romantik
Dieses programmatische 116. Athenaeum-Fragment von Friedrich Schlegel enthält in nuce alle entscheidenden Aspekte der Welt- und Kunstauffassung, die jene breite Bewegung kennzeichnen, mit der an der Schwelle zum 19. Jahrhundert nicht nur eine neue literarische Strömung, sondern auch ein neues Lebensgefühl sich Ausdruck verschaffte. Wie weit entfernt ist diese ästhetische Grundsatzerklärung von dem, was als trivialisierter Begriff heutzutage unter dem Stichwort Romantik in den Köpfen herumschwirrt! Der verkitschte See bei Mondschein, das für zwei Personen gedeckte Tischlein mit Kerzenschimmer enthalten nur noch völlig degenerierte Spuren jenes Kunst- und Lebenskonzeptes.
Von den Brüdern August Wilhelm und Friedrich Schlegel in ihrer Zeitschrift Athenaeum (1798-1800) sowie in ihren Vorlesungen Über schöne Kunst und Literatur (1802-1805) theoretisch begründet, sah die Romantik in der Poesie mehr als bloße Dichtkunst: Poesie bedeutete Bewußtseinserweiterung, Überwindung aller Grenzen, Versöhnung von Mensch und Natur. Als Gegenbewegung zur rationalistischen Spätaufklärung und im Kontrast zur formalen Strenge der Klassik steigerten die Romantiker, durchaus in der Tradition von Empfindsamkeit und Sturm und Drang, das schöpferische Ich ins Universale: ihm war es durch die Macht der Phantasie gegeben, Gegensätze zu vereinen, Traum und Wirklichkeit miteinander zu verschmelzen und die empirische Realität in einer höheren Wirklichkeit aufgehen zu lassen.
Doch ging es den Romantikern nicht darum, durch Literatur eine Welt der Illusion entstehen zu lassen, sondern um eine ganzheitliche Poetisierung des Lebens, die in den Biographien vieler Vertreter der Romantik in Briefen und Handlungen ihren Ausdruck fand. So konvertierten z. B. Friedrich Schlegel, Clemens Brentano und viele andere zum Katholizismus, als Zeichen für die Hinwendung zum Metaphysisch-Religiösen, oder wurde Novalis' Krankheit und früher Tod dahingehend gedeutet, er sei seiner dreizehnjährigen Braut, die drei Jahre vor ihm verschied, »entgegengestorben«. Krasser war in der Konsequenz ihres Handelns Karoline von Günderode, Verfasserin von diversen Skizzen und Gedichten (darunter Poetische Fragmente, 1805) - eine der legendären Frauen der Romantik: als ihr verheirateter Geliebter seine Scheidungsabsichten aufgab, erstach sie sich auf einem Friedhof.
Novalis jedoch (eigentlich Friedrich von Hardenberg) kann nicht nur wegen seines Lebenslaufes als der Romantiker par excellence angesehen werden. Seine Hymnen an die Nacht (1797) sind reinster Ausdruck der romantischen Sehnsucht nach einer höheren Welt: nach der Ewigkeit. Die Nacht, als Gegenstück zum klaren, nüchternen, geschäftigen Tag, wird in der Romantik zum Sinnbild für das Mysteriöse und Rauschhafte, für den Tod als Aufhebung aller Grenzen. Ein anderes Symbol für dieses Streben nach Harmonie zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Endlichem und Unendlichem ist die Blaue Blume, jenes mythische Objekt der Sehnsucht, auf dessen Suche der Titelheld in Novalis' Roman Heinrich von Ofterdingen (1802), stellvertretend für den romantischen Künstler, sich befindet. Die Unerreichbarkeit der Blauen Blume, die reale Unerfüllbarkeit der Sehnsucht und das damit verbundene ewige Streben bestimmen das romantische Denken und Fühlen, dessen Ziel nicht konkrete Veränderung, sondern Eingehen in das All-Eine des Kosmos ist.
Diesem Selbstverständnis entspricht die Form der literarischen Werke, die keine Geschlossenheit und Vollkommenheit wollen: sie sind offen, bruchstückhaft, uneinheitlich. Vorbilder sind, neben Goethe mit seinem Wilhelm Meister, Shakespeare und Cervantes, weil in ihrer Dichtung ein organischer, chaotischer Kosmos enthalten ist, der als Verwirklichung der Einheit von Literatur und Leben verstanden wurde. Nicht nur Novalis' Roman blieb Fragment; das Unabgeschlossene, Sprunghafte gehörte zum Programm. Eine lose, völlig freie Aneinanderreihung von Briefen, Reflexionen, Märchen und Allegorien bildet z. B. Friedrich Schlegels Roman Lucinde (1799), der bei seinem Erscheinen für einen handfesten Skandal sorgte, da er sich über die moralischen Vorstellungen seiner Zeit kühn hinwegsetzte.
Vor allem die frühe Romantik hatte eine sehr progressive Auffassung von der Rolle der Geschlechter und der Form partnerschaftlicher Beziehungen. Zum ersten Mal in der Geschichte der deutschen Literatur traten Frauen nicht mehr als zufällige Einzelerscheinungen, sondern als gleichberechtigte, teils sogar zentrale Gestalten des literarischen Lebens ins Rampenlicht:
Karoline Schlegel-Schelling (geb. Michaelis), die Frau von August Wilhelm Schlegel und seit 1803 des Philosophen Wilhelm von Schelling, war der Mittelpunkt des romantischen Zirkels in Jena und verkörperte das Bild der unabhängigen, selbstbewußten Frau. Als ihr Berliner Gegenstück kann Rahel Varnhagen von Ense, geb. Levin angesehen werden, deren Salon der Treffpunkt für alle Dichter, Künstler und Philosophen der Romantik war; ihre Briefe (1834 von ihrem Mann herausgegeben unter dem Titel Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde) sind ein wertvolles Dokument der frühen Emanzipationsbewegung in Deutschland.
Dorothea Schlegel, die Tochter des Aufklärers Moses Mendelssohn, vor ihrer Ehe mit Friedrich Schlegel mit dem Bankier Simon Veit verheiratet, war selber als Schriftstellerin (Romanfragment Florentin, 1801) und Übersetzerin (Corinna von Madame de Staël) tätig. Auch Bettina von Arnim, die Schwester Clemens Brentanos, trat - allerdings erst nach dem Tod Achim von Arnims - literarisch hervor und fand mit ihrem verklärenden, teils sehr frei umgearbeiteten Band Goethes Briefwechsel mit einem Kinde (1835) große Beachtung. 1840 schrieb sie Die Günderode, eine Biographie über die tragischste Frau der deutschen Romantik.
Wie Friedrich Schlegel und Novalis hat auch Ludwig Tieck in seinem Roman Franz Sternbalds Wanderungen, eine altdeutsche Geschichte (1798) einen Künstler in den Mittelpunkt gestellt, dessen Wandern ohne eigentliches Ziel ein weiteres Beispiel für das romantische Ur-Konzept bietet, wie in Heinrich von Ofterdingen ist der Schauplatz der Handlung das Mittelalter. Ein Jahr zuvor hatte Wilhelm Heinrich Wackenroder mit den Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, an deren Entstehung Tieck beteiligt war, eine Bekenntnisschrift veröffentlicht, die nicht nur eine durch und durch romantische Außerung eines tief erschütterten, ganz von subjektiver Innerlichkeit beherrschten Lebensgefühls war, sondern auch - gewissermaßen als Gegenstück zu Winckelmanns Erschließung der griechischen Antike für die Klassik - eine poetische Entdeckung des Mittelalters.
Gerade von der Aufklärung als 'dunkel' herabgewürdigt, wurde diese Epoche nun zum untergegangenen Zeitalter der noch bestehenden Harmonie verklärt. Dabei ging es kaum um das historisch belegbare Bild des Mittelalters, das vielen Romantikern weitgehend unbekannt blieb, sondern um eine idealisierte, aus der Betrachtung gotischer Bauten und der Lektüre der Minnesänger geahnte, letztlich zeitlose Ara, deren Verlust in der Gegenwart, die man als schnöde und vom Philistertum beherrscht erlebte, beklagt und deren Wiederkehr mit Hilfe der Poesie ersehnt wurde.
Dieses ganz aus einem poetischen Geist geborene Verständnis des Mittelalters, das die Frühromantik (wegen ihres Hauptwirkungsortes auch Jenaer Romantik genannt) prägte, wandelte sich in der zweiten Phase, der sogenannte Hoch- oder Heidelberger Romantik. Nun wurde nach greifbaren Dokumenten der Vergangenheit gesucht, das Historische gewann an Bedeutung, und besonders die Volksdichtung, in der das verloren gegangene Urwissen um die Einheit aller Dinge vermutet wurde, rückte in den Mittelpunkt des Interesses. Aus dieser Haltung heraus, die auf wissenschaftlichem Gebiet die Begründung der Geschichtswissenschaft und der Philologie in unserem heutigen Sinn zur Folge hatte, wurden Volkslieder, Volksmärchen und Volkssagen zusammengetragen: die berühmtesten Sammlungen sind Achim von Arnims und Clemens Brentanos Des Knaben Wunderhorn, alte deutsche Lieder (1806-1808) und die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm (1812-1814).
Das Märchen wurde zu einer der wichtigsten Gattungen der Romantik: neben die aus der mündlichen Überlieferung gewonnenen und mehr oder weniger bearbeiteten traten nach traditionellen oder exotischen Motiven erdichtete Märchen oder märchenhafte Erzählungen. Vor allem Wilhelm Hauff hinterließ mit seinem dreiteiligen Märchenalmanach auf das Jahr 1826 [-1828] für Söhne und Töchter gebildeter Stände) ein umfangreiches Ouvre, aber auch Brentano (Vom braven Kasperl und dem schönen Annerl, 1817, sowie Gockel, Hinkel und Gackeleia und Märchen), von Arnim (Isabella von Agypten, 1812), Friedrich de la Motte-Fouqué (Undine, 1811) und Adelbert von Chamisso (Peter Schlemihls wundersame Geschichte, 1814) bereicherten dieses Genre, dem E. T. A. Hoffmann mit seinen psychedelischen Kunstmärchen (u. a. Der goldene Topf, 1815, Nußknacker und Mäusekönig, Klein Zaches, genannt Zinnober, 1819) eine neue Dimension hinzufügte.
Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, der auch wichtige musikkritische Schriften hinterließ und dessen Kompositionen es verdienten, größere Beachtung im Konzertbetrieb zu finden, war eine der beiden herausragenden Gestalten der Spätromantik. Sein erzählerisches Werk konzentrierte sich auf das Phantastische und auf das Unerklärliche, Verborgene, Bedrohliche - gewissermaßen als Fortsetzung der ur-romantischen Faszination für die Nacht, die ein allgemeines Interesse an paranormalen Phänomenen wie Magnetismus und Mesmerismus erregt hatte. Mit seinen den Nachtseiten von Mensch und Natur zugewandten Werken wurde er zum Romantiker mit dem größten Einfluß auf die außerdeutsche Literatur; besonders in Frankreich gab es eine sehr intensive E.-T.-A.-Hoffmann-Rezeption. Seine Erzählungen (Fantasiestücke in Callots Manier, 1814-15, Nachtstücke - darin Der Sandmann -, 1816, Das Fräulein von Scuderi, 1820, Lebens-Ansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler, 1820-22) und sein Roman Die Elixiere des Teufels (1815-16) bilden ohne Zweifel einen unübertroffenen Höhepunkt der romantischen Prosa.
Ahnliches lässt sich bezüglich der Lyrik Joseph von Eichendorffs sagen. Ohne die Bedeutung seiner Romane (u. a. Ahnung und Gegenwart, 1815) und Erzählungen (allen voran Aus dem Leben eines Taugenichts, 1826) zu verleugnen, sind es seine Gedichte, die dem zweiten großen Spätromantiker eine hervorragende Position im Kontext seiner Epoche, aber auch der gesamten deutschen Literatur eingetragen haben. Die Musikalität der Sprache, die fast klassisch zu nennende Schlichtheit und der volksliedhafte Ton haben bewirkt, daß Texte wie Mondnacht (»Es war, als hätt' der Himmel «), Wem Gott will rechte Gunst erweisen, O Täler weit, o Höhen und Wünschelrute (»Schläft ein Lied in allen Dingen, / Die da träumen fort und fort, / Und die Welt fängt an zu singen, / triffst Du nur das Zauberwort«) von allen nachfolgenden Generationen, unabhängig von teilweise stark von Eichendorff divergierenden weltanschaulichen und poetologischen Positionen den hohen ästhetischen Rang seiner Lyrik fast ausnahmslos anerkannt haben.
Um Volksliedhaftigkeit hatte sich allerdings die gesamte Lyrik der Romantik bemüht, und so sind zahlreiche Gedichte dieser Epoche weit über die Grenzen von Literaten- und Wissenschaftlerkreisen hinaus bekannt geworden, etwa Novalis' Wenn alle untreu werden, Brentanos Der Spinnerin Lied, Max von Schenkendorfs Freiheit, die ich meine, Hauffs Morgenrot, Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod, und Ludwig Uhlands Ich hatt' einen Kameraden. Eine besondere Stellung nimmt in dieser Hinsicht Wilhelm Müller ein, dessen Gedichte - nicht zuletzt durch Schuberts Vertonungen - den Charakter echter Volkslieder angenommen haben, so Das Wandern ist des Müllers Lust, Im Krug zum grünen Kranze, Am Brunnen vor dem Tore, Ich schnitt' es gern in alle Rinden ein etc.
Ein weiteres Kennzeichen Müllers, seine Begeisterung für den damaligen Freiheitskampf der Griechen (die ihm den Beinamen Griechenmüller eintrug), stellt einen direkten Bezug zur europäischen Romantik her: diese z. T. als Gräkomanie belächelte Haltung hatte prominente Vertreter: kein geringerer als Byron rekrutierte Truppen, um in den Krieg gegen die osmanische Herrschaft einzugreifen. Er starb in Mesolongion, am Golf von Piräus. Dies zeugt vom politischen Protestpotential der romantischen Idee, die in Frankreich, Italien und Spanien ebenso wie in Rußland und Polen eine Generation von jungen, idealistischen Dichtern erfüllte.
Eine deutsche Sonderentwicklung besteht in der Geburt des Reaktionären aus dem Geist der Romantik: auf der einen Seite mehrten sich die - ursprünglich z. T. progressiv motivierten - nationalen Töne, die von Autoren wie Ernst Moritz Arndt (Der Gott, der Eisen wachsen ließ, Was ist des Deutschen Vaterland?) und Justinus Körner (Leyer und Schwert, 1814) zunehmend mit einer konservativen Haltung verbunden wurden; der Publizist Joseph von Görres etwa wirkte nach einer kurzfristigen Verbannung wegen seines Buches Deutschland und die Revolution (1819) als christlich-konservativer Essayist und Herausgeber. Im Vergleich zu anderen war Eichendorff trotz seiner unverhohlen anti-revolutionären Gesinnung ein vergleichsweise eigenständiger und toleranter Geist. Brentano glitt in einen mystischen Katholizismus, und Friedrich Schlegel, der im Athenaeum die Französische Revolution noch als eines der herausragendsten Ereignisse seiner Zeit bezeichnet hatte, wechselte nach einem Jahrzehnt ins katholisch-konservative Lager und sah als dezidierter Anhänger der Restauration im monarchistischen System den Garant aller christlich-abendländischen Werte.
So ging die deutsche Romantik nicht, wie im übrigen Europa, aufgrund ihres inhärenten Protestpotentials in einen sozialkritisch eingestellten Realismus über, sondern hörte mehr oder weniger auf zu sein. Aus dieser Entwicklungslinie erklärt sich auch die 'Zweiteilung' der Folgezeit, in der das sogenannte Biedermeier eine formale, allerdings apolitische Synthese und Weiterentwicklung der klassischen und romantischen Position verwirklichte, während die revolutionären Ansätze in radikalisierter, vorwiegend unpoetischer Version im literarischen Vormärz wieder zum Ausdruck kamen.
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