In der paläolithischen Kunst unterscheidet man gewöhnlich vier grundsätzliche Kategorien von Motiven:
die Darstellung von Tieren und Menschen,
die Zeichen und die unbestimmten Linien; unter der vierten Kategorie
fassen die Prähistoriker heute gewisse graphische Linienführungen zusammen.
Es gibt noch kein allgemeines Inventar der Wandkunst - es handelt sich um
mehrere zehntausend Motive - aber wir verfügen über verschiedene, freilich
unvollständige Auflistungen.
Die Tiere
Unter den Tieren sind am die Pferde, gefolgt von den Wisenten und andere Rinder.
Bei den anderen Tieren handelt es sich, in ahnehmender Folge ihrer Häufigkeit, um den Steinbock, den Hirsch, die Hirschkuh, das Mammut, das Ren, die Carnivoren (Bär und Löwe), das Nashorn und den Fisch. Das Pferd ist in bemerkenswerter Weise in allen Gebieten und zu allen Zeitabschnitten konstant und überwiegend vertreten.
Die Auswahl der abgebildeten Tiere wird von der Zeitstellung sowie den besonderen kulturellen Voraussetzungen einer jeden Gruppe beeinflußt ferner von der Jagdspezialisierung der Fundplätze und der künstlerischen Ausdrucksweise.
Wissenschaftler sagen, daß die paläontologische Kunst eine "Kunst der Jäger" ist, sie vergessen aber , daß die Darstellung der Beutetierenicht zwangläufug aus pragmatischen Gründen erfolgen mußte. Sie kann auch eine symbolische Bedeutung besitzen, wie der völkerkundlische Vergleich es oft nahelegt.
Schließlich gibt es grundlegende Unterschiede zwischen den gejagten und den abgebildeten Tierarten. Schon seit langem hat man betont, daß die Menschen des französischen Jungpaläolithikums insbesondere das Ren jagten, mit Vorliebe hingegen Pferde und Rinder darstellten. Diese einfache Feststellung scheint der Hypothese der Jagdmagie die Grundlage zu entziehen.
Die Tiere sind oft in verschiedenen Perspektiven gezeichnet. Zum Beispiel sind die Hörner von Stieren und anderen Tieren aus der Frontalperspektive während der Körper aus der Seitenperspektive gezaichnte ist. Die bewirkt eine gewisse Dreidimensionalität.
Die Menschendarstellungen
Die Darstellungen von Menschen sind
eindeutig seltener als die Abbildungen von Tieren: Sie belaufen sich auf
insgesamt rund 1500 Beispiele, während es mehrere tausend Tierdarstellungen gibt.
In dieser Zahl sind 200 Darstellungen in der Wandkunst und 830 in der
Kleinkunst (kunstgegenstände, Schmuck,) inbegriffen; zu ihnen gesellen sich
500 Handabdrücke auf der Wand und etwa 60 isoliert stehende sexuelle Motive.
Zwei Serien mit Kleinkunst ragen aus dem gesamten Bereich heraus:
Gönnersdorf (400 Frauendarstellungen) und La Marche (115 Menschenabbildungen)
Die Frauendarstellullgen überwiegen im östlichen Bereich der paläolithischen
Welt, während die Darstellungen ohne geschlechtsspezifische Merkmale im Westen
häufiger vorkommen. Die überall sehr seltenen Wiedergaben von Männern machen
insgesamt nicht mehr als 5-10% aller AbbiIdungen aus.
Die Menschendarstellungen an den Wänden
sind teilweise ganzfigürlich und vollständig, häufiger aber nur fragmentisch
abgebildet. Man trifft sowohl Männer- und Frauenbilder als auch Figuren ohne
geschlechtsspezifische Merkmale an.
Der Kopf ist manchmal von vorn, meist aber im Profil wiedergegeben.
Die Gesichter sind schemenhaft, das heißt ohne Gesichtszüge, oder in der Art von Karikaturen mit stark akzentuierten beziehungsweise geometrischen Gesichtslinien dargestellt. Trotz fehlender Details handelt es sich hier um Menschendarstellungen und nicht, wie bisweilen vorgeschlagen, um stilisierte Vögel: Köpfe werden nämlich manchmal durch punktierte Linien ergänzt, die die Arme und den Körper angeben - die Beine und das Geschlecht derselben Figur werden durch den Faltenwurf der Stalagmiten wiedergegeben. Die Einbeziehung der Felsformen ist oft zu beobachten; es gruppieren sich gezeichnete Umrisse um Stalagmiten, die zum Beispiel das aufgerichtete männliche Glied darstellen.
Die unvollständigen Menschendarstellungen
Diese Figurengruppe beschränkt sich auf die Wiedergabe eines einfachen Rumpfes, das heißt der mittleren Körperpartien: der Brust, des Beckens und der Schenkel.
Die Reduzierung des menschlichen Körpers auf die mittleren Körperpartien führt schließlich dazu, das Individuum auf ein Geschlechtsteil zu reduzieren.
Die isoliertckl Vulvendarstellungen
Die isolierten Vulvendarstellungen - manchmal sehr detailliert ausgeführt, meist
aber schematischer gehalten - kommen in der Wandkunst häufiger vor, während die isolierten Phallusdarstellungen die Ausnahme bilden.
Die Handdarstellungen
Die Reduzierung der menschlichen Figur auf eine einfache Hand, der einzige absichtlich hinterlassene Abdruck, den uns der prähistorische Mensch hinterlassen hat, ist in der Wandkunst in unterschiedlichei Weise vertreten. Wir kennen ungefähr zwanzig Handpositive und 500 Handnegative aus etwa 20 Höhlen.
Die Zeichen
Die Zeichen kommen häufiger vor als die Tierdarstellungen und sind in der Wandkunst wie in der Keinkunst in äußerst vielfältiger Form vertreten.
Ihre genaue Erfassung wäre eine gewaltige Aufgabe; sie würde eine vertiefte Kenntnis aller Wandheiligtümer erfordern, über die die gegenwärtig Forschung noch nicht verfügt.
Die Zeichen sind häufig geometrische Motive und bestehen aus Linien, Dreiecken, Vierecken, Kriese und diese untereinander kombiniert, in denen die Prähistoriker zunächst Darstellungen von vertrauten Gegenständen zu erkennen vermeinten, insbesondere von Waffen und Werkzeugen, ferner Wohnstätten (Hütten) oder Fallen. Heute werden sie eher als abstrakte Motive angesehen.
Die Zeichen sind zum einen eng mit Tierdarstellungen verbunden oder sogar in dieselben integriert, wie die 212 schwarzen Punkte bei den Pferden von Pech Merle, die vom Innenbereich der Pferdeleiber die Konturen nach außen hin überschreiten. Sie befinden sich überall in den höhlen, sogar in Nischen im Randbereich der mit figürlichen Motiven geschmückten Zonen, oder in engen Winkeln.
Man hat die Ansammlung von vollen Zeichen verschiedener Ausprägung in bestimmten Gebieten ausfindig gemacht. Sie stellen »ethnische Kennzeichen« dar, die dazu dienten, die Territorien gegeneinander abzugrenzen. So sind die wappenförmieen Rechtecke. Die Zeichen dienen sozusagen als Wappen.
Die meisten dieser Zeichen sind in Gruppen zusammengefaßt.
Die Entfernung zwischen den Fundorten mit den selben "Wappen" beläuft sich bis auf 500 km - dies belegt, daß kulturelle Beziehungen über ene große Distanz hinweg bestanden.
Die unbestimmen Linien
Wie die Kleinkunst enthält auch die Höhlenkunst neben den Figuren und realistischen Motiven eine Vielzahl von Linien. Sie sind äußerst verschiedenartig, ineinander verschlungen und einander überlagernd, schwierig zu entziffern und häufiger graviert als gemalt.
Bislang sind sie nur selten eingehend untersucht worden. Man hat diese unbestimmen Linien anfangs als "Wirrwarr von Strichen" und als schüchterne Anfänge der paläontologischen Kunst, also als Experimente, betrachtet. Sie zeugten von künstlerischem Unkönnen und der Unfähigkeit, die Wirklichkeit wiederzugeben.
Die Apsis von Lascaux liefert hierfür ein anschauliches Beispiel: Sie ist mit einem Gewirr von Gravierungen überzogen, in dem sich Tiere mit mehr oder weniger vollständigen Zeichen und einer Vielzahl undurchschaubarer unbestimmter Striche vermengen. Leroi-Gourhan hat sie »unvollendete Konturen« genannt, und das ist sicherlich ein Fortschritt gegenüber der abfälligen Einschätzung von Breuil, der in ihnen nur »parasitäre Striche« sah.
Die unvollendeten Konturen scheinen indessen eine besondere Stellung im Heiligtum einzunehmen. Man betrachtet sie als ungeordnete Arbeiten von schlechter Qualität, die mit einer gewissen Beständigkeit in den allgemeinen Aufban der Anlage eingebunden sind. Aber die Wirklichkeit ist noch viel komplizierter
In der Apsis von Lascaux kommen die Linien, Fragmente und unvollständigen Teile der nicht identifizierten Tiere zu 35% der gesamten Dekoration und in enger Verbindung mit figürlichen Darstellungen vor. Tatsächlich kommen die unbestimmten Linien in mannigfacher Gestaltung an beinahe allen ausgeschmückten Fundstätten und in allen Bereichen der Höhlen vor. Sie stellen häufig ein Drittel bis zur Hälfte aller graphischen Darstellungen.
Übergangsformen
Die Unterteilung der Wandbilder in die vier grundlegenden Kategorien - Tiere, Menschen, Zeichen und unbestimmte Linien - ist alles andere als einfach.
Sie birgt von Anfang an schwerwiegende Probleme in sich wie jede Klassifizierung von Bestandteilen, deren Einordnung nicht frei von Subjektivität ist.
Die Darstellungen sind anscheinend nicht dazu geschaffen worden, um den Prähistorikern des 20. Jahrnunderts ihre Arbeit zu erleichtern
Wir wollen uns daher mit den folgenden Bemerkungen begnügen:
Es gibt unbestimmte Tiere (zoomorphe Motive), unbestimmte menschliche Darstellungen (anthropomorpbe Motive) und unbestimmte Zeichen.
Die kompositen Tiere weisen Merkmale verschiedener Tierarten auf, aber es gibt ebenso Tier-Menschen, Menschen-Zeichen und Tier-Zeichen, zu denen sich noch einige unbestimmte Wesen gesellen, vieldeutige Gebilde, die unmöglich zu bestimmen sind.
Die Vielfalt der Motive legt den Gedanken nahe, daß »Pferde, Wisente, Steinböcke und andere Lebewesen, Menschen und Zeichen nur die sichtbaren Maschen eines stetig fortlaufenden graphischen Gewebes bilden, dessen Einheit es zu beachten gilt. Zwischen den Polen der eindeutig bestimmbaren Motive gibt es zahlreiche Übergangsformen und unüberschaubar viele ungeordnete Linien, die es dem Schöpfer dieser Gebilde erlauben, entlang dieses Schußfadens sich ungebunden hin und her zu bewegen.
Die Wandkunst ist zwar kein unförmiges Magma, aber man sollte von vornherein die Tatsache im Auge behalten, daß keine Klassifizierung »vollkommen«, unvoreingenommen, wirklich »objektiv« ist. In dieses komplexe Gebilde, das die paläolithische Wandkunst darstellt, haben die wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden und die Fortschritte in der Forschung nach und nach Licht über die Beschaffenheit der verschiedenen Bestandteile getragen.
Die paläoithische Kunst erschien zunächst als eine Kunst der »figürlichen und naturalistischen Tierdarstellung«. Sodann trat die Bedeutung der Zeichen, schließlich der unbestimmten Linien immer nachhaltiger zutage, und eine vertiefte Kenntnis des Gegenstands ermöglichte es, die allzu kategorischen ersten Verlautbarungen ein wenig einzuschränken und abzuschwächen. Die durch die Statistik und Informatik bereicherte Forschung der Gegenwart hat die Prähistoriker dazu verholfen, gewisse Muster und Schemata aufzustellen.
Die Techniken
Im Verlauf der 25000 jahre paläolithischer Kunst ist kein technischer Fortschritt festzustellen. Alle künstlerischen Verfahrensweisen (Auftrgagen bzw. Abtragen von Materie oder Verformung eines Materials) waren den Schöpfern der Bildwerke von Anfang an bekannt.
Die verwendeten Pigmentfarben waren vor allem der rote Ocker und die schwarze Farbe, die entweder aus Holzkohle, aus Knochenkohle oder aus Manganoxyden bestand. Die gelben und braunen Farben (Brauneisenstein und eine Mischung aus roten Ocker und Manganoxyden - kommen weniger häufig vor.
Grün, Blau und Weiß fehlen vollständig.
Das Auftragen der Pigmente erfolgte entweder in Linien - der Strichzeichnung - oder in einer mehr oder weniger diffusen und einheidichen Flächen, die eine Silhouette bildet.
Zur Beleuchtung der Höhle dienten steinerne Talglämpchen. Gemalt wurde mit einfachen Stiften oder mit den Fingern. Allerdings lassen sich auf diese Weise kaum die vielen plastischen, flächigen Schattierungen herstellen, die in allen Höhlen häufug vorkommen.
Die Strichzeichnung
Am häufigsten wurde die rote oder schwarze Strichzeichnung hergestellt, indem man mit der gefärbten Fingerspitze über die Wand rieb. Der Auftrag konnte auch mit einem Pinsel beziehungsweise einem Ocker- oder Kohlestift erfolgen.
Diese linienförmigen, oft auf einfache Konturen reduzierten Umrisse sind in Frankreich und Spanien sehr häufig anzutreffen. In der Grotte Chauvet scheinen mit Fingern gezogene helle Streifen die schwarzen Zeichnungen zu umgeben, um den Kontrast zu verstärken und den Bildcin eine größere Präsenz zu verleihen.
Die Silhouetten bestehen aus flächig aufgetragener Farbe, die das dargestellte Motiv einheitlich ausfüllt. Die Tierbilder weisen eine regelrecht modellierte Innenfläche auf, die Details der Fellfärbung oder das Körpervolumen angibt.
Die Körper der Stiere, Pferde und großen Kühe von Lascaux enthalten graue, rote und schwarze Sprenkel und Flecken, die nicht immer von dem Wunsch nach naturgetreuer Wiedergabe herrühren. Sie machen diese Darstellungen zu einzigartigen Kunstwerken, die weit übei die einfache Nachahmung der Wirklichkeit hinausgehen.
Die Silhouetten und gleichmäßigen Farbflächen wurden nach Michel Lorblanchet durch eine ganz besondere Verfahrensweise der Malerei hergestellt: das »Versprühen«, das die Künstler der australischen Ureinwohner heute noch anwenden. Der rote Ocker wird zunächst zu Pulver zerrieben und dann mit dem Mund auf die Wand gesprüht oder gespuckt. Dieses Verfahren verwandte man durchgängig bei der Herstellung an Handnegativen; um aber so eine größere Fläche zu färben, mußte man viele Flecken neben- und übereinandersetzen. Dies verlieh dem kolorierten Bereich bisweilen ein ungleichmäßiges Ausschen mit helleren und dunkleren Flächen, wie man es bei mehreren Tieren von Lascaux beobachten kann.
Der Vorteil des Versprühens besteht zum einen darin, daß man einen unebenen, von Konkretionen überzogenen Untergrund »bemalen« konnte, zum anderen konnte man mit einer Schablone klare Konturen oder abgestufte Tönungen herzustellen.
In den schwarzen Flächen der Originale fand man übrigens nicht nur Kohlepartikel. Sie enthalten auch Anteile eines Minerals, Manganoxyd, daß ausgesprochen giftig wirkt. Verschluckt man es, kann es Halluzinationen auslösen. Haben die Eiszeitmaler wirklich nach Lorblanchets Methode gemalt, dann war es nicht zu vermeiden, daß sie auch etwas von dem Manganoxyden geschluckt haben.
Es dürfte auf sie wie eine Droge gewirkt haben.
Auch die Methode des Verwischens wurde häufig angewandt. Man zerreibt dabei das Farbpigment mit den Fingern, um die Striche abzudämpfen, abgestufte Schattierungen zu erhalten und das Körperinnere der Figuren zu modellieren.
In der Regel verwendete man nur eine einzige Farbe; zweifarbige rote und schwarze Darstellungen sind seltener. Einer der Rücken an Rücken stehenden Wisente von Lascaux ist in Schwarz ausgeführt und trägt einen großen roten Flecken in seinem Körperinnern. Der zweite Wisent ist zuerst vollständig rot ausgemalt und dann mit einer schwarzen Schicht überzogen worden, durch die die überdeckte rote Farbe durchscheint. Die zweifarbigen Darstellungen von Lascaux sind tatsächlich jedoch polychrome Bilder, da die Farbe des Felsuntergrunds miteinbezogen ist:
Die mit einem Kaizitüberzug bedeckte weiße Wand gibt dort, wo sie mit in die Darstellung einbezogen wurde, vortrefflich die heIlere Bauchpartie der Tiere wieder, deren Konturen in Schwarz und deren Fell in gelbem oder rotem Ocker gehalten sind. Die tatsächlichen polychromen Gemälde, die in drei verschiedenen Farbtönen ausgeführt sind, kommen nur ausnahmsweise vor.
Die Gravierung
Obwohl die Gravierung durch das Abtragen von Materie mittels eines Werkzeugs aus Feuerstein entsteht, zielt sie, ebenso wie die Malerei, darauf ab, einen Farbkontrast herzustellen. Die Gravierung zerstört die Felsoberfläche und läßt die tiefer liegenden Felspartien zutage treten; dadurch erhält man einen hellen Strich auf einem dunklen Hintergrund.
Der gravierte Strich kann ebenso aus einem Bündel vielfacher Ritzungen bestehen und damit den Konturen eine gewisse Unschärfe und Lebendigkeit verleihen.
Wenn die mehrfachen Ritzungen parallel verlaufen und nicht mit einem Werkzeug nachgezogene Linien darstellen, sondern von vornherein mit einem Gerät mit breiter, schartiger Schneide angebracht wurden, dann spricht man von einer geschabten Linie. Manchmal sind ganze Felder im Innenbereich der Figuren mit solchen geschabten Linien überzogen. In anderen Fällen wurde zunächst der Hintergrund des gesamten Bildfeldes abgeschabt und dann die Gravierung auf dem so vorbereiteten Bereich angelegt. Durch die unterschiedlich tiefe Partien der verwitterten Felsoberfläche drei entstehen verschiedene Farbtöne: Braun, Weiß ]nd Schwarzblau, die Farbe der flefediegenden Fclsschichten.
Die Modellierung
Tief in einigen Pyrenäenhöhlen ist der Lehm am Boden und an den Wänden bearbeitet worden: dort sind Fische, Pferde, Wisente, Vulven und Zeichen zu sehen, die mit dem Finger oder einem Feuersteinwerkzeug dargestellt worden sind.
Die mit ,ingern gezogenen Linien stellen eine Sonderform der Modellierung dar, da sie die weiche lehmige Oberfläche oder die verwitterte Oberfläche des Kalkfelsens durch einfache Streifen verändern, ohne daß dabei, Materie abgetragen worden wäre.
Die künstlerischen Verfahrensweisen der eiszeitlichen Wandkunst zeichnen sich durch folgende Merkmale aus:
Sie sind perfekt an den Untergrund angepaßt. Die mit Fingern gezogenen Linien sind beispielsweise die passende Replik auf das »Angebot« der weichen Oberfläche.
Die verschiedenen Techniken sind häufig eng miteinander verbunden.
Zwischen der Gravierung und der Malerei gibt es zahlreiche Wechselbezüge, denn beide streben danach, Farbwirkungen zu erzielen. Oft sind die Farbflächen mit feinen Gravierungen überlagert. Die großen Silhouetten der Wisente enthalten feine, mit einem Silexwerkzeug ausgeführte Ritzungen, die die Kontur der Gliedmaßen
oder des Kopfes nachzeichnen und sich von der Malerei so klar abheben wie die Schrift auf einer Schiefertafel.
Eben hier ist auch ein äußerst geistreiches Spiel mit Gegensätzen - hell und dunkel, verfließende und klare Konturen - zu beobachten, das die außerordentliche Meisterschaft der Künstler belegt.
Die Gravierung diente manchmal auch dazu, die Figuren skizzenhaft zu entwerlen, bevor sie dann gemalt oder skulptiert wurden.
Die paläolithische Wandkunst ist durch ein ständiges Streben nach Volumen, nach räumlicher Gestaltung gekennzeichnet. Die Höhlenkünstier bezogen den Raum in ihre Schöpfungen mit ein. Sie verstanden es auch in bewundernswerter Weise, mit den Felsformen zu spielen, um ihren Werken Tiefenwirkung zu verleihen.
Die Grenzen zwsschen Malerei, Gravierung und Skulptur sind im Paläolithikum also fließend, und die Einbeziehung des Untergrunds in die Kunstwerke, die diesen Dreidimensionalität verleiht, geht über das blolse Bedürfnis nach wirklichkeitsnaher Gestaltung hinaus.
Wie die Baumeister unserer romanischen Kirchen strebten die Künstler wahrscheinlich vor allem danach, den Höhlenraum zu beleben, indem sie ihn mit symbolischem Sinn ausstatteten. Die Techniken sind dabei keineswegs unmotiviert und willkürlich, sondern sie sind selbst Bedeutungsträger.
Die australische Kunst der Gegenwart sowie die Kunst anderer ursprünglicher Kulturen weisen darauf hin, weIche Bedeutung den sozialen Verhältnissen für die künstlerischen Verfahrensweisen zukommt. Strenge Regeln legen nicht nur fest, welche Themen darzustellen sind, sondern auch, welche Techniken angewandt und welche Pigmentfarben gebraucht werden müssen. Die Verwandtschaftsverhältnisse und insbesondere die Geschlechterbeziehungen legen die geographische Verbreitung der Motive und Farben fest, ja selbst deren jeweiligen Standort.
Bestimmte Themen scheinen vorzugsweise mit besonderen Farben in Zusammenhang zu stehen. Dem Rot kommt ohne Zweifel ein anderer symbolischer Wert als dem Schwarz zu. Die Verteilung der Farben innerhalb eines Höhlenraums ist sicherlich ebenfalls von Bedeutung.
Die feinen Garvierungen sind häufig in verborgenen Winkeln, wobei die Malerei mehr ins Auge fällt (sie könnte für eine öffentliche Kunst Verwendung gefunden haben).
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