Die Ideologie des Nationalsozialismus
Der Nationalsozialismus war kein geschlossenes Gedankensystem, sondern eine
irrationale »Weltanschauung«. Im Mittelpunkt standen unverrückbar
Antisemitismus und Führerprinzip; im übrigen vereinte er in sich die
unterschiedlichsten Elemente. Einer der besten Kenner charakterisiert ihn wie
folgt:
Die aggressive Utopie, die der Nationalsozialismus aus vielen willkürlichen,
verschwommenen oder sentimental getrübten Rückblicken ins Gestrige entwickelte,
war nicht bruchlos in die Vergangenheit gerichtet. Zwar gaben seine Wortführer
vor, die durch das Christentum, die Aufklärung, den Industrialisierungs- und
Emanzipationsprozeß pervertierte Weltordnung wiederherzustellen. Daher die
Rückkehr ins Bäuerische und Erdhafte, die Beschwörung von Blut und Boden
mitsamt den urtümlichen Riten, die sich daran knüpften, das ganze Marottenwesen
von Fahnenweihe, Thingspiel und Todesmystik. () Nebenher aber lief, sich
immer wieder damit überschneidend, ein zukunftsgerichteter Ehrgeiz, der sich
auf die größten Schiffe, die schnellsten Flugzeuge oder die Motorisierung der
Massen viel zugute hielt. () Diese moderne Seite des Nationalsozialismus hat
den Eindruck mitgetragen, die krausen und archaischen Rituale seien nur
machtsichernder Mummenschanz. Das war so und zugleich auch wiederum nicht. Es
gab, bis hinauf in die hohen Führungsränge, eine in allem vorgeschichtlichen
Dämmer beheimatete Inbrunst, zugleich aber eine voraussetzungslose, alle
Tradition verachtende bürokratisch-technische Effizienz, die dem Beobachter bis
heute den Atem verschlägt. Sie schonte, wo es die Verwirklichung der utopischen
Ziele gebot, weder das historisch Gewordene noch fremdes Recht oder fremdes
Leben und schreckte selbst vor dem millionenfachen Mord nicht zurück. ()
Wohin man auch blickt, stößt man auf jene Mischung aus Mittelalter und
Modernität, auf ein Vorhutbewußtsein, das mit dem Rücken zur Zukunft stand und seinen
atavistischen Neigungen in den Asphaltregionen eines totalitären Zwangsstaates
nachging. Der »Große Germanenzug nach Osten«, zu dem Hitler im Juni 1941
aufbrach, bringt dieses Paradox () schlagend zum Ausdruck. Zwar machte er
sich das ganze Arsenal moderner technischer Instrumentarien, Waffen und
Kriegführungsmethoden zu eigen, doch zielte er damit auf eine Ordnung der
aberwitzigsten Art: die gewaltigste Militärmacht der Geschichte, Panzerarmeen
und Luftflotten brachen gleichsam los im Zeichen von Strohdach und
Erbhofbauerntum, von Volkstanz, Sonnwendfeiern und Mutterkreuz.
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