Stadtentwicklung und Raumdynamik im Gefüge deutscher Städte
seit dem zweiten Weltkrieg
- vom Wiederaufbau zur Stadterneuerung -
" Freunde, unser Einsatz kann ein Wunder verwirklichen!
Für wen soll es geschehen? Für das Publikum.
Für welches Publikum? Man hat geantwortet: für das Volk.
Einleitung
Selbst die einrückenden alliierten Truppen waren vielfach selbst betroffen vom Ausmaß der vorgefundenen Schäden. Die Großstädte Deutschlands in den Grenzen von 1937 waren bombardiert worden. Von jenen blieben nur Erfurt, Halle und Regensburg in ihrer alten Gestalt erkennbar. 13 Millionen Menschen waren obdachlos, von 18,8 Millionen Wohnungen waren 4,8 Millionen zerstört. (vgl. von Beyme 1987, 25ff)
Der Wiederaufbau gestaltete sich in den einzelnen Zonen unterschiedlich, so daß heute noch, einige Jahre nach der Wiedervereinigung, Ost-West-Gegensätze sich schon durch Städtebau und Architektur ausdrücken. Ursächlich kann die politische Einstellung der alliierten Mächte als prägende Kraft gesehen werden: "Die Ideologie der Bundesrepublik wurde die Kulturnation, die der DDR die Klassennation" (von Beyme 1987, 13).
Stadtentwicklung in Deutschland stellt sich nicht als einheitliches Geschehen dar - zeitlicher Ablauf und Methodik glichen sich in den beiden Staaten nicht.
Stadtentwicklung und Raumdynamik in der BRD
Die Stadtentwicklung in der Bundesrepublik wird nachhaltig durch die historisch gewachsene Struktur des Städtesystems beeinflußt. Durch das Fehlen der historisch gewachsenen Hierarchiespitze Berlin - bedingt durch ihre Zweiteilung - agieren die Funktionsräume stärker untereinander. Man unterscheidet die deutschen Städte in Unter-, Mittel-, Ober-, Regionalzentren sowie in Hauptstädte. Die Regionalzentren (Düsseldorf, München, Stuttgart, Hannover, Frankfurt, Köln) übernehmen für die Region hochrangige administrative, kulturelle und wirtschaftliche Funktionen. Hauptstadtfunktionen übernehmen in der Bundesrepublik gleich mehrere Städte: So ist Hamburg Hauptstadt der Medien, Frankfurt die der Wirtschaft, des Verkehrs und der Finanz, München die der Kultur und Bonn die administrative Hauptstadt (vgl. Blotevogel und Hommel 1959, 158). Diese polyzentrische Struktur führt zu besonders intensiven Interaktionen und bedingte sehr früh den Ausbau einer guten Infrastruktur und einer gleichmäßigeren Verteilung des Arbeitsplatzangebotes. Mit diesem Hintergrund läßt sich das Stadtentwicklungsgeschehen im letzten halben Jahrhundert aufzeigen.
2.1. Die Phase des Wiederaufbaus (1945-1960)
Raumdynamik
In der Zeit des zweiten Weltkriegs flüchtete das Gros der deutschen Stadtbevölkerung in die ländlichen Gebiete, um dort Schutz vor den starken Bombardements zu finden. "Sie drängten nach dem Krieg in ihre Heimatstädte, in ihre alten Lebens- und Wohnumwelten zurück und versuchten, in den Trümmermassen ihr Leben zu gestalten" (Hewitt et al 1993, 438). Diese Land-Stadt-Wanderung wurde jedoch quantitativ noch von der Flüchtlingswelle aus den östlichen Gebieten überlagert. Die westdeutschen Klein- und Mittelstädte erfuhren in dieser Zeit von 1945 bis 1961 den größten Aufschwung. Besonders mittelgroße Städte konnten durch das erheblich gestiegene Arbeitskraftangebot nachhaltig eine Industrie aufbauen, die den zentralörtlichen Einzugsbereich ausweitete. Die wirtschaftliche und soziale Eingliederung der Ostflüchtlinge, die durch das rasche Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit wesentlich erleichtert wurde, führte zu einem erneuten starken Wachstum des gesamten Städtesystems, das in seinen "Größenordnungen und seinen Folgen nur mit der intensiven Verstädterungsphase im letzten Drittel des vorherigen Jahrhunderts verglichen werden kann" (Köhler und Schäfers 1986, 30).
Die Abwanderung aus dem peripheren Raum in die Kerngebiete der Entwicklung führte auch zu einer Selektion der Bevölkerung. Vorwiegend junge Altersgruppen, die in den Städten ein erhöhtes Ausbildungs- und Arbeitsangebot finden, zogen in die Ballungszentren. Zu den so entstehenden Rückstandsgebieten zählen das nördliche Schleswig-Holstein, Ostfriesland, die westliche Eifel, die Grenzgebiete zur DDR und CSSR sowie Niederbayern. (vgl. Blotevogel und Hommel 1980, 161)
Stadtentwicklung
Im Städtebau sind die Jahre von 1945 bis 1949 "faktisch die Zeit der Trümmerbeseitigung und der Notmaßnahmen sowie planerisch die der einzigen groß angelegten Gesamtplanungen und der vielen Wettbewerbe und detaillierten Planungen für die zerstörten Innenstädte" (Müller-Raemisch 1987, 19). Währungsreform und Marschallplan machten den praktischen Beginn des Wiederaufbaus möglich.
Die Aufgaben das Wiederaufbaus wurden schnell umrissen: Die Tätigkeiten sollten sich auf die Trümmerbeseitigung, den Neuaufbau der Kommunalverwaltungen sowie der Behebungen von Notsituationen beschränken. Diese Vorhaben wurden jedoch vom Mangel an Baumaterialien und finanziellen Mitteln gehemmt. (vgl. Hewitt et al 1993, 439) Diese Mißstände wurden als Vorteile gewertet: "Das langsame Anlaufen der Bautätigkeit hat den einen Vorteil, daß das Bearbeiten der durch die Zerstörung der Städte erforderlichen Wiederaufbaupläne mit der nötigen Ruhe geschehen kann" (Fischer 1948, 87). In städtebaulichen Dimensionen gedacht, verlief der Wiederaufbau jedoch viel zu überhastet und schnell; im wesentlichen war er um 1960 schon abgeschlossen. Das trug dazu bei, daß wertvolle Bausubstanz nicht nur durch die Bombardierungen, sondern auch durch den Wiederaufbau zerstört wurden (vgl. Durth und Gutschow 1988). Die historischen Stadtbilder blieben vorwiegend nur in den Klein- und Mittelstädten erhalten.
Die frühe Phase ist aufgrund der starken Zuwanderung aus den Ostgebieten, sowie aus der Peripherie in die Stadt, durch eine starke Orientierung auf Wohnungspolitik gekennzeichnet. "Was wir brauchen sind Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen" (Rappaport 1949, 11). So schätzte man den Bedarf auf 5 Millionen neue Wohnungen.
Über die Konzeption des Wiederaufbaus entbrannten in den Nachkriegsjahren starke Diskussionen. Die Entwürfe reichten vom identischen Wiederaufbau bis hin zum völligen Neubau. Zu dieser Zeit sind die Modelle von Le Corbusier ("Ville Contemporaine"), Reichow ("Organische Stadtbaukunst") und Schwangenscheidt ("Die Raumstadt") prägend. Alle Leitbilder dieses Abschnitts "fußen bei aller sonstigen Differenzierung auf der Gliederung der Stadt in überschaubare Einheiten" (Müller-Raemisch 1987, 24). Gliederung und Überschaubarkeit, so lautet der allgemeine Tenor der Stadtplaner in den Nachkriegsjahren. Alle Modelle, die von Neubau bis hin zum historischen Wiederaufbau reichen, finden im deutschen Städtebau der Nachkriegszeit Anwendung: So entstand in Düsseldorf das Thyssenhochhaus (Abbildung 1) und in Köln wurde der mittelalterliche Gürzenich wiederhergestellt (vgl. Hewitt et al 1993, 439). Tendenziell richtet man sich jedoch am historischen Stadtgefüge aus. Schöller sieht die Gründe dafür in der überkommenen Bodenordnung, im bestehenden Straßennetz, in den erhaltenen Anlagen des unterirdischen Städtebaus und nicht zuletzt im Traditonswillen der Bevölkerung (vgl. Schöller 1967, 78).
Der Lemgoer Entwurf, in dem man eine Neustrukturierung der Innenstädte durch Zusammenlegung von Parzellen mit gleichzeitiger Umwandlung des Individualeingentums in Gemeinschaftseingentum erreichen will, fand keine Anwendung. Besonders in der britischen Besatzungszone konnte dieser sozialistisch anmutende Ansatz nicht Fuß fassen - zu jener Zeit war die "Labour Party" in der Regierungsverantwortung. So blieb in Köln das historische Parzellengefüge erhalten. Als Folge entwickelten sich stellenweise nur eingeschossige Ladenbauten, da für einen weiteren Ausbau die Häuser schlichtweg zu schmal sind. Anders verlief die Entwicklung in Gießen, wo eine Neustrukturierung der Besitzparzellen gelang (vgl. Hewitt et al 1993, 442).
Die Phase des Wachstums (1960-1975)
Raumdynamik
Schon "in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre erlaubt der wachsende Wohlstand und die steigende Motorisierung immer breiteren Bevölkerungsschichten, den zunehmenden Wohnumfeldbelastungen in den Zentren zu entfliehen und sich den Wunsch von einer Wohnung im Randbereich der Städte zu erfüllen" (Köhl und Beck 1996). Diese Suburbanisierungstendenz in den Großstädten und den großstadtfernen Mittelstädten wird in den ersten Jahren durch Ausgleichswanderungen ausländischer Immigranten ausgeglichen. Die steigende Industrialisierung in Verbindung mit dem Wirtschaftswunder hat zu Folge, daß immer mehr Gastarbeiter aus dem europäischen Ausland einwandern. Eine selektive Entmischung, wie man bereits in den ersten Nachkriegsjahren in den Rückstandsregionen beobachten konnte, zeigte sich auch in anderer Form in den 60er Jahren: "Innerhalb der innenstadtnahen Wohngebiete kam es zu Segregationsprozessen [], von denen besonders immobile Familien, alte Menschen und Ausländer sowie alle Bevölkerungsgruppen betroffen waren, die es sich nicht leisten konnten, aus der Stadt zu ziehen" (Daase 1995, 29). Nur Studenten, Künstler und Alternative zogen auch in schlechter ausgestattete Altbauwohnungen und wirkten dieser Tendenz - wenn auch nur marginal - entgegen, nicht auch zuletzt aufgrund des niedrigen Mietpreisniveaus dieser Wohnungen und deren "Charme". (vgl. Daase 1995, 29)
Die steigende Wohnstandortmobilität zeigt sich in den 60er Jahren nicht nur in der Suburbanisierung, sondern auch in einer Abwanderung der vornehmlich älteren Bevölkerung in den attraktiveren Süden. Andere Gründe dieser Fernwanderungen aus den Verdichtungsräumen Norddeutschlands, dem Ruhrgebiet und dem Saarland in die indurstriebetonten großstadtfernen Mittelzentren sind das hier gestiegene Arbeitsplatzangebot im Zuge des Wirtschaftswachstums und der Wunsch nach einem Haus im Grünen, der hier günstiger zu realisieren war. (vgl. Blotevogel und Hommel 1980, 156)
"Die Abwanderung von Erwerbstätigen und ihren Familien aus den Kernstädten in die Randzonen der Verdichtungsräume und in die benachbarten ländlichen Gebiete wird seit dem Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer im Jahre 1973 nicht mehr wie in den sechziger Jahren durch zuziehende Ausländer im Saldo ausgeglichen" (Blotevogel und Hommel 180, 161).
Stadtentwicklung
Bis in die erste Hälfte der 60er Jahre expandierten die Städte "meist nicht in den weiter entfernt gelegenen Vororten, sondern vornehmlich durch Flächenwachstum an den Rändern der älteren, innerstadtnah gelegenen Bebauung" (Heineberg 1988, 25). Folglich entwickelte sich eine Stadtstruktur, in der die Grunddaseinsfunktionen weitestgehend getrennt sind: Die Wohnfunktion drängte in randliche Gebiete. Die städtebaulichen Konzepte der "aufgelockerten Stadt", die bis in die frühen 60er Jahre hineinreichten, entsprachen in abgewandelter Form den Vorstellungen der Gartenstadt und der Charta von Athen (vgl. Heineberg 1988, 25).
Diese funktionale Entmischung zog den Ausbau der Infrastruktur mit sich, der die verbleibenden Elemente der Stadtplanung ins Abseits drängte. "Die wachsende Motorisierung sowie die anhaltende Tendenz zur Abwanderung in die Peripherie der Städte führen zu starken Belastungen, nicht selten zu Überlastungen der Verkehrswege, einer Entwicklung, der mit einem rapiden Ausbau der Verkehrsinfrastruktur begegnet wird" (Köhn und Beck 1996); insbesondere wird der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs durch Anlage neuer Schnellbahnlinien und Einrichtung von Verkehrsverbundsystemen gefördert. Statt der Anlage von pfeilertragenden Hochstraßen, die den Charakter der Altstädte völlig umgeformt und beherrscht hätte, wählten die meisten Städte den Bau unterirdischer Verkehrsanlagen. Doch erlaubten die hohen Kosten derartiger Großprojekte nur eine schrittweise Ausführung. So vermutete Schöller: "Unsere Städte werden auf unabsehbare Zeit mächtige Baustellen bleiben" (Schöller 1967, 82).
Der tertiäre Sektor suchte seine Standorte nicht mehr wie die produzierende Industrie am Rande der Städte mit guten Verkehrsanbindungen, sondern legte Wert auf die repräsentativen "1A-Lagen" in den Stadtkernen (vgl. Müller-Raemisch 1987, 55 und 70). So wurden in der Hochphase der Konjunktur nicht nur die baulichen Lücken in den Innenstädten geschlossen, vielmehr kam es in dieser Zeit auch zu einer funktionalen und architektonischen Aufwertung: Banken und Versicherungen bauten ihre repräsentativen Bürogebäude, Kaufhausgroßbauten entstanden; zu Beginn der 70er Jahre wurde der Bau von multifunktionalen Shopping-Centern vorangetrieben. Im Zuge dieser Tertiärisierung der Innenstädte in den 60er Jahren entstanden - zunächst vorwiegend in den Mittelstädten und auch später in den Großstädten - Fußgängerzonen und größere Parkplätze am Stadtrand; die Übersichtlichkeit der Innenstädte sollte gesteigert werden (vgl. Heineberg 1988, 21). "Diese funktionale Entfaltung der Großstadtkerne [] stand auch im Zusammenhang mit dem beträchtlichen Ansteigen der Bodenpreise bzw. mit der durch die Bodenpreisentwicklung ausgelösten stärkeren Konkurrenz um die profitabelste Nutzung in den zentralen Standorträumen der westdeutschen Großstädte nach 1960" (Heineberg 1988, 22). Folge war, daß viele kleinere und flächenintensive Industriebetriebe ihren Standort in der Innenstädten aufgaben und sich in den Vororten beziehungsweise in die in dieser Zeit entstehenden Gewerbegebieten ansiedelten.
Eine Verdichtung der Wohnfunktion in den Innenstädten, die mit dem aufkommenden neuen Leitbild "Urbanität durch Dichte" in den 60er Jahren einhergeht, scheint in bezug auf die Miet- und Bodenpreisentwicklung aussichtslos. "Statt dessen entstehen [] bis zum Anfang der siebziger Jahre Großwohnsiedlungen mit extrem hohen Wohnungsdichten, die die weiterhin hohe Wohnungsnachfrage befriedigen und darüber hinaus das urbane Leben in die Wohnquartiere zurückbringen sollen" (Köhl und Beck 1996). Als Beispiele dieser so entstandenen Trabantensiedlungen dienen Chorweiler in Köln und Gropiusstadt in Berlin. In dieser Zeit - ab etwa Mitte der 60er bis Ende der 70er Jahre - erlebt der Suburbanisierungsprozeß innerhalb der Wohnbevölkerung seinen quantitativen Höhepunkt in der deutschen Geschichte. Dabei ist zu beobachten, daß die Bevölkerung als auch die Betriebe des sekundären Sektors in immer stadtfernere Gebiete eindringt und so den Großraum Stadt ausweitet. "Die gegliederte und aufgelockerte Stadt wurde zum Teil dort verwirklicht, woran sicher nicht gedacht war: vor den Toren der Stadt, im immer entfernteren suburbanen Raum" (Köhler und Schäfers 1986, 30).
Das Leitziel der "Urbanität durch Dichte" ist in dieser Zeit nicht verwirklicht worden. Vielmehr ist es zu einer Verdichtung der tertiären Funktionen in den Innenstädten unter Ausschluß der Wohnbevölkerung gekommen. "Das gibt keinen Ort für die zwanglose Begegnung von Bürgern, aus der eben jene ersehnte Urbanität entstehen könnte" (Müller-Raemisch 1987, 58).
Die Phase der Konsolidierung und Differenzierung (seit 1975)
Raumdynamik
Wegen der großen Pendlerströme, die viele Straßen täglich überlasten, ziehen viele junge, im Dienstleistungssektor beschäftigte Menschen in die Städte zurück. Andere Gründe für diese Resuburbanisierung sind in der gesteigerten Attraktivität der Innenstädte zu sehen sowie im Aufkommen eines neuen Denkens, in welchem das Stadthaus, eine neue urbane Lebensform, als erstrebenswert gilt. Die Suburbanisierung der Bevölkerung - diese setzte bereits in den 60er Jahren ein - hatte inzwischen zwar abgenommen, prägte aber weiterhin die Entwicklung des innerstädtischen und suburbanen Siedlungsraumes.
"Ein grundsätzlich wichtiger Vorgang der Gegenwart ist die Aufspaltung der Wohnfunktion und damit die Entstehung von Arbeits- und Freizeitwohnungen. Sie beeinflußt die Gebiete der Stadterweiterung und Stadterneuerung in unterschiedlichen Ausmaß []" (Lichtenberger 1985, 8).
Stadtentwicklung
Mit dem "Ölschock" und der sich anschließenden Rezession Anfang der 70er Jahre setzte in der Stadtentwicklungs- und Stadtplanungspolitik ein schnelles Umdenken ein. Auf die Zeit der Großformen und der raschen Entwicklung folgt die der Gegenbewegung der Bürgerinitiative mit der Forderung nach Mitbestimmung. Das politische Klima der Zeit, das in der außerparlamentarischen Opposition, den Studentenbewegungen und Bürgerinitiativen einen sichtbaren Ausdruck fand, führte zu der Erkenntnis, daß Stadtplanung als Dialog verstanden werden müsse (vgl. Müller-Raemisch 1987, 86).
Die negativen Folgen der verstärkten Suburbanisierungs- und Verdichtungsprozesse in den vorangegangenen Jahren zeigten sich nun immer deutlicher. "Im Zeichen der Zeit - es sei unter anderem an die wissenschaftliche Studie des Club of Rome erinnert, in der die Grenzen des Wachstums in globaler Dimension aufgezeigt werden - reift in der Stadtplanung die Einsicht, [] daß Wachstum kein Naturgesetz sei und man sich möglicherweise mit dem Vorhandenen begnügen müsse, daß es sogar reizvoll sein könne, sich um die Erhaltung des Bestehenden zu kümmern" (Köhn und Beck 1996). Erneuerung statt Expansion wurde nun gefordert. Jedoch konnte man sich nicht auf eine einheitliche Linie einigen. So gab man zunächst einmal an, was man nicht mehr wollte: "Keinen Abbruch von alten Wohnhäusern mit billigen Mieten, keine weiteren Bauten für den Autoverkehr, keine Hochhäuser, keine Trennung der Funktionen Wohnen und Arbeiten" (Müller-Raemisch 1987, 89). Dem ehemaligen Leitbild der aufgelockerten Stadt wurde nun ein harsches Ende bereitet.
Aufgrund der mangelnden Steuereinnahmen, welche die Städte durch die abgezogenen Einwohner und Industriebetriebe zu verzeichnen haben sowie der aufkommenden Rezession, sind die Städte nunmehr dazu gezwungen, rationaler zu handeln. So wird die Bestandspflege "auch aus Gründen der Wirtschafts- und Arbeitsplatz-Basis zur Devise" (Brake 1985, 5). Kernelemente der "erhaltenen Erneuerung" sind:
die Abkehr von der flächenhaften Sanierung, Hinwendung zur Objektsanierung
Wohnumfeldverbesserung
Schaffung neuer urbaner Wohnformen (vgl. Köhn und Beck 1996)
Abbildung 2 zeigt die Frankfurter Römerbergbebauung (als Beispiel für extrem verstandene Stadterneuerung) bei der man versuchte, mittelalterliche Häuser wieder zu errichten, bzw. bereits bestehende Gebäude im alten Stil umzugestalten. Köhn und Beck sprechen dieses Phänomen der Zeit als "extremen Neo-Historismus" (Köhn und Beck 1996) an.
Problembeladen wird der Vorgang der Stadterneuerung in den letzten Jahren diskutiert. Zwar sind die Ziele der Stadterneuerung weitestgehend erreicht worden, nur setzten später (seit Mitte der 80er Jahre) gerade in den Großstädten Verdrängungsprozesse ein, die zu einer neuen Wohnbevölkerungsstruktur in einigen Stadtteilen führte.
Erst in den 80er Jahren erhält ökologisches Denken in die Stadtplanung Einzug. Die breiten Verkehrsachsen werden immer mehr als Emmisionsquellen und Barrieren empfunden. Das neue Leitbild der 80er Jahre heißt "Rückbau" mit der dazugehörigen "postmodernen" Architektur. Die bisherigen Stadterneuerungsmaßnahmen werden mit neueren ökologischen und modernen ästhetischen Ansätzen vermischt:
Stärkere Hinwendung zum Denkmalschutz
Vermischung historischer und moderner Baukunst als "Postmoderne"
Stärkere Begrünung der Innenstädte
Bau von Stadtbrunnen (vgl. Heineberg 1988, 22)
Mit Inkrafttreten des neuen Baugesetzbuches, welches das Städtebauförderungsgesetz von 1971 ablöste, ermöglichte man durch einen erheblich größeren finanziellen Rahmen, nachhaltige städtebauliche Sanierungstätigkeiten durchzuführen. Von 1985 bis 1988 haben Bund und Länder für Städtebau- und Modernisierungsförderung insgesamt über 32 Milliarden DM zu Verfügung gestellt (vgl. Heineberg 1988, 23f). Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen sollten auch dazu beitragen, daß die Siedlungsstrukturen den Erfordernissen des Umweltschutzes und den Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsbedingungen entsprechen. Die wichtigsten Maßnahmen der "behutsamen Stadterneuerung" und ihre Ziele (Sanierungsziele) sind in Tabelle 1 zusammengefaßt:
Maßnahmen |
Ziele |
Instandsetzung von Gebäuden und Wohnungen |
Erhalt von Altbausubstanz, Schutz des städtebaulichen Milieus, Bestandspflege |
Modernisierung von Wohnungen (mit Mietpreisbindung) |
Erhalt von günstigem , innerstadtnahem Wohnraum, tragbare Mieten für die Bewohner |
Gestaltung von öffentlichen Plätzen |
Wohnumfeldverbesserung |
Verkehrsberuhigungsmaßnahmen |
Mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer, insbesondere für Fußgänger und Radfahrer |
Ökologischer Stadtumbau |
Entkernung von Innenhöfen und deren Begrünung, Entsieglung von Flächen |
Schwerpunkt "Ökologische Stadterneuerung" |
Förderung von technischen Sanierungsmaßnahmen wie Einrichtungen zu Verringerung des Trinkwasserverbrauchs, Solaranlagen zur Brauchwassererwärmung |
Verbesserung des Angebots von Sport- und Freizeitstätten |
Ausstattung der Gebiete mit Freizeiteinrichtungen für Jugendliche und Erwachsene |
Tab.1: Stadterneuerungsmaßnahmen und ihre Ziele (nach Daase 1995, 16)
Die Erfahrungen der frühen Phase der Stadterneuerung haben gezeigt, daß eine überhastete Stadterneuerung nicht den Vorstellungen einer sozialen Stadtplanungspolitik entsprechen. Der räumlichen Segregation ist nur mit einer behutsamen Entwicklungsunterstützung entgegenzuwirken. Beispielhaft ist das vom Hamburger Senat 1980 ins Leben gerufene Programm "Stadterneuerung in kleinen Schritten (Siks)".
Stadtentwicklung und Raumdynamik in der DDR bzw. den neuen Ländern
Die DDR ist in ihrem Aufbau des Städtesystems der BRD ungleich. Die Einteilung in Haupt-, Bezirks- und Kreisstädte zeigt eine stark hierarchisch ausgerichtete Gefügestruktur auf. Die Stadtentwicklungsgeschichte der DDR wird dadurch nachhaltig geprägt: Die Planung und Durchführung neuer Tendenzen richten sich zunächst auf die Hierarchiehöchsten. So blieben die Kriegsfolgen in den untergeordneten Städte noch lange sichtbar: "Ein genereller Schlußpunkt des Wiederaufbaus konnte hier hingegen nie gesetzt werden" (Hewitt et al 1993, 444). Die im zweiten Kapitel angesprochenen Auswirkungen der Besatzungsmächte auf Politik und Städtebau zeigen sich in der DDR wohl am deutlichsten.
Die Leitbilder des Städtebaus lassen sich nach von Beyme in drei Phasen einteilen. Diese "sind nicht so grundsätzlich von den Perioden des Wiederaufbaus in Westdeutschland unterschieden, wie beide Seiten gern annehmen. In der DDR sind neue Phasen mit einer gewissen Verzögerung eingeführt worden, haben sich dann jedoch in einem zentral geplanten System rascher durchsetzten können" (von Beyme 1987, 287). So beeinflußt und prägt gerade auch die Sowjetunion als Bruderstaat in den ersten Phasen nachhaltig den Städtebau.
Im Gegensatz zur Strukturierung des vorangegangenen Kapitels steht als determinierender Aspekt die Stadtentwicklung voran, da in der DDR raumdynamische Prozesse vorwiegend durch die staatlich gesteuerten städtebaulichen Maßnahmen initiiert werden.
Stadtentwicklung in der DDR bzw. den neuen Ländern
Die Phase der Anknüpfung an die nationale Bautradition (1945-1955)
Die Hauptziele der ersten Nachkriegsjahre waren in der sowjetischen Besatzungszone schnell aus der sozialistischen Ideologie abgeleitet: So standen nicht wie in den Westzonen städtebauliche Aufbauarbeiten im Vordergrund, vielmehr war man darum bemüht, die Versorgung der Bevölkerung zu sichern. So wurden anfangs verstärkt Industriebetriebe instand gesetzt und Neubauerngehöfte errichtet (vgl. Hewitt et al 1993, 444).
Neben der Wiederherstellung der Bewohnbarkeit der zerstörten Wohnungen waren größere städtebaulichen Maßnahmen wegen der hohen Reperationsleistungen an die Sowjetunion unmöglich. Der Mangel an Materialien und an finanziellen Mitteln blieb nicht lange ohne Folge: "Ein Befehl der zonalen Wirtschaftskommision verbot im Juni 1948 jegliche private Bautätigkeit" (Schöller 1967, 75). Betrug 1950 der Bau von Eigenheimen noch 61% am Gesamtbauvolumen, so sank dieser aufgrund der staatlichen Lenkung bis 1968 auf 5% (vgl. von Beyme 1987, 323). Als Folge des Ausbleibens öffentlicher Investitionen im Bauwesen fielen die Wohnbedingungen im Vergleich zur BRD stark ab.
Als prägend für die weitere Entwicklung im ostdeutschen Städtebau sollten sich die "sechzehn Grundsätze des Städtebaus" vom 27.6.1950 erweisen. Diese bildeten einheitliche Grundlagen für die Erschaffung komplexer Gestaltungen. Im einzelnen sind dies:
Steuerung des Wachstums der Städte (Grundsatz 4)
Betonung einer monumentalen Stadtkrone (Grundsatz 6)
Ablehnung der Gartenstadtidee (Grundsatz 12)
Befürwortung der vielgeschossigen Bauweise aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen (Grundsatz 13) (vgl. von Beyme 1987, 283)
Gleichzeitig wurde mit diesen Grundsätzen das Verfügungsrecht über Grund und Boden geregelt. Der sozialistische Grundgedanke wird auch im Grundsatz 3 stark betont: "Die Städte werden in bedeutenden Umfange von der Industrie für die Industrie gebaut" (von Beyme 1987, 282). Der Wohnungsbau war in Folge dessen eng mit der industriellen Expansion verknüpft: Wohnungen entstanden vorerst dort, wo ein gesteigerter Arbeitskräftebedarf vorhanden war. In dieser Zeit entstanden die Großprojekte Stalinstadt (später: Eisenhüttenstadt), Schwedt und Halle-Neustadt. (vgl. Schöller 1986, 13ff)
Die einzelnen Neubauten sollten nun dem Bild des sowjetischen Städtebaus gerecht werden: "National in der Form, sozialistisch im Inhalt" (Köhn und Beck 1996). Mit diesem gesetzlich verankerten Leitbild wurde in der DDR schneller eine einheitliche Richtung für den Städtebau geschaffen, als es in der BRD geschehen war, die sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Planungsphase befand. Die Ausführung jedoch bereitete schlichtweg aufgrund des vorherrschenden Materialmangels Schwierigkeiten und kam deshalb nur schleppend voran.
Die Phase des industrialisierten Städtebaus (1955-1970/75)
Wie stark der sowjetische Einfluß war, zeigte sich auch mit dem Beginn der zweiten Phase. Stalins Tod bewirkte in Moskau die städtebauliche Umorientierung zum industrialisierten Wohnungsbau ohne "Zuckerbäckerei und Fassadenkosmetik". In der ersten Baukonferenz der DDR im April 1955 propagierte man die Losung: "Besser, schneller, billiger bauen" (vgl. von Beyme 1987, 291). Der industrielle Wohnungsbau, der die Vollbeschäftigung der Bevölkerung zur Grundlage hatte, wurde in der DDR aus der Wiege gehoben.
Beispielhafte Städte für diesen neuen Baustil sollten Hoyerswerda (Abbildung 3) und Dresden werden. In diesen meist trabantenartigen Wohnsiedlungen vor den Toren der Stadt konnten die Ziele der Industrialisierung im Wohnungsbau verwirklicht werden, mit denen man versuchte, der bestehenden Wohnungsknappheit besonders in den Industrieregionen entgegenzuwirken. Die offene Bauweise der in Zeilen angeordneten Häuser forderte Platz. Zudem war das Endprodukt dieser Entwicklung, die Großplattenbauweise nur beim Bau von Großwohnsiedlungen ökonomisch zu verwirklichen. Solch flächenextensive Neubauten konnten demnach nur auf der grünen Wiese entstehen - oder besser montiert werden, da einzelne Teile vor Ort nur noch zusammengefügt werden mußten. Elemente der neuen Baukunst, insbesondere die Plattenbauweise, finden sich später in der ganzen DDR wieder. "Dies hatte jedoch die Vernachlässigung der Zentren zur Folge, [] da sich das Baugeschehen vorwiegend an den Stadträndern vollzog" (Hewitt et al 1993, 444).
Erst später als Ende der 50er Jahre vom Parteitag die Aufgabe gestellt wurde, die Zentren bis 1965 wiederherzustellen, bezog man die Stadtkerne mehr in das Planungsgeschehen ein. Die westliche Sicht der Innenstädte als wirtschaftliches Zentrum eines Ballungsraumes entsprach nicht der sozialistischen Ideologie: Sie waren administratives Zentrum. Neben der Enttrümmerung witmete man sich ganz der repräsentativen Gestaltung auf den zahlreichen Freiflächen. Die Innenstädte wurden als administratives Zentrum gesehen: Wahrzeichen und Verwaltungsgebäude sollten den Mittelpunkt der Stadt bilden und die allgegenwärtige Stellung der Partei demonstrieren. Die Folge dieses "stalinistischen Fassadenkults" wird bei der Betrachtung des Gesamtbildes einiger Städte deutlich. Abbildung 3 zeigt den Stadtkern von Bautzen, wo man ohne Rücksicht auf die historische Substanz sozialistische Repräsentativbauten erstellte. Schöller vergleicht - aus westdeutscher Sicht zur Zeit des "kalten Krieges" - die Innenstädte beider deutscher Staaten: "Statt dem Reiz bunter, enger, überraschenden Mannigfaltigkeit herrscht kalte Strenge, Weitflächigkeit und oft Öde" (Schöller 1967, 79), ein Bild, welches nicht auf alle ost- und westdeutschen Städte zu übertragen ist.
Die Phase des qualitativen Stadtumbaus (seit 1970/75-1991)
Das Stichwort "Urbanität" war in der Mitte der 70er Jahre zum neuen Leitbild geworden; eine Entwicklung, die nicht wie die Phasen zuvor von der Sowjetunion geprägt war, sondern aus eigener Kraft geschaffen wurde. Man verstand sie als eine Mischung der einzelnen Grunddaseinsfunktionen. Es durfte nun auch von "der ,sozialistischen Menschengemeinschaft' im Städtebau gesprochen werden" (von Beyme 1987, 302): Den Menschen der Arbeiterklasse verbunden mit ihren Wünschen wurde mehr Beachtung zuteil.
Die steigende Wohnungsknappheit, der man mit der industriellen Bauweise in der vorangegangenen Phase entgegentrat, verbunden mit der weiterhin engen Finanzlage, ließ in der Städteplanung die Erkenntnis reifen, auf die bestehende Altbausubstanz zurückzugreifen. Ein Wohnungsbauprogramm regelte die Modernisierung. In der Zeit von 1971 bis 1990 schuf man so rund zwei Millionen neue Wohnungen. (vgl. Köhn und Beck 1996) Man griff nun auf die heruntergekommene marode Altbausubstanz zurück, die in den vorangegangenen Jahren dem Verfall preisgegeben war. "Doch sind wohl weniger die Besinnung auf Erhaltung historischer Bauten als ökonomische Gründe für diese Entwicklung verantwortlich zu machen, denn die wirtschaftliche Situation in der DDR erforderte es, material- und energiesparend zu bauen" (Hewitt et al 1993, 444).
Obwohl die DDR ein fortschrittliches Denkmalschutzprogramm hat, erledigt sich das Erhaltungsproblem geschützter Gebäude oft genug durch "Selbstvernichtung" mangels Pflege. Nicht mehr viele der historisch wertvollen Gebäude konnten restauriert werden. "Überhaupt ist es wohl für die heutige Altstadtsanierung in der DDR charakteristisch, daß sie meist nur noch Teil-Rekonstruktionen unternimmt und die anderen Gebiete flächenhaft abreißt" (Schöller 1986, 34). So ist das historische Werningerode (Abbildung 5) nur eines der wenigen Beispiele erhaltener Altstadtsanierung.
Neubauten waren nur noch innerhalb der bereits bebauten Flächen der Städte und Gemeinden zu errichten. So lautete ein Artikel aus dem neuen Baulandgesetz, welches 1985 in Kraft trat. Damit wurde das Ende der Trabantensiedlungen besiegelt und das Wohnungsbaugeschehen verlagerte sich in die Innenstädte. Die Fertigbauweise als ökonomisch sinnvolles Prinzip wurde dennoch beibehalten.
Im Zuge der aufkommenden Asthetisierung setzte sich in der DDR in den 80er Jahren nun auch die Fußgängerzone als beliebte Modernisierungsmaßnahme durch. Betrachtet man die Entwicklung in der Sowjetunion, so ist dort eine solche Tendenz noch nicht zu erkennen gewesen. In Verbindung mit den gesteigerten Bedürfnissen der Bevölkerung steht auch der Wunsch nach mehr Spezialgeschäften. Diese sollten zum einen die funktionale Vielfalt der Innenstädte erweitern und zum anderen den mittlerweile unbeliebten Universalgroßmarkt vom sowjetischen Typ "Univermag" ablösen; diese Einkaufshallen stellten bis zu diesem Zeitpunkt in vielen Städten die einzige Einkaufsmöglichkeit dar. (vgl. von Beyme 1987, 302)
Die Phase der Vermarktwirtschaftlichung (seit 1991)
Nach der deutschen Vereinigung zeigen sich erneut die Probleme der Großwohnsiedlungen, mit denen sich die Bundesregierung bereits in den 70er Jahren auseinandersetzen mußte. Eine starke Abwanderungstendenz in die westlichen Bundesländer ließ sich gerade hier feststellen. Folge sind, wie bereits in den westdeutschen Trabantenstädten der 60er, erheblich wachsende Leerstandsquoten und steigende soziale Segregation (vgl. Rietdorf und Knorr-Siedow 1997).
"Für die Städte in den neuen Bundesländern ist in vielen Bereichen [] eine nachholende Entwicklung kennzeichnend" (Henckel et al 1993, 16). Die gilt vor allem für den Banken- und Versicherungssektor, das Messewesen, dem Verkehrsbereich und den Handel (vgl. Henckel et al 1993, 16). In den Innenstädten der neuen Bundesländer setzt die Vermarktwirtschaftlichung ein. Sozialistische Prachtbauten werden durch die westliche "postmoderne" Architektur degradiert und umgewandelt. Der Einzelhandel blüht gerade in den Stadtzentren, aber auch in der randlichen Langen auf. Eine Entwicklung, die man bereits auch in der BRD der 60er bis 70er Jahren beobachten konnte.
Zahlreiche Wettbewerbe zur Neugestaltung der ostdeutschen Städte werden in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung ausgeschrieben, mit internationaler Beteiligung. Eine behutsame Stadterneuerung wird auch in den neuen Ländern zum Planungsziel gesetzt. "Tragfähige Lösungen können dabei grundsätzlich nicht von außen kommen. Sie setzen voraus [], daß alles, was realisiert werden soll, stets mit den betroffenen [] Menschen gründlich beraten wird []" (Rietdorf und Knorr-Siedow 1997): Die Fehler in der deutschen Städtebaugeschichte sollen nicht wiederholt werden.
Raumdynamik in der DDR bzw. den neuen Ländern
Tiefgreifende Wanderungsbewegungen in der ostdeutschen Bevölkerung traten erstmalig in den ersten Nachkriegsjahren auf. Zunächst schleppend schwappte in diesen Jahren eine Flüchtlingswelle aus dem Osten in die westdeutschen Besatzungszonen. Diese verstärkte sich mit zunehmender Konsolidierung der politischen Lage in der SBZ. Bis zum Berliner Mauerbau gaben rund zwei Millionen Menschen ihren Wohnstandort in den östlichen Gebieten auf. (vgl. Schöller 1967, 77f)
Die Phase des industrialisierten Wohnungsbaus ist geprägt von einer starken Verstädterungstendenz: "So fällt der extrem hohe Einwohnerrückgang aller Umlandregionen in den 70er Jahren auf, als die räumliche Konzentration des Wohnungsbaus auf die Großstädte ihren Höhepunkt erreichte und die Bevölkerung des Umlandes durch Land-Stadt-Wanderung regelrecht ,aufgesaugt' wurde" (Henckel et al 1993, 105). Diese Entwicklung ging einher mit einer zunehmenden "Vergreisung" der Bevölkerung in den Abzugsgebieten. Von einer Bevölkerungssuburbanisierung, wie sich in de BRD durch die gesamte Entwicklung hindurchzieht, kann zu keiner Zeit die Rede sein. (vgl. Graphiken aus Henckel et al 1993, 374f)
"Besonders gravierend sind die Verluste durch Abwanderung junger Bevölkerung nach Westdeutschland seit 1989, wovon [] überdurchschnittlich stark Leipzig, Dresden, Erfurt und Ost-Berlin betroffen waren" (Henckel et al 1993, 105). Rund 2,2 Millionen Menschen zogen in der Zeit von 1989 bis 1991 in den Westen.
Abschließende Betrachtung und Ausblick: Die Zukunft der deutschen Stadt
Sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR ist die städtebauliche Geschichte, besonders in den ersten Nachkriegsjahrzehnten, von den jeweiligen Besatzungssaaten geprägt: "Beide rezipierten zunehmend die Fortschritte ihrer Schutzmacht" (von Beyme 1987, 340). Sie glaubten, ein grundsätzlich anderes System zu schaffen als die andere Seite. Vergleicht man einzelne Städte untereinander, so mag diese auch zutreffend sein (Abbildung 6 zeigt den deutlichen Einfluß der UdSSR und Abbildung 7 den amerikanischen). "Dennoch bleibt erstaunlich, wie ganz unterschiedliche politische Zielsetzungen und wirtschaftliche Randbedingungen noch so viele Ahnlichkeiten in der Städtebaupolitik zulassen, wie sie zwischen den beiden deutschen Staaten bestehen" (von Beyme 1987, 339).
Für iskussionsstoff unter bundesdeutschen Politikern sorgen aktuelle Stadtentwicklungstendenzen. Am Beispiel "Neue Mitte" in Oberhausen zeigt sich die zunehmenden "Amerikanisierung" (Guratzsch 1997) in Architektur und Städtebau. Das äußert sich unter anderem, so der ehemalige Bundesbauminister Klaus Töpfer, in der weiter voranschreitenden Suburbanisierung der Bevölkerung: "Danach wohnt das Gros der Bevölkerung in den meisten Stadtregionen schon nicht mehr in der Kernstadt, sondern im Umland []" (Guratzsch 1997).
Welche Rolle die Innenstadt der Zukunft übernehmen soll, bleibt noch unklar. Sicher scheint aber zu sein, daß sich auch in der Wirtschaft der Hang zur Dezentralisierung ausbreitet. "Noch drastischer formulierte es der Darmstädter Planungsprofessor Thomas Sievers. Die ,fürchterliche Amerikanisierung' der Städte habe längst eingesetzt. Noch vor 100 Jahren hätten Städte eine fünfmal so hohe Sichte gehabt. Heute jedoch hätten sich städtische Aktivitäten derartig verdünnt, ,daß man von Städten kaum noch reden kann'" (Guratzsch 1997). Wie hat das neue Stadtmodell auszusehen und wie kann man diesen Entwicklungsprozeß in Gang setzen bzw. steuern? Das sind die Fragen, die in der aktuellen Planungsdiskussion für erhitze Gemüter sorgen.
Literatur
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Daase, M. (1995): Prozesse der Stadterneuerung in innenstadtnahen Wohngebieten am Beispiel Hamburg-Ottensen. In: Nagel, F. (Hrsg.): Stadtentwicklung und Stadterneuerung. Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg 85 (1995), Hamburg.
Durth, W. und N. Gutschow (1988): Träume in Trümmern. Planungen zum Wiederaufbau zerstörter Städte im Westen Deutschlands 1940-1950, Braunschweig/Wiesbaden.
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Heineberg, H. (1988): Die Stadt im westlichen Deutschland - Aspekte innerstädtischer Struktur- und Funktionsänderungen in der Nachkriegszeit. In: Geographische Rundschau 40 (1988), Heft 1, Seiten 20-27.
Henckel, D., Grabow, B., Holbach, B., Usebeck, H. und H. Niemann (1993): Entwicklungschancen deutscher Städte - Die Folgen der Vereinigung. Stuttgart/Berlin/Köln.
Hewitt, K., Nipper, J. und M. Nutz (1993): Städte nach dem Krieg - Aspekte des Wiederaufbaus in Deutschland. In: Geographische Rundschau 45 (1993), Heft 7-8, Seiten 438-445.
Köhl, W. und T. Beck (1996): Stadt und Stadtentwicklung im Industriezeitalter. Abrufbar unter: http://slws1.bau-verm-uni-karlsruhe.de/vrl/stew/ab2610.html (Seite vom 14.10.1996).
Köhler, G. und B. Schäfers (1986): Leitbilder der Stadtentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Politik und Zeitgeschichte (Beilage zu: Das Parlament), Ausgabe 46-47/1986, vom 15.11.86, Seiten 29-39.
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Müller-Raemisch, H. (1987): 40 Jahre Städtebau - Gesellschaft, Stadtentwicklung und Stadtgestalt. In: Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung (Hrsg.): Städtebau und Landesplanung im Wandel. Mitteilungen der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung 31 (1987), Band 2, Seiten 17-150.
Rappaport, P. (1949): Wünsche und Wirklichkeit des deutschen Wiederaufbaues. Frankfurt.
Rietdorf, W. und T. Knorr-Siedow (1997): IRS Jahresbericht 97 - Schwerpunkt Deutschland. Abrufbar unter: http://www.los.shuttle.de/irs/jahr97_5.htm (Seite vom 9.11.98).
Schöller, P. (1967): Die deutschen Städte. In: Geographische Zeitschrift 17 (1967), Wiesbaden.
Schöller, P. (1986): Städtepolitik, Stadtumbau und Stadterhaltung in der DDR. In: Erdkundliches Wissen 81 (1986), Stuttgart.
von Beyme, K. (1987): Der Wiederaufbau. München.
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