maastrichter Definition der "gesunden Staatsfinanzen" gebe es nicht. Die Außerung eines hochrangigen Delegationsmitglieds am Rande der Madrider Konferenz bestätigt diese Behauptung indirekt: "Irgendwo mußten wir in Maastricht ja die Grenzen ziehen."[66]
Weil die starke Ausrichtung der Konvergenzkriterien auf monetäre und fiskalische Ziele die gesamtwirtschaftliche Entwicklung negativ beeinflussen kann und nicht unbedingt, den "wahren Stand der Konvergenz" abbildet, gibt es verschiedene Ansätze alternative Konvergenzkriterien zu formulieren.
Der britische Ansatz war der Versuch, die ohnehin schon in Art 109j (1) EGV aufgestellten nichtmonetären Kriterien (Integration der Märkte, Stand der Entwicklung der Leistungsbilanzen usw.) als realwirtschaftliche Konvergenzkriterien zu konkretisieren.
Ein anderer Ansatz war der von der britischen Niederlassung der US-Investmentbank Goldman Sachs[67] publizierte. Nach diesem Vorschlag müssen neben den monetären und fiskalischen auch vier reale Bedingungen erfüllt sein, um an der Währungsunion teilzunehmen.
Diese realen Bedingungen sind:
Wirtschaftswachstum: Darf nicht mehr als 1,5% um langfristige Wachstumsrate[68] (desselben Landes) schwanken.
Die Arbeitslosenrate eines Landes darf nicht mehr als 2% über dem EU-Durchschnitt liegen.
Das Leistungsbilanzdefizit darf zwei Prozent des BIP nicht übersteigen.
Die Wettbewerbsfähigkeit des Kandidaten gegenüber Deutschland darf sich seit Februar 1987 nicht um mehr als zehn Prozent verschlechtert haben.
Ein weiterer alternativer Ansatz ist der der "Theorie des optimalen Währungsraumes".[69] Diese Theorie vergleicht die ökonomischen Kosten eines flexiblen Wechselkurssystems mit denjenigen eines fixen Wechselkurssystems. Wesentlicher Kostenfaktor eines fixen Wechselkurssystems ist hierbei die nicht mehr vorhandene Wechselkursanpassung an Schocks. Die Höhe der damit verbundenen Kosten hängt von der Verfügbarkeit alternativer Anpassungsmechanismen ab.
Diese Anpassungsmechanismen sind:
Mobilität der Produktionsfaktoren
Flexible Lohn- und Preisbildung
Fiskalische Integration
Hoher Offenheitsgrad einer Volkswirtschaft
Diversifikation der Produktionsstrukturen
Ahnlichkeit der Produktionsstrukturen
Ahnlichkeit der Inflationsraten
geringe Wechselkursschwankungen
Politische Faktoren
Die Frage nach der Zukunft der Währungsunion besteht im wesentlichen aus drei Teilen. Der eine ist, wann der Starttermin sein wird. Vom Starttermin hängt natürlich auch ab, wieviel Zeit den einzelnen Kandidaten noch bleibt, die Konvergenzkriterien zu erfüllen. Der zweite Teil fragt nach den Möglichkeiten, auch nach dem Start der Währungsunion Stabilität zu gewährleisten. Der letzte Teil stellt die Frage, wie eine Währungsunion die Konvergenz bzw. Divergenz der Regionen in Europa verändern wird. Im Blickpunkt steht hier vor allem, ob und wie sich das Invenstitionsverhalten nach der Währungsunion ändern wird.
In den letzten Monaten ist eine heftige Debatte über den Starttermin für die europäische Währungsunion geführt worden. Dabei wird in öffentlichen Debatte der 01.01.1999 als "vertraglich vereinbartet Starttermin" angesehen, obwohl Art. 109j(4) EGV diesen Termin nur dann als Starttermin vorsieht, wenn bis Ende 1997 der Rat keinen anderen - auch wesentlich später liegenden - Starttermin vereinbart hat.
Im Mittelpunkt stehen im zwei Positionen:
1. Der Starttermin 01.01.1999 soll auf keinen Fall verschoben werden
Wolfgang Gerhardt (FDP-Vorsitzender) begründet die o.g. Position mit den Argumenten, daß den Termin in Zweifel zu ziehen, dazu führen könnte, daß die Bemühungen nachlassen könnten, die Voraussetzungen für die dritte Stufe zu erfüllen.[70] Das wird auch vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München gefordert. Seiner Ansicht nach ist einer Teilwährungsunion einer Verschiebung vorzuziehen, weil "eine Verschiebung das Bemühen um die Erfüllung der Konvergenzkriterien erlahmen lassen und auch unerwünschte Reaktionen der Finanzmärkte zur Folge haben könnte."
Bundespräsident Roman Herzog sagt, daß der gemeinsame Binnenmarkt die Währungsunion als Ergänzung brauche.[72] Diese These vertritt auch die Kommission: "Heute macht der Handel zwischen den Mitgliedsstaaten 60% des gesamten Außenhandels der Union aus. Die Verwirklichung des gemeinsamen Marktes und die Liberalisierung des Kapitalverkehrs bedürfen einer logischen und wesentlichen Ergänzung: der einheitlichen Währung."
Gegen eine Verschiebung hat sich auch das Bundesbank-Direktoriumsmitglied Peter Schmidhuber ausgesprochen. Er vertritt die Ansicht, daß die EU nur unter Zeitdruck im fähig sei, etwas zustande zu bringen. Wenn der Start-Zeitpunkt verschoben würde, wird die Unsicherheit nur viel größer. Der Starttermin 01.01.1999 sei möglich. Das Entscheidende ist der politische Wille. Eine ähnliche Ansicht vertritt auch der bayrische Landeszentralbankchef Franz-Christoph Zeitler, der vom Festhalten am 01.01.1999 eine disziplinierende Wirkung erwartet. [74]
Beworben wird die Währungsunion und vor allem das Einhalten des Zeitplans vom Europäischen Unternehmerverband Unice. Der Unice-Präsident François Perigot stellte klar, daß die zu spürende Verlangsammung des Wirtschaftswachstums kein Grund sein dürfe, vom Integrationspfad und vom Währungsunion-Zeitplan abzuweichen. "Verschieben heißt stoppen", hielt Perigot Skeptikern im eigenen Lager und in der Politik entgegen.[75]
Die o.g. Stellungnahmen beinhalten den Tenor: Keine Verschiebung des Zeitplans, damit es zu keiner Vernachlässigung der Stabilitätsdisziplin sowie Beeinträchtigung des Binnenmarkts kommt. Es gibt aber noch andere Argumente in der Termin-Debatte, die für eine Einhaltung des Zeitplans sprechen. So haben sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und seine Mitgliedsgewerkschaften gegen eine Verschiebung des Starttermins ausgesprochen. Sie meinen, daß je früher die Währungsunion komme, desto eher könne es auch zu einer europäischen Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik kommen. Der DGB-Vorstand erklärte, daß sofern Anfang 1998 mindestens Deutschland und Frankreich die Konvergenzkriterien erfüllten, sollte die Währungsunion 1999 starten. [76]
Diese Haltung ist für Arbeitnehmervertreter eher verwunderlich, da die harten Budgetrestriktionen, die zur Erreichung und Einhaltung der Konvergenzkriterien notwendig sind, eher dazu führen, Arbeitsplätze zu gefährden bzw. die Bereitstellung von Mitteln für arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wesentlich zu erschweren. Hinzu kommt, daß auch nach dem Starttermin die Teilnehmer an der Währungsunion große Anstrengungen unternehmen müssen, um die Stabilität zu sichern. Es ist also nicht damit zu rechnen, daß kurzfristig nach dem Start der Währungsunion mehr Haushaltsmittel zur Verfügung stehen, um die vom DGB zurecht verlangte Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik zu finanzieren.
2. Lieber den Starttermin verschieben
Der baden-württembergische Wirtschaftsminister Dieter Spöri (SPD) fordert eine Verschiebung des Projekts um fünf Jahre. "Die neusten Arbeitsmarktdaten zeigten, daß wir es uns absolut nicht leisten können, zusätzliche Arbeitsplätze auf dem Altar einer schludrig vorbereiteten Währungsunion zu opfern".[77] Belgiens Wirtschaftsminister Elio Di Rupo hält eine Verschiebung für akzeptabel, falls die Hauptteilnehmer nicht bis 1999 dafür bereit seien. Falls sich Deutschland und andere wichtige Mitglieder der EU sich aufgrund der stetig verschlechternden europäischen Wirtschaftslage dazu entschlössen, die Währungsunion zu verschieben, "sollte die Entscheidung so schnell wie möglich fallen". Auch der schwedische Finanzminister Goran Persson hält eine Verschiebung für möglich.
Mit Blick auf die aktuellen Schwierigkeiten die Kriterien für die Währungsunion zu erfüllen, vertrat der Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes Horst Köhler die Ansicht, daß Konvergenz Vorrang vor den Terminen haben muß. Eine Verschiebung darf aber nicht das Ziel haben, auf die Währungsunion zu verzichten. "Wenn man den Kreis der Teilnehmerländer politisch zusammenbastelt und die Konvergenzkriterien aufweicht, dann ist die Wahrscheinlichkiet groß, daß die Finanzmärkte mißtrauisch werden und es statt zu Stabilität zu Währungsturbulenzen kommt. Deshalb sollte es auch keinen Terminzwang zu jedem Preis geben."[79]
Der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber sagte, daß die Währungsunion so augestaltet werden sollte, daß ein späteres Auseinanderbrechen oder Scheitern ausgeschlossen ist. "Dies wäre eine wirkliche Katastrophe für Europa. Dies zu verhindern, ist wichtiger als die Einhaltung des Zeitplans, wenn es am grundsätzlichen Ziel einer Währungsunion keinen Zweifel gibt."[80]
Vor starrem am Zeitplan festhalten hat der SPD-Vorsitzende Oscar Lafontaine gewarnt. Er vertrat die Ansicht, daß wenn die konjunkturelle Lage auch 1996 und 1997 schlecht bleibe, müsse die für 1999 geplante Währungsunion verschoben werden. Wörtlich sagte er: "Die Währungsunion ist kein Selbstzweck. Sie muß Wachstum und Beschäftigung in Gesamteuropa sichern."
Die Frage ist nun aber, wie realistisch ist der in der öffentlichen Debatte diskutierte Starttermin 01.01.1999? Für die Kommission scheint dieser Termin festzustehen. Im "Grünbuch über die praktischen Verfahren zur Einführung der Einheitswährung" (Grünbuch) betont sie noch einmal, daß die dritte Stufe spätestens am 01. 01.1999 beginnen wird.
Der Chef-Volkswirt der Dresdner Bank Klaus Friedrich vertrat die Ansicht, daß die Währungsunion 1999 mit Deutschland, Frankreich, Belgien, Österreich, Luxemburg, Irland, Dänemark und den Niederlanden starten werde. Die Wahrscheinlichkeit für eine Verschiebung ist allerdings zwischenzeitlich größer geworden. Größtes Risiko für die Währungsunion ist eine Rezession mit ihren negativen Folgen für die Staatshaushalte.[82]
Mit diesem Risiko einer Rezession rechnet Dieter Spöri. Er sagt, daß ein Beharren auf dem Starttermin ein Ausbleiben der Konjunkturankurbelung zur Folge haben wird. In ganz Europa sei dann mit einer Rezession zu rechnen. [83]
Die derzeitige Bundesregierung scheint nicht mehr an einen pünktlichen Beginn der Währungsunion zu glauben. Helmut Kohl vertrat die Ansicht, daß der Termin nur "das Zweitwichtigste" sei. "Komme die Währungsunion zwei Jahre später geht die Welt auch nicht unter." Auch in der deutschen Industrie wachsen zunehmende Zweifel. "Eine Währungsunion nach Fahrplan werde Europa mit erheblichen Gefahren für die deutsche Wirtschaft in zwei Klassen trennen", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie Hans-Olaf Henkel. [84]
Entscheidend über den Starttermin wird die Anzahl der Länder sein, die die Konvergenzkriterien erfüllen, bzw. wieweit der Toleranzspielraum beim Auslegen der Kriterien ausgereizt wird. Baron Alexandre Lamfalussy, Chef des EWI, meint, damit das System Sinn macht, werden fünf bis sieben Länder gebraucht. Dabei müßten die meiten EU-Länder noch einiges leisten, um sich zu qualifizieren. Aber viele haben eine gute Chance, das Ziel zu erreichen. Nach den Aussagen von Lamfalussy kann es eine kleine zeitliche Verzögerung geben.[85]
Aber nicht nur der Startzeitpunkt scheint momentan zur Debatte zu stehen, sondern auch der Zeitpunkt zu dem eine Einzelprüfung der Einhaltung der Konvergenzkriterien durch die einzelnen Mitgliedsländer durchgeführt werden soll. Es sieht so aus, daß "die Staats- und Regierungschefs sich vor einer unangenehmen Pflicht drücken wollen."[86] Beim nächsten Gipfeltreffen im Dezember 1996 in Dublin soll nicht - wie der Maastricht-Vertrag ausdrücklich vorschreibt - jedes Mitgliedsland einzeln geprüft werden, ob es die Konvergenzkriterien erfüllt. Das ergibt sich aus einem bislang kaum beachteten Teil der Abschlußerklärung des EU-Gipfeltreffens Ende Juni 1996 in Florenz.
Diese sich jetzt abzeichnende Verschiebung der Prüfung bleibt nicht unkritisiert: Christa Randzio-Plath (SPD, Vorsitzende des Unterausschusses Währung des EP) fordert, daß der Rat sich nicht drücken darf. "Sonst werde der Maastricht-Vertrag verletzt, und die Glaubwürdigkeit des ganzen Projektes nehme schaden."[87]
Damit eine Währungsunion auch über den Starttermin dauerhaft funktionieren kann, müssen alle Teilnehmer langfristig die Konvergenzkriterien einhalten. Wie das genau geschehen soll, wird noch debattiert. Im folgenden soll dieser Frage nachgegangen werden.
Im Art. 104c EGV wird das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit geregelt. Dabei ist folgende Vorgehensweise vorgesehen:
Die Kommission erstellt einen Bericht, wenn ein Mitglied gegen eins oder beide Maßgaben des 104c verstößt.
Der Ausschuß (Beratender Währungsausschuß, Wirtschafts- und Finanzausschuß) nach Artikel 109c gibt eine Stellungnahme zu diesem Bericht ab.
Die Kommission legt dem Rat eine Stellungnahme vor.
Der Rat entscheidet ob in dem betreffenden Mitgliedsland ein übermäßiges Defizit besteht.
Der Rat richtet an das betreffende Mitgliedsland unöffentlich eine Empfehlung innerhalb einer bestimmten Frist das Defizit abzubauen. Geschieht dies nicht innerhalb der Frist, so wird die Empfehlung veröffentlicht.
Leistet das betreffende Land der Empfehlung immer noch nicht folge, wird es in Verzug gesetzt. Der Rat kann in diesem Fall den betreffenden Mitgliedsstaat ersuchen, nach einem konkreten Zeitplan Berichte vorzulegen, um die Anpassungsbemühungen überprüfen zu können.
Führt das betreffende Land immer noch keine Anpassungsbemühungen durch, so kann der Rat Sanktionsmaßnahmen gegen dieses Land beschließen. Diese Maßnahmen sind:
Vor der Emission von Schuldverschreibungen und sonstigen Wertpapieren vom Rat näher zu bezeichnende zusätzlich Angaben zu veröffentlichen,
die Europäische Investitionsbank ersuchen, ihre Darlehenspolitik gegenüber dem Mitgliedsstaat zu überprüfen,
von dem Mitgliedsland verlangen, eine unverzinsliche Einlage in angemessener Höhe bei der Gemeinschaft zu hinterlegen, bis das übermäßige Defizit nach Ansicht des Rates korrigiert worden ist,
Geldbußen in angemessener Höhe verhängen.
Finanzminister Waigel hat, um die Haushaltsdisziplin und damit die Stabilität noch weiter zu stärken, einen "europäischen Stabilitätspakt" vorgeschlagen, der eine langfristige Einhaltung der Konvergenzkriterien gewährleisten soll. Nach Waigels Vorstellungen sollen sich die Mitgliedsländer der Währungsunion im Stabilitätspakt dazu bekennen, nicht nur formal die finanzpolitischen Stabilitätskriterien zu beachten, sondern aktiv und auf Dauer eine solide Finanzpolitik für Wachstum und Beschäftigung zu betreiben. Dazu soll in erster Linie der Verpflichtung der Mitgliedsländer zählen, die Wachstumsraten ihrer Staatsausgaben mittelfristig unter dem Zuwachs des nominalen Bruttoinlandsprodukts zu halten. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, daß die in Maastricht vereinbarte Neuverschuldungsgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts auch in wirtschaftlich ungünstigen Perioden nicht überschritten wird. Das bedeutet, daß sich die Teilnehmer an der Währungsunion in wirtschaftlichen Normallagen mit keinem höheren Anteil als einem Prozent jährlich verschulden dürfen. Ausnahmen sollen mit qualifizierter Mehrheit in der Währungsunion zugelassen werden.
Weiter sieht der von Waigel vorgeschlagene Stabilitätspakt vor, daß seine Einhaltung von einem europäischen Satbilitätsrat politisch umgesetzt werden soll. Stellt dieser Rat einen Stabilitätsverstoß fest, wird ein automatischer Sanktionsmechanismus in Gang gesetzt.[88] Das betreffende Land soll nach Waigels Vorstellungen eine unverzinsliche Stabilitätseinlage in Höhe von 0,25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro angefangenen Prozentpunkt der Defizitüberschreitung bei der Europäischen Zentralbank hinterlegen. Zurückgezahlt werden soll die Einlage erst, wenn der Grenzwert wieder unterschritten wird. Dauert dieses länger als zwei Jahre, soll die Einlage in eine nichtrückzahlbare Geldbuße umgewandelt werden.
Waigel begründet den Vorschlag zu einem Stabilitätspakt damit, daß Europa "nur im Rahmen ökonomischer Stabilität und finanzpolitischer Solidität nach innen und außen bestehen kann". Das der Waigel-Vorschlag ernst genommen wird, zeigen viele Reaktionen in der öffentlichen Diskussion über die Währungsunion. Auch die Europäische Kommission betrachtet die Diskussion über den Stabilitätspakt als neue Aufgabe.[89]
Zustimmung zu Theo Waígels Vorschlag eines Stabilitätspakts
Sympathie für den Waigel-Vorschlag äußerte der EWI-Präsident Lamfalussy. "Auch er befürwortete seit langem eine starke Dosis fiskalpolitischer Koordination unter den Teilnehmerländern."[90] Edmund Stoiber stimmt den Waigel-Vorschlägen ebenfalls zu, weil er auch die Ansicht vertritt, das die Konvergenzkriterien nicht nur zum Starttermin eingehalten werden sollen sondern auch später noch. Zustimmung findet der Vorschlag auch, damit keine "Fahrt in die Inflationsgemeinschaft droht." Ein weiterer Befürworter des Stabilitätspakts ist der ehemalige Kommissionspräsident Jacques Delors. Delors schlug über den Stabilitätspakt hinausgehend den Abschluß eines umfassenden "Vertrauenspakts" vor, mit dem die wesentlichen volkswirtschaftlichen Interessen zur Absicherung der Währungsunion unterstützt werden sollen.
Auch der EU-Kommissar für Währung, Yves-Thibault de Silguy, äußerte sich positiv über den Waigel-Vorschlag: "Wir müssen sichergehen, daß in den Mitgliedsländern keine haushalts- oder wirtschaftspolitischen Ausrutscher möglich sind. Jetzt müssen wir Theo Waigels Vorschlag, den Stabilitätspakt, umsetzen und sicherstellen, daß dieses System glaubhaft funktioniert." Zu den Befürwortern eines Stabilitätspakts geführt der Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer. Er sagte: "Der Stabilitätspakt ist außerordentlich wichtig, ja zentral. Es genügt nicht, nur eine gute Geldpolitik durch eine europäische Zentralbank zu haben, es muß auch sichergestellt werden, daß die Länder, die teilnehmen, dauerhaft fiskalpolitische Prinzipien wahren. Der Maastricht-Vertrag ist in diesem Punkt nicht klar genug."
Kritik an Theo Waigels Vorschlag eines Stabilitätspakts
Die Vorsitzende des Unterausschusses Währung im Europäischen Parlament Christa Randzio-Plath (SPD) kritisiert Waigels Vorschlag: Erst setze er den Stabilitätspakt als weitere Bedingung für eine Währungsunion durch, dann halte er die Bundesrepublik für nicht reif genug, Mitglied der Währungsunion zu werden: "Mit einer solchen Panikmache verunsichert der Bundesfinanzminister das gerade für die Bundesrepublik nützliche Projekt der Währungsunion."[96] Ahnlich argumentiert die EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies. "Herr Waigel kann doch jetzt nicht mehr im Ernst fordern, die Kriterien zu verschärfen, wo die Bundesrepublik Deutschland selber ein zu großes Haushaltsdefizit hat." Trotzdem hält sie die Idee eines Pakts für die Stabilität des Euros für vernünftig. "Der Stabilitätspakt ist ein wichtiger Schritt zu einer politischen Union."
Die BHF-Bank AG, Frankfurt, sieht im Stabilitätspakt die Gefahr eines Teufelskreises. Die Bank schreibt: "Sollten die staatlichen Konsolidierungsbemühungen zu einer Konjunkturverlangsammung führen, kann es geschehen, daß zwar das - um konjunkturelle Mindereinnahmen und Mehrausgaben bereinigte - strukturelle Defizit sinkt, das tatsächlich ausgewiesene Defizit hingegen über der Drei-Prozent-Grenze verharrt. Gäbe es den Stabilitätspakt würde der Konsolidieriungsfortschritt beim strukturellen Defizit paradoxerweise mit einer Stabilitätseinlage bestraft und die Konsolidierung weiter erschwert." Wenn der Stabilitätspakt jetzt schon gültig wäre, hätte die Bundesrepublik Deutschland für 1995 eine Stabilitätseinlage von 8,6 Milliarden DM hinterlegen müssen.[98]
Die Währungsunion wird - zunächst nur für die teilnehmenden Länder - den Binnenmarkt vollenden, weil das Risiko schwankender Wechselkurse ausgeschaltet wird. Das wird Handel und Investitionen über die Grenzen hinweg erleichtern, was einen erheblichen Wachstumsschub mit sich bringen dürfte. Es besteht aber die Gefahr, daß sich dieser Wachstumsschub hauptsächlich im harten Kern auswirken dürfte. Leidtragende dürften dann die Länder an den Rändern sein. Die Mittelmeeranrainer drohen unter dem verstärkten Konkurrenzdruck zu verdorren, während der Kern gedeiht. Diese heute schon im gemeinsamen Binnenmarkt sichtbare Entwicklung wird durch die Währungsunion sicher noch verstärkt. Um diese Folgen abzumildern, wird die EU mehr Geld vom Kern an die Ränder umverteilen müssen. Daß jedoch die Südstaaten - wie auch die Beitrittsaspitaranten in Osteuropa - verstärkt Geld benötigen werden, um im Euro-Zug zu bleiben, erscheint sicher. Auf die Staatshaushalte der wirtschaftsstarken Mitgliedsländer kommen also zwangsläufig größere Belastungen zu.[99]
Helmut Werner, Vorstandsvorsitzender der Mercedes-Benz AG, ist der Meinung, daß die Währungsunion zur Beschäftigungssicherheit beitragen wird, weil die "fundamental nicht gerechtfertigten und für Unternehmen völlig unberechenbaren Schwankungen der Wechselkurse" ausgeschaltet würden. "Erarbeitete Produktivitätssteigerungen flössen nicht ins Ausland ab, sie würden gänzlich den Standort stärken."[100] Die Frage dabei ist nur, welcher Standort gestärkt würde. Diese Stärkung kommt wieder den starken Kernländern zu gute.
England schätzt die politische Meinung zur Währungsunion auf dem Kontinent falsch ein. England wird aber aufgrund der sonst negativen ökonomischen Auswirkungen bei der Währungsunion dabei sein. Italien dagegen hat keine Möglichkeit, die Konvergenzkriterien einzuhalten. Die wirtschaftliche Situation der öffentlichen Haushalte ist katastrophal und nicht bis 1997 behebbar. Trotzdem könnten durch eine flexible Interpretation der Konvergenzkriterien auch Italien und andere Länder mit hohem Defizit die Teilnahme an der Währungsunion ermöglicht werden. Zu weit sind die Vorbereitungen hinsichtlich der Währungsunion schon gediehen, als daß sie verschoben werden könnte. Außerdem wäre der Vertrauensverlust hinsichtlich der Politiker enorm.
Der Beginn der Währungsunion zum 1.1.1999 wird als fixes Datum diskutiert, obwohl bei strenger Anwendung von Artikel 109j dieser nicht zu halten wäre, jedoch soll dieser Termin für die potentiellen Beitrittskandidaten eine disziplinierende Wirkung haben, d.h. die Länder sollen versuchen ihre Haushalte zu konsolidieren und somit auch den politischen Willen bezeugen, an der Währungsunion teilnehmen zu wollen.
Der noch nicht beschlossene, aber vieldiskutierte Stabilitätspakt ist zwar grundsätzlich notwendig, aber die konkreten Auswirkungen müssen noch überdacht werden. Wenn ein Land im Trend einen Defizitabbau vollzieht, dann sollen die Sanktionen ausgesetzt werden. Eine Ermahnung z.B. von der Kommission sollte hierzu genügen. Für die Länder, die sich nicht im Trend eines Defizitabbaus befinden gibt es unsererseits zwei Vorschläge:
a) die Sanktionen sollen zwar durchgeführt werden, aber in die Berechnung des
Defizittrends nicht mit einbezogen werden.
b) der Haushalt des jeweiligen Defizitlandes soll einem Stabilitätsrat (von Waigel
vorgeschlagen) vorgelegt werden, der dann den Haushalt genehmigt. Bei diesem Verfahren können die Sanktionen abgemildert werden.
Daraus folgt: a) Beginn der Währungsunion zum 1.1.1999;
b) rein politische Entscheidung;
c) voraussichtlich alle EU-Länder werden dabei sein;
Bayrische Staatskanzlei: "Europäische Währungsunion nicht ohne politische Union", Pressemitteilung vom 24.10.1995
Bayrische Staatskanzlei: "Gefahr einer Spaltung bei zu kleiner Währungsunion", Pressemitteilung vom 20.11.1995
Beer, Robert: "Euro-Währung - So retten sie ihr Geld", Parkstein 1995
Blick durch die Wirtschaft: "EU-Arbeitgeber bewerben Währungsunion"
Borchardt, Klaus-Dieter: "Die Europäische Einigung - Die Entstehung und Entwicklung der Europäischen Union", Luxemburg 1995
Bundeszentrale für politische Bildung: "Informationen zur politischen Bildung, Heft 213, 'Europäische Union'", Bonn 1995
Busch, Klaus; "Der Maastrichter Vertrag über die 'Europäiche Union' und die Herausforderungen für die europäischen Gewerkschaften", in Institut für internationale Politik: Die EU nach Maastricht - Bedingungen und Möglichkeiten linker Wirtschaftspolitik - Arbeitspapier 25, 1993
Das Sonntagsblatt: "Bonn darf kein Schulmeister sein", Ausgabe 6-1996
Das Sonntagsblatt: Müller, Henrik: "Verzögerter Urknall", Ausgabe 25-1995
Der Spiegel: "Angst vor den Populisten", Heft 40-1995
Der Spiegel: "Den Euro lieben lernen", Heft 5-1996
Der Spiegel: "Flexibel interpretieren", Heft 13-1996
Der Spiegel: "Historische Zäsur', Heft 14-1996
Der Spiegel: "Ohne Schönfärberei", Heft 41-1995
Die Welt: "Europa darf nicht zerbrechen"
Die Welt: "Tietmeyer für eine Ergänzung des Maastricht-Vertrags"
Die Welt: Hadler, Wilhelm: "EU-Gesetzgebung fast abgeschlossen"
Die Welt: Hadler, Wilheln: "EU-Minister einig über EWS II"
Die Welt: Herlt, Rudolf: "Angst vor der Realität"
EU-Kommission: "Grünbuch über die praktischen Verfahren zur Einführung der Einheitswährung", Brüssel 1995
Euro-Aktuell Nr. 140
Euro-Aktuell Nr. 141
Euro-Aktuell Nr. 142
Europäisches Währungsinstitut: "Jahresbericht 1994", Frankfurt 1995
Europäisches Währungsinstitut: "Jahresbericht 1995", Frankfurt 1996
Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Der Stabilitätspakt sorgt an den Finanzmärkten für Diskussionen"
Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Deutschland und Italien bei Schulden vorn"
Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Maastricht-Kriterien werden auch 1996 nicht erfüllt"
Handelsblatt: "Der Euro verursacht hohe Kosten"
Handelsblatt: "Kleine Währungsunion ist einer Verschiebung vorzuziehen"
Handelsblatt: "Lebhafte Debatte über Verschiebung", 22.01.1996
Handelsblatt: "Streit um die Währungsunion spitzt sich zu"
Handelsblatt: Ohr, Renate: "Währungsunion ohne Maastricht-Fahrplan"
Industriemagazin: Ruhaltinger, Josef; Christl, Reinhard: "Währungsunion - Schilling ade!", Heft 12-1995
Kommune: Schmierer, Joscha: "Die Sache mit dem Euro", Heft 12-1995
Schmidt, Christian; Straubhaar, Thomas: "Maastricht II: Bedarf es realer Konvergenzkriterien?" in HWWA-Wirtschaftsdienst 1995/VIII
Süddeutsche Zeitung: "Der Fahrplan für den Übergang zur Eurowährung reicht bis ins Jahr 2002"
Süddeutsche Zeitung: "Eine Wirtschaft mit zwei Gesichtern"
Süddeutsche Zeitung: "Waigel schlägt den EU-Partnern Strafen für Verstöße vor"
Süddeutsche Zeitung: Oldag, Andreas: "Blauer Brief für den Primus"
Vorarlberger Medienhaus: "Kein Rütteln an den Maastricht-Kriterien", Dürenstein 1996
Weidenfeld, Werner; Wessels, Wolfgang (Hrsg.): "Europa von A-Z - Taschenbuch der europäischen Integration", Bonn 1995
Welt am Sonntag: "Zwischen Euroskepsis und politischem Taktieren"
Welt am Sonntag: Werner, Helmut: "Der Maastricht-Vertrag hat uns eine historische Chance gegeben"
Weser-Kurier: "Auch 1996 das Defizit für Währungsunion zu hoch"
Weser-Kurier: Blome, Nikolaus: "EU will sich peinliche Prüfung der Staatshaushalte ersparen"
Aus Art. 3 des EWG-Vertrags; zitiert nach EWG, Vertragstext usw.; hrsg. von "europäisches forum", Sonderdruck Nr. 2, Bonn o.J., Seite 19f
Vgl. Borchardt, Klaus-Dieter, "Die Europäische Einigung - Die Entstehung und Entwicklung der Europäischen Union", Luxemburg 1995, Seite 31
Schreiber, Kristin "Binnenmarkt" in Weidenfeld, Werner u. Wessels, Wolfgang; "Europa von A-Z Taschenbuch der europäischen Integration", Bonn 1995, Seite 93
Die wirtschaftliche Situation Italiens ist u.E. als äußerst marode anzusehen. Italien hat deshalb keine Chance die Kriterien in jetziger Form zu erfüllen.
Dabei ist natürlich eine Verabschiedung von Waigels Sparplan eine wichtige Maßnahme, die voraussichtlich durch die SPD im Bundesrat aufgrund der Hamburger Stadtpartei nicht blockiert werden kann.
Schmidt, Christian; Straubhaar, Thomas; "Maastricht II: Bedarf es realer Konvergenzkriterien?" in HWWA-Wirtschaftsdienst 1995/VIII, Seite 434
Vgl. Busch, Klaus; "Der Maastrichter Vertrag über die 'Europäiche Union' und die Herausforderungen für die europäischen Gewerkschaften", in Institut für internationale Politik: Die EU nach Maastricht - Bedingungen und Möglichkeiten linker Wirtschaftspolitik - Arbeitspapier 25
Vgl. Busch, Klaus; "Der Maastrichter Vertrag über die 'Europäiche Union' und die Herausforderungen für die europäischen Gewerkschaften", in Institut für internationale Politik: Die EU nach Maastricht - Bedingungen und Möglichkeiten linker Wirtschaftspolitik - Arbeitspapier 25
Schmidt, Christian; Straubhaar, Thomas; "Maastricht II: Bedarf es realer Konvergenzkriterien?" in HWWA-Wirtschaftsdienst 1995/VIII, Seite 437
Schmidt, Christian; Straubhaar, Thomas; "Maastricht II: Bedarf es realer Konvergenzkriterien?" in HWWA-Wirtschaftsdienst 1995/VIII, Seite 438f
"Gefahr einer Spaltung Europas bei zu kleiner Währungsunion", Pressemitteilung der Bayrischen Staatskanzlei vom 20.11.1995
Blome, Nikolaus; "EU will sich peinliche Prüfung der Staatshaushalte ersparen", Weser-Kurier vom 02.07.1996
"Der Fahrplan für den Übergang zur Europawährung reicht bis ins Jahr 2002", Süddeutsche Zeitung vom 15.11.1995
"Europäische Währungsunion nicht ohne politische Union", Pressemitteilung der Bayrischen Staatskanzlei vom 24.10.1995