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Die Kurzgeschichte - eine Kleinform der Epik

Die Kurzgeschichte - eine Kleinform der Epik


Was ist charakteristisch für eine Kurzgeschichte?


Die Kurzgeschichte ist eine Kleinform der erzählenden Dichtung. Das wesentliche einer Kurzgeschichte ist nicht, daß sie sehr kurz ist, sondern es sind bestimmte Merkmale:                                                    

unvermittelter/direkter Einstieg in das Geschehen



nur eine einzige Handlung, wobei meistens eine Figur in einem entscheidenden Augenblick ihres Lebens beschrieben wird

der Schluß bleibt meist offen

sehr häufig metapherreiche Sprache; kurzer, knapper Satzbau

sie spielt zu der Zeit, in der sie geschrieben wurde


Historisches zur Kurzgeschichte


Die Kurzgeschichte stammte ursprünglich aus Amerika und erschien in Europa bis ins 20. Jahrhundert unter den Namen " Short-story". Erst 1920 wurde der amerikanische Begriff eingedeutscht.

Die ältesten Texte wurden von Washington Irving ( um ca. 1820: Irving´s Sketchbook ) und von Edgar Allan Poe ( "Tales of the Gotesque and Arabesque" um 1840 ) geschrieben.

1910 wurden Kurzgeschichten in der 1. Kurzgeschichtensammlung zusammengefaßt: American Stories

Schon 1930 war die Zahl der Kurzgeschichtenautoren nicht mehr erfaßbar. Der Einfluß aus dem Amerikanischen war offensichtlich.

Um 1959 versuchen Wolfgang Borchert und Heinrich Böll  Schockwirkung bei ihren Lesern hervorzurufen. Mit "Eine Rechnung, die nicht aufgeht" steigert Wolfdietrich Schnurre sogar ins Absurde. Zirka zur gleichen Zeit tritt eine Gegenbewegung, die stark ins novellenhafte zurückführt, auf. Vertreten wird diese Richtung von Alfred Andersch ( "Geister und Leute" ) und Siegfried Lenz ( "Das Feuerschiff" ).

sucht Hans Bender ( "Mit dem Postschiff" ) Kurzgeschichten, wo Figuren selbst, nicht der Dichter, Geschichten machen. Die besten Beispiele sind dafür Kriegsgeschichten: Thema ist meist der Konflikt christliche Humanität und auswegloses Schicksalsgefühl. Als Ausweitung dazu ist die Auseinandersetzung Universum-Tod-Nichts.


Wichtige Autoren


Amerikanische Meister der Kurzgeschichten im 19. Jh. :

Edgar Allan Poe: 1809-1849; Er schrieb Novellen, Erzählungen und Kurzgeschichten.

Novelle: Der Untergang des Hauses Usher

Erzählung: Der Goldkäfer; Die schwarze Katze

Kurzgeschichte: Die Grube und das Pendel (1843)

Washington Irving: 1783-1859;

Erzählung: Rip van Winkle

Pseudochronik: Eine Geschichte New Yorks,

Kurzgeschichten: Irving´s Sketchbook

Ernest Hemingway: 1899-1961; Hemingway schrieb Romane, Kurzgeschichten, Biographien, Essay und Kurzromane.

Kurzgeschichte: In unserer Zeit (Sammelband mit 15 Kurzgeschichten)

Die Killer; Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber; Schnee auf dem Kilimantscharo;


Berühmte europäische Autoren (20. Jh.):

Wolfgang Bochert: 1921-1947; Seine Texte waren das erste Auftauchen der "Trümmerliteratur der Nachkriegsjahre.

Er schrieb vor allem Kurzgeschichten und Prosa.

Prosaskizzen: An einem Dienstag; Die Hundsblume (beide 1947)

Heinrich Böll: 1917-1985; 1972: Nobelpreis; Er war ebenfalls ein Vertreter der Trümmerliteratur. Seine Werke waren Novellen, Kurzgeschichten und Erzählungen.

Berühmteste Sammlung: Wanderer , kommst du nach Spa

Irisches Tagebuch

Wolfdietrich Schnurre: 1920-1989; Er schrieb vor allem Kurzgeschichten, veröffentlichte aber auch von ihm selbst illustrierte Fabelbände.

Kurzgeschichte: Eine Rechnung die nicht aufgeht



Heinrich Böll

Heinrich Böll wurde am 21. Dezember 1917 in Köln geboren. Nach dem Abitur war er Lehrling im Buchhandel. Danach studierte er Germanistik. Er diente sechs Jahre als Soldat. Seit 1947 veröffentlichte er Erzählungen, Romane, Hör- und Fernsehspiele und Theaterstücke. Zeitweilig war er auch als Übersetzer aus dem Englischen tätig. 1972 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Gestorben ist Heinrich Böll am 16. Juli 1985 in Langenbroich/ Eifel.


Wanderer, kommst du nach Spa

Das Buch "Wanderer, kommst du nach Spa" ist eines der bekanntesten aus der sog. Trümmerliteratur. Für Heinrich Böll war es eine Frage der Moral, Kriegs- und Nachkriegszeit so zu beschreiben, wie sie wirklich war. So fand das Schicksal jener Juden, die von der Schulbank in das Grauen des Krieges gestoßen wurde, in der  unbestechlichen, prägnanten Darstellung der Titelgeschichte seinen gültigen Ausdruck.


Text: Wanderer, kommst du nach Spa..

An der Front schwer verletzt kommt ein junger Mann in seine ehemalige Schule, die in ein Lazarett umgewandelt worden war, zurück. Zum still liegen gezwungen, macht dieser sich Gedanken über sein bisheriges Leben. Nach der notdürftigen Behandlung, steht für ihn fest, daß sein Leben nie wieder so sein würde, wie es einmal war.

"Wanderer, kommst du nach Sparta" hat die typischen Merkmale einer Kurzgeschichte:   direkter Einstieg; Schluß bleibt offen; nur eine einzige Handlung; ein entscheidender Augenblick im Leben eines jungen Mannes wird gezeigt;


Textausschnitt Ich wußte nicht genau, wie ich verwundet war; ich wußte nur, daß ich meine Arme nicht bewegen konnte und das rechte Bein nicht, nur das linke ein bißchen; ich dachte, sie hätten mir die Arme an den Leib gewickelt, so fest, daß ich sie nicht bewegen konnte.

Ich spuckte die zweite Zigarette in den Gang zwischen den Strohsäcken und versuchte, meine Arme zu bewegen, aber es tat so weh, daß ich schreien mußte; ich schrie weiter; es war immer wieder schön, zu schreien; ich hatte auch Wut, weil ich die Arme  nicht bewegen konnte.

Dann stand der Arzt vor mir; er hatte die Brille abgenommen und blinzelte mich an; er sagte nichts;

Er sah mich lange an, so lange, daß ich wegsehen mußte, und er sagte leise: "Augenblick, sie sind gleich an der Reihe"

Endlich kamen die Träger wieder herein, und jetzt hoben sie mich auf und trugen mich hinter die Tafel, zum Operationstisch.

Ich lag auf dem Operationstisch und sah mich selbst ganz deutlich, aber sehr klein, zusammengeschrumpft, oben in dem klaren Glas der Glühbirne, winzig und weiß, ein schmales, mullfarbenes Paketchen wie ein außergewöhnlich suptiler Embryo: das also war ich da oben.

Der Arzt drehte mir den Rücken zu und stand an einem Tisch, wo er in Instrumenten herumkramte; an seiner Schulter vorbei auf der schmierigen Rückseite der Tafel sah ich etwas, was mich zum ersten Male, seitdem ich in diesem Totenhaus war, mein Herz spüren machte: da war meine Handschrift an der Tafel. Oden in der ersten Zeile.

Da stand er noch, der Spruch, den wir damals hatten schreiben müssen, in diesem verzweifelten Leben, das erst drei Monate zurücklag: Wanderer, kommst du nach Spa

Siebenmal stand es da: in meiner Schrift, in Antiqua, Fraktur, Kursiv, Römisch Italienne und Rundschrift; siebenmal deutlich und unerbittlich: Wanderer, kommst du nach Spa

Ich zuckte hoch, als ich einen Stich in den linken Oberschenkel spürte, ich wollte mich aufstützen, aber ich konnte es nicht: ich blickte an mir herab, und nun sah ich es: sie hatten mich ausgewickelt, und ich hatte keine Arme mehr, auch kein rechtes Bein mehr, und ich fiel ganz plötzlich nach hinten, weil ich mich nicht aufstützen konnte; ich schrie.

Der Arzt zuckte nur die Schultern und drückte weiter auf den Kolben seiner Spritze, der langsam und ruhig nach unten sank.


Text: Wir Besenbinder

Die 1950 geschriebene Kurzgeschichte "Wir Besenbinder" zerfällt in drei Teile:

Ein Schüler, der in Mathematik ein totaler Versager ist, und deshalb vom Lehrer immer als Besenbinder bezeichnet wird, ist in einer Kunst seinem Lehrer überlegen: Die Kreise an der Wandtafel, die dem Lehrer nicht gelingen wollen, vollendet er für ihn fehlerlos.

Zwei Monate nachdem der Schüler zum Wehrdienst einberufen wurde, hat er die Gelegenheit, einem wirklichen Besenbinder bei der Arbeit zuzusehen. Er erinnert sich dabei wieder seines Mathematiklehrers.

Das Flugzeug, in dem er abtransportiert wird gerät in einen Angriff. In den Bahnen der Geschosse erkennt er die stümperhaft gezogenen Kreise seines Lehrers.


Die Beziehung zwischen den unvollendeten Kreisen des Lehrers und den vollendeten des Schülers im ersten Teil und den Bahnen der Geschosse im dritten ist offenbar. Die Sinnbeziehung der Kreise und Geschoßbahnen ist die einzige Verbindung zwischen den beiden Teilen. Die Gestalt des Besenbinders im zweiten Teil der Kurzgeschichte verbindet, auch textlich in der Mitte stehend, den ersten mit dem dritten Teil. Das Scheltwort des Lehrers wird durch die Gestalt aufgewertet.


Textausschnitt: Mich quälte nicht das ängstliche und wilde Stöhnen der Schicksalsgenossen, nicht das hilflose Schreien des Leutnants, der Ruhe und Stillhalten gebot, auch nicht das qualvoll verzerrte Gesicht des Flugzeugführers. Mich quälten nur diese ewig unvollendeten Kreise, die aufflammten über dem Himmel, hastig und haßvoll wütend, und niemals, niemals zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrten, diese stümperisch gezogenen Kreisbogen, die niemals sich rundeten zur vollendeten Schönheit des Kreises

und dann erschrak ich heftig: zum ersten Mal offenbarte sich mir diese schleudernde Wut wirklich als Geräusch: nahe an meinem Schädel hörte ich ein seltsames Zischen wie von einer zornig niederfahrenden Hand, spürte einen feuchten heißen Schmerz, sprang auf mit einem Schrei und griff an den Himmel, wo eben wieder ein giftiggelbes rasendes Zucken aufflammte; ich hielt diese heftig ausschlagende gelbe Schlange fest, ließ sie mit der Rechten rundjagen ihren zornigen Kreis, spürend, daß es mir gelingen müsse, den Kreis zu vollenden, denn einzig dieses war die mir innewohnende Fähigkeit, zu der ich geboren war

Als ich Punkt zu Punkt geführt und den wunderbaren runden Bogen des Kreises mit Stolz betrachtete, füllte sich der Raum zwischen den Strichpunktlinien, und ein ungeheurer zischender Kurzschluß erfüllte den ganzen Kreis mit Licht und Feuer, bis der ganze Himmel brannte und die Welt von der jähen Wucht des stürzenden Flugzeuges entzweigeschnitten wurde. Ich sah nichts mehr außer Licht und Feuer, den verstümmelten Schwanz der Maschine, einen zerfressenen Schwanz wie ein schwarzer Stummelbesen, auf dem eine Hexe zu ihrem Sabbat reiten mochte








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