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Hendrik Hofgen - ein unschuldig Schuldiger

Hendrik Höfgen - ein "unschuldig Schuldiger" ?


Im Folgenden soll die These zur Disposition gestellt werden, dass der Hauptdarsteller aus Klaus Manns Roman "Mephisto", Hendrik Höfgen, die Rolle eines "unschuldig Schuldigen" einnehme.


Höfgen ist von Beruf Schauspieler und vertritt eine kommunistische Gesinnung, die er auch dementsprechend im sogenannten "Revolutionären Theater" zu verwirklichen sucht, welches er mit seinen Freunden und Kollegen vom Hamburger Künstlertheater, wie z.B. Otto Ulrichs und Oskar H. Kroge, erschaffen will.

Als in Deutschland jedoch der Nationalsozialismus auf dem Vormarsch ist und schließlich an die Macht kommt, sympathisiert Höfgen augenscheinlich mit dem Regime. Er steigt auf zum berühmtesten Schauspieler des Dritten Reiches und wird vom Ministerpräsidenten Hermann Göring sogar zum Intendanten des Staatstheaters ernannt, der höchsten Position am Theater.




Höfgen kommt im Laufe seiner Entwicklung für verschiedene Handlungen in Betracht, die teils offiziellen, teils moralischen "Verbrechenscharakter" haben, deren juristische Relevanz jedoch in Frage steht.


Beispielhaft sei zunächst die Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Regime genannt. Höfgen ist verantwortlich dafür, dass am Theater nur noch Stücke gespielt werden, die dem arischen Geist entsprechen und den übersteigerten Nationalismus in Deutschland weiter ausprägen sollen.


Eine weitere mögliche Schuld, die er auf sich lädt, ist aber der moralische Aspekt. Hendrik Höfgen handelt moralisch verwerflich, da er aus Ruhmsucht und Karrieredrang seine eigene Gesinnung aufgibt und auch seine einstige Vergangenheit und seine Kollegen vom Hamburger Künstlertheater leugnet. Hinzu kommt, dass er seine Ehefrau Barbara Bruckner im Stich lässt, um sich seinem Aufstieg im NS-Deutschland weiter zu widmen. Er wendet sich von ihr ab, da sie als strikte Gegnerin des Regimes als Ehefrau für ihn nicht mehr in Frage käme. Des weiteren lässt er Juliette, seine heimliche Geliebte, mit der er des öfteren seinen erotisch-sexuellen Neigungen nachgeht, nach Frankreich abschieben, da sie eine "Negerin" ist und somit die Stellung Höfgens erheblich gefährden bzw. stürzen könnte.


Höfgen kann in diesen und vielen anderen Fällen eine "Schuld" unterstellt werden.


Für die Beantwortung der Frage, um was für eine Art Schuld es sich handelt, ist der Begriff der Schuld zu definieren.


Es soll daher zunächst der Aspekt betrachtet werden, ob Höfgen schuldbelastet im juristischen Sinne ist, d.h. sich strafbar gemacht hat, weil er als berühmtester Schauspieler des Reiches und Intendant des Preußischen Staatstheaters das nationalsozialistische Deutschland kulturell unterstützt hat und somit eine Mitverantwortung für den, subjektiv empfundenen, "Erfolg" und die geistige Gleichschaltung des Dritten Reiches trägt.

Nimmt man als geschichtliche Parallele den weiteren Verlauf der Deutschlandpolitik, kommt man zu den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen in den Jahren 1945 bis 1949. Es wurden auch Fälle von Personen verhandelt, die nicht unmittelbar mit dem Kriegsgeschehen zutun hatten, wie z.B. Hans Fritzsche, Hauptschriftleiter des offiziellen deutschen Nachrichtenbüros und Chef des Rundfunksystems sowie Presseabteilung des Propagandaministers. Dieser wurde vor Gericht gestellt, jedoch freigesprochen. Aus heutiger Sichtweise wäre Hendrik Höfgen ein ähnlicher Fall. Er arbeitete mit den Nationalsozialisten zusammen und war Triebfeder für das Staatstheater in Berlin. Es trifft Höfgen also eine Mitschuld, jedoch keine direkte Verantwortung. Seine einzelnen Handlungen haben nicht - soweit dies im Buch deutlich wird - gegen geltendes Recht verstoßen und sind somit strafrechtlich nicht relevant. Sein Wirkungsfeld beschränkt sich außerdem in erster Linie auf die kulturelle Ebene, nicht auf die rein politische, wie dies bei Funktionären wie z.B. Joseph Goebbels der Fall wäre. Höfgen macht sich vielmehr durch sein Handeln zum Machtinstrument der Nationalsozialisten. Er wird sich zu spät darüber bewusst, dass ihm dem von ihm von ihm angestrebten Ausleben des kulturellen, künstlerischen Freigeistes gerade durch die herrschende nationalsozialistische Ideologie sehr enge Grenzen gesetzt werden und er damit seine Identität als Künstler aufgegeben hat.


Nimmt man an, es hätte dennoch ein Gericht über Höfgen zu entscheiden, wäre die Ursache des Handelns von Höfgen jedoch unerheblich, solang es nichts mit einer psychischen Beeinträchtigung Höfgens zur "Tatzeit" zutun hätte. Der Schauspieler handelt mit Berechnung und Kalkül, und ist zu jeder Zeit Herr seiner Sinne, was ihn voll schuldfähig macht. Jedoch wird nicht beachtet, worin die eigentlichen Wurzeln seines Strebens innerhalb des NS-Regimes liegen. Diese liegen m.E. nach zum in seiner Kindheit, die er unter Zwang und Unterdrückung verbrachte. Seine Kindheit wird von ihm selber bezeichnet als eine Zeit voller Scham (S. 142 "Das ist es eben: du hast dich in deinem Leben nie richtig schämen müssenMir ist das oft widerfahren, damals war es nur ein erstes Mal. Ich muss mich häufig so entsetzlich stark schämen - mich so in die Hölle hinunter schämen") Sie führte zur Ausprägung eines Charakterzuges von Höfgen, und zwar seine Ruhmsucht und Karriereversessenheit. Eine Schlüsselstelle ist hier das Zusammentreffen Hendriks mit der Verwandtschaft und Bekanntschaft Barbaras, die der Großbourgeoisie angehört. Folgende Aussage ist essentiell für mein Verständnis der Person Höfgens: S.135: "Hier aber, unter den höchst Gebildeten, viel Besitzenden[],unter den Selbstsicheren, Ironischen und Gescheiten, in deren Kreis Barbara mit so einer aufreizenden Sicherheit sich zu bewegen wusste -: hier spielten sie beide die gleiche Rolle, Nicoletta und Hendrik, die zwei bunten Vögel. Sie waren beide im tiefsten dazu entschlossen, sich von dieser Gesellschaft, der sie sich nicht zugehörig fühlten, nach oben tragen zu lassen, und ihren Triumph über sie zu genießen als ihre Rache."

Hendrik bekennt also selber, dass er sich nach oben tragen lassen will von der Gesellschaft. Zur Zeit, als er dies sagt, sind die Nationalsozialisten noch nicht an der Macht, jedoch treten später diese an die Stelle der Großbourgeoisie als Instrument zum Aufstieg.

Folgernd aus diesen Aussagen Höfgens bin ich der Meinung, dass seine Ruhmsucht, Karrieretrieb und Suche nach Selbstverwirklichung und extremer Anerkennung aus einem Kompensationsdrang gegenüber seiner unglücklichen Kindheit resultieren.

Am Ende des Buches, nachdem ihn sein Gewissen in Gestalt einer Vision heimgesucht hat, reflektiert Hendrik über seine Rolle im Zusammenhang mit Theater: S. 386/387 "Ich bin überhaupt unentbehrlich! Das Theater braucht mich, und jedes Regime braucht das Theater! Kein Regime kann ohne mich auskommen!". Diese Aussage deute ich in der Art, dass dies die schauspielerische Person Höfgens widerspiegelt. Es sagt aus, dass Hendrik jedem Regime seine Unterstützung und Sympathie zusichern würde, wenn er dabei nur einen eigenen Vorteil davon hätte. Somit hat Hendrik keine gefestigten Ansichten und es fehlt ihm eine eindeutige Prägung seiner Person. Dies erklärt, wieso er keine eindeutigen Ideale oder Leitbilder im Leben hat, sondern ständig "immer nur auf die neue Rolle" wartet (S. 220, 2. Abs.: "Der Tag ist nahe: schwärmerischer Gedanke, der Hans Miklas und Otto Ulrichs beherrscht, ausfüllt, begeistert wie Millionen andere junge Menschen. Auf welchen Tag aber wartet Hendrik Höfgen? Er wartet immer nur auf die neue Rolle.").

Eine Reflexion über diese Abwesenheit von Idealen gibt Hendrik schlussendlich auf S. 387. Klaus Mann verwendet hier nicht die wörtliche Rede Höfgens, formuliert jedoch dessen Gedanken ("In seiner Wehmut fand er, dass der tote Otto Ulrichs zu beneiden sei. Der brauchte keine Schmerzen mehr ertragen; der war erlöst von der Einsamkeit dieses bitteren Lebens. Seine letzten Gedanken aber waren die des Glaubens und einer stolzen Zuversicht gewesen. War nicht sogar Miklas beneidenswert - Hans Miklas, dieser trotzige kleine Feind? Beneidenswert waren jene, die glauben konnten, und doppelt beneidenswert jene, die im Rausch des Glaubens ihr Leben gegeben hatten"). Hendrik beweist in dieser Selbstreflexion menschliche, fühlende Züge. Auch die vorangestellte Einsicht, dass er "sie alle verloren [hat], Barbara [seinen] guten Engel; und Prinzessin Tebab, die dunkle Quelle [seiner] Kraft; und Frau von Herzfeld, die treue Freundin und sogar die kleine Angelika" hat er "eingebüßt."  Diese menschlichen Züge negiert er jedoch wieder wenig später, als er in schauspielerischer Manier vor seiner Mutter zurück in den Stuhl sinkt und sagt: "Was wollen die Menschen von mir? Warum verfolgen sie mich? Ich bin doch nur ein ganz gewöhnlicher Schauspieler!".


Sein Wesen als Schauspieler geht soweit, dass er seine (vermeintliche) Gesinnung und damit seine Persönlichkeit aufgibt und verleugnet, nur um sich einen beruflichen Aufstieg und Anerkennung im Dritten Reich zu verschaffen. Im Gespräch mit Göring (S.278) bezeichnet er seine Vergangenheit als "Künstlerlaune oder Künstlertorheit". Doch selbst seiner früheren Gesinnung, die das "Revolutionäre Theater" nach sich ziehen sollte, stellt er seinen Drang nach Bekanntheit und Ruhm voran. Seine Gesinnung ist ihm also nicht das Wichtigste, sondern sein Bekanntheitsgrad. Dafür spricht der Fakt, dass Hendrik die Eröffnung des "Revolutionären Theaters" immer weiter hinausschiebt unter folgendem Vorwand: S. 164 "Hendrik aber behauptete mit schöner Beredsamkeit, es sei absolut notwendig, dass er sich durch die leichteren und gefälligen Darbietungen beim Publikum und bei der Presse zum Liebling mache, ehe er sich mit dem Revolutionären Theater hervorwagen könne."

Der Autor selber merkt hier ironisch an: "Seine revolutionäre Taktik bestand darin, dass er täglich neue Ausflüchte ersann, um mit den Proben für das Revolutionäre Theater nicht beginnen zu müssen."


Bei der Aufführung des Stückes "Faust", in dem er als Mephisto auftritt, lernt er zunächst Hermann Göring, den Ministerpräsidenten, kennen und gibt sich ausgelassen. Als Höfgen ihm die Hand schüttelt, realisiert er zum ersten Mal, dass er sich die "Hände schmutzig gemacht" hat (S. 262/263 "Jetzt habe ich mich beschmutzt, jetzt habe ich einen Flecken auf meiner Hand, den bekomme ich nie mehr weg. Jetzt habe ich mich verkauftJetzt bin ich gezeichnet!"). Hendrik ist sich also bewusst, dass er sprichwörtlich den "Pakt mit dem Teufel" eingeht.

In der weiteren Entwicklung wird jedoch deutlich, dass er von seiner Gesinnung her nie mit dem NS-Staat übereinstimmt, sondern sich verstellt und eine nationalsozialistische Ideologie und Kameradschaft heuchelt, um seine Karriere nicht zu gefährden. Im Laufe der Handlung kommt es zum Aufstieg Hendriks. Er bekommt weitere große Rollen und sympathisiert mit Göring. Der Höhepunkt seiner Karriere ist 1933 die Ernennung zum Intendanten des Preußischen Staatstheaters mit der Unterstützung und der Stimme Görings. Diese Stellung weitet sich sogar noch aus, als Höfgen zum "Staatsrat" befördert wird und zum Senator ernannt wird. "Der Intendant hatte nun in allen kulturellen Institutionen des Dritten Reiches seinen wichtigen Sitz", beschreibt Klaus Mann die kulturpolitische Stellung Höfgens (S. 359).




Ich betrachte nun die Argumente, die für eine Schuldrolle Höfgens im moralischen, zwischenmenschlichen Sinne sprechen.


Es lässt sich sagen, dass Hendrik Höfgen, entgegen seiner eigenen Aussage, nicht unfreiwillig in das Regime eingebunden wurde. Er rechtfertigt sich vor sich selber, dass jeder andere Mensch bei derartigen Erfolgsaussichten genauso wie er gehandelt hätte (S. 272 "All diese große Gunst, sie ist mir einfach in den Schoß gefallen. Hätte ich so viel Glanz ausschlagen sollen? Niemand würde das an meiner Stelle tun - wer es von sich behauptet, den nenne ich eine Schwindler und einen Heuchler. Zu mir hätte es nicht gepasst, in Paris als Emigrant zu leben - es hätte eben einfach nicht zu mir gepasst!"). Dies ist der Versuch einer Selbstlegitimierung, wendet jedoch keineswegs die Schuld von Höfgen ab. Da er sich zur Zeit des Machtantritts der Nationalsozialisten im Ausland, Frankreich, befand, wäre es für ihn möglich gewesen, Deutschland den Rücken zu kehren und sein Leben im Exil weiterzuführen. Eines Tages bekommt er einen Brief, der die Zustimmung Lotte Lindenthals, der Gattin Görings, sowie die Zusicherung Görings persönlich, Höfgen würde nichts geschehen, enthält und er trifft seine Entscheidung (S. 237 "Da er [Göring] erfuhr, dass es sich, ganz im Gegenteil, um einen blonden Rheinländer handelte, versprach er, diesem Burschen solle nichts geschehen, was immer er auch früher angestellt haben möchte.[]So war die trübe Leidenszeit in Paris beendet!"). Der Drang nach Ruhm und Anerkennung treiben ihn in die Arme der Nationalsozialisten. Somit hat Hendrik eindeutig eine Wahl zwischen Deutschland und Exil, bei der er sich für Deutschland und damit für das NS-Regime entscheidet. Auch im weiteren Verlauf der Handlung macht Hendrik keinerlei Anstalten, sich offiziell dem Regime zu entziehen oder sich von ihm zu distanzieren.


Es folgen weitere "Schachzüge" Höfgens, die seiner Karriere dienlich sind. Nachdem er die Bekanntschaft Görings gemacht hat, leugnet er vor diesem seine Vergangenheit als links gerichteter "Kulturbolschewist". Er räumt damit sofort mit einem "Makel", den er hat, auf. Dies hat natürlich nicht den Zweck, Ehrlichkeit als einen tugendhaften Charakterzug vor sich selber zu beweisen, sondern spätere Unannehmlichkeiten zu vermeiden, die seiner Karriere schaden könnten.


Ein weiterer Aspekt ist seine Ehefrau Barbara. Sie lässt sich von ihm scheiden, was allerdings im Interesse beider ist. Höfgen kann es sich nicht leisten, eine Frau zu haben, die in Frankreich eine Zeitung herausgibt, die antinationalsozialistisch ist und das Regime anprangert und umgekehrt wendet sich Barbara von ihm ab, weil er mit den Nazis sympathisiert. In Paris trifft Hendrik einige kurze Überlegungen, als er Barbara, Sebastian und Hedda v. Herzfeld in Paris sieht (S. 240 "Was für ein verächtliches Lächeln würde dieser Sebastian mir zeigen! Und wie könnte ich Barbaras Blick ertragen, ihren dunklen, spöttischen, unbarmherzigen Blick? Ich muss fliehen[]Ich muss machen, dass ich davonkomme, diese Begegnung ging über meine Kräfte") und kommt zum Schluss, dass er weitergeht und sich damit endgültig von Barbara abwendet. Die Scheidung ist lediglich Formsache. Hendrik trifft somit ebenfalls die Schuld vor sich selber, dass er seine Ehefrau verloren hat. Da Barbara von ihm selber als sein "guter Engel" bezeichnet wurde (S. 105 "Barbara wird mein guter Engel sein.") und das verkörperte, was ihm fehlte (Reinheit, Unschuld etc.), stellt die Scheidung bzw. Entfremdung von ihr symbolhaft auch seinen Werdegang dar, der sich zunehmend von moralischen Normen distanziert und Höfgen immer mehr zum sprichwörtlichen "Affen der Macht und Clown zur Zerstreuung der Mörder" (S. 376, Abbild Hamlets: "Du bist nicht vornehm, denn du bist ein Affe der Macht und ein Clown zur Zerstreuung der Mörder.")  werden lässt. Man könnte hier entgegen halten, dass Barbara auf Grund ihrer unterschiedlichen Herkunft Hendrik immer denunziert und verspottet, wie z.B., dass er sein "Ei aus dem Glase löffelte" (S. 154/155). Dieses Argument greift jedoch nicht, da diese Aussagen Barbaras lediglich von Hendrik überbewertet werden und dieses Empfinden stark subjektiv geprägt ist (S. 153 2. Abs.: "Lagen nicht Spott, Hochmut und ein kalter Dünkel in den forschenden Blicken, die sie jetzt so oft auf ihn richtete? - Hendrik begann, diese Augen zu fürchten, die ihm, bis vor kurzem, als die schönsten erschienen waren. Noch in der gleichgültigsten und nebensächlichsten Bemerkung, die Barbara ihm gegenüber fallen ließ, vermuteten seine Gereiztheit und sein gekränkter Stolz einen Unter- und Nebensinn, der herabsetzend für ihn war.")

Als Weiterführung seines Verrates an Barbara heiratet Hendrik schlussendlich Nicoletta von Niebuhr. Dies aber nicht aus Liebe, sondern um "den unangenehmen Gerüchten", dass er einmal eine Beziehung zu einer schwarzen Prostituierten pflegte, "die Spitze abzubrechen" (S. 355).

Ein weiterer Punkt ist Juliette, eben jene Prostituierte, bei der er schon in seiner Hamburger Zeit seine sexuellen Gelüste auszuleben suchte und die für ihn eine Art Muse darstellt (S.80: "Wenn ich den Leuten ein bisschen gefalle, wenn ich Erfolg habe - dir verdanke ich ihn. Dich zu sehen, dich zu berühren, Prinzessin Tebab, das ist wie eine Wunderkur für michetwas Herrliches, eine Erfrischung ohnegleichen"). Bei ihren Treffen in Hamburg sagt er ihr, er werde sie "immer lieben" (S.79). Betrachtet man dies jedoch zum späteren Zeitpunkt, als er Intendant ist, sieht man, dass er (wieder) aus Angst vor eventuellen Karriereproblemen, Juliette nahe legt, ins Ausland zu gehen und ihn zu verlassen. Als sie sich weigert, wird sie auf Hendriks Zutun verhaftet und in eine Einzelzelle gesperrt. Hendrik besucht sie in der Zelle, um ihr zu berichten, sie könne ohne Schwierigkeiten ausreisen.

Die Textstelle S. 288 Z. 1-7 ist symptomatisch für das Verhalten und Denken Höfgens. Auf der einen Seite findet er es "schade, dass ich [er] sie verlieren muss", jedoch stellt er im gleichen Zuge fest, er habe "von ihr nichts mehr zu befürchten". Höfgen besitzt also menschliche Züge, stellt aber seine beruflichen, die Karriere betreffenden Interessen über sein Gewissen.


Auch seinen früheren Freund Otto Ulrichs verrät er. Dieser versucht, Hendrik in sein Vertrauen zu ziehen, jener verleugnet aber wieder seine Vergangenheit und erteilt Ulrichs eine klare Absage: " ,Ich will von diesen Dingen nichts wissen, ich darf von ihnen nichts wissen - verstehst du mich? Ich mache beide Augen zu, ich sehe nicht, was du treibst. Keinesfalls aber darf ich eingeweiht sein' Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass er unbelauscht war, versicherte er dem Freund noch mit gepresster Stimme, wie schwierig und peinvoll es für ihn sei, sich so andauernd und konsequent verstellen zu müssen."

Anschließend rechtfertigt er sich, dass er diese Taktik gewählt habe, weil sie aus seiner Sicht die richtigste und wirkungsvollste sei.

Er verteidigt zunächst sogar Otto Ulrichs und besorgt ihm eine Stellung am Staatstheater. Als er später von der Verhaftung Ulrichs und folgend dessen Tod erfährt, ist er geschockt (S.371 "Hendrik taumelte eine Sekunde lang. Mit einer beherrschten Gebärde, die gar zu deutlich sein Grauen ausdrückte, griff er sich an die Stirn. Es war vielleicht die erste völlig aufrichtige, durchaus nicht stilisierte Geste, die der Ministerpräsident zu sehen bekam vom Schauspieler Höfgen."). Ein menschlicher Sinn für Freundschaft und den schmerzlichen Verlust einer solchen zeigt sich in dieser Situation bei Höfgen. Doch schon wenig später kommt wieder sein schauspielerisches Wesen durch, als er das Geld für den Grabstein an Ulrichs Mutter schickt. Er tut dies nicht aus reiner Selbstlosigkeit, sondern um sein Gewissen zu beruhigen, hat also keine Intention, die ihn als tugendhaft auszeichnen würde, S. 375 "Hendrik aber fühlte sich erleichtert, nachdem das Geld an Mutter Ulrichs abgegangen war. Nun war sein Gewissen doch ein wenig beruhigt, und auf der Seite, wo er in seinem Herzen die "Rückversicherungen" buchte, gab es wieder einen positiven Posten.".

Eine Parallele zeigt sich hier zur Einstellung seines Sekretärs gegenüber. Dieser ist Jude und Hendrik stellt ihn nur ein, um sein Gewissen zu beruhigen, nicht etwa, um selbstlos eine "gute Tat" zu vollbringen (S. 330 "Der Jüngling Johannes Lehmann war ein bedeutender Aktivposten in der Bilanz jener ,Rückversicherungen'[]. Er brauchte sie, ohne sie hätte er seine Situation kaum ertragen, sein Glück wäre zerstört worden durch ein schlechtes Gewissen, das wunderlicherweise nie ganz schweigen wollte und durch eine Angst vor der Zukunft, die den großen Mann zuweilen bis in seine Träume verfolgte."


Obgleich die Frage nach der Schuld oder Unschuld des Hendrik Höfgen eine der schwierigsten unserer Zeit im Zusammenhang mit Literatur des 20. Jahrhunderts ist, versuche ich zu einem Schluss zu kommen.


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Höfgen aus juristischer Sicht  nicht schuldig ist und es zu keinem Urteilsspruch gegen ihn käme, obgleich er eine menschenverachtende Diktatur unterstützt hat. Moralisch handelte er aus meiner Sicht verwerflich, indem er seine Vergangenheit und seine Freunde, sowie seine Ehefrau Barbara und seine Geliebte Juliette verriet und letztlich seine ursprünglichen Ideale aufgab. Dabei nimmt er jedoch zugleich eine Opferrolle ein, und zwar die, dass er Opfer seiner eigenen Person ist, wiederum resultierend aus seiner missglückten Kindheit resultiert.

Dass selbst die Gesellschaft dazu in der Lage ist, mit einem Lebenslauf des Hendrik Höfgen umzugehen, zeigt sich, wenn man die mögliche weitere Entwicklung Höfgens am Beispiel der Biografie Gustaf Gründgens' verfolgt. Von seiner Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft 1946 bis zu seinem Tode 1963 war er an verschiedenen Bühnen in ganz Deutschland, zuletzt als Generalintendant und künstlerischer Leiter des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, tätig. Er gilt noch heute als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schauspieler aller Zeiten, ein Großteil seiner Filme und Theatermitschnitte wird regelmäßig im Fernsehen gezeigt.

Ob das Verhalten der Gesellschaft Ehrerbietung vor einem großen Künstler, Verzeihen, Vergessen oder Verdrängen oder all dies auf einmal ist, maße ich mir nicht an zu werten. Es wäre hierfür erforderlich, sich noch tiefgründiger mit der beispielhaft für einen Künstlertypus stehenden Biografie des Gustaf Gründgens, den Werten und Normen der Gesellschaftssysteme, in denen er gelebt hat, sowie den heutigen Moral- und Geschichtsauffassungen auseinander zu setzen. Dies würde jedoch den Rahmen der vorliegenden Erörterung sprengen.






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