Chinas neue große Mauer
"Der Mensch muss versuchen die Entwicklung der
Technik geistig zu beherrschen. Nur der Einsatz
höchster Menschlichkeit
könnte die Gefahr der Technik bannen."
Das Denkmal am Yangtse
Im Vergleich zum Drei-Schluchten-Projekt wäre die Stauung jedes Flusses in Österreich eine Fingerübung. Der Staudamm gilt in China als ein Prestigeobjekt der Diktatoren. Wie häufig bei Grossprojekten werden die Vorzüge herausgestrichen, die Probleme verdrängt.
Mit 6300 Kilometern Länge ist der Yangtse der drittlängste Fluss der Welt. Er gilt als 'Herz und Arterie Chinas'. Sein Einzugsgebiet ist mehr als 20-mal so groß wie Österreich. In der fruchtbaren Flussebene des Yangtse leben 400 Millionen Menschen ein Dreizehntel der Weltbevölkerung. Sie produzieren zwei Drittel des chinesischen Reises. Zwischen den Grossstädten Chongqing und Wuhan zwängt sich der mächtige Fluss auf einer Strecke von 200 Kilometern zwischen steilen Gebirgsklippen vom Hochland Sezuans hinunter in die zentralchinesische Tiefebene. 1898 bezwang erstmals ein Schiff die berüchtigten Stromschnellen der 'Drei Schluchten'. Am Ausgang der Schluchten steht die Kleinstadt Sandouping. Hier legte Premierminister Li Peng Mitte Dezember 1994 den Grundstein für ein Bauwerk, das zum größten Kraftwerk der Menschheitsgeschichte werden soll das Drei-Schluchten-Projekt.
Der Yangtse bringt der chinesischen Bevölkerung nicht nur Fruchtbarkeit, sondern auch immer wieder Tod und Zerstörung. Periodische katastrophale Überschwemmungen kosteten seit 1870 mindestens 700'000 Menschenleben. Den unberechenbaren Fluss unterhalb der Drei Schluchten mit einem Staudamm zu zähmen, war seit dem Ersten Weltkrieg der Traum jedes großen chinesischen Herrschers von Sun Yat-sen bis Tschiang Kai-schek, von Mao Tse-tung bis zu Li Peng. Nach jahrzehntelangen Abklärungen und Kontroversen bewilligte das chinesische Parlament, der Nationale Volkskongress, im April 1992 das aktuelle Projekt.
Gemäss den offiziellen Plänen wird der Drei-Schluchten-Damm verschiedene Zwecke erfüllen: Ein Kraftwerk soll jährlich 85 Milliarden kWh Strom erzeugen, einen Neuntel der heutigen Jahresproduktion Chinas. Seine 26 Generatoren sollen mit einer Leistungsfähigkeit von 17'700 Megawatt die Kapazität von Itaipù in Brasilien, dem bisher größten Kraftwerk der Welt, um die Hälfte übertreffen. Der Damm soll die periodischen Hochwasser auffangen und damit zukünftige Überschwemmungskatastrophen verhindern. Der Yangtse ist auch die wichtigste Verkehrsader in die bevölkerungsreiche Provinz Sezuan. Indem er die Stromschnellen der Drei Schluchten unter Wasser setzt, soll der Stausee den bisherigen Schifftransport verfünffachen. Schiffe bis 10'000 Tonnen sollen zukünftig den wichtigen Hafen von Chongqing anfahren können. Zu guter Letzt soll der Staudamm die trockeneren nördlichen Provinzen mit Wasser versorgen. Die letzten Generatoren sollen im Jahr 2009 ans Stromnetz gehen und der Stausee um 2013 sein normales Niveau erreichen.
Die Regierung der USA entschied im Mai 1996, aufgrund der
ökologischen und sozialen Probleme keine Kredite der Export-Import-Bank für das
Drei-Schluchten-Projekt in seiner aktuellen Form zu erteilen. Der Gouverneur
der japanischen Exim-Bank versicherte im Juli 1996, ebenfalls keine Garantien
für das Projekt zu bewilligen, . Auch die Weltbank wird sich nicht am
Drei-Schluchten-Vorhaben beteiligen. Damit stehen sämtliche
Finanzierungsinstitutionen, die bei ihrer Tätigkeit minimale soziale und
ökologische Bedingungen beachten, abseits. Zwar hat die deutsche Regierung im
August 1996 eine Hermes-Bürgschaft für das Projekt bewilligt. Letzteres wird
jedoch nur finanziert werden können, wenn die umfangreichen Exportkredite auf
mehrere Länder verteilt werden können.
Das Drei-Schluchten-Projekt ist weltweit zum Symbol einer menschenverachtenden
Entwicklungspolitik geworden. Das internationale Netzwerk von Entwicklungs- und
Umweltorganisationen wird in Zukunft jede Regierung oder Firma nachhaltig
brandmarken, die sich an diesem Vorhaben beteiligt.
Das Drei-Schluchten-Projekt war seit den 20er Jahren ein
Prestigeprojekt der starken Männer und Diktatoren Chinas. Die Opposition von
zuständigen Ministerien, Provinzregierungen, wissenschaftlichen Kommissionen
und Parlamentsabgeordneten verhinderten seine Durchführung bis Ende der 80er
Jahre. Der Bauentscheid von 1992 wurde nur dank der Repressionswelle seit dem
Tiananmen-Massaker vom Juni 1989 möglich. Seit diesem Zeitpunkt kann in China
das Projekt am Yangtze nicht mehr öffentlich diskutiert werden. Kritische
Stimmen wie die prominente Journalistin Dai Qing wurden mundtot gemacht.
Jahrzehntelange negative Erfahrungen haben gezeigt, dass Großprojekte höchstens
im Klima einer freien Meinungsäußerung, einer öffentlichen Diskussion der Vor-
und Nachteile sinnvoll durchgeführt werden können. Dies bedeutet nicht,
Spielregeln westlicher Demokratien auf Länder wie China zu übertragen. Ein
Mindestmass an im Sinn von Pressefreiheit, Konsultation und Partizipation der
Betroffenen ist jedoch die unabdingbare Voraussetzung für die verantwortungsvolle
Durchführung jedes Entwicklungs- oder Infrastrukturprojekts. Gerade die
berüchtigtsten Entwicklungsruinen des internationalen Kraftwerkbaus weisen die
selben undemokratischen Rahmenbedingungen auf wie das Drei-Schluchten-Projekt.
Führende Vertreter des Bundesamts für
Außenwirtschaft haben wiederholt darauf hingewiesen, dass die wirtschaftliche
Verflechtung den Austausch von Ideen und damit längerfristig die
Demokratisierung fördert. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass
die Demokratisierung historisch von der wirtschaftlichen Entwicklung nie
automatisch gefördert, sondern stets in konkreten Auseinandersetzungen erkämpft
wurde. Gerade der Widerstand gegen Staudammprojekte hat für die
Demokratisierung in Zentral- und Osteuropa eine entscheidende Rolle gespielt.
(Beispiele sind die bahnbrechenden Kampagnen gegen Nagymaros und Gabcikovo in
Ungarn sowie gegen weitere Projekte in Bulgarien, Litauen oder Georgien.)
Aufgrund dieser Erfahrungen wäre es äußerst zynisch, das diktatorische
Drei-Schluchten-Projekt, das die Repression gegen dissidente Stimmen weiter
verschärfen wird, durch seine Auswirkungen auf die Menschenrechtssituation zu
rechtfertigen.
Das Drei-Schluchten-Projekt ist innerhalb des chinesischen Machtapparats
seit Jahrzehnten umstritten. Zur Opposition werden u.a. die Provinzregierung
von Sichuan, das frühere Elektrizitätsministerium, große Teile des Nationalen
Volkskongresses und zahlreiche wissenschaftliche Gremien gezählt. Auch der Zhu
Rongji und KP-Generalsekretär Jiang Zemin gelten als Gegner des Projekts. Zu
den Ablehnungsgründen gehören offenbar die Unwirtschaftlichkeit des Projekts,
die angesichts der zunehmenden staatlichen Budgetdefizite besonders ins Gewicht
fällt, sowie die Furcht vor Unruhen der Umsiedlungsopfer. Die finanziellen
Probleme des Projekts dürften sich 1996 verschärft haben. Aufgrund der Skepsis
der privaten Banken gelang es den zuständigen Behörden bisher nicht,
Obligationen auf dem privaten Kapitalmarkt aufzulegen. Die wachsende
finanzielle Autonomie der Provinzregierungen erschwert es der Zentralregierung,
letztere zur Finanzierung des Projekts beizuziehen. Die Behörden von Guangdong
beteiligen sich beispielsweise an dezentralen, rentablen Wasserkraftwerken
statt am Prestigeprojekt am Yangtze. Als Folge der wachsenden Budgetdefizite
sieht sich die Zentralregierung gezwungen, verschiedene Kraftwerkprojekte zu
annullieren. Es gibt Indizien, dass die finanzielle Privilegierung des
unwirtschaftlichen Drei-Schluchten-Damms innerhalb des Machtapparats
zunehmenden Unmut schafft.
Innerhalb der chinesischen Regierung zählen Wasserbauprojekte zur Domäne von
Premierminister Li Peng. Die Amtszeit dieses Hauptbefürworters des
Drei-Schluchten-Damms läuft 1997 ab. Gemäss verschiedenen Spekulationen könnte
sie nicht erneuert werden - insbesondere wenn Deng Xiao Ping in der
Zwischenzeit stirbt. Falls Li Peng tatsächlich aus dem Machtzentrum verdrängt
wird, ist nicht ausgeschlossen, dass Projektgegner wie Zhu Rongji und Jiang
Zemin die Privilegierung des Damms am Yangtze beenden und den Zufluss weiterer
Finanzmittel unterbinden könnten. Japanische Firmen halten größere
Investitionen in das Projekt bewusst zurück, bis sich die politische Zukunft Li
Pengs geklärt hat. Das Projektrisiko des umstrittenen Vorhabens muss jedenfalls
als erheblich höher eingeschätzt werden als das Länderrisiko der Volksrepublik
China.
Immer wieder werden bei Grosskraftwerken die Nutzen überschätzt und die Nachteile unterschätzt. Auch beim 'megalomanen Projekt' am Yangtse sind zahlreiche Probleme ungelöst.
2.1. Umsiedlung:
140 Städte, 1600 Fabriken und insgesamt 1,13 Millionen Menschen müssen dem Stausee in den Drei Schluchten gemäss offiziellen Angaben weichen. Nicht mitgezählt werden mehrere 10'000 Personen, die sich illegal in den Städten niedergelassen haben. Und weitere rund 500'000 Menschen müssen in den kommenden Jahrzehnten umgesiedelt werden, wenn sich der Wasserspiegel wegen der zunehmenden Versandung des Sees anheben wird. Zwar müssen pro Megawatt an Kraftwerkskapazität in China normalerweise doppelt so viele Menschen umgesiedelt werden wie im Fall der Drei Schluchten. Doch das Yangtse-Tal ist landwirtschaftlich überaus fruchtbar. Die Menschen müssen deshalb von reichen in ärmere Gebiete umziehen. Rund fünfmal mehr Land wird gebraucht, um die landwirtschaftliche Produktion des Tals zu ersetzen. Die Umsiedlung wird zwangsläufig zur Entwurzelung grosser Bevölkerungsgruppen und zu Spannungen führen, die mit massiver Repression beantwortet werden wird. Die chinesischen Polizeikräfte sind dazu bereit (siehe Kasten). In Ländern mit demokratischen Strukturen könnten solche Umsiedlungsvorhaben nicht durchgesetzt werden..
2.2. Kolonisierung:
Umsiedlungsprojekte werden in China immer wieder dazu benützt, um die dominierende Han-Bevölkerung in Regionen mit ethnischen Minderheiten (Tibet, Xinjiang) anzusiedeln. Auch im Fall der Drei Schluchten kündigte die Zeitung 'China Daily' 1993 an, dass 470'000 Menschen nach Xinjiang umgesiedelt würden. Die uigurische (muslimische) Bevölkerung dieser Wüstenprovinz wurde seit 1949 durch eine systematische Han-Zuwanderung in die Minderheit versetzt. Die offizielle Meldung wurde anschließend wieder dementiert, doch der Kolonisierungsverdacht bleibt bestehen.
2.3. Sicherheit:
Ein Dammbruch des Drei-Schluchten-Stausees würde viele Millionen Menschen gefährden. Die Region ist seismisch aktiv. Das Gewicht eines Stausees kann zudem selbst Erdbeben auslösen. Gemäss offiziellen Angaben kann das geplante Bauwerk Erdbeben der Stärke 7 standhalten. Doch in der Vergangenheit unterliefen den Behörden fatale Irrtümer. 1975 forderte ein Dammbruch am Banqiao-Stausee mehr als 10'000 Todesopfer; im August 1993 starben mindestens 220 Menschen, als ein Erdbeben den Gouhou-Damm zerstörte. Der Drei-Schluchten-Damm würde für China auch ein großes militärisches Risiko bilden. Bereits in den 70er Jahren warnte Mao Tse-tung, dass das Land durch Angriffe auf dieses Projekt militärisch erpressbar werde.
2.4. Flutkontrolle
Die Stauung des Yangtse bildet ein zweifelhaftes Instrument zur Zähmung der gefährlichen Fluten. Den Hauptgrund für die Überschwemmungsgefahr bilden die starken Abholzungen am Oberlauf des Flusses, gegen die das Projekt nichts ausrichtet. Der geplante Damm könnte ohnehin nur den mittleren Küstenabschnitt vor Hochwassern schützen, da er die grossen Zuflüsse am Unterlauf des Yangtse nicht erfasst. Die Flutkontrolle steht im Konflikt mit der Stromerzeugung: Ein gut gefüllter Stausee fördert die Energieproduktion, kann aber die periodischen Hochwasser nicht mehr auffangen. Dieses Dilemma löste Premier Li Peng 1992 eindeutig zugunsten der Stromproduktion, indem er den geplanten Wasserpegel auf 175 Meter erhöhte. Zukünftig wird sich im Staubecken auch der mitgeführte Sand absetzen. Dadurch wird der Fluss aggressiver und kann die lebensrettenden Deiche unterhalb des Damms eher zerstören. Schließlich werden die Sandablagerungen auch dazu führen, dass die Ufergebiete in Sezuan am oberen Ende des Sees um so eher überschwemmt werden. Eine dezentrale Kontrolle der zahlreichen Zuflüsse des Yangtse könnte die Gefahr von Überschwemmungskatastrophen nach Ansicht kritischer Fachleute eher bannen als der Mammutdamm bei den Drei Schluchten.
2.5.Versandung
Wegen der massiven Abholzung und Erosion trägt der Yangtse die drittgrösste Sandfracht unter allen Flüssen der Welt mit sich. 680 Millionen Tonnen sind es im Gebiet der Drei Schluchten jährlich. Nach dem Bau des Damms wird sich in großer Teil dieser Fracht zukünftig im See ablagern. Dies bringt zahlreiche Probleme mit sich: Der fruchtbare Schlamm wird zukünftig nicht wie bisher die landwirtschaftlichen Gebiete des Unterlaufs düngen können. Wenn die Sandfracht wegfällt, dürfte vermutlich Salzwasser ins Mündungsgebiet des Flusses eindringen, das landwirtschaftlich intensiv genutzt wird. (Beide Probleme tauchten auch im Fall des Assuan-Damms in Agypten auf.) Die Ablagerungen werden den oberen Teil des Stausees verstopfen und in Sezuan das Risiko von Überschwemmungen erhöhen. Schließlich kann die Sandfracht den See teilweise auffüllen und die Stromproduktion massiv einschränken. Der Sanmenxia-Stausee am Gelben Fluss wurde beispielsweise innert vier Jahren nach seiner Eröffnung in den 60er Jahren vollständig aufgefüllt. Ahnliche Probleme traten in den 80er Jahren auch beim Gezhouba-Damm auf, der als Testfall für das Drei-Schluchten-Projekt gilt. Die Behörden hoffen das Versandungsproblem in den Griff zu bekommen, indem sie das Einzugsgebiet am Oberlauf massiv aufforsten. Da jedoch die Landwirtschaft aus dem überschwemmten Talboden an die Berghänge verschoben wird, dürfte die Erosion gleichzeitig wieder zunehmen.
2.6. Schifffahrt
Der Yangtse könnte gleich viele Güter in die schlecht erschlossene Provinz Sezuan transportieren wie 14 Eisenbahnlinien. Die Zähmung der Drei Schluchten soll den Schifftransport von 10 auf jährlich 50 Millionen Tonnen erhöhen. Doch auch hinter dieser Hoffnung steht ein Fragezeichen. Die gefährlichen Wirbel können nur mit einem hohen Wasserspiegel unter Wasser gesetzt werden. Die verstärkte Sandablagerung wird jedoch in diesem Fall längerfristig den zentralen Hafen von Chongqing verschließen. Die Überwindung des Staudamms wird zudem fünf aufeinanderfolgende Schleusen von 34 Metern Breite und rund 40 Metern Höhe bedingen. Solche Dimensionen wurden bisher weltweit noch nie erreicht. Wenn nur eine der Schleusen ausfällt, wird der ganze Schifftransport auf der Lebensader des Yangtse blockiert.
2.7. Trinkwasser
Offizielle Stellen führen gelegentlich ins Feld, der Drei-Schluchten-Stausee könne zukünftig die trockenen Regionen Nordchinas mit Trinkwasser versorgen. Die entsprechenden Wasserleitungen könnten aber nur gebaut werden, wenn der Damm eine Höhe von mindestens 200 Metern erreichen würde. Diese Pläne wurden Ende der 50er Jahre aufgegeben. Beim aktuellen Projekt (mit einer Kronenhöhe von 185 Metern) ist die Entnahme von Trinkwasser nicht möglich.
2.8. Ökologische Auswirkungen
Die Nutzung der Wasserkraft ist viel umweltfreundlicher als die Verfeuerung von Kohle. Doch gemäss einem Umweltgutachten der chinesischen Akademie der Wissenschaften 'scheinen die möglichen Risiken des Drei-Schluchten-Projekts gegenüber seinen möglichen Nutzen immer noch zu überwiegen'. Die Veränderung des Ökosystems, die der Damm bewirkt, wird beispielsweise mehrere gefährdete Tierarten wie den chinesischen Flussdelphin, den chinesischen Alligator oder den sibirischen Kranich (der am Yangtse überwintert) bedrohen.
2.9. Zerstörung historischer Stätten
In den Drei Schluchten befinden sich über hundert historische und kulturelle Stätten, darunter 5000 Jahre alte Gräber. Neben dem Naturschauspiel machen diese Stätten die Schifffahrt durch die Schluchten zu einer beliebten touristischen Attraktion. Die Projektverantwortlichen halten auch für dieses Problem eine technische Lösung bereit. Ein Teil der Stätten soll aus dem Stauseebereich entfernt, ein weiterer Teil für den zukünftigen Tauchtourismus präpariert werden. Ein unbeirrter Fortschrittsglaube drückt auch ein Dokument der Behörden der direktbetroffenen Präfektur Wanxian aus. 'Einheimische und ausländische Touristen glauben immer noch, dass die gegenwärtige Landschaft der Drei Schluchten unverdorbener und attraktiver ist', hält dieses fest, 'obwohl der Charme der Schluchtenlandschaft nach der Vollendung des Damms bleiben und sogar noch großartiger werden wird.'
Das Drei-Schluchten-Projekt kann seriöserweise nicht als
optimale Strategie zur Lösung der chinesischen Energie- oder Hochwasserprobleme
bezeichnet werden. Es bildet das Resultat eines undemokratischen, auf
politische Machtvermehrung ausgerichteten Planungs- und Entscheidungsprozesses.
Seine Durchführung wird schwerste Menschenrechtsverletzungen mit sich bringen.
Aufgrund jahrzehntelanger Erfahrungen weist das Vorhaben alle Merkmale auf, die
eine gigantische, zerstörerische Fehlplanung erwarten lassen. Weltweit ist kein
Projekt denkbar, dass den entwicklungspolitischen Grundsätzen der
Industriestaaten und dem heutigen Verständnis moderner Projektplanung klarer
widersprechen würde.
Expertenbericht von Leonard Sklar und Amy Luers
Herausgegeben von der Erklärung von Bern
und vom International Rivers Network
Am 8. November 1997 wird der Yangtze-Fluss bei der Drei-Schluchten-Baustelle in einen künstlichen Seitenarm umgeleitet. Dies ermöglicht den Bau des eigentlichen Staudamms und der Kraftwerkanlagen. Neben der Entkolonisierung Hongkongs bezeichnen chinesische Regierungsstellen die Umleitung des Yangtze als zweites historisches Ereignis des Jahres 1997. Auf Einladung der Three Gorges Development Corporation besuchten Amy Luers und Leonard Sklar vom kalifornischen Ingenieurbüro Sklar, Luers & Associates im Oktober 1997 die Dammbaustelle. Sie gehörten einer US-amerikanischen Delegation von Fachleuten an. Aufgrund ihrer Besichtigungen, von Gesprächen und offiziellen Dokumenten verfassten Sklar und Luer den beiliegenden Bericht über aktuelle technische Probleme des Drei-Schluchten-Projekts. Darin identifizierten sie die folgenden hauptsächlichen Probleme:
Gemäss dem Bericht erweist sich die Seitenflanke des ausgebaggerten Schleusenkanals als instabil. [Die Überwindung des Drei-Schluchten-Damms wird fünf aufeinanderfolgende Schleusen von 40 Metern Höhe erfordern. Solche Dimensionen wurden bisher weltweit nie erreicht.] Die Instabilität weist darauf hin, dass die Festigkeit des Granituntergrunds der Baustelle überschätzt wurde. Gemäss dem Bericht sind die Bauarbeiten im Schleusenbereich gegenwärtig eingestellt. Die Instabilität der Seitenflanke kann Steinschlag und Sicherheitsprobleme für die Schifffahrt bewirken. Die mangelnde Festigkeit des Granits bringt zudem das Risiko mit sich, dass mehr Wasser als erwartet unter dem Staudamm durchsickern wird, dass das Fundament des Damms destabilisiert und der Stausee verstärkt durch Erdrutsche betroffen werden könnte.
Während des Besuchs der US-Expertenkommission stellten die Projektbehörden einen Fachrat zusammen, um notfallmäßig unerwartete Probleme bei der Schließung des Yangtze zu beheben. Die Probleme gehen offenbar darauf zurück, dass der Umleitungskanal überraschend schnell sedimentiert wird. Durch diesen Kanal fließen gegenwärtig 30 Prozent der Wassermenge des Yangtze. Aufgrund der Sedimentierung und der fortschreitenden Verengung des eigentlichen Flussbetts erhöht sich die Fliessgeschwindigkeit des Yangtze über Erwarten. Dadurch werden die Felsbrocken, mit denen das Flussbett bis am 8. November geschlossen werden soll, fortwährend mitgerissen. Dies könnte die Bauarbeiten verzögern und den zur Verfügung stehenden Felsvorrat erschöpfen.
Wenn der Fluss dennoch umgeleitet werden kann, wird der
Fangdamm ('coffer dam') gemäss dem Bericht 'den vielleicht
schwierigsten und riskantesten Aspekt des Baus des Drei-Schluchten-Damms'
bilden. [Während der Trockenperiode bis im Mai 1998 sollen die Dämme zur
Umleitung des Yangtze durch einen Fangdamm ersetzt werden, welcher auch Hochwasser
wiederstehen kann. Er wird den Bau des eigentlichen Drei-Schluchten-Damms und
der Kraftwerkanlagen ermöglichen.] Mangels wasserundurchlässigem Material kommt
beim Bau des Fangdamms gemäss Bericht ein 'hochgradig unkonventioneller
Ansatz' zur Anwendung. Dieser sei 'in solchen Dimensionen noch nie
versucht worden'. Der Damm wird aus zersetztem Granit - 'im
wesentlichen Sand' - bestehen und bloß durch eine 1 Meter dicke Betonwand
abgesichert werden. Diese Bauweise ist schwierig durchzuführen, erst recht, da
die drohende Regenzeit einen erheblichen Zeitdruck bewirkt.
Sklar und Luers sorgen sich umso mehr um die Sicherheit des Fangdamms, als
dieser nur einer Flutstärke wird wiederstehen können, die einmal in 50 Jahren
auftritt. Da der Fangdamm während sechs Jahren gebraucht wird, besteht ein
Risiko von beinahe 1:8, dass die maximale Flutstärke übertroffen wird. Falls
sich die Bauarbeiten verzögern oder der Umleitungskanal sedimentiert wird (was
bereits geschieht), nimmt das Risiko weiter zu. Falls ein Hochwasser über dem
verkraftbaren Ausmaß droht, müsste die Baustelle vorsorglich überflutet werden.
Die Aufräumungs- und Reparaturarbeiten würden die Bauzeit des Projekts gemäss
dem Bericht um mindestens ein Jahr verzögern. Falls die Projektbehörden nicht
zu einer vorsorglichen Flutung bereit sind, könnte ein Hochwasser den Fangdamm
überfluten und unterspülen und zu einem katastrophalen Dammbruch führen. Ein
solches Ereignis würde die Bauarbeiten um mehrere Jahre verzögern und könnte
die Wohngebiete von Millionen Menschen überschwemmen.
Da der Fangdamm während mindestens sechs Jahren gebraucht wird, bezeichnen sich
Sklar und Luers als überrascht, dass bei seiner Planung keine seismischen
Kriterien berücksichtigt wurden. Die seismischen Risiken im Gebiet der Baustelle
sind nicht zu vernachlässigen. Der unkonventionelle Fangdamm ist gemäss dem
Bericht 'sehr verletzlich selbst für Erdbeben von mäßiger Stärke'.
Die ausländischen Firmen, die das erste Los von 14 Turbinen und Generatoren für das Drei-Schluchten-Projekt liefern, müssen gleichzeitig Know-how für die chinesische Fertigung der restlichen zwölf Turbinen und Generatoren transferieren. Die benötigten Turbinen weisen eine Kapazität von 700 Megawatt auf, während bisher in China nur Geräte von bis zu 300 Megawatt hergestellt werden. Gemäss dem Bericht äußerten sich die chinesischen Gesprächspartner skeptisch über die Qualität der in China zu produzierenden Großturbinen. Dies weise darauf hin, dass bezüglich des Technologietransfers politischer Druck die technischen Überlegungen verdrängt habe.
Die Planung und der Bau des Fangdamms drücken gemäss Sklar und Luers 'eine überraschend hochmütige Haltung gegenüber Risiken' aus. Von der Wahl der Hochwassersicherheit bis zu den seismischen Risiken seien die chinesischen Ingenieure offenbar 'bereit, mit der Natur zu spekulieren'. Auch das Problem der Sedimentierung werde vernachlässigt. Statt die entstehenden technischen Probleme zu lösen, vertrauten die Ingenieure offenbar darauf, dass die Three Gorges Development Corporation oberhalb der Drei Schluchten noch ein weiteres Dammprojekt bauen wolle. Die Lösung der Probleme werde damit 'an andere Ingenieure, zu einem anderen Zeitpunkt, an einem anderen Ort' delegiert.
Quellenverzeichnis:
Erklärung von Bern, Der Damm zu Babel, EvB-Dokumentation 2/95: http://www.evb.ch
Spezialisten und Beteiligte: http://ourworld.compuserve.com/homepages/SMIPP/damname.htm
Peter Mosleitners Magazin PM
vom September 2000
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