Der österreichische Staatsvertrag
Der österreichische Staatsvertrag, betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreichs, wurde zwischen den Alliierten Mächten UdSSR, Großbritannien und Nordirland, USA und Frankreich einerseits, sowie Österreich andererseits abgeschlossen und am 15. 5. 1955 von den Außenministern der Signatarmächte Wjatscheslaw Molotow (UdSSR), John Foster Dulles (USA), Harold Macmillan (GB) und Antoine Pinay (F) sowie dem österreichischen Außenminister Leopold Figl im Schloß Belvedere in Wien unterzeichnet. Der in der 354. Sitzung der Delegationen der Alliierten Mächte abgeschlossene Staatsvertrag trat am 27. 7. 1955 in Kraft, 12 Jahre nach der Moskauer Deklaration vom 30. 10. 1943, in der Großbritannien, die UdSSR und die USA die Befreiung Österreichs von der deutschen Herrschaft anstrebten, da Österreich als erstes Opfer der Angriffspolitik Hitlers betrachtet wurde.
In enger Verbindung mit dem Staatsvertrag steht das Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs nach dem Muster der Schweiz, das nach Abzug der Besatzungssoldaten aus Österreich vom österreichischen Parlament am 26. 10. 1955 beschlossen wurde. Nachdem die Sowjetunion die jahrelange Koppelung der deutschen Frage mit Österreich fallengelassen hatte, regelte das Moskauer Memorandum vom 15. 4. 1955 jene strittigen Punkte zwischen der Sowjetunion und Österreich, die den Abschluß des Staatsvertrages ermöglichten.
Der Staatsvertrag besteht aus einer Präambel und 9 Teilen:
1) politische und territoriale Bestimmungen
2) militärische und Luftfahrtbestimmungen
3) Zurückziehung der Alliierten Streitkräfte
4) aus dem Krieg herrührende Ansprüche
5) Eigentum, Rechte und Interessen
6) allgemeine Wirtschaftsbeziehungen
7) Regelung von Streitfällen
8) verschiedene wirtschaftliche Bestimmungen
9) Schlußbestimmungen
Die wichtigsten politischen Bestimmungen beziehen sich auf die Wiederherstellung Österreich als freien und unabhängigen Staat, die Wahrung der Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit Österreich durch die Alliierten und die Anerkennung der Unabhängigkeit Österreich durch Deutschland. Außerdem enthalten die politischen Bestimmungen das Verbot der politischen oder wirtschaftlichen Vereinigung von Österreich und Deutschland (Anschlußverbot), die Anerkennung der Menschenrechte und die Rechte slowenischer und kroatischer Minderheiten. Dem Bekenntnis zur Wahrung demokratischer Einrichtungen steht das Gebot gegenüber, nazistische und faschistische Organisationen aufzulösen und die Wiederbetätigung zu unterbinden.
Die ersten Schritte zu einem österreichischen Staatsvertrag gingen von Großbritannien aus. Im Frühjahr 1943 verfaßte Geoffrey W. Harrison, ein Berufsdiplomat, ein Memorandum mit dem Titel "Die Zukunft Österreichs". In diesem Dokument untersuchte Harrison mögliche Lösungen der "österreichischen Frage". Am 16. Juni 1943 fand im Kriegskabinett unter dem Vorsitz von Sir Winston Churchill eine Beratung über die Österreichfrage statt. Darin fand Harrisons vierter Lösungsvorschlag - die Einbeziehung Österreichs in eine mittel- oder osteuropäische Konföderation - den größten Anklang. Churchill wollte damit vor allem einen Ersatz für die österreichisch-ungarische Monarchie schaffen. Das Kriegskabinett beauftragte den Außenminister Anthony Eden damit, das Ergebnis der Beratung zur Grundlage der Österreichpolitik zu machen.
Am 20. Juni 1943 entwarf Harrison eine Erklärung, die den Widerstand gegen Deutschland in Österreich stärken sollte. Die Stärke eben dieses Widerstandes sollte sich nach dem Krieg auf die Behandlung Österreichs auswirken. Dies war der Ursprung der sogenannten "Verantwortlichkeitsklausel", die erst am Vorabend der Unterzeichnung endgültig aus dem Staatsvertrag entfernt wurde.
Am 19. Oktober 1943 begann in Moskau die Konferenz der Außenminister Englands (Anthony Eden), der USA (Cordell Hull) und der UdSSR (Wjatscheslaw Molotow). In dieser Konferenz wurde Österreich eigentlich nur am Rande behandelt. Jedoch wurden auf Drängen der Sowjetunion zwei wichtige Anderungen des Textentwurfes über Österreich beschlossen. Die erste davon betraf die Formulierung "Österreichs Assoziierung mit seinen Nachbarstaaten", die zweite, wichtigere, betraf die Verantwortlichkeitsklausel, die erheblich verschärft wurde. Die Formulierung wurde von "der Schuld der österreichischen Bevölkerung" (moralische Ebene) in "die Schuld Österreichs" (juristisch-völkerrechtliche Ebene) umgewandelt.
Das Protokoll der Moskauer Konferenz wurde am 30. Oktober unterzeichnet und am 1. November veröffentlicht. Als sich am 16. November das "französische Komitee der nationalen Befreiung" unter Charles de Gaulle dieser Erklärung anschloß, hatten sich die Alliierten die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Österreichs zu einem ihrer Kriegsziele gemacht.
Ein weiterer wichtiger Beschluß der Moskauer Konferenz war die Schaffung eines Diplomatengremiums mit dem Namen "Europäische Beratungskommission" (European Advisory Commission, EAC). Diese Kommission sollte Regelungen über die Besetzung und Verwaltung Deutschlands nach dem Krieg ausarbeiten. Da Österreich von Deutschland getrennt werden sollte, mußten dafür eigene Regelungen ausgearbeitet werden.
Zunächst zeigten die USA kein Interesse an einer Besetzung Österreichs. Ende November 1944 legte jedoch die UdSSR einen Besetzungsplan vor, der die Amerikaner miteinschloß. Der Wunsch der UdSSR nach gleichwertiger Beteiligung der USA und der Besatzung deutet darauf hin, daß die Sowjetunion damals England als ihren Hauptgegner im Kampf um Einflußsphären sahen. Erst am 9. Dezember 1944 erklärte sich Franklin D. Roosevelt, der amerikanische Präsident bereit, eine amerikanische Besatzungszone in Österreich zu errichten. Auch die Franzosen, die auf Drängen der Engländer in das EAC aufgenommen wurden, forderten im Jänner 1945 eine eigene Zone in Österreich. Daraufhin legten die Engländer Ende 1945 einen Teilungsplan vor, der die Teilung Österreichs in vier Zonen vorsah: Tirol und Vorarlberg bildeten die französische, Salzburg und Oberösterreich die amerikanische, Osttirol, Kärnten, der südliche Teil des Burgenlandes und die Steiermark die britische, und Niederösterreich und der nördliche Teil des Burgenlandes die sowjetische Zone. Wien sollte in den Grenzen des "Reichgaues Wien" in vier Zonen geteilt werden. Die endgültige Zoneneinteilung hielt sich im großen und ganzen an diesen Plan, mit den Ausnahmen, daß das Mühlviertel und der südliche Teil des Burgenlandes nun der sowjetischen Zone zugeteilt wurde und daß nun die kleineren Grenzen von 1937 für Wien galten.
Wiens erster Bezirk wurde, um die zonenmäßige Verwaltung zu erleichtern, zum internationalen Sektor erklärt, dessen Verwaltung monatlich in eine der vier Besatzungsmächte übergehen sollte. Diese Regelung behinderte jedoch die Funktionsfähigkeit der österreichischen Behörden.
Schon im Frühjahr 1945 kam die erste provisorische Staatsregierung unter Staatskanzler Karl Renner zustande. An diesem wichtigen Schritt war die Sowjetunion nicht ohne Hintergedanken maßgeblich beteiligt. Entgegen der Praxis der westlichen Besatzer, die sich auf die direkte Verwaltung durch ihre Truppen stützten, versuchten die Sowjets über einheimische Kommunisten ihre Ziele zu erreichen.
Diese erste Regierung brachte in kurzer Zeit die österreichische Staatsverwaltung wieder in Gange und realisierte ein Programm an Gesetzgebung. Dadurch verschaffte sich Österreich einen bis heute zu wenig beachteten Vorsprung gegenüber anderer besetzten Staaten. Lange Zeit hatten jedoch vor allem die Briten größtes Mißtrauen gegenüber der neuen, von den Sowjets eingerichteten Regierung. Dieses löste sich erst, als Renner am 25. und 26. September eine Länderkonferenz anberaumte und sowohl eine Erweiterung der Regierung durch Mitglieder aus den westlichen Bundesländern als auch die Durchführung von gesamtösterreichischen Wahlen am 25. November 1945 beschloß. Daraufhin erkannten alle Besatzungsmächte auf Empfehlung des Alliierten Rates die Regierung am 20. Oktober an und weiteten seine Autorität auf das gesamte Bundesgebiet aus. Bei diesen Wahlen kam die Regierung unter Leopold Figl an die (noch eingeschränkte) Macht. Auf britische Initiative wurde ein neues Kontrollabkommen beschlossen, das zwar die Kompetenzen der neuen Regierung erweiterte aber Österreichs Souveränität noch nicht wiederherstellte.
In einer Besprechung amerikanischer Diplomaten am 2. Jänner 1946 in Wien wurde erstmals die Notwendigkeit eines "Friedensvertrages" mit Österreich zur Sprache gebracht. Nach dem Einwand, daß die Alliierten keinen Krieg mit Österreich als Staat geführt haben, stellte man fest, daß es doch einen Vertrag mit Österreich geben könne, in dem Österreichs Unabhängigkeit festgestellt wird und der die Beziehung zu anderen Statten regelt. Schon am 18. Jänner erklärte James C. Dunn, ein hoher Beamter des US-State Departments in einem Memorandum die Gründe für den baldigen Abschluß eines solchen Vertrages. Dunn erklärte, daß des Vertrag eine schnelle Wiederherstellung der österreichischen Wirtschaft gewährleisten würde und auch die offenen Grenzfragen klären würde. Da Dunn die Bezeichnung "Friedensvertrag" aus oben genannten Gründen nicht für angemessen hielt, schlug er als Titel "Vertrag zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit Österreichs" vor. In Dunns Memorandum wurde außerdem die Zwischenstellung, die Österreich innehatte betont. Einerseits hatte Österreich weder den Krieg erklärt noch als Staat Krieg geführt, andererseits war Österreich im Krieg ein Teil Deutschlands. Auch galt Österreich nicht als besiegtes sondern als befreites Land. Österreich war also weder Siegerstaat noch Feindstaat. Auch die österreichische Regierung fand die Formulierung "Staatsvertrag" treffender. Bei den folgenden Verhandlungen gab es viele Mißverständnisse und unscharfe Formulierungen. Kurios ist, daß sich Österreich nach Ansicht des britischen Foreign Offices immer noch mit Großbritannien im Kriegszustand befand. Erst am 16. September 1947 um 16 Uhr erklärte die englische Regierung den Kriegszustand für beendet.
Die Vereinten Nationen verwendeten übrigens bis zu Österreichs Intervention 1950 den Ausdruck "Friedensvertrag".
Am 15. Jänner 1947 gab Bundeskanzler Figl ein 16-Punkte Programm betreffend die Verhandlungen zum Staatsvertrag bekannt:[ii]
1.) Österreich sei ein von Hitler-Deutschland besetztes Gebiet und habe daher den Anspruch, von den Vereinten Nationen ebenso wie die übrigen besetzten Gebiete mit Rücksicht behandelt zu werden.
2.) Es sollten die Grenzen von 1937 gelten.
3.) Österreich sollte eine demokratische Verfassung erhalten. Die Menschenrechte und die Verfolgung von Kriegsverbrechern wurde besonders erwähnt.
4.) Die vier alliierten Großmächte sollten eine Kandidatur Österreichs für die Vereinten Nationen unterstützen.
5.) Zurückziehen der Streitkräfte.
6.) Österreich sollte keine Reparationen zu zahlen haben, weil es kein feindliches Land sei.
7.) versch. militärische Klauseln.
8.) Kriegsgefangene sollten sobald wie möglich in die Heimat zurückkehren können.
9.) "Displaced Persons". Österreich wollte Schwierigkeiten, die durch diese Personen ausgelöst werden beseitigen.
Die Punkte 10 bis 13 betrafen finanzielle Ansprüche gegenüber Deutschland, Punkt 14 betraf die Potsdamer Beschlüsse, Punkt 15 betraf österreichisches Eigentum im Ausland und Punkt 16 sollte die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland regeln.
Am 14. Jänner 1947 eröffnete der britische Außenminister Ernest Bevin in London die Tagung der Sonderbeauftragten für Deutschland und Österreich. Hier wurde beschlossen Vertreter Jugoslawiens, Polens, Kanadas Südafrikas und Australiens zu den Beratungen hinzuzuziehen. Die erste Krise bei der Tagung trat schon am 16. des Monats auf weil Jugoslawien von Österreich Reparationen und Gebietsabtritte verlangte. Die Gebietsansprüche betrafen vor allem Kärnten, von dem Jugoslawien ein Gebiet von 2470 Quadratkilometern und 180.000 Einwohnern forderte. Diese Krise wurde nach längeren Verhandlungen mit dem Hinweis auf den Friedensvertrag von St. Germain (1919) und die Kärntner Volksabstimmung von 1920 aus der Welt geschafft. In dieser Tagung wurde auch der folgende Passus zum alliierten Entwurf des Staatsvertrag hinzugefügt, der erst am Vorabend der endgültigen Unterzeichnung wieder entfernt wurde. Es wurde festgehalten, daß:
Österreich als integrierter Teil Hitler-Deutschlands am Kriege gegen die Alliierten und Assoziierten und gegen andere Vereinte Nationen teilnahm und daß Deutschland sich zu diesem Zwecke österreichischen Gebietes, österreichischer Truppen und materieller Hilfsquellen bediente, und daß Österreich eine Verantwortlichkeit ["certain responsibility"], die sich aus dieser Teilnahme am Kriege ergibt, nicht vermeiden kann.[iii]
Diese Tagung, in der außerdem über die Potsdamer Beschlüsse, kleinere Berichtigungen der Grenze zu der Tschechoslowakei, Verbote von Spezialwaffen und finanzielle Fragen besprochen wurden, diente eigentlich nur der Vorbereitung der Moskauer Außenministerkonferenz, die am 10. März 1947 begann. In dieser Konferenz wurden unter anderem auch finanzielle Fragen wie Reparationszahlungen und deutsches Eigentum diskutiert. Allerdings konnte zu diesem Zeitpunkt noch kein gemeinsamer Konsens zu diesen Fragen gefunden werden.
Der französische Vertreter bei der moskauer Konferenz Paul Cherrière legte einen Kompromißvorschlag vor, der bald Cherrière-Plan genannt wurde. Dieser Plan lieferte Grundlagen zur späteren Einigung über das deutsche Eigentum. Cherrière meinte, daß das deutsche Eigentum in österreichischen Besitz übergehen sollte und die Alliierten dafür Erzeugnisse der Industrie erhalten sollten.
Ende Juni 1948 kam es zwischen Jugoslawien und der Sowjetunion zu einem unerwarteten Bruch. Österreich machte sich nun Hoffnungen, daß die Entscheidung über die jugoslawische Grenzfrage nun zugunsten Österreichs ausgehen könnte, da Belgrad nun nicht mehr von Moskau unterstützt wurde. Österreichs Außenminister Karl Gruber lehnte am 28. Februar 1949 bei der neuen Verhandlungsrunde in London neuerlich mit dem Hinweis auf die Volksabstimmung von 1920 jede Grenzberichtigung ab.
Während dieser Verhandlungsrunde vom 9. Februar bis zum 10. Mai ergaben sich noch zwei wichtige Entwicklungen: Die Franzosen zogen ihre Vorschläge bezüglich militärisch nutzbarem Material zurück und die Westmächte erklärten, daß sie das deutsche Eigentum Österreich ohne Ablöse überlassen. Bundeskanzler Figl war mit dieser Entscheidung überaus zufrieden und hoffte, daß sie die russische Haltung in dieser Frage zu Österreichs Gunsten beeinflussen würde.
Als der russische Außenminister Andrej J. Wyschenskij, der Nachfolger von Wjatscheslaw Molotow erklärte, daß die Sowjetunion die Forderungen Jugoslawiens bezüglich der Grenze nicht unterstützen würden, kamen die Westmächte dafür Rußland in Bezug auf deutsches Eigentum entgegen.
Zu Anfang der Verhandlungen vertraten die Alliierten die Auffassung, daß zum Schutz der Minderheiten in Österreich eine allgemeine Bestimmung genüge. Anfang Juli 1949 legte jedoch der russische Sonderbeauftragte in London Botschafter Georgij Zarubin einen Minderheitenschutzartikel bestehend aus fünf Paragraphen vor. Dieser Artikel besagte, daß:
1.) Die slowenischen und kroatischen Minderheiten in Kärnten, dem Burgenland und der Steiermark dieselben Rechte wie alle übrigen österreichischen Staatsbürger besitzen.
2.) sie berechtigt sind, Unterrecht in ihrer Muttersprache zu erhalten. Zusätzlich sollten die Lehrpläne geändert werden und eine eigene Schulinspektion für slowenische und kroatische Schulen geschaffen werden.
3.) In Bezirken mit slowenischer, kroatischer oder gemischtsprachiger Bevölkerung sollen die Minderheitensprachen als offizielle Amtssprachen neben der deutschen zugelassen werden. Ortsbezeichnungen und Aufschriften sollen in beiden Sprachen aufscheinen.
4.) Die Minderheiten nehmen am kulturellen Leben, der öffentlichen Verwaltung und dem Justizwesen gleichberechtigt mit allen übrigen österreichischen Staatsbürgern teil.
5.) Die Tätigkeit von Organisationen, deren Ziel die Entnationalisierung der Minderheiten ist, sind verboten.[iv]
Wenig später brachten auch die Westmächte einen Entwurf ein, der sich weitgehend auf den sowjetischen Artikel stützt. Am 24. August 1949 einigten sich die Alliierten auf die endgültige Formulierung. Im allgemeinen bemühten sich alle vier Mächte wegen dem Konflikt zwischen Stalin und Tito um eine schnelle Abwicklung der Beratungen über die Minderheitenfrage.
Im Winter 1949/50 hatte die Sowjetunion anscheinend keinerlei Ambitionen die Verhandlungen voranzutreiben. Es entstand die Streitfrage über die Rückzahlung des Gegenwertes der Versorgungsmittel (hauptsächlich Hülsenfrüchte, daher der Name Erbsenschulden), die die Sowjetunion 1945 Österreich übergeben haben. Der Wert dieser Lieferungen betrug ungefähr 48 Millionen Schilling. Außerdem forderte die Sowjetunion auch das Geld zurück, das sie bei den Instandsetzungsarbeiten verschiedener Objekte ausgegeben hatte. Bundeskanzler Figl schlug am 5. Dezember 1947, um die Unterzeichnung des Staatsvertrages zu beschleunigen vor, die Kosten der Instandsetzungen und die österreichischen Forderungen nach Refundierung der zivilen Besatzungskosten gegeneinander aufzurechnen und als Kompensiert anzusehen.
In der folgenden Zeit kamen die Verhandlungen rund um den Staatsvertrag immer mehr ins stocken. Der Grund dafür waren die Auseinandersetzungen zwischen Ost und West.
Am 13. März 1952 appellierten die Westmächte an die Sowjetunion eine Kurzfassung des Staatsvertrages zu unterzeichnen. Die Sowjetunion lehnte dies jedoch kategorisch ab, weil in dieser Kurzfassung einige wichtige Verhandlungserfolge für Rußland gestrichen waren. So sollte zum Beispiel die Besatzung Österreichs 90 Tage nach Unterzeichnung enden. Auch die Frage des deutschen Eigentums war nicht zur Zufriedenheit der Sowjets gelöst.
Österreich wollte nun selbst etwas unternehmen um den Lauf der Dinge voranzutreiben, während Ost und West damit beschäftigt waren, sich gegenseitig Prügel vor die Füße zu werfen. Deshalb verfaßte die österreichische Bundesregierung ein Memorandum "betreffend die Aufhebung der Besetzung und die Wiederherstellung der vollen Souveränität Österreichs" und versandte dies an alle Staaten mit denen Österreich in diplomatischer Beziehung stand. Damit suchte Österreich die Unterstützung möglichst vieler Staaten für ein Vorsprechen bei den Vereinten Nationen. In diesem Memorandum beschrieb Österreich die Auswirkungen der Besatzung.
Schließlich brachte Brasilien mit der Unterstützung des Libanon, Mexikos und der Niederlande die Österreichfrage im Herbst 1952 vor die UN-Generalversammlung in New York Diese appellierte am 20 Dezember einstimmig an die Alliierten, die Verhandlungen wieder ernsthaft aufzunehmen.
Im Frühjahr 1953 zeichnete sich wieder eine Verbesserung der Lage ab. Nur vier Wochen nach Stalins Tod am 5. März 1953 wurde Julius Raab am 2. April Bundeskanzler. Nach einer Reihe von spürbaren und wichtigen Erleichterungen seitens der Sowjetunion (z.B. Aufhebung von Personen- und Warenkontrollen an den Demarkationslinien) forderte er weitere Zugeständnisse. Er forderte vor allem die Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit, die Abschaffung der alliierten Zensur, Rückgabe der Rundfunksender und Senkung beziehungsweise Abschaffung der Besatzungskosten. Raab schlug außerdem den Abzug der Besatzungstruppen schon vor der Unterzeichnung des Staatsvertrages vor und wollte die Überwachung der österreichischen Verpflichtungen den zivilen Hochkommissaren überlassen.
Einige dieser Forderungen wurden bald darauf erfüllt. Ab 1. August 1953 übernahm die Sowjetunion die Besatzungskosten selbst, wie es die Amerikaner schon ab Juni 1947 getan hatten. Am 1. Jänner 1954 verzichteten auch England und Frankreich auf die Bezahlung der Besatzungskosten. Am 14. August fiel die Kontrolle des Brief- Telegrafen und Telefonverkehrs, was eine große Erleichterung war.
Allerdings gab es keine echten Fortschritte bei den Verhandlungen um den Staatsvertrag bis Österreich und die Westmächte auf Drängen der Sowjetunion wieder vom Kurzvertrag von 1952 abrückten.
In der folgenden Phase der Verhandlungen drehte sich einiges um eine mögliche Neutralität Österreichs.
Ende Jänner 1954 fand in Berlin eine Konferenz der vier Außenminister statt. Obwohl dort eigentlich die Deutschlandfrage erörtert wurde, wurde die Österreichfrage dennoch in die Tagesordnung aufgenommen. Österreich hatte sich im September 1953 gewünscht, als gleichberechtigter Partner den Verhandlungen beizuwohnen. Daraufhin luden die Alliierten eine österreichische Regierungsdelegation zur Teilnahme an der Konferenz ein.
In den Vorverhandlungen zur Berliner Konferenz erklärte Österreich zunächst, daß eine von den Alliierten aufgezwungene Neutralität nicht wünschenswert wäre. Die Berliner Verhandlungen drehten sich nun um die Fragen der Neutralität, erbrachten aber keinen Durchbruch für den Staatsvertrag.
Am 8. Februar 1955 hielt der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw M. Molotow vor dem Obersten Sowjet eine Grundsatzrede, in der er die weitere Verzögerung der Staatsvertragsverhandlungen als ungerechtfertigt bezeichnete. Am selben Tag noch gab Bundeskanzler Raab eine Erklärung ab, in der er die russische Einsicht begrüßte.
In den folgenden Verhandlungen drehte sich erneut alles um die Neutralität, die Beziehung Österreichs zu Deutschland und um Handelsbeziehungen.
Am 11. April 1955 flog die österreichische Regierungsdelegation nach Moskau. In der ersten Verhandlungssitzung am Nachmittag des 12. April im Kreml wurden schon alle wichtigen Streitpunkte zur Sprache gebracht. Molotow betonte, daß er sicher sein müsse, "daß Österreich in Zukunft nicht zum Aufmarschgebiet für andere Mächte wird". Bundeskanzler Raab verwies darauf, daß die österreichische Regierung schon mehrmals erklärt habe, daß sich Österreich keinem Militärbündnis anschließen wolle. Molotow erklärte weiters, daß der Sowjetunion eine Stellung vorschwebte, wie sie die Schweiz habe. Damit stellte sich heraus, daß die Sowjetunion für eine Neutralität Österreichs eintrat.
Raab verlangte außerdem einen festen Termin für den Abzug der Besatzungstruppen aus Österreich, womit sich Molotow einverstanden erklärte. An diesem Nachmittag wurden noch weitere Punkte wie wirtschaftliche Fragen und Fragen über die Freilassung von Zivil- und Kriegsgefangenen verhandelt. Außerdem wurde über verschiedene Ablösen gesprochen.
Im Laufe des Nachmittags wurde der österreichischen Delegation klar, daß Rußland zu einem Ende der Verhandlungen und zum Abschluß des Staatsvertrages kommen wollte.
Molotow präsentierte in den folgenden Tagen eine Lösung, mit der alle Beteiligten, nämlich die Westmächte, die Sowjetunion und Österreich leben könnten: die Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz. Bundeskanzler Raab erklärte dazu: "Wir sind wesentlich Ihrer Auffassung und wollen die Neutralität haben".
Bei den Wirtschaftsverhandlungen nahm die Erdölfrage den breitesten Raum ein. Schließlich wurde beschlossen, daß Österreich innerhalb von 10 Jahren, wenn möglich schneller, 10 Millionen Tonnen Rohöl an die Sowjetunion liefert. Die Frage der Donau Dampfschiffahrtsgesellschaft wurde so gelöst, daß Österreich 2 Millionen US-Dollar als Ablöse dafür bezahlen würde. Zum Abschluß der Verhandlungen versprach Molotow, daß spätestens zum Zeitpunkt des Abzuges der Sowjettruppen aus Österreich alle in der Sowjetunion inhaftierten Österreicher zurückgekehrt sein werden. Die eigentlichen Verhandlungen waren am 14. April um 12 Uhr 30 beendet. Nun mußten die Ergebnisse der Verhandlungen nur noch in Form eines Memorandums gebracht werden. Diese Aufgabe dauerte bis in die Frühen Morgenstunden der 15. April 1955.
Die wichtigsten Vereinbarungen dieses "Moskauer Memorandums"[v] waren für Österreich in Punkt I:
1. Im Sinne der von Österreich bereits auf der Konferenz von Berlin im Jahre 1954 abgegebene Erklärung, keinen militärischen Bündnissen beizutreten und militärische Stützpunkte auf seinem Gebiet nicht zuzulassen, wird die österreichische Bundesregierung eine Deklaration in einer Form abgeben, die Österreich international dazu verpflichtet, immerwährend eine Neutralität der Art zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird.
2. Die österreichische Regierung wird diese österreichische Deklaration gemäß den Bestimmungen der Bundesverfassung dem österreichischen Parlament unmittelbar nach Ratifikation des Staatsvertrages zur Beschlußfassung vorgelegt.
Für die Sowjetunion waren die Vereinbarungen des Punktes II von großer Bedeutung:
1. Die Sowjetregierung ist bereit, den österreichischen Staatsvertrag unverzüglich zu unterzeichnen
2. Die Sowjetregierung erklärt sich damit einverstanden, daß alle Besatzungstruppen der vier Mächte nach Inkrafttreten des Staatsvertrages nicht später als am 31. Dezember 1955 aus Österreich abgezogen werden.
Die Haltung der Bundesregierung war folgende: Es sollte deutlich werden, daß Erklärung zur Neutralität freiwillig abgegeben wird. Sie sollte daher weder im Staatsvertrag, noch in einem sowjetisch-österreichischen Vertrag verankert sein.
Die Wiener Botschafterkonferenz trat am 2. Mai 1955 unter Zuziehung einer österreichischen Delegation unter der Führung von Außenminister Figl und Staatssekretär Bruno Kreisky zusammen. Einige der belastenden Artikel für Österreich wurden bei dieser Konferenz gestrichen. Darunter waren die numerische Beschränkung des österreichischen Heeres und die Verpflichtung zur Mithilfe der Repatriierung versetzter Personen und Flüchtlingen. Ein weiterer Streitpunkt war der festgestellte Räumungstermin des 31. Dezember 1955. Die Westmächte hielten es für schwierig, einen Termin einzuhalten, wenn der Termin des Abschlusses des Staatsvertrages noch nicht feststand. Ein französischer Kompromißvorschlag brachte jedoch die Lösung. Die alliierten Truppen würden sich innerhalb von 90 Tagen und wenn möglich bis zum 31. Dezember aus Österreich zurückziehen.
Nach nochmaligen Verhandlungen mit der Sowjetunion über deutsches Eigentum wurde der österreichische Staatsvertrag am 15. Mai 1955 im Oberen Belvedere endlich unterzeichnet.
Nun mußte der Staatsvertrag durch die Parlamente genehmigt und durch die Staatsoberhäupter ratifiziert werden. Die Ratifizierungsurkunde mußte bei Sowjetunion hinterlegt werden.
Am 7. Juni 1955 wurde der Staatsvertrag vom Nationalrat genehmigt, einen Tag später stimmte der Bundesrat zu und am 14. Juni wurde die Ratifizierungsurkunde im sowjetischen Außenministerium hinterlegt. Schon am 27. Juni hatten auch die Parlamente und Präsidenten der Alliierten die Genehmigungen und Ratifizierungen hinter sich gebracht. An diesem Tag wurde Österreich souverän und die 90 Tage Frist begann zu laufen.
Am 19. September war die Räumung Österreichs durch die Russischen Truppen abgeschlossen. Die Amerikaner und Briten ließen sich bis Mitte Oktober Zeit. Die letzten Soldaten die Österreich verließen, waren britische. Sie nahmen am Vormittag des 25. Oktober 1955, dem letzten Tag der Räumungsfrist Abschied.
[i] Quelle: http:www.aeiou.at
[ii] Quelle: Gerald Stourzh, Der Österreichische Staatsvertrag, Seite 20
[iii] Quelle: Gerald Stourzh, Der Österreichische Staatsvertrag, Seite 28
[iv] Quelle: Gerald Stourzh, Der Österreichische Staatsvertrag, Seite 58
[v] Quelle: Gerald Stourzh, Der Österreichische Staatsvertrag, Seite 159
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