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Mafia

Mafia

Gliederung

  1. Warum interessiert uns die Mafia?
  2. Begriff
  3. Die Mafia als historisches Phänomen
    1. Anfänge auf Sizilien
    2. Der Aufstieg der gabellutti
    3. Mafia und staatliche Ordnung
    4. Mafia im späten 19. Jahrhundert
    5. Süditalienischer Exodus
    6. Mafia im 1. Weltkrieg und während des Faschismus
    7. USA und Mafia im 2. Weltkrieg
    8. Die Mafia zwischen 1945 und 1982
    9. Widerstand aus der Bevölkerung
  4. Die Mafia heute
  5. Struktureller Aufbau der Mafia
    1. Die cosca
    2. Der partito
    3. Die Faktion
    4. Die famiglia
    5. Moderne Mafia-Strukturen
  6. Mafia in Abgenzung zu Briganten, camorra, ´ndrangheta und cosa nostra
    1. Briganten und Gangster
    2. camorra
    3. ´ndrangheta
    4. cosa nostra
  7. Die Entwicklung der Mafia seit 1989 (Schwerpunkt Russland)
    1. Italien
    2. Die 'Rote Mafia': Anfänge
    3. Strukturen der russischen Mafia
    4. Aufbau der 'Brigaden'
    5. Abschließende Bemerkung
  8. Forschungsdebatten
    1. Forschungsansätze
    2. Mafia und 'Sozialbanditen'
    3. Mafia, Staat und Bauernschaft
    4. Organisation der Mafia
    5. Begriffskontroversen
  9. Kurzchronologie
  10. Literatur und www-links
  11. Glossar

1. Warum interessiert uns die Mafia?

Seit der Maueröffnung 1989 berichten Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen fast täglich von Verbrechen, die mit der organisierten Kriminalität in Verbindung gebracht werden. Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Heinz-Ludwig Zachert, hat erst jüngst Berlin als  'Ballungszentrum für die Großkriminalität' bezeichnet: Vietnamesische Zigarettenschmuggler, polnische Autoschieber, russische Glücksspielbanden und Drogenkuriere aus aller Herren Länder haben Berlin zu ihrem Hauptquartier gemacht. 1991 wurden im gesamten Bundesgebiet 104.938 Einzelstraftaten der organisierten Kriminalität zugeschrieben. Vor allem aus dem Osten Europas fluten kriminelle Banden in den Westen ein, weil sie hier ihre Absatzmärkte finden.



In diesem Zusammenhang erscheint es sinnvoll zu erörtern, ob der Begriff Mafia zur Beschreibung dieser kriminellen Banden, Syndikate und Kartelle taugt, oder ob er, weil er sich von Methoden und Strukturen der 'klassischen' Mafia Süditaliens unterscheidet, ersetzt werden sollte. Zur Klärung dieser Frage soll dieser Artikel beitragen. Er untersucht zunächst die geschichtliche Entwicklung der Mafia auf Sizilien, um dann die momentane Situation der Kriminalität in Russland zu erörtern. Die Formen der russischen organisierten Kriminalität zeigen nämlich interessante Parallelen zu den Entstehungsbedingungen der italienischen Mafia.

2. Begriff

Erst seit Mitte der 80-erJahre wissen wir mehr über die internen Strukturen der Mafia, die komplizierten Sozialbeziehungen und das psychosoziale Klima in den Mafia-Clans. Das italienische Anti-Mafia-Gesetz (1982) und damit die konsequente Anwendung der Kronzeugenregelung in Mafia-Prozessen sowie die Arbeit verschiedener Bürgerinitiativen haben unser Wissen vertieft. Seitdem erahnen wir, wie weit der tatsächliche Einfluss der Mafia in Staat, Politik, Wirtschaft, Kultur und Sozialgefüge reicht.

Augenfällig ist, dass die Mafia in den letzten 50 Jahren im Kern ihre alten Sozialstrukturen beibehalten hat. Mafiöses Verhalten reicht weit in mittelalterlich-feudale Sozialtraditionen Süditaliens zurück. Sie sind vor allem durch soziale Immobilität, wirtschaftliche und persönliche Abhängigkeit sowie eine eigentümliche Auffassung von Pflichtgehorsam und Verschwiegenheit geprägt. Daher ist gerade der Zwangscharakter, den die Mitgliedschaft in der Mafia ausdrückt, ohne Kenntnis dieser sozialgeschichtlichen und mentalen Wurzeln kaum zu verstehen. Dies gilt auch für die nur scheinbar paradoxe Tatsache, dass sich zahlreiche mafiusi stets als Teil der Gesellschaft begriffen. Sie bezeichneten sich selbst als uomini d´onore , Männer von Ehre.

Es ist für die Mafia keine einheitliche Begriffsbildung erkennbar. Im Sinne eines pragmatischen Zugriffs soll deshalb zunächst die historische Entwicklung auf Sizilien, dem Kernland der Mafia, untersucht werden. Der Vergleich mit außersizilianischen Verbrechensorganisationen wird es schließlich möglich machen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. 

3. Die Mafia als historisches Phänomen

3.1 Anfänge auf Sizilien

Die Ursprünge der Mafia liegen naturgemäß im Dunkeln. Erstmals schriftlich nachgewiesen ist das Wort mafiusi im Titel einer Dialektkomödie ('I mafiusi della Vicaria'), die um 1860 verfasst wurde und in welcher die angeseheneren Häftlinge eines Gefängnisses als mafiusi angeredet werden. 1865 verwendet die italienische Strafverfolgung den Begriff zur Kennzeichnung von Verbrechern. Bereits 1875 ist 'Mafia' eine in fast allen Sprachen Europas geläufige Bezeichnung für Kriminelle, ohne dass ihnen bestimmte Merkmale zugeordnet werden.

3.2 Der Aufstieg der Gabellutti

Die Entstehung der Mafia reflektiert die sozialen Umwälzungen des sizilianischen Feudalismus während der italienischen Nationalstaatsgründung . Die adeligen Latifundienbesitzer Westsiziliens, deren wichtigstes Herrschaftsinstrument, die Leibeigenschaft der Bauern auf ihren Besitzungen, nominell aufgehoben wurde, vergaben fortan ihre Ländereien zur Pacht an Verwalter. Diese gabellutti, was ursprünglich Steuereintreiber bedeutet, wuchsen nach und nach in eine Mittelposition hinein: Sie verpachteten das Land an die ansässigen Bauern, die weiterhin arm und faktisch sozial gebunden waren, und verlangten von diesen horrende Bodenzinse. Mit der Zeit wurden die Landbarone von den gabelluti entmachtet. Diese eigneten sich die Herrschaftrechte des Adels an, wie Polizeiaufgaben und Gerichtsbarkeit, und sie nutzten staatliche Vorrechte für ihre eigenen Zwecke. Zudem stellten die gabelutti bald auch Schutztruppen für ihr Ländereien auf. Als sich zeigte, dass der italienische Staat mit seinem Gewaltmonopol die Lücken, die das alte Feudalsystem hinterlassen hatte, nicht schließen konnte, waren die gabellutti in einer ungeheuer starken Position. Dies entsprach freilich nicht ihrer sozialen Herkunft. Die gabellutti waren nämlich vielfach Viehmakler, Händler oder kleine Landbesitzer und entstammten sozial und wirtschaftlich heterogenen Unterschichten. Als ungebildete Analphabeten, die sie oft waren, wurden sie von den bürgerlichen Schichten und vom Adel gemieden.

3.3 Mafia und staatliche Ordnung

Die sozial und machtpolitisch gestärkten gabellutti schlossen sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu Selbsthilfeorganisationen zusammen, deren Ziel es war, den ohnehin schwachen Stand, den der italienische Staat im Süden des Landes hatte, weiter zu unterhöhlen. Die Eingriffe der Regierung aus Rom sollten bewusst behindert werden, um die eigene Macht zu sichern. Die Truppen der gabellutti stellten in vielen Regionen Süditaliens die einzige wirkliche Autorität dar. Auch boten sie den wirksamsten Schutz vor Übergriffen räuberischer Banden, den sogenannten Briganten, die in Süditalien recht häufig waren. Diesen Schutz ließen sich die mafiusi sowohl von den Bauern als auch vom Landadel bezahlen: Das pizzu (Schutzgeld) war geboren. Die Abhängigkeit der unterdrückten Bauernschaft lässt sich in mancher Hinsicht mit dem antiken Sozialmodell der Klientelen vergleichen: In diesem Rechtsverhältnis war für eine bürgerliche Staatsordnung kein Raum.

Mit der Übernahme von Teilen des staatlichen Gewaltmonopols war die Macht faktisch auf die gabellutti übergegangen. Diesen Prozess empfanden sie durchaus nicht als illegalen Akt, sondern als Anerkennung ihres gewonnenen sozialen Prestiges. Auch in der Bevölkerung wurde diese Auffassung geteilt, so dass sich die subkulturelle 'Volksmoral' stärker als die offiziellen Moral entpuppte: Die Sizilianer nannten die Mafia onorata sozieta, ehrenwerte Gesellschaft.

3.4 Die Mafia im späten 19. Jahrhundert

Mit der Ausweitung des Zensuswahlrechts zum allgemeinen Wahlrecht 1881-1913 drang die Mafia auch in den Bereich der Politik vor. Die Auflösung des Klassenwahlrechts bedeutete, dass viele konservative Abgeordnete in Rom fürchteten, ihr Mandat an einen sozialrevolutionären Gegenkandidaten zu verlieren. Die Mafia sorgte unter diesen Umständen für Abhilfe: Sie beschaffte, in enger Zusammenarbeit mit dem süditalienischen Baronat, die notwendigen Stimmen für die konservativen Parlamentarier. Das hatte drei Konsequenzen:

  • Die Mafia erweiterte ihre Kontrolle über die sizilianische Landbevölkerung, der sie Schutz für die richtige Stimmabgabe versprach.
  • Die gewählten Abgeordneten verhinderten im Parlament Anti-Mafia-Gesetze.
  • Mafia und römische Politik wuchsen enger zusammen, so dass der Einfluss der Mafia sich nicht mehr auf den agrarischen Süden des Landes beschränkte.

Die Wirksamkeit des Paktes zwischen Mafia und Politik kann nicht ohne Berücksichtigung der sozialpsychologischen und mentalitätsspezifischen Hintergründe erklärt werden. Zu ihnen zählt vor allem die tief in der sizilianischen Bevölkerung verwurzelte omertà , die 'Schweigepflicht', die als 'Bindemittel' nicht nur Mafia-Clans untereinander, sondern auch Gruppen außerhalb des Mafia-Kerns eint.

3.5 Süditalienischer Exodus nach Nordamerika

Gegen die immer stärkeren Belastungen, die die Mafia der Bevölkerung zumutete, regte sich auf Sizilien und im Mezzogiorno, wo die Urbanisierung kaum vorankam, am Ausgang des Jahrhunderts vermehrt Widerstand. Der Protest verschmolz, vereinfachend dargestellt, mit den sozialistischen Bewegungen, die vor allem die Schuldenlast von Arbeitern und Bauern anprangerten. An diesem Punkt kooperierten Staat und Mafia miteinander: Schon aus Eigeninteresse bekämpfte die Mafia die Aufstände der revolutionären Landarbeiter, so dass letztere sich in die einsetzende Ausreisewelle nach Übersee einreihten, um der Verfolgung zu entgehen. Für die italienischen Regierung bedeutete der Sachverhalt aber, daß die sozialen Konflikte des ländlichen und kaum industrialisierten Südens entschärft waren.

3.6 Die Mafia im 1. Weltkrieg und während des Faschismus

Während des 1. Weltkriegs verfestigte sich die Macht der uomini d´onore weiter. Sie organisierten die Versorgung des italienischen Heeres mit Material und Verpflegung. Auf diese Weise erlangten sie solch ungeheueren Reichtum, dass sie zum Adel aufschlossen.

Als nach 1918 der Ruf der Bauern nach einschneidenden Landreformen ungehört blieb und die italienischen Faschisten 1922 die Macht übernahmen, wechselte die Mafia geschickt die Seiten. Sie finanzierte die faschistische Partei und beeinflusste süditalienische Abgeordnete, für Mussolini zu votieren. Der Pakt zwischen Mafia und Faschisten war freilich labil. Mussolini schickte Cesare Mori als Präfekten nach Palermo, der entschlossen gegen die mafiusi vorgehen sollte. Es gelang Mori aber nur zeitweilig, den Einfluss der Mafia in der süditalienischen Politik zu verringern. Zu stark waren die Verbindungen, die die Mafia bereits geschaffen hatte. In den folgenden Jahren scheint ein Interessensausgleich zwischen beiden Parteien deren spannungsreiches Verhältnis geklärt zu haben. Die Legende, dass die Faschisten die Mafia bis 1943 konsequent ausgemerzt hätten, wurde erst in den 80er Jahren durch intensive Nachforschungen richtig gestellt.

3.7 Die USA und die Mafia im 2. Weltkrieg

Während des Faschismus hatte die Mafia vielfach Grundbesitz aus Adelshand übernommen. Ihrem Charakter nach stand sie voll in der Blüte ihrer agrarisch-feudalen Macht. Sie kontrollierte ungestört das Geschehen auf dem Land. Da auch im 2. Weltkrieg die Strukturen der Mafia intakt geblieben waren, war sie der erste Ansprechpartner für den amerikanischen Geheimdienst OSS, als die USA 1943 die Landung der Alliierten in Süditalien vorbereiteten. Die Verfolgungen der Mafia unter den Faschisten machten sie in den Augen der Amerikaner zu einem vertrauenswürdigen Partner.

Die Mafia stellte eigene Infrastrukturen bereit, übernahm Geheimdienstaufgaben und arbeitete so erfolgreich mit den Alliierten zusammen, dass sie nach Kriegsende mit der kommunalen Verwaltung Siziliens betraut wurde. Diese Entwicklung schlägt sich auch in der Entscheidung des römischen Parlaments nieder, Sizilien 1946 ein Autonomiestatut zu gewähren, das die zentralstaatlichen Eingriffe auf der Insel beschränkte. Man kann dieses Statut als Sieg des sizilianischen 'Eigenwillens' verstehen, aber auch als Anerkennung der Macht der Mafia. Ohne sie als Entscheidungsinstanz lief in Süditalien nichts mehr. 

3.8 Die Mafia zwischen 1945 und 1982

a) Strukturverschiebungen: Politisierung und Internationalisierung                                        

In den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg verschob die Mafia ihren politischen Schwerpunkt endgültig von Sizilien nach Italien. Sie lehnte sich sehr bald an die christliche Koalitionsbewegung DC an, woraus sich auch eine Verschiebung der mafiösen Aktivitäten ergab: Die immer stärker werdende Verflechtung von Politikern und mafiusi zeigte sich u.a. darin, dass beide Gruppen nahezu autonom über die Regionalpolitik verfügten, ohne Dritte einzuschalten. Infrastrukturelle, städtebauliche oder industriepolitische Maßnahmen wurden ohne Mitwirken von Interessensverbänden und Kommunalverwaltung entschieden. Dies brachte eine intensive Politisierung der Mafia. Zu der gehörte auch, dass die Mafia ihren ländlich-feudalen Charakter ablegte. So konnte sie Anschluss an die Urbanisierung und Industrialisierung Süditaliens gewinnen. Sie trat vermehrt als Unternehmer auf, wobei kriminelle Praktiken der cosa nostra, die von italienischen Ausgewanderten in den USA gegründet worden war, in die sizilianischen Mafia-Clans einsickerten.

Neu für das Verhalten der Mafia war auch eine Ausweitung ihrer 'Geschäfte' auf den gesamten Erdball. So übernahm sie u.a. den Heroinhandel der French Connection . Kritische Beobachter haben eine Verbindung zum amerikanischen Geheimdienst hergestellt, der gehofft habe, durch eine Gewinnbeteiligung am Heroinumsatz den Vietnamkrieg mitzufinanzieren (R. Uesseler). Jedenfalls wandelte sich die Mafia nach dem 2. Weltkrieg vom quasi-feudalen Selbsthilfeverband zum illegalen Verbrechenskartell mit internationalen Verbindungen, wobei die spezifischen sozialpsychologischen und mentalen Elemente der ursprünglichen Mafia nicht sofort verschwanden.

b) Hochfinanz und politische Verfilzung                                                                                    

Die Beteiligung am Drogenhandel machte es notwendig, nach neuen Finanzstrukturen zu suchen, da das illegal erworbene Geld erst reingewaschen werden musste. Auch hier waren die mafiusi überaus erfolgreich: Ihnen gelang es ohne größere Schwierigkeiten, ihre Gewinne dem legalen Wirtschaftkreislauf zuzuführen. Dabei half ihnen der Autonomiestatus für Sizilien aus dem Jahre 1946. Denn damit waren auch Freiheiten im Kreditwesen verbunden. Die Mafia erreichte zunächst eine Kontrolle über das sizilianische Geld- und Kreditwesen, von dort wuchs sie sogar in eine 'Oligopolstellung' (R. Uesseler) der internationalen Hochfinanz ein und teilte sich fortan mit einigen anderen Bankgruppen die Beherrschung des europäischen Finanzmarktes.

Zugleich wandelte sich das Verhältnis zu Polizei und Justizbehörden, die durch Schmiergeldzahlungen zum Schweigen animiert wurden. In ähnlicher Weise verfilzte sich die Mafia mit der italienischen Politik. Die Korruptionsskandale und politischen Mafiaprozesse verdeutlichen dies. Der berühmteste Fall ist der Prozess gegen den früheren Ministerpräsidenten Giulio Andreotti , der bis heute die Gemüter der Italiener erregt. Diese Gerichtsverfahren haben erkennen lassen, dass die Mafia durch die Drogengewinne finanziell zwar unabhängig wurde, aber dennoch des Schutzes durch korrupte Politiker bedurfte, um weiterhin ungestört agieren zu können.

3.9 Widerstand aus der Bevölkerung

Die ersten organisierten Widerstände gegen die politischen und vor allem kriminellen Praktiken der Mafia lassen sich in den 80-er Jahren beobachten. Die Strafverfolgungsbehörden gingen ab 1982 in die Offensive. Einen gewissen Wendepunkt brachte dabei das Anti-Mafia-Gesetz von 1982, welches die bloße Zugehörigkeit zur Mafia als Straftatbestand wertete. Dieses Gesetz und seine Aktualisierungen sowie die Anti-Mafia-Kommission erlaubten eine effektivere Verfolgung, auch im Bereich der Politik. Darüber hinaus konnte die italienische Öffentlichkeit durch Geständnisse hoher Mafia-Bosse wie Tomasso Buscetta in das Innenleben der Mafia blicken. Der eigentliche Charakter der Mafia und deren Macht (vor allem in psychologischer Hinsicht) wurde nach und nach enthüllt.

Auch die süditalienische Bevölkerung erwachte aus ihrer Hilflosigkeit. Viele Experten meinen sogar, dass die Anti-Mafia-Bewegungen der süditalienischen Bevölkerung, beispielsweise der Associazione Donne Sicilane contro la Mafia, früher am Problem 'Mafia' gerüttelt haben als der Staat. Ahnliches gilt für die 1991 gegründete Anti-Mafia-Partei La Rete.

Da die Mafia nach 1945 immer brutaler vorging, um Schutzgelder einzutreiben oder sich Konkurrenten vom Hals zu schaffen, und in den blutigen Mafia-Fehden, den sogenannten vendette , auch Kinder der mafiusi nicht mehr verschont wurden, ist der Widerstand der Bevölkerung eine durchaus logische Entwicklung gewesen.

Die Mafia reagierte ihrerseits auf die Proteste und die Verhaftungswellen mit Erpressung und Gewalt: sie schüchterte Richter und Staatsanwälte ein oder verzögerte Gerichtsverfahren. Besonders nach den Parlamentswahlen 1992, die der DC , der politischen Schutzmacht der Mafia, größere Verluste zufügte, starben renommierte Richter wie G. Falcone und P. Borsellino . Auch Sprengstoffanschläge in Rom, Neapel und auf die Mailänder Uffizien gingen auf das Konto der in die Enge getriebenen Mafia.

4. Die Mafia heute

Der italienische Staat scheint sich inzwischen gegenüber der Mafia durchgesetzt zu haben. Die Zeiten der 'Bankrotterklärungen' des 19. Jahrhunderts sind vorbei. 1993 konnte mit Salvatore Riina einer der mächtigsten Mafia-Bosse verhaftet werden. Dagegen ist die Entwicklung in anderen europäischen Staaten weniger positiv zu beurteilen. Dazu später mehr. Zunächst möchte ich die innere Struktur der italienischen Mafia beschreiben.

5. Struktureller Aufbau der Mafia

5.1 Die cosca

In Sizilien gibt es nach jüngeren Untersuchungen etwa 180-200 Mafia-'Gruppen' (1990), sogenannte cosche. Sie stellen weder eine einheitliche Organisation unter einem anerkannten Oberhaupt dar, noch lässt sich in ihnen Gruppenbewusstsein oder 'Wir-Gefühl' beobachten (H. Hess). Die cosca besteht im Kern aus einem capo (Kopf) oder mehreren freundschaftlich verbundenen mafiusi. Von diesem Kern aus verlaufen mehrere dyadische (Zweier-)beziehungen zu anderen Personen oder Gruppen. Sie alle bilden die corona (Kranz) der verwandtschaftlich oder adoptiv gebundenen affiliati.

Da es keine formellen Initiationsriten gibt, vermutet man, dass der interne Zusammenhalt der cosca auf dem sizilianischen Verständnis von Freundschaft beruht. Diese Form von Freundschaft hat oft einen informellen Charakter, d.h. sie versteht sich als 'Geheimabsprache', in welcher jede 'offizielle Größe', also auch die Staatsgewalt, ausgeschlossen ist (ähnlich wie bei der omertà ). Die Geschichte Siziliens hat besonders im späten 19. Jahrhundert gezeigt, dass diese subkulturellen Beziehungen viel tiefer gingen als die neuen Ansprüche des Nationalstaates und der offiziellen 'Staatsmoral'. So konnte sich die Mafia am Leben erhalten.

5.2 Der partito

Mit dem Begriff partito werden die Kontakte des mafiuso zu offiziellen Herrschaftsträgern verstanden. Freisprüche vor Gericht oder Aussetzung des Strafvollzugs sind auf Sizilien keine Seltenheit. Sie funktionieren aber nur, wenn der mafiöse Angeklagte über gute Verbindungen zur Staatsanwaltschaft, zum Polizeipräfekten oder zum Carabiniero im Ort unterhält. Resultat dieser über Geldgeschenke oder andere 'Dienstleistungen' (beispielsweise Brautwerbungen im Auftrag eines mafiös verbundenen affiliato o.A.) erhaltenen Verbindungen ist eine sehr weitreichende Immunität des mafiuso.

5.3 Die Faktion

'Faktion' bezeichnet die Summe aller Beziehungen, die ein mafiuso unterhält. Neben cosca und partito umfasst die Faktion die amici dell´amici, die Freunde der Freunde. Sie ist ein von Fall zu Fall fluktuierender Personenkreis, der sich nur vage bestimmen lässt. Die Zughörigkeit zu einer Faktion eines bestimmten capo ergibt sich weniger aus der Nähe zu diesem capo als vielmehr aus dem gemeinsam erkennbaren Gegner, dem rivalisierenden mafiuso.

5.4 Die famiglia

Cosca und famiglia gelten als schwer voneinander zu trennende Begriffe. Der Kernbestand einer cosca scheint in der Regel immer aus familialen Grundeinheiten zu erwachsen. Blutsverwandtschaft garantiert erst absolute Verlässlichkeit und Loyalität. Wichtig ist meines Erachtens, dass die aus den cosche ableitbaren dezentralen Strukturen (s.o.) den Wirkungsgrad der Mafia erheblich erhöhen, vor allem bei Strafverfolgungen: Es werden jeweils nur kleine Teile des cosca-Netzes ausgehoben, der Großteil bleibt in der Regel intakt. Wurde ein capo verhaftet oder ermordet, treten oft Geschwister oder Ehegatten an dessen Stelle, um die Geschäfte weiterzuführen. So etwa im Fall der berühmt-berüchtigten Pupetta Maresca

5.5 Moderne Mafiastrukturen

Heute scheinen die Familienverbindungen durch vertikale Gliederungen einzelner Mafia-Clans ergänzt zu sein. Streng hierarchisierte cupola ('Kuppel', Kommissionen) regeln das Zusammenspiel der einzelnen cosche. Eine überprovinziale 'Bundespolitik' existiert wohl nicht, jede cosca handelt in ihrem Territorium autonom. Nur zur Koordinierung der Geschäfte, etwa um Konkurrenzsituationen beim Heroinverkauf zu vermeiden, oder als Schiedsgericht tritt die cupola auf.

Familientraditionen, konservativ-archaisches Denken und strenge Sozialriten bestimmen nicht nur den Aufbau der Mafia, sondern erklären auch ihre ungeheuere Machtfülle nach innen wie außen. Mentale und soziopsychologische Elemente, etwa im Verhalten Untergebener gegenüber dem capo, zeigen dies bis heute, trotz aller Verschiebungen im Gefüge der Mafia: Nach wie vor gibt es den 'klassischen' capo-mafia mit traditioneller Werteauffassung, enger Familienbindung und einer Vorliebe zum sizilianischen Dialekt seines Dorfes.

6. Mafia in Abgrenzung zu Briganten, camorra, ´ndrangheta und cosa nostra

Als Mafia im engeren Sinn bezeichnet die Forschung eine aus dem Sizilianischen hervorgegangene, in das süditalienische, quasi-feudalistische Sozialgefüge eingebundene Selbsthilfeorganisation. (Karte Italiens ). Sie sticht durch strenge interne Bindungen und einen auf das ländliche Gebiet zugeschnittenen Aktionsradius hervor. Der mafiuso setzt seine eigene Ordnung gegen die des Staates, empfindet sein Handeln gleichwohl als legal, vor allem dort, wo der Staat versagt hat.

Die Forschung versucht seit Jahren, diesen Mafia-Begriff von mafia-ähnlichen italienischen Verbrechensorganisationen zu unterscheiden. W. Raith etwa differenzierte 1977 die Mafia sizilianischer Herkunft von:

6.1 Briganten und Gangstern

Beim Briganten handelt es sich meist um ländliche Bewohner Italiens, die durch Gesetzesübertretungen oder Verstoß gegen die Sozialmoral aus ihrem gewohnten Umfeld fliehen müssen. Das Untertauchen, meist in die 'Berge' um ihre Heimatdörfer, geschieht also gegen den eigentlichen Willen der Betroffenen. Der Brigant ist sich aber dennoch seiner Illegalität bewusst. Da das Brigantenwesen, bei dem sich mehrere Banditen  in den Wäldern zusammenschlossen, im 19. Jahrhundert in Italien sehr verbreitet war, verlegen einige Historiker dessen Wurzeln bis in die römische Antike: Die Sklavenunruhen des 2. und 1. vorchristlichen Jahrhunderts, beispielsweise der berühmte Spartacus-Aufstand, seien Vorläufer dieser Entwicklung gewesen.

Im Unterschied dazu steht der Gangster von Anfang an außerhalb des Sozialgefüges. Er führt insofern auch keinen 'gerechten' Kampf gegen die Obrigkeit, sondern versucht, bewusst von seiner Kriminalität zu leben. Gangstertum - aus Amerika kommend - tritt meist in städtischen Gangs auf, deren Kriminalität bereits sehr früh stark organisierte Züge aufwies.

Briganten und Gangster empfinden sich selbst als nicht mafiös, obschon sie im Dienst eines capo stehen können. Das Verhältnis zwischen mafiuso (gabellutto) und Brigant, der meist bäuerlicher Herkunft ist, ist aber prinzipiell sehr spannungsgeladen. Dies gilt auch für den Gangster, der in den italienischen Städten mit dem mafiuso konkurriert: pizzu-Erpressung, Kontrolle der Absatzmärkte u.A. sind heiß umkämpfte 'Geschäfte' beider Gruppen.

6.2 camorra

Eine wortgeschichtliche Klärung gelang bisher nicht. Es werden arabische (kumar - eine Art Würfelspiel), pseudospanische (chamarra - Schlägerei) und auch original neapolitanische Wurzeln (morra - Schwarm, Bande) vermutet. Neben vielen Gemeinsamkeiten zur Mafia zeigen sich auch deutliche Unterschiede.

Die camorra entstand wahrscheinlich im 19. Jahrhundert aus einer polizeiähnlichen, d.h. staatsrechtlich anerkannten Aufseher- und Überwachungsorganisation in mittelitalienischen Städten. Zur Zeit der Garibaldistenherrschaft (1860) wurde die camorra als offizielle Polizeitruppe im Dienst der (bereits gestürzten) Bourbonen eingesetzt. Erst allmählich, wie bei der sizilianischen Mafia auch, wandte sich die camorra illegalen Praktiken zu.

Die camorra ist also ein städtisches Phänomen. Sie bildete sofort hierarchische Strukturen aus und behauptete sich von Beginn an durch Gewaltanwendung. Zunächst richteten sich aber ihre Fehden nicht gegen den Staat (der kein Rivale war), sondern gegen konkurrierende famiglie. In den letzten Jahrzehnten beobachtet man allerdings, dass camorra und Mafia sich immer ähnlicher werden.: So nahmen in den 80-er Jahren im Neapolitanischen, dem Hauptgebiet der camorra, die Verflechtungen mit der Politik sowie Attentate auf Politiker und Justizbeamte zu. 1989 verübte die camorra allein 315 Morde. Auch 'internationale Beziehungen' werden gepflegt, was den Einstieg in den Rauschgifthandel erleichterte.

6.3 ´ndrangheta

Hierbei handelt es sich um eine geheime Organisation aus Kalabrien. Das Wort ´ndrangheta bedeutet im kalabresischen Dialekt etwa 'tapferer Mann'. Die ´ndrangheta entstammte meist ländlichen (unter)bäuerlichen Schichten. Sie umfasste Teile des Brigantismus, sofern sie mit den gabellutti in Konflikt geriet, und öffnete sich schnell den sozialrevolutionären Programmen kommunistischer und gewerkschaftlicher Verbände.

Was das kriminelle Betätigungsfeld betrifft, ist die ´ndrangheta der Mafia sehr ähnlich. Bis 1945 kontrollierte und erpresste sie weite Teile des agrarischen Kalabriens. Seit dem 2. Weltkrieg und der einsetzenden Industrialisierung Unteritaliens verlegte sie sich auf politische Verflechtungen sowie wirtschaftliche und Spekulationsgeschäfte. Neben dem Baugewerbe ist vor allem der Tourismus stark betroffen. P. Arlacchi spricht daher von der ´ndrangheta als der mafia calabrese, da sie sich in vielerlei Hinsicht nicht von der sizilianischen Schwester unterscheide.

6.4 cosa nostra

Die cosa nostra ist eine US-amerikanische Sondererscheinung der sizilianischen Mafia. Sie setzte sich in den Großstädten der USA fest, nachdem mit der großen süditalienischen Auswandererwelle auch zahlreiche mafiusi Italien verlassen hatten: Neben den Verfolgungen durch rivalisierende cosche spielte vor allem die schlechte wirtschaftliche Lage eine wichtige Rolle, aus Italien zu emigrieren. Die cosa nostra kann man am besten als kriminell ausgerichtete 'Firma' großstädtischen Zuschnitts beschreiben. Sie hat mit den feudalen Voraussetzungen und den 'klassischen' capomafia-Strukturen nichts mehr gemeinsam. Die amerikanische Ausprägung des Mafia-Gedankens ist vielmehr am Gangstertum orientiert, welches durch Prunk, brutales Auftreten und nicht verheimlichte Kriminalität auffällt.

Während der Prohibition machten die Mitglieder der cosa nostra illegal ungeheuere Gewinne, und diese Beteiligung am organisierten Verbrechen strahlte auf die sizilianische 'Mutter-Mafia' zurück. Der wirtschaftliche Gedanke trat mehr und mehr in den Vordergrund. Die Gewinnspannen waren ja im illegalen Bereich (Schnapsdestillerien, Alkoholschmuggel) um ein Vielfaches höher als im normalen Wirtschaftsbereich, so dass die cosa nostra ein gut ausgebautes internationales Netz für Alkoholschmuggel errichten konnte. Daran waren auch sizilianische mafiusi indirekt beteiligt, etwa beim Schiffsschmuggel über den Atlantik. Nach 1945 zeigte sich sehr schnell, dass die einheimischen capi von ihren italo-amerikanischen Vettern gelernt hatten: Die Illegalisierung war nicht mehr aufzuhalten.

7. Die Entwicklung der Mafia seit 1989

7.1 Italien

Dass sich die Mafia in Italien seit einiger Zeit relativ ruhig verhält, ist nach Auffassung einiger kritischer Beobachter nicht Ergebnis einer erfolgreichen Bekämpfung der Mafia durch den Staat. Vielmehr gibt es Anzeichen, dass sie sich verstärkt dem nicht-italienischen Raum zugewandt hat. Diese Tendenz hängt eng mit den Umbruchsjahren 1989/90 in den ehemaligen sozialistischen Republiken Osteuropas zusammen. Dort forderte die offenkundige Schwäche des Staates die Mafia und andere kriminelle Vereinigungen geradezu heraus: die Ahnlichkeiten zum Sizilien des 19. Jahrhunderts sind vielfach frappierend.

Vor allem das Spekulanten- und Immobiliengeschäft wird für die organisierte Kriminalität als Nische benutzt, um illegale Gelder reinzuwaschen. Neu ist, dass gerade die italienische Mafia hier pseudolegal vorgeht. Sie führt ihre Devisen- und Immobilienkäufe über Strohfirmen durch, was auf Grund der noch nicht angepassten Gesetzeslage in den osteuropäischen Ländern keine Schwierigkeit darstellt. Diese Form des Kapitalflusses wird übrigens bereits seit 1985 verstärkt von italienischen Ermittlern beobachtet (wobei eventuell der Vatikan Verbindungen nach Osteuropa herstellte).

Neben der italienischen Mafia, die, wie die chinesischen Triaden , die japanischen Yakuza s oder das kolumbianische Drogenkartell Osteuropa überflutet haben, ist in der letzten Zeit auch von einer russischen 'Mafia' die Rede.

7.2 Die 'Rote Mafia': Anfänge

Seit etwa 1970, als nach der ersten Entspannungsphase zwischen den Supermächten eine längere Frostperiode folgte und die sowjetische Planwirtschaft immer weniger die Bedürfnisse der Menschen befriedigen konnte, entstand das Phänomen der 'Schattenwirtschaft': Nicht die staatlichen und genossenschaftlichen Betriebe sicherten die Versorgung der Bevölkerung, sondern der wuchernde Schwarzmarkt. Staatliches Eigentum wanderte mehr und mehr in die Hände von Dunkelmännern. Es entwickelte sich ein landesübergreifendes Korruptionssystem.

Die Schattenwirtschaft übernahm Aufgaben der Staatswirtschaft und schuf zusätzlich Märkte für Luxusgüter, Waffen, Drogen und Prostitution. Die Versorgung auf diesen illegalen Teilmärkten war weitaus besser als in der maroden Planwirtschaft. Zur Kontrolle ihres Einflussbereiches gründeten die 'Schwarzmarktler' bald eigene Zünfte. Deren Aufgaben veränderten sich mit der Zeit. Zunehmend traten sie als Garanten illegaler und legaler Geschäfte auf und verlegten sich auf die lukrative Schutzgelderpressung. Der Staat konnte keinen Einhalt bieten, da er von diesem inoffiziellen Wirtschaftssystem nichts wusste bzw. nichts wissen wollte.

7.3 Strukturen der russischen Mafia

Die 'Rote Mafia' hat, wie wir gesehen haben, auffällige Ahnlichkeiten mit der sizilianischen 'Schwester': Sie entstand in einer Zeit staatlicher und wirtschaftlicher Schwäche. Ihre Anfänge lagen im legalen Sektor, doch wuchs sie schnell in den illegalen Bereich hinein. Sie verfilzte sich mit der Bürokratie und machte ihre Geschäfte zunehmend mit speziellen 'Dienstleistungen' (Garantie von Schutz und Ordnung).

Neben Gemeinsamkeiten gibt es aber auch erhebliche Unterschiede zwischen russischer und italienischer Mafia: So ist die russische primär ethnisch strukturiert, Familienbindungen spielen eine vergleichsweise geringe Rolle. Ihre Wurzeln liegen nicht in der Krise des Feudalismus, sondern im Zusammenbruch der sozialistischen Planwirtschaft. Ihre Gewinne schöpfte sie nicht aus der Verpachtung von Land an Bauern, sonern aus dem Handel mit regulären Gütern wie Maschinenteilen und Weizen. Letzteres war übrigens auf Grund der vielen Missernten in den 70-er Jahren äußerst lukrativ.

7.4 Aufbau der 'Brigaden'

Brigaden nennen sich die Moskauer Banden, die mittlerweile Drogengeschäft, Prostitution, Glücksspiel und Waffenhandel kontrollieren und diese auch in den Westen 'exportiert' haben. Deutschland als zentraleuropäisches Land ist hierbei erste Anlaufstelle. Die ethnische Struktur der Banden zeigt sich darin, dass einzelne Banden jeweils eine Sparte der Kriminalität beherrschen, was brutalen Konkurrenzkampf natürlich nicht ausschließt: Serben, Kroaten, Bosnier dominieren den osteuropäischen Drogenhandel, die Routen kontrollieren meist Tschechen. Jüdische Russen verdingen sich als Hehler von Kraftwagen, die polnische Autoschieber im Westen zusammengeklaut haben. Die Russen profitieren hauptsächlich von der Prostitution und der Erpressung von Schutzgeldern, während sich Bulgaren und Georgier um das Glücksspiel streiten, ähnlich wie Dagistaner und Ossetier um das Monopol im Straßenraub. Allerdings sollte man sich vor Verallgemeinerungen hüten, die Banden sind nicht immer ethnisch sauber zu trennen und es gibt auch keine gesicherten 'Monopole' in der Kriminalität.

Die größte bekannte kriminelle Gruppe, die tschetsche, ist eine solche Ausnahme von der Regel und nicht ethnisch aufgebaut. Von anderen Organisationen, die es wohl bereits unter Stalin gab, kennen wir oft nur den Namen. Sie heißen etwa  Dolgoprodnaya oder Ingoschy.

7.5 Abschließende Bemerkung

Wie gesehen, ist das Netz der europäischen Kriminalität nur schwer zu durchschauen. Der Ermittlungsstand erlaubt, nur die Spitze des berüchtigten Eisberges zu sehen. Russische Experten wie A. Gurow oder L. Timofejew gehen davon aus, dass die Verflechtungen der kriminellen Organisationen und deren Machtfülle weit über die der 'klassischen' italienischen Mafia hinaus reicht.

Es ist nicht falsch, im Hinblick auf die Phänomene im Osten Europas von Mafia zu sprechen, da sich viele Ahnlichkeiten zu den italienischen Verhältnissen nachweisen lassen. Dort freilich war an Waffenhandel mit Nuklearmaterial oder chemischen Kampfstoffen nicht zu denken gewesen, und die Verschmelzung legaler und krimineller Geschäfte sowie die Verbindung mit der Politik hat in Rußland eine Intensität erreicht, die den italienischen Fall noch weit übersteigt.

8. Forschungsdebatten

8.1 Forschungsansätze

Gerade am Beispiel der Mafia zeigt sich deutlich, wie unterschiedlich die Fachdisziplinen ein Phänomen analysieren:

a) Kriminologischer Ansatz                                                                                                      

Da die Mafia einen maßgeblichen Faktor der internationalen Kriminalität darstellt, versuchen Autoren aus der Polizeiarbeit und der Strafverfolgung, die daraus erwachsenden Probleme für eine effektive Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu beschreiben. Diese Arbeiten greifen nur sehr knapp historische Perspektiven auf, im Vordergrund stehen die aktuellen Entwicklungen: Verflechtungen, Wirkungen und Strategien der Mafia und auch anderer krimineller Gruppierungen. Das kriminologische Schrifttum dient so einem Informationsaustausch der mit organisierter Kriminalität beschäftigten Beamten.

b) Soziologischer Ansatz                                                                                                    

Hier wird versucht, die Mafia als Teil des süditalienischen Sozialgefüges zu beschreiben. Familien- oder gruppensoziologische Fragestellungen sollen das Phänomen der Mafia begreifbar machen. Es werden vornehmlich die Bedingungsfaktoren für die Herausbildung der cosche oder die sozialen Voraussetzungen für ihre Weiterentwicklung untersucht. Strafrechtstheoretische oder kriminalistische Überlegungen bleiben weitgehend ausgeklammert, wohingegen psychologische Aspekte sehr wohl berücksichtigt werden (etwa im Zusammenhang mit der omertà und ihren Auswirkungen). Die Mafia ist - soziologisch ausgedrückt - integraler Bestandteil der italienischen Gesellschaft.

c) Begriffsgeschichtlicher Ansatz                                                                                                

Er leitet den Namen Mafia etymologisch, also wortgeschichtlich, her und versucht den Ursprung der Mafia zu erschließen. So deuten manche Forscher den Namen M.A.F.I.A. als Erkennungswort aufständischer Sizilianer gegen die Herrschaft der französischen Anjou im 13. Jahrhundert (Morte ai francesi, Italia anela: Tod den Franzosen, keucht Italien; dies ist nur eines der unzähligen Beispiele, die man sich ausdenkt, um nachträglich Sinn in eine obskure 'Geheimgesellschaft' zu bringen). Meist weiten sich begriffsgeschichtliche Darstellungen zu soziologisch-deskriptiven aus, so etwa in den meisten Lexika-Artikeln.

d) Sozialgeschichtlicher Ansatz                                                                                                  

Er geht auf sozialwissenschaftliche Fragestellungen zurück (s. Punkt b). Sein Hauptschwerpunkt liegt aber auf der historischen Betrachtung. Die Mafia wird in ihren geschichtlichen Entstehungsbedingungen erforscht und zu mentalitäts-, wirtschafts-, und sozialgeschichtlichen Phänomenen des Siziliens des 19. Jahrhunderts in Beziehung gesetzt. Die Einordnung der Mafia in die süditalienische Feudalgesellschaft, das Pächterwesen und die Ineffektivität der staatlichen Gewalt dienen als allgemeiner Rahmen, um das Problem in seiner Komplexität zu erfassen. E. J. Hobsbawms 'Primitive Rebels' wäre dieser Gattung ebenso zuzuordnen wie H. Hess´ 'Klassiker' über die Mafia.

8.2 Mafia und 'Sozialbanditen'

An der Frage, inwieweit die Mafia sich als Teil der sozialen Banditenbewegung Süditaliens beschreiben lässt, entzündete sich in der Vergangenheit eine interessante Kontroverse. E. J. Hobsbawm schilderte 1959 ('Primitive Rebels') das Entstehen der Mafia als Folge des Brigantenwesens, das in Süditalien im 19. Jahrhundert weit verbreitet war. Die bäuerlichen und arbeitenden Unterschichten, so Hobsbawm, suchten nach Mitteln, 'ihr Elend auch außerhalb der periodischen Bauernaufstände zu lindern' (57). Deswegen hätten sie sich unter den Schutz der aufsteigenden gabellutti begeben.

Es gibt aber kaum Hinweise darauf, dass mafiusi und ländliche Bevölkerung aufeinander zugingen. Beide sozialen Gruppen standen sich mehr als reserviert gegenüber. Der bedrohte Bauer wurde eher zum Briganten, als dass er sich einem mafiuso angeschlossen hätte. H. Hess bewies zudem, dass die mafiusi, entgegen der sozialdichotomischen Auffassung Hobsbawms (gabelluti als reiche, Bauern als arme Bewohnerschaft Italiens), erst allmählich finanziell zum Adel aufschlossen. Dies gilt auch für deren soziales Ansehen. Viele mafiusi blieben zunächst relativ arm, ihre Macht speiste sich aus der rigorosen Übernahme staatlicher Macht und brutalem Auftreten. Mafiusi wurden nicht 'angehimmelt', sondern gefürchtet.

8.3 Mafia, Staat und Bauernschaft

Die Mafia hat sich, so mittlerweile der Konsens unter den Forschern, als 'private(s) Parallelsystem organisierter Macht' (Hobsbawm, 57) gegen den italienischen Staat herausgebildet. Dass die mafiusi staatliche Kompetenzen übernahmen, war in deren Augen legal. D.h. das Auftreten als Schutz- und Ordnungsfaktor wurde von ihnen nicht als Verstoß gegen das tradierte sizilianische Gewohnheitsrecht gesehen.Viele sizilianische Einwohner sahen das genauso. Dies erklärt auch, warum die gabellutti so lange an den feudal-agrarischen Verhältnissen festhielten und die Urbanisierung der Mafia erst nach 1945 einsetzte. Denn jede Modernisierung hätte für die Mafia Machtverlust bedeutet.

Obschon sich manche mafiusi volkstümlich gebährdeten, können sie nicht als patroni der Bauernschaft verstanden werden. Dies ist insofern interessant, weil einige mafiusi sich so bezeichneten. Die Mafia-Mitglieder waren aber nicht auf Grund ihrer 'Wohltätigkeit' gegenüber den Bauern anerkannt, sondern auf Grund ihrer Machtfülle und Brutalität (vgl. W. Raith, 1983, 57).

Arbeiteten Mafia und Staat einmal zusammen, etwa bei der Niederschlagung sozialistischer Unruhen, war die Mafia immer von Eigeninteressen geleitet und die Zusammenarbeit zufällig und ungeplant (vgl. P. Klammerer).

8.4 Organisation der Mafia

Über Aufbau und innere Struktur der Mafia ist schon immer viel spekuliert worden. Die meisten Fehlschlüsse diesbezüglich rühren daher, dass nicht-sizilianische Modelle auf die Mafia übergestülpt wurden. So wird die Mafia oft mit camorra oder cosa nostra gleichgesetzt.

Ed Reid (Mafia) stellte 1964 die These auf, die Mafia sei in Gruppen zu je 10 Mitgliedern einteilbar. Diese strenge Hierarchie diene der Überschaubarkeit und Kontrolle durch die capi. Dies ist ebenso unhaltbar wie Norman Lewis´ Vorschlag, die Mafia als zentralistische Geheimgesellschaft zu beschreiben (The Honoured Society, 1963). Auch die Deutung der Mafia als religiöser Orden (etwa Renato Candida, Questa Mafia, 1960, der in der Mafia einen 'pontefice massimo' wirken sieht, der alle Geschäfte sakral leite) muss fehlschlagen. In diesen Interpretationen werden immer subkulturelle Elemente vernachlässigt: Respektverschaffen, Einhalten der omertà und Sanktionsmaßnahmen lassen sich durch hierarchische Modelle nicht fassen. Die sizilianische Subkultur kommt gerade ohne zentralistische und hierarchische Ordnungsvorstellungen aus, was nicht heißt, dass der capo keine Macht in seiner Hand bündelte. Dies ist bereits an Hand der cosca-Struktur deutlich geworden.

8.5 Begriffskontroversen

Um nicht unnötig Verwirrung zu schaffen, gilt es, Folgendes zu beachten::

  • Die cosa nostra ist von ihrem Ursprung her keine sizilianische Mafiaorganisation. Sie ist in Amerika entstanden und wirkte von dort nach Italien zurück (Prozess der Illegalisierung der Mafia in Italien nach 1945). Allerdings schafft die Tatsache Verwirrung, dass viele mafiusi in Italien sich heute selbst als Mitglieder der cosa nostra bezeichnen.
  • Neuere Formen der organisierten Kriminalität sollten nicht unüberlegt mit dem Etikett 'Mafia' belegt werden. Vielmehr muss im Einzelfall geprüft werden, ob die jeweiligen Erscheinungen mafiöse Grundelemente enthalten. Das italienische Vorbild spiegelt in seinen inneren Strukturen spezielle Formen der Vergemeinschaftung in Sizilien wider (omertà), es verweist hinsichtlich der Entstehung mafiöser Strukturen auf die Bedeutung grundlegender Systemkrisen (Zusammenbruch des Feudalismus, Schwäche des italienischen Nationalstaates), und ist nur zu verstehen, wenn der gleitende Übergang zu kriminellen Praktiken mitbedacht wird. Die enge Verbindung von Politik und Kriminalität war Folge dieser ganz spezifischen Entwicklung. Nimmt man nun diese Beobachtungen zum Maßstab, so kann man die russischen Brigaden durchaus als mafiös bezeichnen, die polnischen Autoschieber-Banden dagegen wohl eher nicht.

9. Kurzchronologie

19.Jahrhundert (Anfang?) 

Beginn des Aufstiegs der gabellutti durch Umschichtungsprozesse im sizilianischen Feudalsystem. Die Mafia als private Selbsthilfe-'Organisation' gegen den Staat schält sich langsam aus dem Steuerpächter-System heraus.


Zeit der 'klassischen' Mafia mit traditionellen sizilianischen subkulturellen Merkmalen. Agrarischer Schwerpunkt ohne Bewusstsein von Illegalität: Selbstbezeichnung: uomini d´onore.


Unterdrückung während des italienischen Faschismus. Ein Ausmerzen der Mafia gelingt aber nicht, wie sich bei der Landung der Alliierten auf Sizilien zeigt: die Mafia übernimmt Geheimdienstaufgaben für die Alliierten.


Phase der 'nuova mafia', die sich durch den Kontakt mit italo-amerikanischen Mitgliedern der cosa nostra illegalisiert und urbanisiert. Drogenschmuggel und politische Verfilzung tritt neben die Schutzgelderpressung der 'klassischen Phase'.

ab 1982

Erste Fahndungserfolge des italienischen Staates, die die Mafia zunächst mit einer Terrorwelle beantwortet, der berühmte Mafia-Jäger zum Opfer fallen.

seit 1985/89

Vermehrtes Ausgreifen der Mafia (und anderer illegaler Organisationen) in den Ost-Block. Übergang zur Geldwäsche durch Immobilien- und Spekulationsgeschäften.

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10. Literatur und www-links

Literatur: Pino Arlacchi, Mafia, contadini e latifondo nalla Calabria tradizionale, Bologna 1980 -/-  Anton Blok, Die Mafia in einem sizilianischen Dorf 1860-1960. Eine Studie über gewalttätige bäuerliche Unternehmer, 1981  -/-  Renato Candida, Questa Mafia, 1960  -/- Nando Della Chiesa, Il potere mafioso, 1976  -/-  Alessandro Coletti, Storia della criminalità organizzata nel Mezzogiorno, 1995  -/-  Konrad Freiberg u. Berndt Georg, Das Mafia-Syndrom: organisierte Kriminalität: Geschichte - Verbrechen - Bekämpfung, 1992  -/- Stanislaw Goworuchin, Moskau und die Mafia: Die große kriminelle Revolution, 1996  -/- Martin Hammer, Probleme der sizilianischen Agrarstruktur, 1965  -/-  Henner Hess, Mafia: Ursprung, Macht und Mythos, 1993   -/-  Eric J. Hobsbawm, Sozialrebellen, 1962  -/-   Norman Lewis, Die ehrenwerte Gesellschaft, 1965  -/-  Michele Pantaleone, Mafia e politica, 1962  -/-  Werner Raith, Die ehrenwerte Firma. Der Weg der italienischen Mafia vom 'Paten' zur Industrie, 1983 - /- ders. Die neue Macht der Kartelle, 1994  -/-  Ed Reid, Mafia, 1964  -/- Alexander Stille, Die Richter. Der Tod, die Mafia und die italienische Republik, 1997  -/-  Rolf Uesseler, Mafia. Mythos, Macht, Moral, 1987  -/-  ders., Stichwort Mafia, 1994.

Das Angebot ist insgesamt ziemlich rar, es scheinen halbernste, dem Infotainment nahestehende Pages zu dominieren (etwa die 'inoffizielle Homepage der NewYorker Mafia' o.A.), dennoch eine Auswahl:

(Übersicht über Skandale, u.a. auch die der Mafia)

(Informationen über das organisierte Verbrechen)

(eine kurze Geschichte der Mafia und der cosa nostra)

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11. Glossar

Andreotti, Giulio

Italienischer Politiker (*1919). Ab 1954 Ministerämter in christdemokratischen Kabinetten sowie 1970, 1972/3, 1976/9 und 1989/92 italienischer Ministerpräsident. Seit 1993 laufen Ermittlungsverfahren gegen Andreotti, in denen er der engen Verbindung zur Mafia beschuldigt wird. So fällt im Zusammenhang mit verschiedenen Finanzaktionen und politischen Skandalen immer wieder sein Name: etwa beim Zusammenbruch der Privatbank Banco Ambrosiano oder der 'Affäre Sindona', eines korrupten Großbankiers. Erst 1995 wurde der Mafia-Prozess eröffnet, obschon bereits seit 15 Jahren Vorwürfe wegen Korruptionsverdacht auf Andreotti lasten. Inzwischen ist Andreotti in Italien zum Synonym  für den bestechbaren Politiker geworden, denn auch seine Kontakte zu anderen geheimbündnerischen Organisationen (Propaganda 2, Orden vom Heiligen Grabe von Jerusalem) scheinen auf eine ungeahnt enge Verfilzung italienischer Politiker mit der Kriminalität hinzudeuten. Privat schreibt Andreotti übrigens mit Vorliebe fiktive Kriminal- und Verschwörungsromane.

Anti-Mafia-Gesetz (1982)

Regelte die bloße Zugehörigkeit zur Mafia als ausreichenden Straftatbestand. Das Gesetz erfuhr in den 80-er Jahren zahlreiche Verschärfungen, die es erlaubten, gezielter hinter die 'legale Fassade' der Mafia zu blicken. Auf Grund dieses Gesetzes und der Anwendung der sogenannten Kronzeugenregelung (ein geständiger mafiuso erhält Strafermäßigung) konnten in den späten 80-er Jahren viele Mafia-Prozesse eröffnet und auch abgeschlossen werden. Seit dem 'maxiprocesso' (1986/87 in Palermo; 1990 Berufungsverfahren mit zum Teil erheblichen Strafmilderungen) sitzen mehrere führende capi der Mafia hinter Gitter.

Anti-Mafia-       Kommission        

Anfang der 60-er Jahre gegründete 'Einsatzgruppe' zur intensiven Strafverfolgung mafiöser Verbrechen. Die Kommission setzt sich aus erfahrenen Beamten von Polizei und Staatsanwaltschaft zusammen. Spektakuläre Fahndungserfolge hat die Kommission seit Mitte der 80-er Jahre aufgrund der neuen Gesetzgebung, besserer materieller Ausstattung und der engen Kooperation verschiedener Dezernate.

Chinesische Triaden

Chinesische Geheimbruderschaft, die eventuell schon um die Zeitenwende existierte. Sie entstand wohl aus sozial und wirtschaftlich deklassierten Schichten wie Bauern, Kulis, Schmugglern oder auch Mönchen, die sich gegen die hierarchische Gliederung der Gesellschaft auflehnten. Durch ausgeklügelte Geheimsprachen, spezielle Symbole und Fingercodes erkennen sich die Mitglieder verschiedener Bünde untereinander. Die europäische Kolonisation und die anschließenden Bürgerkriegswirren trieben die Triaden in eine Reihe illegaler Geschäftspraktiken, z.B.Glücksspiel oder Opiumschmuggel. Zentrum der Triaden ist heute Honkong. Dort kommt es auch zu blutigen Bandenkriegen mit für europäische Verhältnisse ungewöhnlichen Formen der Gewalt (z.B. werden Gefangenen die Daumen abgeschnitten und diese der gegnerischen Triade zugeschickt).

DC

Democrazia cristiana. Koalitionsbewegung im Nachkriegsitalien, welches christdemokratische Gruppierungen umfasste. Vor allem wegen der kontinuierlichen Beteiligung an Regierungen war die DC ein bevorzugtes 'Objekt der Begierde' für die Mafia. Mittels Schmiergeldzahlungen und Erpressungen begann eine derart intensive Verflechtung von Politik und Mafia, dass eine Auflösung dieses Netzes bis heute nicht gelungen ist. Zahlreiche Korruptionsprozesse, wie der gegen G. Andreotti, belegen dies. Das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der DC zeigte sich in den 80-er Jahren, als der Stimmenanteil der DC bei Wahlen auf 35% sank. Gleichzeitig schrumpfte ihre Mitgliederzahl auf unter eine Million (1991).

Falcone, Giovanne und Borsellino, Paolo

Sie sind die berühmtesten Anti-Mafia-Anwälte Italiens. Beide Untersuchungsrichter kamen 1992 durch Attentate der Mafia ums Leben, nachdem klar geworden war, dass sie auf Grund ihrer Indizien und Sachkenntnisse die Mafia im Innersten bedrohten. Ihre Rolle als unbestechliche Mafia-Jäger machte sie zu Idolen der Italiener. Deswegen war ihre Ermordung ein Fanal, auf das die Bevölkerung noch entschlossener reagierte.

French Connection

Internationale Verbrechensorganisation, die sich größtenteils aus israelischen, kubanischen, libanesischen und türkischen Gruppen zusammensetzte und über Südfrankreich den europäischen Markt mit Heroin versorgte. Der Stoff gelangte von Asien und dem Nahen Osten nach Marseille, von wo aus er in ganz Europa verteilt wurde. Die French Connection spielt heute dank der Fahndungserfolge der Interpol in der europäischen Kriminalität keine Rolle mehr, an ihre Stelle trat die Mafia mit ihren internationalen Verbindungen.

Italienische Nationalstaatsgründung

Unter der Federführung des nationalliberalen Politikers C. Cavour wurde das in viele Kleinstaaten zersplitterte Italien 1859/60 geeint. Der konservative König Emmanuel (von Sardinien-Piemont) betrieb daraufhin eine anstaltsstaatliche Politik, welche die sozialreformerische Bewegung Garibaldis desavouierte: Dieser hatte zuvor viele süditalienische Bauern für eine Einigung Italiens mobilisieren können, indem er ihnen eine Emanzipation aus feudaler Abhängigkeit versprach. Daraus wurde freilich nichts. Fortan hatte dieser Staat im Süden kein Standbein, was den Aufstieg der gabellutti erheblich erleichterte. 

Japanische Yakuza

Ahnlich der Mafia begreifen sich japanische Yakuza-Clans als integralen Bestandteil der Sozialordnung. Sie sind seit dem 16. Jahrhundert bezeugt und lehnen sich stark an Samurai-Rituale an. Yakuza-Mitglieder boten im alten japanischen Feudalsystem Schutz gegen herumziehende Räuberbanden, sie kontrollierten Spielhöllen und organisierten sich wie japanische Familien. Strenge Loyalität gegenüber den Clan-Führern zeigt, dass der Aufbau der Yakuza traditionellen japanischen Werten folgt. Geheimsprache, Begrüßungsrituale und Ganzkörpertätowierungen sind Erkennungsmerkmale ihrer Mitglieder bis heute. Neben Mädchenhandel und Glücksspiel im ostasiatischen Raum betreiben die Yakuza-Clans vor allem den Amphetamin-Handel nach Europa.

Klientelen

Schutz- und Pflichtverhältnis zwischen Plebs und Patriziat in der antiken römischen Republik. Der cliens, ein juristisch zwar freier, wirtschaftlich und sozial aber abhängiger Bürger Roms, begab sich unter den Schutz eines patronus. Dieser vertrat ihn vor Gericht, wofür der cliens bestimmte Aufgaben für den patronus erledigen musste (Botengänge, Gartenarbeit a.A.). Der römische Staat war innerhalb dieser privatrechtlichen Vereinbarung ausgespart, musste mitunter auch die Beschränkung seiner Macht und Befugnisse hinnehmen, weil die Klientelverbindungen auch die politische Willensbildung mit beeinflussten, etwa bei der Wahl der Magistrate.

Kolumbianisches Drogenkartell

In dem vom Bürgerkrieg geprägten Kolumbien konnte sich seit Ende der 80-er Jahre die mit Drogenanbau und -handel befasste Kriminalität erheblich in das politische Geschehen einschalten. Die Drogenkartelle hatten den Kokainvertrieb monopolisiert und versuchten, im 'Drogenkrieg' den Staat niederzuringen. Auch interne Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Kartellen (Medellin contra Kali) verliefen sehr blutig, führten aber zugleich zur Schwächung ihrer Macht. Inzwischen ist der bewaffnete Kampf gegen den Staat für beendet erklärt worden. Die Möglichkeiten der Kartelle in Wirtschaft und Politik scheinen aber ungebrochen, wenngleich namhafte Bosse dingfest gemacht wurden.





Maresca, 'Pupetta'





Eigentlich Assunta Maresca. Sie erschoss den mutmaßlichen Mörder ihres Mannes, eines neapolitanischen mafiuso. Als 'rächende Witwe' berühmt geworden, organisierte sie aus dem Gefängnis heraus die Geschäfte ihres Mannes. Zusammen mit anderen mafiusi gründete sie die nuova-famiglia, die gegenüber dem alten Einflussbereich, den Pupettas Mann kontrollierte, erheblich an Macht gewann. Erneut hinter Gittern, regelte sie den Umbau der Organisation mit harter Hand. 

omertà

(Sizilianisch) 'Schweigepflicht'. Ein Mitglied der sizilianischen Mafia verpflichtet sich dazu, auch unter Todesgefahr keine Geheimnisse über Aufbau, Mitglieder und Geschäfte seiner cosca preiszugeben. Diese Vereinbarung wirkte in der Regel auf Grund der sozialpsychologischen und mentalen Bindungen gegenüber dem capo. Verstießen affiliati gegen diesen Ehrenkodex, wurden sie meist umgebracht, auch dann, wenn sie von der Polizei rund um die Uhr beschützt wurden.

uomini d´onore

Selbstbezeichnung der gabellutti im 19. Jahrhundert. Ihr Selbstverständnis als 'ehrenwerte Männer' bezeugt deutlich, dass sie ihr Vorgehen gegen den Staat als legitim und gerecht einstuften. Die Bezeichnung ist somit zugleich wichtiges sozialgeschichtliches Indiz, das die Motivation der mafiusi erklären kann. Die Mafia als illegal und kriminell zu bezeichnen, wäre aus dem Blickwinkel der uomini d´onore verfehlt. 

Prohibition

'Verbot'. US-amerikanisches Gesetz, welches Herstellung und Vertrieb von Alkohol unterbinden sollte. Das Gesetz war zwischen 1919 und 1933 gültig. Durch die Illegalisierung des Alkoholhandels wuchs in dieser Branche die Kriminalität ins Astronomische. Für die cosa nostra bedeutete der Einstieg in den Alkoholschmuggel, den sie 'transatlantisch' betrieb, der Aufstieg in die organisierte Kriminalität der USA. Das ursprüngliche Ziel des US-Kongresses, den Alkoholkonsum besser zu kontrollieren, wurde verfehlt. Präsident Theodore Roosevelt hatte übrigens gegen den Kongress-Beschluss gestimmt.

vendetta

(Sizilianisch) 'Blutrache'. Sie ist ein traditionelles Sozialritual auf Sizilien. Sie erlaubt es, abseits des offiziellen Strafrechts privat Rache zu nehmen. Es trifft in der Regel Mitglieder solcher famiglie, welche sich der Übertretung eines Gewohnheitsrechts schuldig gemacht haben. Darüber entscheidet kein offizielles Gericht, sondern allein das 'Gespür' der Betroffenen. Die vendetta spielt bis heute eine ernstzunehmende Rolle in Süditalien, da zahlreiche Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden cosche eskalieren und dabei auch Frauen und Kinder nicht mehr verschont werden, was früher einen Verstoß gegen den subkulturellen Kodex der Sizilianer bedeutet hätte. http://www.uni-saarland.de/~gg14rhah/lexikon/mafia/mafia.htm - Gliederung#Gliederung







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