Theodor Storm - Der Schimmelreiter
Hans Theodor Woldsen Storm wurde am 14.
September 1817 in Husum als ältestes von dreizehn Kindern geboren.
Nach der Volksschule ging er auf eine Gelehrtenschule auf der er jedoch nur
mäßig erfolgreich war, besonders in literarischer Hinsicht war er nur
mangelhaft gebildet. In Lübeck erst vollendete er seine Gymnasialstudien und
erlangte dort auch literarische Bildung. Auf Wunsch des Vaters studierte der
Zwanzigjährige Storm in Kiel, später in Berlin (zuletzt wieder in Kiel die
Rechtswissenschaft).
Im Jahre 1843 kehrte Storm in seine Vaterstadt Husum zurück, um sich dort als
Rechtsanwalt niederzulassen.
Zwei Dinge sind es, die den Dichter in den folgenden Jahren maßgebend
beeinflussen: die Liebe zu seiner Frau Constanze und die Schönheiten seiner
Heimat.
Im Jahre 1880 bezog der Dichter seinen Ruhesitz in Hademarschen, um dort seine
bedeutendsten Novellen, als letzte und schönste den 'Schimmelreiter',
zu schreiben. Oftmals verließ er Hademarschen um seine Verwandten und Freunde
in Berlin, in Weimar, vor allem aber in Husum zu besuchen.
Sein siebzigster Geburtstag brachte ihm zahlreiche Ehrungen aus allen Teilen
Deutschlands.
Bald darauf starb Theodor Storm an einem Krebsleiden, das ihm schon lange Zeit
zu schaffen gemacht hatte. Wenige Tage später wurde der tote Dichter nach Husum
gebracht, um dort in der Familiengruft beigesetzt zu werden.
Was Storm hier berichtet, hat er als Kind in
einer Zeitschrift im Hause seiner Urgroßmutter gelesen. Die Geschichte vom
gespenstischen Reiter aus 'Pappes Hamburger Lesefrüchten',
ursprünglich 1838 im 'Danziger Dampfboot' erschienen, ist eine
mysteriöse Geschichte aus dem Weichselraum, die Storm nach Nordfriesland
'versetzte'.
Storm's Novelle erzählt von einem Mann, der um
1830 bei Unwetter einen nordfriesischen Deich entlangritt und dabei mehrmals
die Erscheinung einer auf einem hageren Schimmel mit fliegendem Mantel lautlos
vorbeireitenden dunklen Gestalt hatte. Zurück im Wirtshaus sagten ihm die
Leute, das sei der 'Schimmelreiter' gewesen. Daraufhin wird dem
Reisenden nun vom Schulmeister die Sage über den geheimnisvollen
'Schimmelreiter' erzählt.
Mitte des 18. Jahrhunderts lebte hier der gebildete Tede Haien, dessen Sohn Hauke
schon als junger Mensch behauptete, der Deich sei falsch angelegt worden. Er
tritt dann als Kleinknecht beim Deichgrafen Volkerts ein und kann hier allerlei
Verstöße gegen die Deichordnung zur Sprache bringen. Sein stiller Feind ist der
Großknecht Ole Peters.
Zwischen Hauke und der Tochter des Deichgrafen, Elke Volkerts, hat sich eine
immer stärkere Zuneigung entwickelt. Als Ole Peters heiratet, rückt Hauke zum
Großknecht auf, muß aber seine Stellung bald aufgeben, um seinen kranken Vater
zu versorgen. Nach dem Tode seines Vaters hilft er Elke Volkerts bei allen
Rechnungs- und Schreibarbeiten.
Kaum haben sich Hauke und Elke im stillen verlobt, stirbt der alte Volkerts,
und als der Oberdeichgraf sich nach einem neuen Deichgrafen umsieht, da gelingt
es der geschickten Fürsprache Elkes, ihn zu überzeugen, daß Hauke der richtige
Mann sei, und er erhält dieses Amt. Er verwaltet es aufs sorgfältigste und
plant die Anlage eines weiteren Deiches, um aus dem Vorland einen festen
'Koog' und damit für die Gemeinde neues Weide- und Kornland zu
gewinnen. Sein Plan wird nach längeren Verhandlungen vom Oberdeichgrafen
genehmigt.
Am selben Tag ersteht Hauke Haien auf dem Heimweg durch einen Gelegenheitskauf
einen mageren, heruntergekommenen jungen Schimmel für billiges Geld. Durch
liebevolle Pflege entpuppt sich dieser bald als gesundes Tier, das aber nur
seinen Herrn als Reiter duldet. Haiens Knechte haben eine abergläubische Furcht
vor dem Schimmel und verbreiten das Gerücht, in ihm sei ein auf einer nahen
Hallig liegendes Pferdegerippe lebendig geworden.
Der Deichgraf organisiert nun die Durchführung des Deichbaus. Er verteilt die
Arbeiten, kämpft gegen Verleumdungen, überwacht, auf seinem Schimmel reitend,
den Sommer hindurch die Arbeiten. Trotzdem wird man bis zum Winterbeginn nicht
fertig.
Im neunten Ehejahr wird Haien Vater eines Mädchens; im darauffolgenden Jahre
wird der Deichbau beendet.
Gewissenhaft verwaltet Hauke Haien in den folgenden Jahren sein Amt, hat auch
weiterhin bei allen Reparaturarbeiten mit Widerständen zu kämpfen und läßt
sich, nachdem er eine schwere Krankheit überstanden hat, von seinem alten
Widersacher Ole Peters zu einer Wiederherstellungsarbeit am alten Deich
überreden, die aber nicht gründlich ist. Dies soll sich bitter rächen. Bei
einer gewaltigen Sturmflut entsteht im alten Deich ein Bruch. Hauke sieht noch
in den Wassermassen Frau und Kind umkommen, die zu ihm eilen wollten. Daraufhin
jagt er mit seinem Schimmel in die Fluten und kommt ums Leben.
Der alte Deich war gebrochen, der neue Deich aber, der
'Hauke-Haien-Deich', steht noch nach hundert Jahren.
In diesem Werk wird besonders gut auf den
Aberglauben der Menschheit eingegangen. Der Aberglaube dichtet der Gestalt des
Deichgrafen die Aura des Unheimlichen an und bringt sein Lebenswerk in
Verbindung mit Teufelsspuk und Gespenterseherei.
Der Haß schlägt Haien offen entgegen, als er mit Gewalt den Aberglauben
unterdrückt, daß 'etwas Lebendiges' in den neuen Deich eingegraben
werden müsse, damit er Bestand habe.
Das Volk verknüpft sofort den geheimnisvollen Schimmelspuk auf Jeverssand mit
dem mysteriösen Schimmelkauf des neuen Deichgrafen. Nach Haien's Tod läßt die
Sage den gespenstischen Schimmelreiter immer dann erscheinen, wenn Unwetter die
Deiche bedroht.
Chiffre dieses Schicksals ist eine Natur, die handelnd und bewegend in den
Kampf eingreift; das Meer als elementarer Widersacher des Menschen, aufgetürmt
in den tobenden Wellenbergen der Sturzflut, prägt die Grundstimmung der
Erzählung, jene Schwermut der friesischen Küstenlandschaft, deren magischen
Bannkreis Haien nicht durchbrechen kann.
Einst reitet ein Mann von seinen Verwandten weg in die Stadt, um dort
Geschäfte zu tätigen. Er reitet an einem nebeligen Nachmittag. Die Landschaft
sieht grau und verschwommen aus. Sein Pferd trabt mit ihm einen Deich entlang.
Plötzlich ist ihm als komme ihm ein Reiter entgegen, und wenig später vermeint
er eine Gestalt mit glühenden Augen auf einem Pferd zu erkennen; aber weder Hufschlag
noch Keuchen des Pferdes sind zu vernehmen. Noch ein zweites Mal sieht der
Reiter die Spukfigur, dann bleibt sie verschwunden. Wenig später kommt er in
einen Gashof, in dessen Stube der Deichgraf und die Gevollmächtigten eine
Versammlung abhalten. Der Neuankömmling erzählt sein Erlebnis vom Deich.
Plötzlich meint einer, daß dies nur der Schimmelreiter gewesen sein könne.
Neugierig geworden fragt er was für eine Bewandtnis es mit dem Schimmelreiter
habe. Auf Aufforderung des Deichgrafen hin beginnt der Schulmeister zu
erzählen:
'Einst lebten ein Mann, der im ganzen Dorf der weitaus Gescheiteste war,
und sein Sohn in einer kleinen Kate. Der Vater, Tede Haien, maß und rechnet oft
an den langen Winterabenden, wobei ihm sein Sohn Hauke zusieht, wohl manchmal
auch etwas fragt. Die Antworten darauf muß sich der Junge, da es sein Vater
selbst oft nicht recht weiß, aus einem alten holländischen Mathematikbuch
suchen. Hauke lebt nun nur mehr für die Geometrie. Um seinen Sohn auf andere
Gedanken zu bringen schickt ihn Tede Haien zu den Deicharbeitern. Hauke aber
läßt sich die Freude an seiner Lieblingswissenschaft nicht nehmen.
Als es Winter wird und die Arbeiten am Deich eingestellt sind, geht Hauke oft
auf den Deich hinaus und beobachtet stundenlang die an dem Deich nagenden
Wellen. Stets kommt Hauke erst nach langer Zeit zurück und wird deshalb von
seinem Vater hart ausgescholten. Eines Abends ist er wieder auf den Deich
hinausgegangen, da sieht er den Nebel gespenstisch über den Eisspalten wogen.
Hauke fürchtet sich nicht, denn er weiß, daß es bloß der aus den Spalten
aufsteigende Rauch ist.
Hauke lebt sehr zurückgezogen. Er hält Freundschaft mit dem Angorakater der
alten Trin Jans. Eines Tages hat er einen Eisvogel gefangen und will das Tier
nicht wie gewöhnlich dem maunzenden Kater überlassen. Doch die Katze entreißt
ihm die Beute. Voll Wut erwürgt Hauke das Tier und wirft es gegen die Kate der
Alten. Nachdem Tede Haien von der Tat seines Sohnes in Kenntnis gesetzt wird,
meint er Hauke müsse sich um einen Arbeitsplatz umsehen, denn für zwei Herren
sei die Kate zu klein.
So geht Hauke zum Deichgrafen Volkerts und verdingt sich als Kleinknecht. Die
Tochter seines Brotgebers, Elke nimmt ihn oft vor dem Großknecht Ole Peters in
Schutz. Hauke muß des öfteren in der Stube seines Herrn seine Rechenkünste
unter Beweis stellen. Hauke steht in allen Amtsgeschäften dem Deichgrafen zur
Seite. Die Differenzen zwischen Hauke und Ole werden immer größer. Im Frühjahr
beim 'Eisboseln' ist es sogar schon so weit, daß Ole Peters den
Eintritt Haukes in die Mannschaft der Marschleute verhindern will. Doch Ole
Hensen setzt schließlich durch, daß Hauke mitspielen darf. Hauke erringt den
Sieg für seine Partei.
Ein Jahr später kündigt Ole Peters seinen Dienst und heiratet Vollina Harders.
Hauke rückt zum Großknecht auf. Doch er hat die Stellung nicht lange inne, denn
sein alter Vater ist nicht mehr im Stande die Wirtschaft selbst zu führen. Tede
Haien stirbt bald; doch hat er noch ein kleines Stückchen Grund zu seinem
Besitz dazugekauft, welches er nun Hauke überläßt. Hauke fühlt oft, daß er wohl
der richtige Mann wäre wenn ein neuer Deichgraf gewählt werden müsse. Doch ist
sein Grundbesitz für den eines Deichgrafen viel zu klein.
An dem Hochzeitstag einer Verwandten von Haiens sind Hauke und Elke zur Tafel
geladen. Bei einer günstigen Gelegenheit schiebt Hauke Elke einen Ring, den er
schon lange bei sich trägt auf ihren Ringfinger. Damit ist eine Freundschaft
fürs Leben besiegelt. Kurz darauf stirbt der alte Deichgraf. Bei dem Leichenmahle
wird nun besprochen wer der Nachfolger sein sollte.
Jeve Manners, der Pate von Elke, schlägt Hauke vor. Doch man gerät in Bedenken
wegen des Besitzes. Kurz entschlossen erklärt Elke, daß sie Hauke heiraten
wolle damit der nötige Grundbesitz vorhanden sei. So wird Hauke Haien der neue
Deichgraf. Doch er hat mehr Feinde als Freunde.
Der Aberglaube der Leute wird dadurch gefördert, daß Hauke eines Tages einen
halbverhungerten Schimmel mit nach Hause bringt, den er alsbald wieder völlig
einsatzfähig gemacht hat. Es ist ein feuriges Tier, das sich nur von Hauke
reiten läßt. Doch das Knochengerüst von Jevershalling ist verschwunden und so
glauben die Leute der Schimmel des Deichgrafen hänge irgendwie mit diesem
zusammen.
Durch den neuen Deichbau, den Hauke entworfen hat, entzieht er sich die
Freundschaft vieler im Dorf, denn zu seinem Plan muß viel mehr Erde angefahren
werden als gewöhnlich, und außerdem ist es um vieles teurer.
Im neunten Jahr ihrer Ehe gebärt Elke ein Mädchen, das Wienke genannt wird.
Leider ist die Kleine geistig nicht normal, doch sie wird trotzdem von ihren
Eltern sehr geliebt.
Im darauffolgenden Sommer läßt Hauke trotz verschiedener Gegenstimmen den alten
Deich reparieren. Er rettet dabei einen kleinen gelben Hund der seiner Tochter
mit der Möve 'Klaus' der liebste Spielgefährte wird.
Oft reitet Hauke mit der kleinen Wienke auf den Deich hinaus, doch stets wird
das Kind sehr ängstlich und verschreckt. Nach Neujahr hat das Marschfieber
Hauke ergriffen. Als er wieder genesen ist, besteigt er seinen Schimmel um die
Deiche zu inspizieren. Er berichtet das bei der nächsten Versammlung, doch da
die Mehrzahl gegen einen Neubau des Dammes ist, fügt sich auch Hauke dem
allgemeinen Beschluß.
Im Frühjahr stirbt Trin Jans und wird auf dem Dorffriedhof begraben. Es werden
in letzter Zeit viele fürchterliche Ereignisse berichtet, die auf ein grausiges
Erlebnis vorbereiten sollen. Ende Oktober nämlich bricht während eines Sturmes
der alte Damm und das Marschland wird verwüstet. Elke und Wienke wären in ihrem
Hause sicher gewesen, doch die Sorge um Hauke treibt sie hinaus wo sie beide
ertrinken. Hauke hat das mit ansehen müssen ohne helfen zu können und stürzt
sich verzweifelt in die Fluten. Nun vermeint man ihn in stürmischen Nächten als
unheilbringendes Gespenst zu sehen. Doch das ist Aberglaube.'
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