Wladimir Iljitsch Lenin
1870
1879-1887
1887-1891
1893
1895
1895-1900
1900
1903
1905
1914-1917
1917
1918
(Siehe Vortrag)
1921
Letzen Jahre seiner Amtszeit:
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Renaissance eines Revolutionärs
Wie die Russen sich wieder um Wladimir Iljitsch Lenin kümmern
Von ALEXEJ DUBATOW
Als die Kommunisten die Macht in Moskau verloren, sollte der Vater der Sowjetunion eigentlich nach christlicher Sitte beigesetzt werden. Aber Lenin blieb in seinem gläsernen Sarkophag auf dem Roten Platz. Anfang des Jahres wurde die Mumie gar generalüberholt. Auch die Ideen des Revolutionärs werden wiederverwertet: KP-Chef Sjuganow machte für sein Programm Anleihen bei Lenin.
Moskau - Quer über den Roten Platz von der Kremlmauer zum Kaufhaus Gum stehen Absperrgitter. Wer zum Lenin-Mausoleum will, wird an einer Schranke von Polizisten nach "größeren Metallgegenständen" abgetastet. Kameras, Tonbandgeräte und Handtaschen muss man in einem Aufbewahrungsraum des Museums zurücklassen. Ein Gruppe von Musikern aus Mannheim, die ihre Konzertreise mit dem Sightseeing verbinden, haben Verständigungsprobleme und halten den Verkehr auf. Ein Lehrer aus dem südrussischen Orjol, der mit einer Gruppe von Kindern da ist, wundert sich laut über derlei übertriebene Vorsichtsmaßnahmen. Es ist kein Menschenstrom, sondern ein dünnes Rinnsal, das jetzt zur Wallfahrtsstätte der Sowjetzeit fließt.
Vor dem Mausoleum und unten in der Gruft schauen drei Polizisten jeden noch einmal misstrauisch an. Der kleine große Mann im Glassarg wirkt wie immer gelblich wächsern. Der schwarze Fleck an an seiner Hand ist weg. Die Mumie ist erst Anfang des Jahres von einer Generalüberholung zurückgekehrt.
Großen Andrang vor dem Mausoleum gab es zuletzt im Herbst 1993, als sich die Gerüchte über eine angeblich bald bevorstehende Umbettung Lenins in eine Familiengruft der Uljanows in St. Petersburg verdichtete. Selbst Menschen, die noch nie im Mausoleum waren, gingen hin - nach dem altsowjetischen Grundsatz: "Nehmen, solange es gibt". Demokraten, unter ihnen der Schriftsteller Juri Korjakin und der St.-Petersburger Bürgermeister Anatoli Sobtschak, forderten, "den Bürger Uljanow nach der christlichen Sitte beizusetzen, damit sein unruhiger Geist endlich zur Ruhe kommt". Nach dem gescheiterten Oktoberputsch wurde der "Wachposten Nummer eins" aufgelöst, jene Touristenattraktion mit zu Puppen erstarrten Soldaten an der Tür des Mausoleums, aber mehr passierte nicht. Heute wird der bekannteste Tote Russlands mit zurückhaltender Pietät behandelt. Die Wiedereröffnung des Mausoleums wurde von allen Medien gemeldet. Am Tag zuvor brachte das russische Fernsehen ein Interview mit dem Direktor des Moskauer Zentrums für biologische Strukturforschung Wilar, Professor Waleri Bykow. Im Volksmund wird das Zentrum der Kürze wegen "Lenin-Institut" genannt. Die letzte Überprüfung habe ergeben, dass alle Gewebe in bestem Zustand seien, sagte Bykow. Berichte über "angebliche Schäden durch Pilzbildung bei der Auslagerung während des Zweiten Weltkrieges" wies er als unsinnig zurück. Die 1924 entwickelte Lösung, deren Rezept bis heute geheimgehalten wird, gewährleiste den Erhalt des Leichnams über Jahrhunderte.
Quelle: Die Welt-online vom 22.3.1996
Immer Ärger mit Lenin
Kommunisten wollen den toten Revolutionär zum Kulturerbe erklären
Von JENS HARTMANN
Moskau - Soll er, oder soll er nicht? Die Frage, ob Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, weiter im Mausoleum auf dem Roten Platz sein Dasein fristen oder ob sein Leichnam 73 Jahre nach seinem Tod endlich in St. Petersburg bestattet werden soll, wie er es selbst in seinem Testament wünschte, erhitzt in Russland wieder einmal die Gemüter.
Präsident Boris Jelzin hat der Diskussion einen neuen Anstoß gegeben. "Ich bin dafür, dass Wladimir Iljitsch Lenin bestattet wird", hatte der 66jährige vor einer Woche gesagt. Damit trifft Jelzin die Mehrheitsmeinung.
Einer Umfrage des Instituts Öffentliche Meinung zufolge sind 48 Prozent der Russen dafür, Lenin zu bestatten. 38 Prozent der 1500 Befragten begrüßen es, den Sowjetherrscher im Mausoleum zu lassen, 14 Prozent haben keine Meinung.
Dass ausgerechnet KP-Funktionär Jelzin noch 1990 Lenin als "große Figur, als Genie" bezeichnet und sich dagegen ausgesprochen hatte, "ihn aus dem Mausoleum herauszutragen", sorgt für Verstimmung bei den Roten. In die Staatsduma brachten die Kommunisten ein Dokument ein, das Lenin für unantastbar erklären soll.
Rund 50 Deputierte wenden sich an "alle ehrlichen Menschen, den Akt der politischen Rache an W. I. Lenin zu verhindern". Die Volksvertreter schrecken dabei nicht einmal davor zurück, die Lenin-Leiche zum Kulturgut zu deklarieren.
Ihre juristisch etwas zweifelhafte Argumentation: 1990 habe die Unesco den Kreml und den Roten Platz einschließlich des Mausoleums zum Weltkulturerbe erklärt. Damit sei auch Lenin höchstrangiges Kulturerbe und dürfe nicht entfernt werden.
Ein Dutzend Experten des Laboratoriums für Biologische Strukturen, früher eine Geheimabteilung des Gesundheitsministeriums, unterzieht den Lenin-Körper zur Zeit einer Generalüberholung. Erst vom 25. März an wird der Leichnam wieder im Mausoleum vor defilierenden Touristen zur Schau gestellt. Dem Frühjahrsputz muss sich auch das Mausoleum unterziehen, das Gebäude wird mikrobenfrei gemacht, die Sarkophag-Lampen mit Spezialfiltern, damit die Haut nicht austrocknet, werden gewechselt.
Lenin, dessen Hirn bereits konserviert wurde, ziehen die Forscher bei dem Rundum-Check aus, danach fotografieren sie den Körper von allen Seiten. Biochemiker nehmen Gewebeproben, die Farbe der Haut wird mathematisch genau bewertet. "Sein Zustand ist stabil. In den letzten 40 Jahren habe ich keine Veränderungen feststellen können", so Juri Romakow, der seit 1952 die Leiche hegt und pflegt. "Einige hundert Jahre" werde der Leichnam schon noch halten, sagt der 75jährige, der das Forscherteam leitet. Eine Bestattung in St. Petersburg lehnt Romakow ("Nur der eigene Tod kann einen Menschen von einer solchen Arbeit wegreißen") ab. Den politischen Streit um die Leiche hält Romakow für zweitrangig. "Lenin wurde in den Jahren zu einem wertvollen wissenschaftlichen Objekt."
Geheimrezept für Lenins Leiche
Was die Sowjets unternahmen, um den Körper zu balsamieren
Von Mathias Brüggmann
Der aufgebahrte Wladimir Iljitsch Lenin. Spezialisten sorgten dafür, dass der Körper erhalten blieb.
Foto: AP |
BM Moskau - Monatelang ist der russische Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin mit einer besonderen Einbalsamierungsmethode so bearbeitet worden, dass sein Körper auch 73 Jahre nach seinem Tod noch im Mausoleum am Roten Platz liegen kann. Nach Jahrzehnten wurde jetzt der bislang geheimgehaltene Balsamierungs-Prozess bekannt.
Nach Lenins Tod am 21. Januar 1924 in Gorki bei Moskau wurde sein Körper 56 Tage lang bei minus 35 Grad in einer Spezialgruft tiefgefroren. In diesem Zustand wurde er auch in Moskau aufgebahrt, damit die Russen Abschied nehmen konnten. Doch Lenin begann auszutrocknen. Deshalb gab Geheimdienstchef Felix Dserschinski als Vorsitzender einer eilig gegründeten Staatskommission zum Erhalt des "Körpers Nr.1" - so die offizielle Bezeichnung bis heute - den Mumifizierungsbefehl.
Am 26. März 1924 holte der Charkower Medizin-Professor Wladimir Worobjow die Leiche aus der Gruft und stellte "Austrocknung und Erweichungen an einigen Stellen des Körpers, starke Verfärbungen" fest. Dann wurden bei null Grad alle Nähte am Kopf, durch den das Gehirn entfernt worden war, vorsichtig wieder geöffnet und ein Schnitt in den Körper gewagt, um die erweichten - sprich: angefaulten - Stellen zu untersuchen und mit Formalin zu fixieren.
Auf Lenins Gesicht, Händen und Bauch wurde mit einprozentiger Formaldehyd-Lösung getränkte Watte gelegt. Dann wurde er in eine Wanne gelegt, die mit zweiprozentiger Formaldehyd-Lösung, später dreiprozentiger gefüllt wurde. Bauch und Becken wurden mit Essigsäure abgewaschen. Die Außentemperatur stieg langsam von drei auf 16 Grad an. In Spezialwannen wurden sein Kopf und die Hände imprägniert.
An Kopf und Händen tauchten immer wieder Flecken auf, die mit Wasserstoffsäure behandelt wurden. Anfang April wurde Lenins Schädel von hinten geöffnet, sowie 20 Schnitte in Schulter, Rücken, Bauch, Becken, Brustkorb und Gesäß gesetzt. Lenin sollte so auch von innen getränkt werden. Später wurden noch 20- und 35prozentige Spirituslösung, eine wässrige Glyzerin-Lösung, Ammoniaklauge und essigsaures Kalium eingesetzt.
Ende April waren Lenin bereits Kunstaugen eingesetzt, der Mund von innen zugenäht worden. Die Nähte wurden unter den Brauen und im Bart versteckt. Lenins Frau Nadeschda Krupskaja brachte laut Befehl mit zittrigen Händen seine Hemden, lange Unterhosen und Socken. Zuvor waren ihm mit Balsamierungslösung befeuchtete Unterwäsche angezogen und Gummilitzen fest um Körper, Beine und Arme gebunden worden. Mit seinem alten Feldrock bekleidet, kam Lenin im Juli immer wieder für mehrere Stunden im Rollstuhl an die frische Luft.
Am 26. Juli befand die Staatskommission: "Äußerlich sieht er deutlich besser als vor der Balsamierung aus, so wie ein gerade erst Gestorbener." Fünf Tage später wurde Lenin öffentlich zugänglich im Mausoleum. So hält sich der tote Lenin bis heute.
Jedes Jahr muss er dafür aber etwa zwei Monate lang wieder in den Speziallösungen gebadet werden, so Prof. Juri Denissow vom Mausoleums-Institut. Im Mausoleum muss eine Temperatur von 16 Grad und eine Luftfeuchtigkeit zwischen 60 und 70 Prozent gehalten werden.
Dass Lenins Leiche jedoch heute nur noch begrenzt echt sein kann, verriet kürzlich der Leibarzt Mao Tse-Tungs. Als er nach dem Balsamierungsrezept gefragt habe, um den chinesischen Führer zu konservieren, hätten die Moskauer Ärzte zugegeben, dass Lenin bei der Evakuierung 1941 nach dem deutschen Angriff an Kopf und Händen zu faulen begonnen habe. Die Partien hätten durch Kunststoff ersetzt werden müssen.
So wird der Mythos um Lenin noch lange weiterleben - selbst wenn er, wie jetzt überall in Russland diskutiert wird, endlich seine Ruhe im Grabe finden würde
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