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Warum war Preußen zu Beginn des 18. Jahrhunderts der modernste Staat Europas und warum wurde er 1947 zerschlagen?


Um diese Frage beantworten zu können müssen wir zunächst betrachten, wie denn der „Standard“ im 18. Jahrhundert war. Es war die Zeit der absolutistischen Herrscherform. Diese Regierungsform zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass der Herrscher die absolute Macht über sein Volk beansprucht. Des weiteren hatte die Repräsentation der eigenen Macht eine hohen Stellenwert erlangt. Das bedeutete zum Beispiel in Frankreich, dass der König jedweden Luxus für sich und seinen Hof beanspruchte (-> Höfische Kultur) seine nicht adligen Untertanen jedoch Not leiden mussten.

Preußen bildet hierzu im 18. Jahrhundert nach und nach einen Gegensatz:

1701 wird Friedrich Wilhelm „Der Große Kurfürst“ König von Preußen und damit Friedrich I. Er errichtet eine uneingeschränkte Alleinherrschaft. Die Stände werden entmachtet, ein stehendes Heer gegründet und die Verwaltung einer zentralen Stelle übergeben. Er legt damit den Grundstein für die Machtentfaltung Preußens. Er selber führt jedoch noch ein recht luxuriöses Leben nach dem Vorbild Frankreichs und bringt damit den Staatshaushalt an den Rand des Ruins.

1713 folgt Friedrich Wilhelm I. auf den Thron. Er vertritt im Gegensatz zu seinem Vater die Auffassung, dass der König dem Staat zu dienen habe und sich nicht auf dessen Kosten ein schönes Leben machen solle. Er kürzt die Ausgaben für die Hofhaltung und entlässt im Zuge dessen die meisten Höflinge aus seinen Diensten. Luxus hat für ihn keinen Stellenwert, er legt das Gewicht auf die Nutzbarkeit der Dinge. Im königlichen Weinkeller wird der Staatsschatz gelagert, aus Lustschlössern und -park werden Lazarette und Exerzierplätze; die Schulpflicht wird eingeführt. Ein schlagkräftiges Heer wird aufgestellt. Die Rekruten hierfür wurden teilweise zwangsverpflichtet und einer harten Ausbildung zum Gehorsam unterzogen. Selbst sein eigener Sohn desertiert mit seinem Freund von Katte und muss als Strafe dessen Hinrichtung beiwohnen sowie eine Haftstrafe verbüßen. Die Regierung Friedrich Wilhelm I ist durch Sparsamkeit und Pflichterfüllung geprägt. Er trägt auch den Beinamen „Der Soldatenkönig“. Unter ihm wird Preußen zur führenden mitteleuropäischen Militärmacht. Diese Macht wird im „Nordischen Krieg“ erstmals unter Beweis gestellt. Friedrich Wilhelm erobert Schweden mit einem Teil Vorpommerns und der Hafenstadt Stettin.

Des weiteren wird eine zentrale Verwaltungsstelle geschaffen, das Generaldirektorium, dem es obliegt, alle Verwaltungsangelegenheiten im Auftrage des Königs zu erledigen und zu klären. Die hier tätigen Minister wurden streng kontrolliert. Von ihnen wurde größte Sorgfalt und Disziplin verlangt. So kommt zu einer strengen Militärordnung ein kontrolliertes Beamtenwesen. 17929exr63pen7z

Ziel Friedrich Wilhelms ist es, alle anfallenden Staatskosten aus den Staatseinnahmen zu decken. Er wirtschaftet. Bei seinem Tod kann er mit Fug und Recht behaupten er „habe das Land instand gebracht“

Nachfolger wird 1740 sein Sohn, Friedrich II. Er beginnt sofort mit der Reformierung der Hof-, Verwaltungs-, Militär- und Finanzwesen und richtet den Haushalt weiterhin auf größtmögliche Sparsamkeit aus. Um die relativ große Armee zu finanzieren, wird Preußen der höchstbesteuerte Staat. Auch Friedrich legt wie sein Vater großen Wert auf eine schlagkräftige Armee. Friedrich II. besucht oft die Truppe und kümmert sich persönlich um die Disziplin der Offiziere. Der Adel wird als Offiziere in die Armee aufgenommen. Der König betreibt auch Bevölkerungspolitik (Peuplierung), indem er Einwanderer unterstüzt und ihnen einen Neuanfang ermöglicht. Es entstehen viele Manufakturen, die vom Staat zunächst gefördert andererseits mittels Besteuerung auch Einnahmequellen sind. Die Staatsschulden werden getilgt und sogar ein Überschuss erwirtschaftet.

Friedrich ist ein aufgeklärter Monarch. Er unterhält einen regen Briefwechsel zu Voltaire in Frankreich, der ein Verfechter der Aufklärung ist. Die absolute Macht und Herrschaft bleiben unter Friedrich II erhalten, aber deren Ausübung richtet sich nach dem Gesamtinteresse des Staates und seiner Untertanen. Er vertritt, die Auffassung, dass der Herrscher „der erste Diener des Staates“ sein muss.

Ein weiterer Fortschritt besteht darin, dass der preußische Adel im Gegensatz zum österreichischen oder französischen selbstarbeitender Landadel ist. Die Bauern dürfen Land besitzen. Da beide Gruppen sehr verbunden sind und der Adel die Bauern in der Regel nicht ausbeutet, werden Klassenkämpfe verhindert. xe929e7163peen

Die Erbuntertänigkeit der Bauern wird auf den Besitztümern der Krone aufgehoben. Auf den Gütern der Junker bleibt sie jedoch bestehen und nur der Adel ist berechtigt Grundbesitz zu erwerben. So müssen die Bürger weiterhin arbeiten und gehen dem Staat als Einnahmequelle nicht verloren.

Der Konflikt zwischen Adel und König wird somit beigelegt, da die Adligen über die Armee in den Staatsdienst integriert sind und Interesse an einem starken Staat haben. Auf ihren eigenen Gütern können die Adligen allerdings wie Könige regieren.

Unter Friedrich II wird die Folter sowie die Möglichkeit Ämter am Hofe zu erkaufen abgeschafft. Zudem greift der König nicht mehr in gerichtliche Verfahren ab. Preußen gewährt als erster Staat Europas, seiner Bevölkerung Religionsfreiheit und für alle Bewohner, gleich welcher Nationalität, gilt das gleiche Recht. Höhere Ämter, sowie die Offizierslaufbahn sind jedoch dem Adel vorbehalten.

Unter Friedrich II. wird Preußen durch mehrere Kriege mittels seiner schlagkräftigen Armee zur zweiten großen Macht in Deutschland und zur „richtigen“ fünften Großmacht in Europa.

Preußen ist ein Staat ganz im Zeichen der Aufklärung, da es Verwaltungsstaat mit hoher Toleranz Menschen anderer Nationalität und anderen Glaubens ist. Das Militär-, Verwaltungs- und Justizsystem entspricht ganz den Vorstellungen der Aufklärung. Es stützt sich nur auf vernunftbedingte Prinzipien. Noch heute kennt man die „Preußischen Tugenden“ : Disziplin, Perfektion, Toleranz, Unterordnung, ein striktes Obrigkeitsprinzip und eine hohe Arbeitsmoral. Zudem hat Preußen auch einen recht hohes Bildungsniveau gegenüber anderen Europäischen Staaten, da es seit 1717 die allgemeine Schulpflicht hat. Damit ist Preußen im 18. Jahrhundert der modernste Staat Europas. In keinem anderem Staat Europas ist zu dieser Zeit die Aufklärung so weit fortgeschritten.

Am 25. Februar 1947 wird dieser Staat per Gesetz vom Allierten Kontrollrat aufgelöst.

Die Gründe für diese Auflösung liegen einerseits in der sehr kriegerisch-aggressiven Vergangenheit des Staates, andererseits sehen die Siegermächte in Preußen die Verkörperung reaktionärer und militaristischer Gesinnung. Preußen wird eine Vorreiterrolle für den Nationalsozialismus zugeteilt. Es wird Preußen eine massive Sendung unterstellt.

Bei näherer Betrachtung können wir jedoch erkennen, dass Preußen in keinster Weise ein Sendungsbewusstsein hatte. In Preußen wurden Menschen jeder Nationalität und jeden Glaubens respektiert. „Preuße wird man nicht aus Not, wer Preuße wird, der danket Gott“ war ein beliebtes Schlagwort zu damaliger Zeit. Preußen war für viele DIE Möglichkeit für einen Neuanfang unter recht freiheitlichen Bedingungen. Einwanderer hatten die Möglichkeit ihren eigenen Glauben auszuüben und es wurde von ihnen nicht erwartet einem nationalen Standard zu entsprechen. Einen solchen Standard gab es in Preußen nie.

Die Vorreiterrolle für den Nationalsozialismus wird Preußen daher zu Unrecht zugesprochen. Nicht abzustreiten ist jedoch, dass das Hitlerregime sich der „Preußischen Tugenden“ wie Obrigkeitsgehorsam, Staatstreue und Disziplin, bediente um seine Vorstellungen von einem Deutschen Reich zu verwirklichen und sich die Deutsche Gesellschaft untertan zu machen. Doch kann man daraus Preußen wirkliche Schuld zuweisen???