Die 68er Bewegung
viele Deutsche sahen nach 1945 in der dauerhaften Entmilitarisierung Deutschlands eine Vorbedingung für die deutsche Wiedervereinigung und für ein friedliches Zusammenleben in Europa
sie wurden durch die beginnende Wiederbewaffnung Anfang der 50er Jahre enttäuscht
die schnell sichtbaren wirtschaftlichen Erfolge und der systematisch geförderte Antikommunismus brachten jedoch bald starken Rückhalt für die Westintegration
es bildete sich jedoch eine bunt zusammengesetzte außerparlamentarische Opposition, die Frieden und Abrüstung zum Ziel hatte
Anhänger waren bürgerliche Neutralisten, Pazifisten, Christen, Kommunisten sowie oppositionelle Sozialdemokraten und Gewerkschaftler
eine Volksbefragung zur Wiederbewaffnung und alle daran aktiv beteiligten Organisationen wurden verboten
der Schritt von der Wiederbewaffnung zur atomaren Aufrüstung der Bundeswehr nach 1956 wurde mit mehr Protest begleitet
viele deutsche Atomwissenschaftler und Professoren kritisierten dieses Vorhaben
diesen Vorstoß konnte man nun nicht mehr irregeleiteten Idealisten oder kommunistischen Umstürzlern zuschreiben
es kam zur Gründung von Bürgerbewegungen und Protestkundgebungen gegen die Stationierung von Atomwaffen
als die Gewerkschaften und die Sozialdemokraten begannen von der Bewegung abzurücken, verlor sie ihren organisatorischen Rückhalt, ohne daß ihr Anliegen in Vergessen geriet
1960 Wiederaufflammen der Proteste gegen Stationierung von Atomwaffen in Deutschland
dafür war britische Ostermarschbewegung der Campain for Nuclear Disarmament richtungsweisend
T Ostermärsche in den Jahren 1961-1968 mit ständig steigender Teilnehmerzahl (zuletzt 300.000 Marschierer)
aufgrund verschiedener Anlässe z.B. Antikriegstag, Hiroschimatag, Kernwaffenversuche, Kubakrise wurden Mahnwachen, Informationsstände und Unterschriftenaktionen eingerichtet
Bewegung wurde zunehmend politischer
Forderung nach Einstellung von Atomwaffenversuchen, Atomwaffenproduktion, Verzicht auf Stationierung von atomar gerüsteten Truppen auf deutschem Boden, atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa
aufgrund des Deutschlandvertrages von 1955 wurde die BRD faktisch souverän, jedoch behielten die Alliierten durch den Vertrag gewisse Vorbehaltsrechte
diese konnten nur durch eine mehr oder weniger umfassende Regelung für den Fall des inneren und äußeren Notstandes beseitigt werden
1960 erster Entwurf einer Notstandsregelung für die Verfassung
löste Proteste aus, da man aufgrund der Erfahrungen der Weimarer Republik, in den Vorschlägen eine Gefährdung der Demokratie und der Freiheit sah
es entstand eine Bewegung, die eine Verankerung einer Notstandsregelung in die Verfassung ablehnte
Aufschwung durch die Spiegelaffäre 1962 (Durchsuchung der Verlagsräume des Spiegels in Hamburg und Bonn sowie Festnahme des Herausgebers Rudolph Augstein (103 Tage Untersuchungshaft, keine Hauptverhandlung) und des Redakteurs C. Ahlers, wegen des Verdachts des Landesverrats und der Beamtenbestechung, aufgrund eines Beitrages über das NATO-Konzept, um den Einsatz von Atomwaffen und die möglichen Folgen für Deutschland T Rücktritt des Innenministers F. J. Strauß)
T Entrüstung und Demonstration in vielen Universitätsstädten
weitere Vorlagen für Notstandverfassung wurden 1963 und 1965 gemacht
Höhepunkte der Kampagne:
30. Mai 1965 Kongreß "Demokratie vor dem Notstand" in Bonn
30. Oktober 1966 Kundgebung in Frankfurt organisiert durch das Kuratorium "Notstand der Demokratie"
subkulturelles Milieu der künstlerischen Avantgarde
organisierten sich in losen Netzwerken der Situationistischen Internationale oder der Subversiven Aktion
hier liegen die Quellen, der phantasievollen, gegen das Spießbürgertum gerichteten, provokatorischen Aktionsformen der Studentenbewegung T Politik als Happening
von hier kamen die Impulse für die Experimente der Wohnkommunen und die Praxis der antiautoritären Erziehung
1961 bildete sich an den Universitäten der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), der aus der SPD ausgeschlossen wurde
politisches, organisatorisches und intellektuelles Zentrum der Studentenprotestbewegung, war jedoch keineswegs zentral koordiniert
die Aktivitäten des SDS konzentrierten sich zunächst auf den hochschulpolitischen Bereich, ohne darauf beschränkt zu bleiben
man diskutierte die veralteten Strukturen an den Hochschulen und prangerte den "Muff von tausend Jahren" an, der unter den Talaren der Professoren verborgen sei
Brücke zur Ostermarschbewegung ab 1965 durch gemeinsame Proteste gegen den Vietnamkrieg
Dezember 1965 Vietnamausstellung den SDS in Berlin
Februar 1966 Plakataktion "Amis raus aus Vietnam"
T Verhaftung von vier SDS-Vertretern T 5.2.1966 Demonstrationen und Eierwürfe auf das Berliner Amerikahaus und Hissen der Flagge auf Halbmast
Studentenbewegung unterschied sich von vorausgegangen Protestbewegungen
aufgrund der Verankerung an den Hochschulen, sehr selektive Rekrutierungsbasis und klaren räumlich sozialen Brennpunkt
erleichterte interne Mobilisierung, setze externer Mobilisierung Grenzen
T Distanz zu Großorganisationen, wie SPD oder auch den Gewerkschaften
fanden teilweise Zustimmung für ihre Forderungen nach Demokratisierung des Bildungssystems und der Gesamtgesellschaft und der Kritik an der Einmischung der USA in Vietnam
2.6.1967 Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Gegendemonstranten anläßlich des Schah-Besuches in Berlin; der Student Benno Ohnesorg wird von einem Polizeibeamten von hinten erschossen
T spontane Welle der Empörung und Demonstrationen an den folgenden Tagen in vielen Städten
Okt./Nov. Störungen von Universitätsfeiern in mehreren Städten
bereits seit Mitte der 60er Jahre thematische und personelle Annäherung der Protestbewegungen und Überlagerung der Themengebiete:
Proteste gegen Notstandsgesetzgebung
Aktionen gegen den Springer-Verlag
Forderungen nach Demokratisierung
Widerstand gegen den Vietnamkrieg
Studentenbewegung wurde Motor der außerparlamentarischen Opposition (APO) T wuchs über den Rahmen der Friedensbewegung heraus
17./18.2.1968 "Internationaler Vietnamkongreß" an der Berliner Technischen Universität; Schlußkundgebung mit 12.000 Teilnehmern T Forderung nach Zerschlagung der NATO
11.4.1968 Attentat auf Rudi Dutschke (führender Kopf der Studentenbewegung: APO) T wird dabei schwer verletzt
Attentat wurde agitatorischen Berichterstattung der Springer-Presse zur Last gelegt
T Ansturm auf Springer-Hochhaus; gewaltsame Versuche die Auslieferung von Springer-Zeitungen zu verhindern
T fünf Tage währende Straßenschlachten und Blockaden in Berlin unter Beteiligung Zehntausender von Demonstranten; schwere Unruhen auch in anderen Städten; Solidaritätsdemonstrationen in vielen Städten des Auslandes
T über 1000 Verhaftungen, 2 Tote in München, 400 zum Teil Schwerverletzte
Brückenschläge zwischen Notstandsprotest und Ostermarschbewegung
Anhänger: Intellektuelle, kritische Kirchenvertreter, Gewerkschaften
11.5.1968 Sternmarsch auf Bonn initiiert vom Kuratorium "Notstand der Demokratie" mit über 60.000 Demonstranten aus Protest gegen die Notstandsverfassung T Höhepunkt der Massenmobilisierung
die Einzelgewerkschaften versagten jedoch der Bewegung "Kuratorium Notstand der Demokratie" ihre Unterstützung und entzogen dem Protest damit einen Teil ihrer Massenbasis; 11.5.1968 Konkurrenzveranstaltung des DGB in Dortmund
T im Mai Auseinandersetzungen an der Frankfurter Universität mit Besetzung des Rektorates; Demonstrationen und polizeiliche Räumungen der Universität
16.5.1968 an der Universität in Frankfurt: Tausende Studenten vor Haupteingang: Zuschauerrolle, Beifall, Spott
kleine Gruppe hielt Universitätsgänge besetzt und war gewillt sie zu verteidigen
andere kleine Gruppe formierte sich, um Gänge freizumachen
T Schlägereien
noch kleinere Gruppe hielt Reden und versuchte Situation unter Kontrolle zu halten
Große Koalition erzielte Kompromiß über Notstandsverfassung; wurde am 16. Mai 1968 nach zweiter Lesung beschlossen und am 30. Mai 1968 in der dritten Lesung verabschiedet T Alliierten verzichteten auf ihre Vorbehaltsrechte im §5 des Deutschlandvertrages
Nachmittag des 16. Mai 1968: Frankfurter SDS gesteht seine Niederlage ein
Marsch zum Gewerkschaftshaus T Hoffnung auf Generalstreik T vergeblich
Juni 1968 Aktionen zur Einführung einer Drittelparität an bundesdeutschen Universitäten
November 1968 Demonstrationen von Studenten und Straßenschlachten in Berlin
Dezember 1968 Boykott von Lehrveranstaltungen an der Frankfurter Universität mit polizeilichen Räumungen
die Radikalität der Studentenbewegung wurde von der breiten Öffentlichkeit abgelehnt T mit Entzug der Unterstützung durch die Gewerkschaften verlor man seine Massenbasis
soziale Isolation der Bewegung konnte nur bei kritischen Intelligenz und der Schülerschaft durchbrochen werden
bereits ab 1968 interne Fraktionierung und Flügelkämpfe im SDS
zerbröselnde Boykottbewegung an der Frankfurter Universität im Januar 1969
21.3.1970 Bundesvorstand des SDS gibt Selbstauflösung bekannt
Radikalisierung auf immer schmalerer sozialer Basis T Meinungsverschiedenheit in den kommunistische Splitterparteien T terroristische Aktionen
in der SPD fand schließlich ein Großteil der rebellierenden Studenten eine politische Heimat
die NPD erzielte nur kurzzeitig Wahlerfolge, denn ein großer Teil des rechten Spektrums konnte von CSU und CDU integriert werden
1968 war das unruhigste Jahr der BRD
die Republik war jedoch nicht in Gefahr
institutionelle Erfolge blieben der 68er-Bewegung versagt
jedoch tiefgründige Langzeitwirkungen auf das Alltagsleben und die politische Kultur
Beitrag zum unverkrampften Umgang mit Autoritäten, Zurückdrängung des plumpen Antikommunismus, Verstärkung der Forderung nach mehr Mitbestimmungsrecht, kritischere Sicht auf den Parlamentarismus und die Massenmedien, Sensibilisierung für die Widersprüche zwischen demokratischen Idealen und politischer Praxis
Studentenbewegung hat nachfolgende Bewegungen inspiriert: z.B. Frauenbewegung oder die Bürgerinitiativen
Thomas Ellwein: Krisen und Reformen; Die Bundesrepublik seit den sechziger Jahren, dtv
Die Geschichte der BRD; Band Gesellschaft; Fischer Verlag
Informationen zur politischen Bildung; Demokratie; Bundeszentrale für politische Bildung
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