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Varianzanalyse in der Marktforschung




Varianzanalyse in der Marktforschung


1 Einleitung

Die Varianzanalyse ist eines der am häufigsten verwendeten statistischen Verfahren bei der Auswertung von Experimenten. Gründe dafür sind u.a. die leichte Verständlichkeit und die einfache Handhabung des Verfahrens. Werden mehr als zwei abhängige Variablen gleichzeitig betrachtet, spricht man von multivariater Varianzanalyse  (MANOVA) - ein Fall, der wegen schwieriger Handhabung durch enormen Rechenaufwand selten vorkommt (vgl. Hüttner 1989 S.199). Bei der Kovarianzanalyse (ANCOVA) wird versucht, den Einfluß einer oder mehrerer unabhängiger Variablen auf die abhängige Variable zu eliminieren. So hat Lindner (1964) bei einer Untersuchung von Schnittzeiten verschiedener Sägeblätter versucht, Bäume verschiedener Durchmesser vergleichbar zu machen, indem er deren Durchmesser als Kovariable betrachtete. Im Folgenden werden auf die Zielsetzung und den Einsatz der Varianzanalyse im Marketing eingegangen und anhand eines Beispieles Verwendungsmöglichkeiten demonstriert. Dabei werden jedoch ausschließlich Beispiele der univariaten Varianzanalyse (ANOVA) herangezogen.



2 Grundlagen und allgemeine Zielsetzung der Varianzanalyse

Das Ziel der Varianzanalyse ist es zu erklären, inwiefern bestimmte unabhängige Variablen für die Abweichungen der einzelnen Werte der metrisch skalierten abhängigen Variable von ihrem Mittelwert verantwortlich sind. Dabei wird versucht, die Varianz in einen systematischen, durch den Einfluß der unabhängigen Variablen erklärbaren Teil und einen nicht erklärbaren Teil zu zerlegen. Die Prüfgröße zur Wirkung eines Faktors (F-Wert) errechnet sich aus dem Quotienten von  systematischer Varianz und Rest Varianz (vgl. Cozby 1981 S.72), ist Fisher´s F verteilt und kann mit einem Tabellenwert verglichen werden. Je größer der F-Wert ist, je höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß die unabhängige die abhängige Variable tatsächlich beeinflußt. Durch moderne Statistikprogramme wird der P-Wert errechnet. Er gibt das Niveau an, ab welchem die Nullhypothese (Gleichheit der Mittelwerte) verworfen würde. Im allgemeinen wird bei allen Variablen Normalverteilung und Unabhängigkeit vorausgesetzt.

3 Einsatz der Varianzanalyse im Marketing

Durch den Vergleich verschiedener Gruppen eignet sich die Varianzanalyse besonders zur Auswertung von Experimenten. "Im Marketing werden Varianzanalysen hauptsächlich zur Überprüfung der Wirkung von Marketing-Maßnahmen auf marktbezogene Erfolgsgrößen eingesetzt." (Nieschlag et al. 1985 S. 743) Die gefundenen Ergebnisse können dann zur Vorhersage von Ereignissen und zum gezielten Gebrauch effizienter Marketinginstrumente eingesetzt werden. Mögliche Fragestellungen für die Verwendung der Varianzanalyse im Marketing sind z. B. ob Verpackung und Warenplazierung eines Produktes Einfluß auf den Absatz haben (Backhaus et al.1994 S. 66-75) oder welche Wirkung Tonart und Tempo von Musik auf die Reaktion von Konsumenten haben (Kellaris, Kent 1991 S.243-248)? Im Folgenden wird anhand einer Zusammenfassung des letztgenannten Beispiels der Gebrauch der Varianzanalyse demonstriert.


4 Beispiel: Untersuchung der Wirkung von Tonart und Tempo von Musik auf die Reaktion von Konsumenten

4.1 Allgemeines

Musik wird im Marketing in verschiedenen Situationen als Kommunika-tionsmittel verwendet (Werbespot, Hintergrundmusik im Supermarkt, etc.). Sie besteht aus mehreren Strukturelementen wie z.B. Tempo, Klangfarbe und Klanghöhe. Bisherige Untersuchungen haben die An- oder Abwesenheit bzw. die Wirkung von angenehmer und unangenehmer Musik erforscht. Schon in früheren Studien wurde festgestellt, daß das Tempo der Musik eine wesentliche Bedeutung für die Empfindungen der Hörer hat. Auch die Tonart übt einen großen Einfluß auf die Reaktion der Zuhörer aus. Die zwei häufigsten Tonarten Dur und Moll lösen im allgemeinen positive bzw. eher negative Gedanken und Gefühle aus. Es gibt außerdem noch viele atonale Tonarten, jede mit ihrem eigenen Charakter. Einzelne Musikkomponenten wirken aber nicht nur für sich allein, sondern auch in Wechselwirkung untereinander. Kürzlich erzielte Fortschritte in elektronischer Musiktechnologie machen es möglich, einzelne Eigenschaften getrennt zu verändern und dadurch deren Einfluß  auf Konsumenten zu untersuchen.

4.2 Versuchsdesign und Durchführung

Die Studie besteht aus zwei Experimenten, wobei das erste darauf gerichtet ist mit Hilfe von durch Computer komponierter Musik, die Effekte von Tempo und Tonart zu beweisen. Das zweite Experiment versucht die Gültigkeit der Ergebnisse des ersten für allgemeine Musik zu überprüfen. Eigens für das erste Experiment wurde eine vierteilige Fuge im kontrapunktischen Stil des 18.Jahrhunderts komponiert. Es gab 9 Versionen des Stücks, wobei sie sich durch Tempo (schnell=180 Schläge pro Minute [SPM], moderat=120SPM, langsam=60SPM) und Tonart (Dur, Moll, atonal) unterschieden. Die Musik wurde mittels digitaler Klangbeispiele und spezieller Software aufgenommen. Auf diese Weise war es möglich, sie so zu verändern, daß orthogonale Kombinationen von Tonart und Tempo entstanden, während alle anderen Eigenschaften konstant blieben. Im ersten Experiment wurde von 180 Studenten einer Erstsemesterklasse der Universität von Cincinnati ( Alter von 20-40, Durchschnittsalter 21, 54,2% männlich) nach dem Hören der Musik über Kopfhörer ein Fragebogen beantwortet. Dabei sollte nach dem Muster "Die Musik, die ich hörte war " auf einer Skala von 1-7 zu 16 Eigenschaften der Musik Stellung genommen werden. Die Punkte 'ansprechend', 'schön', 'gefällig' und 'angenehm' wurden unter der Überschrift 'Gefälligkeit' (appealingness) und die Antworten zu 'aufweckend', 'stimulierend', 'kraftvoll', 'erregend' und 'laut' unter dem Oberbegriff 'anregend' (arousingness) zusammengefaßt. Die Absicht, die Musik noch einmal zu hören, zu kaufen bzw. einer anderen vorzuziehen sowie ein vierter Punkt wurden mit dem Stichwort 'Reaktion' (behavioral intent) überschrieben. Außerdem wurden Fragen zu Interesse an Musik, Hörgewohnheiten, demographischen Angaben, etc. gestellt, sie spielten aber bei der Auswertung keine Rolle.

Im zweiten Experiment wurde unbekannte, kommerziell aufgenommene Musik verwendet und in die schon oben genannten 9 Gruppen eingeteilt. Aufgrund des relativ schwachen Effekts von Tempo auf 'anregend' wurden die Faktorstufen in 'langsam' =60SPM und weniger, 'moderat' =120 SPM und 'schnell' =180SPM und schneller korrigiert. Während die atonale Tonart im ersten Experiment an eine Ganztonskala gelehnt war, wurde im zweiten Versuch eine größere Anzahl atonaler Tonarten verwendet. Am Experiment nahmen 162 Studenten (Alter von 19-35, Durchschnittsalter 21, 53,7% männlich), von denen keiner am ersten Versuch beteiligt war, teil. Jedem Teilnehmer wurden je 3 Minuten ein unbekanntes klassisches Orchesterstück, ein indisches Ragastück und ein chinesisches Stück vorgespielt. Bei der Auswahl der Komponisten, Instrumente, etc. wurde versucht, möglichst neutral zu bleiben. Das Ziel war zu überprüfen, ob die bei der "sauberen", durch Computer produzierten Musik  gefundenen Sachverhalte auch in natürlicher Musik wiedergefunden werden konnten.




4.3 Ergebnisse und Schlußfolgerungen




Tabelle 1



Haupteffekte

Wechselwirkung

abhängige Variable

Tempo

F-Wert   P-Wert

Tonart

F-Wert  P-Wert

Tempo -Tonart

F-Wert              P-Wert

Gefälligkeit

anregend

Reaktion

0,0005

0,068

0,007

0,0005

2,1 0,12

8,71 0,0005

3,00 0,02

0,63 nicht signifikant

1,71 0,15


Überblick der Ergebnisse des 1. Experiments

Quelle: Kellaris, Kent 1991 S.245


Wirkung von Tempo auf die 'Gefälligkeit' der

Musik

Quelle: Kellaris, Kent 1991 S.245

Die Ergebnisse von Experiment 1 lassen sich aus Tabelle 1 und Diagramm 1 ablesen. So wurden signifikante Effekte und eine Wechselwirkung von Tempo und Tonart auf die Variable 'Gefälligkeit' festgestellt. Im allgemeinen wurde Dur ansprechender als Moll und atonal eingeschätzt. Während sich Musik in Dur bei moderatem Tempo größter Beliebtheit erfreute, nahm diese bei atonaler und Moll Musik mit dem Tempo zu. Die Varianzanalyse ergab für die Wirkung von Tempo auf die Eigenschaft 'anregend' nur einen P-Wert von 0,068. Dieser höher erwartete Wert könnte an den relativ dicht beieinanderliegenden Tempi liegen und würde unter anderen Versuchsbedingungen vielleicht anders ausfallen. Die Analyse der Reaktionen ergab einen signifikanten Effekt von Tempo und Tonart sowie eine marginale Wechselwirkung mit einem P-Wert von 0,15. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Tonart Dur einen allgemein positiven Einfluß auf Gefühle und Absichten ausübt, während Moll dieselbe Stufe erst bei höherem Tempo erreicht. Atonale Musik wirkt hingegen allgemein weniger positiv auf den Hörer.


Tabelle 2



Haupteffekte

Wechselwirkung

abhängige Variable

Tempo

F-Wert   P-Wert

Tonart

F-Wert  P-Wert

Tempo -Tonart

F-Wert              P-Wert

Gefälligkeit

anregend

Reaktion

2,72 0,069

0,0005

3,19 0,044

0,12

0,05

0,021

1,94 0,106

1,14 nicht signifikant

2,01 0,095


Überblick der Ergebnisse des 2. Experiments

Quelle: Kellaris, Kent 1991 S.247


Wirkung von Tempo auf die 'Gefälligkeit' der Musik

Quelle: Kellaris, Kent 1991 S.247

Die Ergebnisse des zweiten Experiments bezüglich der 'Gefälligkeit' der Musik ähneln denen vom ersten, jedoch sind die Effekte schwächer. Das Diagramm 2 zeigt auch hier eine U-Kurve für Dur im Verhältnis zum Tempo. Die Effekte von Tempo und Tonart auf den Grad der Anregung sind signifikant und bedeutend stärker als beim ersten Experiment, eine Wechselwirkung konnte aber auch hier nicht festgestellt werden. Der Effekt von Tempo war positiv, d.h. schnelle Musik wurde animierender eingeschätzt. Während Dur in beiden Experimenten als am wenigsten anregend galt, erschien im 2. Experiment Musik in Moll stimulierender als atonale Musik. Für 'Reaktion' wurden signifikante Effekte von Tempo und Tonart, aber nur eine schwache Wechselwirkung festgestellt. Die Ergebnisse waren mit denen des ersten Experiments konsistent, langsames Tempo und atonale Tonart ergaben die am wenigsten positiven Reaktionen.

4.2 Zusammenfassung und Kritik

Die Studie ergab, daß die Effekte von Tempo und Tonart trotz unterschiedlicher Musik ähnlich waren. So wurde gezeigt, daß Tempo positiv auf die Einschätzung von 'Anregung' und 'Reaktion' wirkt. Auch die Tonart beeinflußt beide Eigenschaften, wobei atonale Tonarten am negativsten auf die 'Reaktion' wirken. Tempo und Tonart wirken interaktiv auf die Gefälligkeit der Musik und teilweise auch auf die Reaktionen der Hörer.

Kritikpunkte, welche die Allgemeingültigkeit eventuell einschränken, sind u.a., daß die untersuchte instrumentale Musik ausschließlich aus klassischen Quellen stammte. Daher könnte das Gefundene eher auf klassische als auf kommerzielle Musik zutreffen. Außerdem war die Zeit des Musikhörens (3 Minuten) relativ kurz. Es könnten sich bei längeren Zeiträumen andere Ergebnisse zeigen. Die Auswahl der Testpersonen hat den Vorteil der statistischen Homogenität, verliert aber an Allgemeingültigkeit. Studenten hören im allgemeinen öfter Musik als Erwachsene, und ihr Geschmack geht eher in die Rock/Pop Richtung (68,5% gaben das an).

5 Zusammenfassung

Die Varianzanalyse eignet sich besonders zur Auswertung von Experimenten. Dabei muß die abhängige Variable metrisch skaliert sein. Das Beispiel demonstrierte die Anwendung im Marketing. Dabei zeigte sich die Varianzanalyse als geeignetes Werkzeug zur Untersuchung der Dependenz von Variablen. Es wurde außerdem deutlich, daß wie bei allen statistischen Verfahren größte Sorgfalt auf die Einschränkung der Allgemeingültigkeit und die Interpretation der Ergebnisse gelegt werden muß.

6 Literaturverzeichnis


Backhaus, K., Erichson, B., Plinke, W., Weiber, R. (1994). Multivariate Analysemethoden. Eine anwendungsorientierte Einführung, 7. Auflage, Berlin, Heidelberg, New York, etc. : Springer-Verlag


Cozby, P.C. (1981). Methods in Behavioral Research, 2. Auflage, Fullerton: Mayfield Publishing Company


Hüttner, M. (1989). Grundzüge der Marktforschung, 4. Auflage, Berlin, New York : de Gruyter


Kellaris, J., Kent, R.J. (1991). Exploring Tempo and Modality Effects, On Consumer Responses to Music, in: Advances in Consumer Research, Volume 18 (1991)


Lindner, A. (1964). Statistische Methoden für Naturwissenschaftler, Mediziner und Ingenieure, Basel : Birkhäuser


Nieschlag, R., Dichtl, E., Hörschgen, H. (1985). Marketing, 14. Auflage, Berlin : Duncker & Humblot







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