Universität Gesamthochschule Siegen
Die Entwicklung der deutschen Stadt im Mittelalter
Diese Darstellung beschäftigt sich mit der Entstehung und Entwicklung der Stadt im Mittelalter.
Die Quellenlage ist für die verschiedenen Gesichtspunkte der Darstellung sehr unterschiedlich. Sehr wichtig sind die schriftlichen Quellen zur Stadtgeschichte. Diese werden ergänzt von gegenständlichen Quellen. Vor allem die Frühgeschichte der Stadt bedarf dieser Quellen. Die Stadtgeschichte des 12. und 13. Jahrhunderts gründet sich primär auf Privilegien und Urkunden. Nach dem 13. Jahrhundert stehen andere edierte Quellengattungen zur Verfügung, wie Ordnungen, Satzungen, Gebote und Gesetze. Das sind im Gegensatz zu den erst genannten Quellen normative Quellen, die aussagen, wie es sein soll aber nicht die Realität widerspiegeln. Ein Gesetz kann sowohl aus konkretem Anlaß, aber auch als Vorbeugung erlassen worden sein. Daher können diese Quellen neben Zeugnissen, die von der Realität stammen, ein genaueres Bild vermitteln.
Vorwiegend stammen die Zeugnisse der Stadtgeschichtsschreibung aus größeren Städten von Kaufleuten und Angehörigen patrizischer Familien.
Zuerst möchte ich auf die Ursachen der mittelalterlichen Urbanisierung eingehen, um dann die Vor- und Frühformen der Stadt vorzustellen. Es folgen die Aspekte: Beziehung zwischen Stadt und Land, Entstehung und Entwicklung der Märkte und die Stadtentwicklung am Beispiel Bonn. Anschließend werde ich die Stadtentstehungstheorie und den Verlauf der Stadtgründungen darlegen. Abschließend möchte ich durch das Aufstellen von Merkmalen der mittelalterlichen Stadt, der Typenbildung und der Typenschichtung eine Orientierung im Umgang mit der mittelalterlichen Stadt geben. Denn im Spätmittelalter ist die Stadt soweit entwickelt, daß man diesen Zeitraum als Grundlage für eine idealtypische Charakterisierung heranziehen kann.
Die seit dem 7. Jahrhundert anwachsende Bevölkerung benötigt mehr Land um zu siedeln. Vom 7. Jahrhundert bis zum 10. Jahrhundert läßt sich eine erste Rodungsperiode feststellen.
Im 9. und 10. Jahrhundert kann man bereits erkennen, daß sich die Bevölkerung in den fruchtbaren Gegenden verdichtet.
Daneben kann die Landwirtschaft durch technische Neuerungen intensiviert werden. Neue Geräte, wie Pflüge, Egge und Dreschflegel und vor allem die Einführung der Dreifelderwirtschaft bewirkt, daß mehr Getreide geerntet werden kann und mehr Menschen ernährt werden können.
Aber auch der Wald spielt für die Menschen eine große Rolle. Er liefert Früchte, Honig und Holz, welches vielseitig verwendet wurde, z.B. zum Hausbau oder zum Heizen. Die Lichtungen wurden als Viehweiden genutzt.
Die Agrarwirtschaft ist Voraussetzung zur Bildung der mittelalterlichen Stadt. Beide Erscheinungen stehen in einer Wechselwirkung zueinander.[1]
Erst ab dem 11./12. Jahrhundert ist die Bezeichnung kommunale Stadt oder Rechtsstadt zutreffend. Zuvor spricht man von Vorformen, frühmittelalterlichen Städten oder Burgstädten. In der Forschung ist nicht nur der Quellenbestand ein Problem, sondern selbst die Definition von Stadt ist strittig. Erst für die mittelalterliche Stadt ab dem 11./12. Jahrhundert konnten vielfältige Kennzeichen ermittelt werden, die aber nicht immer für jede Stadt galten. Es mußten nicht alle Aspekte auf eine Stadt zutreffen, allerdings konnten sie später noch ausgeformt werden. Besondere Bedeutung kommt folgenden Aspekten zu: Der Siedlungs- und Verfassungsgeschichte, der Wirtschaft und Kultur. Zudem sind die baulichen, topographischen, funktionalen, namenkundlichen, rechtlichen und religiösen Punkte zu beachten.
Vorformen der mittelalterlichen Stadt finden sich in der römischen civitas, castella oder vici, an denen sich Märkte und Kaufmannsiedlungen ansiedelten. Als Beispiele gelten u.a. die Bischofsstädte Köln, Trier, Mainz, Worms und Augsburg. In den Bischofsstädten, die oft aus ehemaligen Römerstädten hervorgingen, wurde das städtische Leben am stärksten weiterverfolgt. Am Rhein kann man aber die Kontinuität stärker feststellen als im Donauraum.
Ab dem 8./9. Jahrhundert gewinnen die Wike (Seehandelsplätze oder Handelsemporien) an Bedeutung für mögliche Stadtgründungen. Zudem konnten auch Kirchen, Klöster, Burgen, Pfalzen und Höfe im Raum Rhein, Elbe und Donau Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Stadt sein. Meist entstanden dort mit Zoll und Münze verbundene Märkte. Die Burgstädte vereinen ein herrschaftliches Zentrum mit einer handwerklichen Siedlung und einer Kaufmannsniederlassung mit regelmäßigem Marktverkehr, wie z.B. in Alt Lübeck. Die Ausbreitung und Verdichtung dieser Siedlungen ab dem 10. Jahrhundert, führte im 11./12. Jahrhundert zu den Stadtgründungen. Mit dieser Entwicklungsstufe ging die Bezeichnung stat für die Stadt einher.[2]
Die Bevölkerungszunahme versetzt das Land in die Lage, einen Teil der Menschen in die Städte ziehen zu lassen. Die Städte wuchsen während des Mittelalters nur durch diesen Zuzug der Menschen vom Land. Der wirtschaftliche Austausch zwischen Stadt und Land gewinnt immer mehr an Bedeutung. Bäuerliche Hintersassen gelangen in eine verbesserte Lage, womit die Nachfrage nach städtischen Gewerbeprodukten steigt. Auf der anderen Seite sind die Einwohner der Städte auf die Versorgung durch das Land angewiesen, wodurch ein Lebensmittelgewerbe in den Städten entsteht. Die Prozesse können im einzelnen nicht statistisch genau nachgewiesen werden, aufgrund des Mangels an Quellen.
Durch den sich stärker entwickelnden Austausch von Stadt und Land vermehren sich die Märkte, bzw. vergrößern sich. Das Marktrecht, welches im 9. Jahrhundert entstand, erfährt im 10. Jahrhundert Neuerungen. Im Gebiet zwischen Rhein, Donau und Elbe erreichte die königliche Marktpolitik eine besondere Form des Marktes. Der Markt wurde durch Zoll und Münze abgabepflichtig. [3] Zudem durften die Händler nur in der örtlichen Währung Handel betreiben. Auf der anderen Seite wurde der Markthandel nun beaufsichtigt und geordnet. Außerdem wurde der Marktfriede gewährleistet unter den die Marktbesucher und der Marktort gestellt wurden. Die engen Beziehungen zwischen Markt und Münze bewirkt, daß nur einer, der über einen Markt verfügte, Münzen prägen durfte.
Eine neue Dimension erhält der Markt unter Otto III. Bei Erschließung eines neuen Marktes mit entsprechender Rechtslage werden Bezugsorte aufgeführt. Die alten Märkte sollen als Vorbild dienen. Bedeutend waren die Märkte von Mainz, Köln und Regensburg. In der nachfolgenden Position lagen Dortmund, Zürich und Konstanz.
Nachdem das Königtum im 11. Jahrhundert zurückgetreten ist, nimmt die Bildung von Marktanlagen zu. Als Beispiel für Marktsiedlungen gelten u.a. Hamburg, Osnabrück, Münster und Paderborn, die meist aus alten einzeiligen Kaufmannsniederlassungen entstanden. Im 12. Jahrhundert entstehen die Märkte nicht mehr ausschließlich durch das königliche Marktprivileg, sondern können auch durch landesherrliche Verleihung des ius fori entstehen.
Die gewerbliche Produktion entwickelt sich zu einem wichtigen Faktor in den Städten. Reisende Händler sichern den Absatz dieser Produktion.[4]
Zudem gewinnt der Exporthandel im 11. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung zugunsten des Fernhandels. Handel und Handwerk sind fest in der Stadt integriert und werden städtische Berufe. Im Gegensatz dazu treten die grundherrlichen Manufakturen zurück, d. h. es bildet sich eine Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land heraus.[5]
Die Stadtentwicklung zwischen Loire und Rhein weist einen Dualismus zwischen altstädtischem Kern und früherer Kaufmann- oder Marktsiedlung auf. Variationsmöglichkeiten eröffnen sich diesen Hauptbestandteilen der Siedlung in vielfältiger Hinsicht.[6] "Der altstädtische Kern kann ein Bischofssitz in Römermauern- im rechtsrheinischen Gebiet in frühmittelalterlicher Befestigung- sein, eine Königspfalz, eine Dynastenburg, ein befestigtes Stift oder Kloster, zusammenfassend kann man ihn als befestigten Sitz eines geistlichen oder weltlichen Herrn charakterisieren."
Eine frühe Kaufmannsiedlung, ein vicus, portus, emporium, negotiatorium claustrum oder auch eine Marktsiedlung kann Vorläufer für das Entstehen der Siedlung bei einem Herrensitz sein.
Das Beispiel Bonn zeigt, daß der Stadtwerdungsprozeß ein allmähliches Wachstum, aber auch Aspekte der Planung und Gründung beinhaltet.
Die Siedlung des altstädtischen Kerns entstand am Cassiusstift. Hier entwickelte sich eine einzeilige Kaufleuteniederlassung des 9. Jahrhunderts, die durch Angriffe von Normannen geschwächt wird. Die alte Kaufmannsstraße ging wahrscheinlich in den im 11.Jahrhundert entstandenen unbefestigten Markt auf, der sich vor der befestigten Stiftssiedlung ansiedelte. Auf dem Marktplatz waren die Marktstände dicht angesiedelt, während die daran anschließenden Häuserblocks mit einer gleichmäßigen Aufteilung in langrechteckige Grundstücke eine Planungsphase erkennen lassen. 1244 wird auf Anordnung des Stadtherrn die Marktsiedlung befestigt.
Die Städte zwischen Loire und Rhein sind gewachsene Städte. Ihre Entwicklung grenzt sie von gegründeten Städten ab. Der Prozeß der mittelalterlichen Stadtwerdung ist dennoch von Stadt zu Stadt unterschiedlich, denn jede Stadt besitzt ihre eigene Individualität.
Das typisch mittelalterliche Aussehen erhält die Stadt im 10 Jahrhundert durch den Mauerbau. Die Mauer wurde aus der Notwendigkeit heraus gebaut, daß kein Frieden erreicht werden konnte.Wegen Fehden und Kriegen konnte der Frieden nicht in das Land einkehren. Bis 1495 galt die Fehde als erlaubtes Mittel im Rechtsstreit für Herrschaftsgebilde, Stadtkommunen, Fürstentümern und Territorien.
Die Burgen und Römermauern reichen für die außerhalb der Siedlungen liegenden Bevölkerung nicht mehr aus. Die Römermauern werden erweitert und umschließen den Herrensitz oder die Kaufmanns- bzw. Markvorstadt. Hiermit wird der Gegensatz der Stadt als Siedlung aufgelöst.
Im 11. Jahrhundert setzt sich für die Stadt und Stadtbewohner die noch heute gültige Bezeichnung durch. Zuvor gab es keine Bezeichnung für die Stadtbewohner. Im allgemeinen galt das Synonym Burg anstelle der späteren Bezeichnung Stadt.
Anhand der neuen Terminologie kann man ein neues Selbstverständnis der Stadtbewohner feststellen. [8]
Die landläufige Bezeichnung 'Burg' für die Stadt ist bis ins Spätmittelalter verbreitet. Hiervon abgeleitet ist der 'Bürger', als Bezeichnung für die Stadtbewohner.[9]
Ein wichtiger Faktor bei der Entstehung der Städte war der Zusammenschluß der Stadtbewohner zu einem rechtsfähigen Organ. Kaufleute, Handwerker und auch teils stadtherrliche Dienstmannen spielten dabei eine große Rolle. Das Streben der Stadtbürger nach mehr Autonomie, wurde von dem Stadtherrn gewöhnlich unterdrückt. So nutzten die Bürger Schwächeperioden ihres Stadtherrn um ihre Ziele zu erreichen. Es bestanden aber auch gemeinsame Interessen die beide Parteien folglich umsetzen wollten.
Der Markt wurde als eine wichtige Ursache in dem Stadtwerdungsprozeß ermittelt. Der Markt als Ort des Warenaustausches stellt die Hauptfunktionen der mittelalterlichen Stadt dar. Im Frühmittelalter wurde der Markt an Bischofsitzen, Klöstern, Pfalzen und den Kaufmannswiken abgehalten.
In der Karolingerzeit wurde dann das Marktregal herausgebildet. Der Herrscher kontrollierte den Handelsverkehr und garantierte den reisenden Kaufleuten Schutz. Selbst der Markt stand unter dem Schutz des Königs (Marktfrieden). Wer den Marktfrieden verletzte, wurde mit dem Königsbann belegt und mußte sechzig Schillinge Strafe zahlen.
Das Königtum leitete aus dieser allgemeinen Schutzfunktion sein Marktregal ab, d.h. die Errichtung neuer Märkte, bei bestehenden Märkten wurde eine Genehmigung notwendig.
Damit der Marktfrieden durchgesetzt werden konnte, wurde die Marktgerichtsbarkeit eingesetzt, d.h. der Markt wurde aus der allgemeinen Gerichtsbarkeit getrennt. Der Marktherr beauftragte das Gericht alle Marktstreitigkeiten zu behandeln. Die Urteile wurden schnell entschieden. Den Urteilsfinder unterstützten meist rechtskundige Kaufleute, so entwickelte sich ein Kaufmanns- und Marktrecht.[10]
Dieses "Schöffenkollegium" kann eine Ursache für das Entstehen der städtischen Selbstverwaltung bilden. Auf den Märkten herrschte größtenteils Geldverkehr. Während das königliche Marktregal in engem Bezug zu dem Münz- und Zollrecht stand, überließ jedoch der König dem Marktherrn das Münzregal. Aufgrund der Münzprägung entstand ein anerkanntes, vom jeweiligen Münzherrn garantiertes Zahlungsmittel. Für die Münzherren war es ein gutes Geschäft, weil meist jedes Jahr eine Umprägung stattfand (12 alte Pfennige ergaben 9 neue).
Als Marktherr treten neben dem König geistliche und weltliche Feudalherren auf. Diese erhalten auch die Urkunde für Markt, Münz- und Zollrechte, auch wenn diese zugunsten der Marktbewohner ausgestellt wurde.
Im 10.und 12. Jahrhundert war der Markt sowohl rechtlich als auch topographisch stark in der herrschaftlichen Struktur integriert. Die Anlehnung an Herrschaftszentren und kirchliche Mittelpunkte garantierten den Kaufleuten und Handwerkern Schutz, Recht und Frieden.
Die Entwicklung vom Markt zur Stadt verlief langsam und wurde später von den Kaufleuten, Händlern, Handwerkern und Gewerbetreibenden vollzogen.[11]
Das 11. und 12. Jahrhundert ist gekennzeichnet durch eine Phase der Stadtgründungen. Das Königtum, geistliche und weltliche Fürsten, geistliche und weltliche Herren verschiedenen Ranges gründeten planmäßig neue Städte oder verliehen an bereits bestehende Orte städtische Rechte. Die Feudalgewalten förderten den Aufbau von Städten, aufgrund ökonomischer und territorialpolitischer Interessen.[12] Sie dienten als Festung, zur Grenzsicherung und territorialen Expansion. Die Stadtmauer belegt sowohl die Wehrfähigkeit als auch den politischen Selbstbehauptungswillen der Stadtbewohner. Zudem bietet sie der Landbevölkerung Schutz.
Die Mauer beschreibt einen eigenen Rechtsbereich von stadtbürgerlicher Freiheit und Gleichheit. Die Stadt befindet sich inmitten einer herrschaftlich geordneten, auf Bindung ausgerichteten argrarisch-feudalen Umwelt, die die Stadt vor kriegerischen Übergriffen benötigt. Unsicher bleiben jedoch die Zufahrtswege in die Stadt und die Handelswege, die nur unvollständig gesichert werden können. [14]
Die Städte breiteten sich nun sehr schnell aus. Als typisches Beispiel für diese Entwicklung wird Lübeck 1143 (1158/59) angeführt. Als weitere Beispiele dienen Freiburg im Breisgau 1120 (Zähringer), Leipzig 1156 - 1170 (gegründet vom Marktgraf von Meißen), München 1158 (Heinrichs des Löwen). Lübeck, Brandenburg, Freiburg im Breisgau und München gelten allesamt als Städte, welche die Entwicklung vom Markt zur Stadt vollzogen haben. Sie erwuchsen alle aus alten Siedlungsteilen, die teilweise planmäßig mit neuem Stadtteil kombiniert wurden. Die vorgenannten Städte lassen sich also als gewachsene Städte bezeichnen, andererseits wird es auch regelrechte Stadtgründungen gegeben haben. Das schnelle Wachstum der Städte hatte Gründungen von Neustädten als Erweiterung der Rechtsstadt zur Folge. Diese besaßen oft eine eigene Gemeinde. Kirche und Mauer blieben aber abhängig vom Stadtherrn oder Stadtrat der Rechtsstadt. Die Wirtschafts- und Sozialstruktur wurde innerhalb der Städte auch nicht voll ausgebaut.
Je mehr Städte gebaut wurden, desto kleiner gestaltete sich ihr Ausmaß. Die Zeit ab 1250 wurde geprägt durch diese Kleinstadtgründungen und Minderstädte.[15] Minderstädte waren "von ihren Gründern bewußt reduzierte städtische Siedlungen, die auch in ihren Bezeichnungen - Flecken, Städtlein, Markt, Freiheit, Tal, Weichbild- unter dem Stadtbegriff blieben."
Die Rechtsverhältnisse wurden in der Gründungsstadt rasch geregelt. Sie übernahmen die Rechte und Freiheiten der gewachsenen Städte, die sich diese langsam erkämpft hatten. Meist erfolgte die Rechtsübernahme von einer angesehenen Stadt, d. h. auch hier befand sich jede Stadt auf einer individuellen Entwicklungsstufe.
In der Stadtgeschichtsforschung wurde eine starke Trennung von der Gründungsstadt und der gewachsenen Stadt vorgenommen. Doch nach neueren Untersuchungen kann man diese Trennung nicht aufrechterhalten, da die Stadt selbst, wenn sie gegründet wurde, einen längeren Entstehungsprozeß durchlief. Ein für die Stadt wichtiges Datum war der Tag an dem der Stadtherr das Stadtrecht verlieh und gewöhnlich eine Urkunde ausstellte. Dies war ein bedeutender Akt, denn nun verfügten die Bürger über eine sichere Rechtsgrundlage. [17]
"Mit einigem Recht kann man sagen, daß im Spätmittelalter Stadt ist, was im urkundlichen, d.h. rechtlichen, Sprachgebrauch Stadt genannt wird, und daß Stadterhebung und Stadtrechtsprivileg eine Siedlung zur Stadt machen, wenigstens rechtlich und nominell."
Anfangs verzichteten teilweise die Stadtherren auf ihre Einkünfte, um den Aufbau der Stadt zu fördern und zusätzliche Bürger zu gewinnen. Nach diesen Jahren wurden die kommunalen Institutionen geschaffen und die Selbstverwaltung durch den Rat übernommen.[19]
In der Stadt zentrierte sich die Wirtschaft, Handel, Handwerk und Gewerbe von der die Stadtbevölkerung leben sollte. Durch Privilegien wurde das städtische Wirtschaftsleben gefördert (Marktrecht, Zollbefreiung, Münzrecht, Jahrmärkte, Bannmeile usw.). Anfangs bekamen die Städte nur geringe Landflächen für die städtische Wirtschaft. (Holzversorgung, Weide). Doch nicht in jeder Stadt konnte sich ein ausgeprägtes Wirtschaftsleben ausbreiten, so daß spätere Städte mit größeren Landflächen ausgestattet wurden. So konnte ein Teil der Bewohner von der Landwirtschaft leben. (Ackerbürger)[20]
Das Mittelalter markiert die Anfänge und die Blütezeit des europäischen Städtewesens. Mitte des 13. Jahrhunderts ist die Entwicklung der deutschen Stadt soweit voran geschritten, daß sie als Grundlage für eine idealtypische Charakterisierung dienen kann. Die nachfolgenden Kennzeichen der voll entwickelten Stadt des Mittelalters gelten aber nur als Orientierung.
Die Wirtschaft wird durch Handel und gewerbliche Produktion bestimmt. Ein Warenaustausch findet auf dem städtischen Markt, in Form von Jahrmarkt, Messe - Fernhandel (Verteilerfunktion), Nahmarkt (täglicher oder wöchentlicher Markt) statt. [21]
Die Stadt versucht diese Märkte in ihren Mauern zu konzentrieren. Dabei kommt ihr als Abnehmer des landwirtschaftlichen Überschusses eine wichtige Funktion zu. Als Zentrum der handwerklichen und gewerblichen Produktion strebte sie eine Monopolstellung an. Eine qualifizierte handwerkliche Arbeit wurde in der Stadt gefördert, während auf den Dörfern nur Handwerker benötigt wurden, die für das bäuerliche Leben notwendig waren, z.B. der Schmied.
Die Arbeitsteilung in der Stadt brachte besonders dem Bürgertum Vorteile. Die ökonomische Vorrangstellung der Stadt wurde durch eine politische Vormacht erweitert. Trotz allem kann eine scharfe Trennung der Wirtschaft auf dem Land und der Stadt nicht vollzogen werden, da das Wirtschaftsleben in den Städten zum Teil erheblich von der landwirtschaftlichen Betätigung abhing (Ackerbürgertum).
Die Stadt besaß einen eigenen Rechts- und Friedensbereich. Dieser bezog sich primär auf die Räumlichkeit innerhalb des städtischen Mauerrings. Hier galt das Stadtrecht und die Autorität des Stadtgerichtes. Das Stadtrecht bezog sich nicht auf den einzelnen Bürger, sondern auf die Gesamtheit der Bürger in der Stadt. Sie bildeten eine Rechtsgemeinschaft, eine Bürgerschaft. Die Bürgerschaft wurde nur von den Bewohnern der Stadt gebildet, die den Bürgereid geleistet hatten und damit das Bürgerrecht erlangten. Mit diesem Status waren natürlich besondere Rechte, aber auch Pflichten verbunden.
Jede Stadt hatte einen Stadtherrn, in dessen Herrschaftsbereich sie mehr oder weniger integriert wurde.[22] Daraus läßt sich der Grad an Selbstverwaltung einer Stadt erschließen, d.h. "Die deutsche Stadt des Mittelalters war zwar vielfach autonom, aber nie souverän." An erster Stelle der städtischen Selbstverwaltung stand der Rat. Sein Aufgabengebiet umfaßte den politischen, militärischen und teilweise den judikativen Bereich.
Besondere Privilegien der Stadt wurden erkämpft oder verliehen wie Markt-, Münz- und Zollrechte, Stapel- und Niederlagsrecht, Handelsprivilegien, Bannmeilrecht, Braurecht, Finanzhoheit, Gerichtsrechte, Wehrhoheit und Befestigungsrecht.
Indem die Stadt einen eigenen Rechtsbereich markiert, grenzt sie sich aus der feudal bestimmten Umgebung ab. Nicht nur die Stadt nimmt damit eine Sonderstellung ein, sondern auch der Bürger.[24]
Zu den privilegierten Ständen gehörte das Bürgertum, das persönliche Freiheit genoß. Die Landbevölkerung dagegen steckte meist in unterschiedlichen Formen der persönlichen Abhängigkeit. Nach dem Rechtsspruch "Freiheit nach Jahr und Tag" versuchten die Städte die Bewohner aus leibherrlichen Abhängigkeitsverhältnissen zu trennen.
In den Städten herrschte eine vielfältige gesellschaftliche Schichtung vor. Kaufleute, Handwerker, Händler und Gewerbetreibende stellen den Hauptbestandteil der Bewohner in den mittleren und größeren Städten dar. Das Ackerbürgertum dominierte meist in den kleineren Städten. Die Genossenschaft und freie Einung bestimmten die mittelalterliche Bürgergemeinde hauptsächlich in ihrer Entwicklung.
Besonderer Bedeutung kommt hierbei nicht nur dem Verkehrssystem zu, sondern auch der Struktur des Umlandes. In den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Stadt und Land kommt der Stadt als bevorzugtem Handelsplatz (Markt) und Ansiedlung von Handwerk und Gewerbe eine zentrale Funktion zu. Diese zentrale Funktion wurde in den Städten sehr unterschiedlich ausgebildet.
Ein Großteil der mittelalterlichen Städte hatte eine negative Bevölkerungsbilanz. Deshalb waren sie auf die Bevölkerung vom Land (aus der näheren Umgebung) angewiesen. Auf der anderen Seite strahlte das bürgerliche/städtische Leben wieder auf das Land aus, indem Kunsthandwerker und Künstler in der Umgebung arbeiteten. Außerdem konnte eine schulische Ausbildung nur in der Stadt erworben werden.
Eine Stadt konnte auch durch territorialherrliche Herrschafts- und Verwaltungszentren zu einer zentralen Funktion gelangen. Meist in Form einer Residenz eines geistlichen oder weltlichen Feudalherrn, die aber verfassungsrechtlich nicht zur Stadt gehörte.[25]
In Hinsicht des äußeren Umfangs und der Einwohnerzahlen sind deutliche Unterschiede festzustellen. Bedeutend für die mittelalterliche Stadt werden Stadttor und Stadtmauer, welche im Laufe der Zeit Symbolcharakter bekommen und auf zahlreichen Stadtsiegeln dargestellt werden. (Neben den funktionellen Aspekten spielt auch der ideologische Aspekt eine Rolle, der in der bürgerlichen und kommunalen Repräsentation zugrunde liegt.)
Städte die nur in geringem Maß den o.g. Aspekten entsprechen, werden in der Forschung als Minderstädte bezeichnet.[26]
Während des Mittelalters entstanden ungefähr 4000 Städte. Jede Stadt hat individuelle Entwicklungen vollzogen. Um dennoch Strukturen und Gemeinsamkeiten aufzuzeigen, bedient man sich der Typenbildung:
Mittelalterliche Städtetypen
Ab 50.000 Einwohner kann man die Stadt als mittelalterliche "Weltstadt" bezeichnen. Die Städte kann man in Großstadt, Mittelstadt und Kleinstadt einteilen. Eine Großstadt konnte man ab 10.000 Einwohnern bezeichnen. Die Mittelstadt besaß 2000 bis 10.000 und die Kleinstädte 500 bis 2000 Einwohner. Zwergstädte konnten demnach weniger als 500 Einwohner aufweisen.
Klassifizierung: gewachsene Stadt und Gründungsstadt, Mischtypen.
Die Sektoren Handel, Handwerk, Gewerbe und Landwirtschaft bestimmen die Wirtschaft in einer Stadt. Dennoch gibt es meist einen dominierenden Sektor. So kann man die Fernhandelstadt, Gewerbestadt und Ackerbürgerstadt unterscheiden. Aufgrund einer besonderen Wirtschaft kann man eine zusätzliche Einteilung vornehmen: die Bergbaustadt, Salzstadt und Messestadt.
Der Rang des Stadtherrn war bedeutend für die politisch- verfassungsrechtliche Stellung der Stadt und deren Autonomie. Es gab ca. 80 Reichsstädte, die nicht dem Landesherrn unterstellt waren, sondern dem König. [27]
Als Maßstab wird hier das Auftreten neuer Städte mit bestimmten Merkmalen angelegt.
Städte bis 1150: Die Zeit der Mutterstädte, der Ausbildung des Typus Stadt in Mitteleuropa.
1150 bis 1250: Die Zeit der großen Gründungsstädte älteren Typs, der Vervielfachung der in den Mutterstädten vorgebildeten, normgebenden Kraft entfaltenden Form.
1250-1300: Die Zeit der Kleinstädte
1300-1450: Die Zeit der Minderstädte." [28]
Diese Aufstellung bietet nur den Rahmen zur Orientierung und wurde von Heinz Stoob erstellt. Gründungsstädte älteren Typs existieren z.B. bereits 1120 wie die Zähringergründung Freiburg i. Br. beweist. Die Kleinstadtgründungen gehen bis in das 14. Jh., die Gründungen erreichen ihren Höchststand aber im 13.Jh. und um 1300 bricht dann auch die Gründungswelle in Mitteleuropa ab.
Die Kleinstädte und Minderstädte sind kennzeichnend für das Spätmittelalter. Kleinstädte können den Entwicklungsstand der älteren Städte nicht mehr erreichen. Sie orientieren sich aber an diesen hinsichtlich Stadtrecht, Verfassung, Befestigung und Siegelführung. Eine stärkere Abhängigkeit von dem Ortsherrn und eine Ausrichtung auf Groß- und Mittelstädte ist kennzeichnend. Die Gründungen lassen sich meist auf kleinere Dynasten zurückführen mit kleinem Areal und geringer Zielsetzung. Die Kleinstädte treten vermehrt im Südwesten, im fränkisch-hessischen und thüringisch-sächsischen Raum und im niederrheinischen Gebiet auf.[29]
Insgesamt kann diese Darstellung nur oberflächlich bleiben und nur punktuell Sachverhalte differenzierter beleuchten. Man kann feststellen, daß das 11. Jahrhundert das Phänomen Stadt hervorbrachte, welches zuvor nicht existierte.
Die Lebensqualität der Menschen steigt. Die Werte von Boden und Kapital geraten in ein Ungleichgewicht, während eine Konzentrierung des Kapitals in der Stadt stattfindet. Auf engem Raum wird versucht, die Lebensbereiche zu organisieren. Zugleich gerät die Stadt in den Bereich gesteigerter Staatlichkeit und Bevormundung. Die Stadt steht zwar unter der Verfügung eines geistlichen oder weltlichen Stadtherrn, sie bildet aber einen eigenen Verband und strebt nach Selbstverantwortung und Unabhängigkeit. So drängt sie Eingriffe seitens der Stadtherren zurück.[30] "Als Verband setzt die Stadt ihre eigenen politisch-administrativen Leistungsgremien ein und setzt autonom Recht."
Es muß jedoch noch einmal betont werden, daß jede Stadt individuelle Entwicklungen vollzog. So kann jede Stadt auf eine eigene Geschichte zurückblicken. Zudem waren Städte immer im Wandel.[32] Ein Herausarbeiten von Merkmalen oder das Hilfsmittel der Typisierung und Typenschichtung kann daher lediglich als Orientierung dienen. Vor dem Hintergrund, dass die Wurzeln unserer heutigen Stadt im Mittelalter begründet sind, ist es wünschenswert, aber auch notwendig, daß diese letzten Zeugnisse erhalten werden.
Freiherr von Stein Gedächtnis-Ausgabe. Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Begr. Von Rudolf Buchner und fortgf. von Franz-Josef Schmale. 32 und 33 Bd. Darmstadt 1955 - 1995.
Beiträge zum mittelalterlichen Städtewesen. Hrsg. Bernhard Diestelkamp. Köln-Wien-Böhlau 1982.
Bookmann, Hartmut: Die Stadt im späten Mittelalter. 2., durchgesehene Auflage München 1987.
Die Stadt im Mittelalter: Kalkar und der Niederrhein. Hrsg. im Auftrag der Heresbach Stiftung Kalkar von Gerhard Kaldewei. Bielefeld 1994.
Engel, Evamaria: Die deutsche Stadt des Mittelalters. München 1993.
Ennen, Edith: Die europäische Stadt des Mittelalters. 4.,verbesserte Auflage Göttingen 1987.
Franz, Günther u.a.: Stadt-Land-Beziehungen und Zentralität als Problem der historischen Raumforschung. Hannover 1974.
Isenmann, Eberhard: Die deutsche Stadt im Spätmittelalter. 1250 - 1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft. Stuttgart 1988.
Planitz, Hans: Die deutsche Stadt im Mittelalter. Graz-Köln 1954.
Schulze, Hans K.: Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter. Band 2. Familie, Sippe und Geschlecht, Haus und Hof, Dorf und Mark, Burg, Pfalz und Königshof, Stadt. 2., verbesserte Auflage Stuttgart-Berlin-Köln 1992.
Stoob, Heinz (Hrsg.): Altständisches Bürgertum. Bd.1. Darmstadt 1978.
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