Der deutsche Roman
von seinen Anfängen bis 1892
Der Roman ist eine Großform der Erzählkunst in Prosa, der in großen
Zusammenhängen Zeit und Gesellschaft widerspiegelt und das Schicksal einer
Einzelperson oder einer Gruppe von Individuen in ihrer Auseinandersetzung
mit der Umwelt darstellt. Der Roman unterscheidet sich vom Epos und vom
Versroman durch die Prosa und von Novelle und Kurzgeschichte durch Umfang
und Vielschichtigkeit. Anfangs war der Roman nur ein Medium zur
Unter-haltung und Belehrung, erst später entwickelte er sich zu Kunstform.
Der älteste deutsche Abenteuer- und Ritterroman wird um 1050 von einem
Unbekannten in gereimten Hexametern niedergeschrieben. Der Roman nennt sich
"Ruodlieb" und erzählt von einem jungen, ritterlichen Held, der in die
Fremde zieht, um dort sein Glück zu versuchen. "Ruodlieb" ist auch ein
erster Zeit- und Sittenroman, weil er zeitgenössisches Leben mit
überraschender Wirklichkeitstreue schildert.
Der erste große Liebesroman der deutschen Literatur stammt von GOTTFRIED VON
STRASSBURG, wird um das Jahr 1210 geschrieben und nennt sich "Tristan und
Isolde". "Tristan" ist ein biographischer Roman, weil er die
Lebensgeschichte des Helden wieder-gibt. Gottfried kommt es aber nicht auf
die innere Seelenentwicklung an, sondern er weist auf die Macht der Liebe
hin, und genau dadurch wird der Roman nicht nur zum ersten Lie-besroman,
sondern auch zum ersten Eheroman und zum ersten Dreiecksroman. Da die
Handlungen der Personen seelisch genau begründet werden und eine sorgfältige
Analyse der inneren Vorgänge geboten wird, kann man auch von einem
psychologischen Roman spre-chen.
"Meier Helmbrecht", geschrieben von WERNER DER GARTENAERE ist ein wichtiger
Zeitroman und das größte Werk des späten 13. Jahrhunderts, das ein
erschütterndes Bild jener Zeit des Übergangs von der ritterlich-höfischen
zur bäuerisch-städtisch-bürgerlichen Kultur gibt. In diesem Roman gelingt
die Darstellung des ewigen Generationsproblems durch die unterschiedlichen
Charaktere von Vater und Sohn sehr gut. Im "Meier Helm-brecht" kündigt sich
bereits die tiefgreifende Kulturwende an, wie sie sich im Spätmittelalter
vollzieht, der Aufbruch zu einer neuen Zeit, zur Renaissance und
bürgerlicher Wirklichkeits-dichtung.
Die Entstehung des deutschen Kunstromans im 16. Jahrhundert
Aus der großen Masse der Schwanksammler und Volksbuchschreiber hebt sich als
einmalige Persönlichkeit JÖRG WICKRAM hervor, den man mit Recht als Vater
des deutschen Prosa-romans bezeichnen kann. WICKRAM lehnt es ab, seine
Motive aus lateinischen oder fran-zösischen Quellen zu schöpfen oder einfach
mittelalterliche Ritterepen in Prosa aufzulösen. Er verfasst selbsterfundene
Romane. Da er auch bewusst Reim und Vers fallen lässt, wird er der Schöpfer
des ersten deutschen Prosaromans.
In seinen Romanen mischen sich ritterliche Elemente mit dem kraftvollen
Selbstbewusstsein des aufstrebenden Bürgertums. Neu ist bei ihm das
Aufstiegsmotiv, das immer wirksam bleibt. Er liebt es, die neuen
Bildungsideale des Bürgertums darzustellen, wie sie durch Hu-manismus und
Reformation geformt werden. Werke WICKRAM´s sind "Der Goldfaden", "Von guten
und bösen Nachbarn" und "Rollwagenbüchlein".
Jedoch findet der deutsche Kunstroman keinen Nachfolger. Das Bürgertum wird
durch den Adel verdrängt, dieser zeigt nur Liebe für die fremdländische
Literatur und greift begierig zum Amadisroman, der die alten Ideale des
Rittertums mit Abenteuerlichem, Dämonen-haftem und Galantem zum
aristokratischen Bildungsideal der Zeit verschmelzt.
Barock
Der Roman im 17. Jahrhundert
Der deutsche Roman im 17. Jahrhundert steht ganz im Bann fremder Vorbilder.
Die Einwir-kung ausländischen Sitten- und Geisteslebens ist äußerst stark.
Man übersetzt zunächst die nach antiken und italienischen Vorbildern in
Spanien, England und Frankreich entstandenen Schäferromanen und ahmt sie
nach. Im Mittelpunkt des Interesses aber steht der heroisch-galante Roman,
der damals in Frankreich entsteht. Nach dem Muster dieses neuen Romanty-pus
schreibt man auch in Deutschland umfangreiche Erziehungsbücher, die zu
höfischem Menschentum führen sollen. Daneben treten die
realistisch-volkstümlichen Schelmenroma-ne, die ihre großen Vorbilder in
Spanien haben.
Schäferromane sind Liebesromane, in denen häufig Seelenzustände oder
Liebeshändel angesehener Personen dargestellt werden, und zwar verschlüsselt
in der Form von Hirten.
Der Schelmenroman hat die Form eines Abenteuerromanes, in dem der Held
PICARO (ein Schelm) ist.
Heroisch-galante Romane sind schwulstige Barockromane, in denen in
hochhöfischen Kreisen auf der Basis von Politik, Geschichte und Großmut
Probleme Liebender behandelt werden.
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts und zu Beginn des 18. kommt es zum Verfall
des heroisch-galanten Moderomans, der Schäfer- und Schelmenromane. Die neuen
Typen, die dann entstehen, sind jedoch ebenfalls auf Grund fremder Vorbilder
entstanden. Es sind dies der politische Roman, der zur Politik, das heißt
zur praktischen Weltklugheit und gesell-schaftlicher Gewandtheit, erziehen
will, der satirische Reiseroman und die vielen Nach-ahmungen des englischen
Romans "Robinson Crusoe" von Daniel Dafoe, die sogenannten Robinsonaden, die
in Deutschland im Roman "Die Insel Felsenburg" von Johann Gottfried Schnabel
gipfeln. Aus dem Umkreis dieser Romane stammt die großartigste Leistung des
deutschen Prosaromans im 17. Jahrhundert, nämlich der "Simplicius
Simplicissimus" von GRIMMELSHAUSEN.
"Simplicissimus" von HANS JAKOB CHRISTOFFEL VON GRIMMELSHAUSEN (1622 - 1676)
Das Buch ist vor allem ein bedeutender Zeitroman, denn es bietet uns ein
breites Zeit- und Kulturbild des Dreißigjährigen Krieges. Anschaulich werden
alle mittleren und niederen Ge-sellschaftsschichten dargestellt: Soldaten,
Bauern, Bürger und Gelehrte. Die Schwächen der Zeit werden drastisch
geschildert: Aberglaube, Hexenwahn, Teufelsbündnisse, Mord, Brand und
wahnwitzige Grausamkeiten.
Der Erzähler flieht vor plündernden Soldaten in den Wald zu einem
Einsiedler, der, wie er später erfährt, sein wirklicher Vater ist. Er nennt
den Knaben wegen seiner Einfalt Simplicius. Nach dessen Tod gerät der Knabe
in die Gewalt der Soldaten und beginnt ein abenteuerliches Leben: er wird
Hofnarr, Soldat, kommt zu Reichtum und verarmt wieder, er heiratet zweimal,
verstrickt sich in weltliche Schuld und entkommt auch den Wirren des Krieges
nicht. Am Ende beschließt er als Einsiedler sein abenteu-erliches Leben.
Die Erzählungsform des Romans ist die einer Autobiographie. Simplicius
erzählt seine Le-bensgeschichte selbst, wobei der Dichter fast ganz hinter
der Gestalt des Helden verschwin-det. Der Roman ist nach dem "Parzival" der
zweite große Bildungsroman der deutschen Literatur, weil er die innere
Entwicklung eines Menschen von seinen unsicheren, im Ziele unklaren Anfängen
bis zu der in sich sicheren, um sein Ziel wissenden Reife führt.
Der Roman zur Zeit der Vorklassik
CHRISTOPH MARTIN WIELAND (1733 - 1813)
Christoph Martin Wieland gilt als genialer Erzähler, als Erneuerer des
deutschen Romans, als Begründer der neueren Epik und er verleiht der
deutschen Sprache Glätte. Mit seinen Romanen wird Wieland zum Begründer der
neueren deutschen Romandichtung, wobei ihm Horaz, Voltaire und Cervantes als
Vorbilder dienen.
"Geschichte des Agathon" (1767 bzw. 1794)
Das immer wiederkehrende Thema Wielands ist der Zusammenstoß eines
realitätsfernen Menschen mit der Wirklichkeit, wodurch ihm seine Illusionen
geraubt werden. Im neuen Lebensideal ist die Herrschaft des Gefühls
gebrochen und wird durch die des Verstandes er-setzt. Der Roman ist eine
verdeckte Selbstbiographie Wielands und gehört in die Reihe der großen
deutschen Bildungsromane. Wielands Buch ist über weite Strecken ein
Desillusio-nierungsroman:
Der erste Teil des Romans schildert den zuerst in ein übertrieben
asketischen Lebensi-deal, dann in sinnenfrohe Hingabe an die Weltlust
verstrickten jungen Mann Agathon. Der zweite Teil greift auf die Knabenzeit
zurück und erzählt die vorausgegangene Er-ziehung des Jünglings und, zum
ersten Teil zurückkehrend, die allmähliche Loslösung aus der jugendlich
übertriebenen Einseitigkeit der Lebensführung. Der dritte Teil bringt
schließlich das Heranreifen Agathons zu einem um sein Ziel wissenden und zu
klarer Harmonie aller inneren Widersprüche findenden Staatsmann.
Wielands Roman hat einen Erzähler, der nicht als Person am Geschehen
beteiligt ist, der aber dennoch immer wieder in den Vordergrund tritt, sich
an den Leser wendet, das Gesche-hen kommentiert und scheinbar allwissend
über alle Figuren und Handlungen verfügt. Die Germanistik nennt ein solches
Erzählmedium einen "auktorialen" Erzähler, im Gegensatz zum "neutralen
Berichterstatter vieler moderner Romane, der das Geschehen kommentarlos
wiedergibt und selbst nie als Individualität erkennbar wird, und zum
"personalen" Erzähler, der die Perspektive einer der handelnden Figuren
einnimmt.
Der Roman in der Klassik
JOHANN WOLFGANG GOETHE (1749 - 1832)
Sturm und Drang
"Die Leiden des jungen Werthers" (1774)
Der zweiteilige, nicht umfangreiche Roman enthält im ersten Teil nur Briefe
Werthers an seinen Freund Wilhelm. Erst im zweiten Teil wird die Brieffolge
vereinzelt von Berichten des Herausgebers unterbrochen. Diese Art der
persönlich-sujektiven Schilderung wird "Ich-Erzählperspektive" genannt.
Durch sie erhält zwar der Leser Einblick in die intimste Ge-fühlswelt des
Schreibers, jedoch wird selten objektiv dargestellt, in welcher Beziehung
der Schreiber zu seinen Mitmenschen steht.
Werther ist einerseits ein hochbegabter Gefühlsmensch mit viel Liebe zur
Poesie, an-dererseits aber ohne Widerstandskraft gegenüber seinen
Stimmungen. Er lernt Lotte kennen und lieben, doch seine Liebe wird nicht
erwidert, denn sie ist mit Albert, einem braven Mann, verlobt. Eines Tages
verliert er alle Selbstbeherrschung und reißt Lotte leidenschaftlich in
seine Arme. Diese weist ihn jedoch zurück und flieht vor ihm. Weil Werther
nun erkennt, dass er mit Lotte nicht leben darf, und weil er glaubt, ohne
Lotte nicht leben zu können, erschießt er sich in der Nacht vor Weihnachten
des Jahres 1772. Er ist an Lotte, die nicht der Macht der Leidenschaft,
sondern der Konvention folgt, verzweifelt.
Goethe verarbeitet in diesem Brief-Roman, dessen Vorbild SAMUEL RICHARDSON
ist, seine unglückliche Liebe zu Charlotte Buff, den Selbstmord seines
Freundes Karl Wilhelm Jerusalem, der sich wegen einer ausweglosen Liebe
erschießt, und die Erfahrungen mit einer verheirateten Frau, in die er
verliebt war.
Goethe zeichnet im Roman die Selbstzerstörung eines edlen, aber
willensschwachen, emp-findungsseligen, innerlich und äußerlich vereinsamten
jungen Menschen, der zu seinem Un-glück von einer jungen Frau, die ihm nicht
gehören kann, Erlösung erhofft. Als Formmuster benützt Goethe die
psychologischen Briefromane Samuel Richardsons. Die Sprache ist un-gemein
ausdrucksstark und mannigfach abgestuft: Sie ist von erhabenem Schwung,
schlicht und einfach, leidenschaftlich und erregt, ruhig und milde und auf
jeden Fall hinreißend und anziehend.
Die Auswirkungen des Romans auf die Gesellschaft waren gewaltig. Die
sogenannte "Werther-Tracht" wurde zur Mode und unglücklich Liebende holten
sich vor ihrem Selbst-mord in der Lektüre des "Werther" den Mut zu ihrer
Handlung.
"Wilhelm Meisters Lehrjahre" (1795/96)
Ahnlich dem "Faust" ist auch der Prosaroman "Wilhelm Meister" ein Werk, das
den Dich-ter viele Jahrzehnte seines Lebens begleitet und seine eigene
Entwicklung widerspiegelt. Be-gonnen wird der Roman in Weimar als
Theaterroman. Erst 1794 unter dem Einfluss Schillers wird das Werk wieder
aufgenommen und nach dem neuen Lebens- und Kunstideal umgear-beitet und
fortgeführt. So wird aus dem ursprünglichen Theaterroman der große Bildungs-
und Entwicklungsroman "Wilhelm Meisters Lehrjahre". Dieser Romantyp
behandelt die Auseinandersetzung eines Individuums mit der Gesellschaft und
seine Eingliederung in die-selbe.
Wilhelm Meister, ein begüterter Kaufmannssohn, vom Bildungsdrang beseelt,
hofft, seine Ideale im Schauspielerstand zu verwirklichen.
Die Fortsetzung des Romans "Wilhelm Meisters Lehrjahre" nennt sich "Wilhelm
Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden" und bringt den Abschluss der
Geschichte.
Im Gesamtwerk des "Wilhelm Meister" gipfelt der deutsche Bildungsroman,
nachdem WOLFRAM VON ESCHENBACH ("Parzival"), JÖRG WICKRAM ("Knabenspiegel"),
CHRISTOFFEL GRIMMELSHAUSEN ("Simplicissimus") und MARTIN WIELAND ("Agathon")
vorgearbeitet haben. Mit ihm schafft Goethe das Formmuster, von dem dann
alle deutschen Bildungsromane der späteren Zeit ausgehen.
"Die Wahlverwandtschaften" (1809)
Es handelt sich um einen Eheroman, in dem die Forderung erhoben wird, dass
der Mensch durch seine sittliche Kraft und Entsagung die Leidenschaften
überwinden muss. Obwohl der Wille der Betroffenen weitgehend ausgeschaltet
erscheint, muss dennoch das menschliche Sittengesetz über die Leidenschaften
siegen, sonst führt es zum Untergang der Beteiligten, auch der Unschuldigen.
Denn, so lehrt der Roman, lösen sich die Banden Sittlichkeit, so tritt
innere und äußere Vernichtung der Schuldigen ein.
Die Zeitgenossen der Klassiker
Roman in der Sturm- und Drangzeit
Seit der Sturm- und Drangzeit nimmt der Roman einen ungeheuren Aufschwung.
Innerhalb von 25 Jahren erscheinen mehr als 6000 deutsche Romane, die aber
fast alle ohne künstleri-schen Wert sind. Sie stellen den Lesestoff der
breiten Masse dar und sind oft recht läppische Nachahmungen der klassischen
Vorbilder.
Romantik
FRIEDRICH VON HARDENBERG, genannt Novalis (1772 - 1801)
"Heinrich von Ofterdingen" (1798 - 1801)
Das Romanfragment "Heinrich von Ofterdingen" von Novalis führt den
Reifungsprozess eines legendären mittelalterlichen Dichters vor, der nach
dem Plan des Autors mit der Ver-schmelzung von Phantasie und Wirklichkeit
enden sollte. "Heinrich von Ofterdingen" ist ein im 13. Jahrhundert
spielender Bildungsroman, der in bewusstem Gegensatz zum "Wilhelm Meister
von Goethe steht. Sein Roman hat eine sogenannte Fenstertechnik, d. h.
überall sieht man aus der eigentlichen Geschichte und der wirklichen Welt
durch "Fenster" hinaus in ganz andere Bereiche, als sie die Erzählung selbst
darstellt und als sie in der Wirklichkeit möglich sind. Es eröffnet sich
eine unendliche Perspektive. Der Blick verliert sich in der Ferne eines
jenseits der Wirklichkeit stehenden Phantasiewelt.
In seinem Roman stellt er auch das "Reich der blauen Blume" dar. Es umfasst
vier Pro-vinzen:
1. das übersinnliche Reich der Natur,
2. das Reich der Nacht und des hineinragenden Jenseits,
3. das Reich Christi und
4. das Reich der Poesie.
Der Roman im Vormärz und Biedermeier
Gesellschafts-, Sitten- und Zeitromane
Der Gesellschaftsroman stellt die Gesellschaft oder eine ihrer Schichten
dar. Darüber hin-aus will der Zeitroman nicht nur gesellschaftlich, sondern
auch geistig ein in allen Zügen echtes Gemälde der Gegenwart geben. Seine
Sonderform, der Sittenroman, schildert oder karikiert die zeitgenössischen
Moralzustände, meist in sogenannten Sittenbildern, d. h. in Szenen aus dem
Alltagsleben.
Die ausschließliche Beschäftigung mit den Fragen der Gegenwart führt zu
großer Wirklich-keitsnähe und zu einem realistischen Stil. Häufig verfolgen
diese drei eng miteinander ver-wandten und oft ineinander übergehenden
Romanformen bestimmte soziale und politische Absichten und werden so zu
einer Tendenzdichtung.
Diese drei Romantypen sind Schöpfungen des 19. Jahrhunderts. Der Begründer
des deut-schen Zeitromans ist Karl Immermann mit seinen "Epigonen". An ihn
schließen sich Karl Gutzkow ("Wally" und "Der Zauberer von Rom") und
Heinrich Laube ("Das junge Europa") an. Weitere bedeutende Beispiele finden
sich dann erst wieder in der Zeit des Hoch- und Spätrealismus bei Gustav
Freytag, Gottfried Keller und Theodor Fontane.
Der historische Roman
Der geschichtliche Roman beginnt mit dem Durchbruch des
Geschichtsbewusstseins seit Gottfried Herder und Johann Wolfgang von Goethe
in der Zeit der Romantik und erreicht seine erste künstlerische Höhe in dem
Werk des Breslauers Willibald Alexis.
WILLIBALD ALEXIS
Seine Romane entwerfen große Kulturbilder aus der
brandenburgisch-preußischen Ge-schichte auf Grund genauer Studien von
Zeitdokumenten. Sein Meisterwerk ist der im frühen 16. Jahrhundert
spielende, gleichzeitig auch zu den wenigen deutschen humoristischen
Dichtungen zählenden Roman "Die Hosen des Herrn von Bredow".
Der bürgerliche Realismus zwischen 1848 und 1918
Der Individualroman
Das stets wiederkehrende Thema des Realismus war das Verhältnis zwischen
Individuum und Gesellschaft, das im Zeitalter der Industrialisierung und der
beginnenden Vermassung zunehmend zum Problem wurde. Während in den
wirtschaftlich und politisch fortgeschritte-neren europäischen Ländern
bereits der Gesellschaftsroman vorherrschte wurden in Deutschland vor allem
Individualromane geschrieben, Lebensgeschichten einzelner Men-schen, oft
nach dem Muster des klassischen Bildungsromans im Stil des "Wilhelm Mei-ster
Wie schwierig sich das Verhältnis Individuum - Gesellschaft zunehmend
gestaltete, belegt bereits einer der bekanntesten Bildungsromane, "Der grüne
Heinrich" von Gottfried Keller.
"Der grüne Heinrich" von GOTTFRIED KELLER
Heinrich Lee verliert früh seinen Vater und muss wegen eines Jugendstreiches
vorzeitig in die Realschule verlassen. Er will anfangs Maler werden,
beschließt aber nach langer Warte-zeit, in einem bürgerlichen Beruf für die
Gemeinschaft seines Volkes zu arbeiten. Heinrich stirbt nach dem Tod der
Mutter, für den er sich aufgrund seines langen Fernbleibens von zu Hause
verantwortlich fühlt.
Der Professorenroman
Der Professorenroman ist die oft geringschätzige Bezeichnung für den
historischen Roman in der 2. Hälfte des 19. Jahrhundert, der in der Regel
von dichtenden Professoren verfasst wird. Angeregt werden diese Romane von
Scheffels "Ekkehard". In ihnen erscheinen häufig auch Probleme der Gegenwart
in die Vergangenheit zurückversetzt. Als Stoffquellen dienen den Autoren
umfangreiche Geschichtswerke namhafter zeitgenössischer Historiker.
Geför-dert wird der Erfolg romanhafter Darstellung der Geschichte durch die
Neigung des bil-dungshungrigen Bürgers, sich Wissen spielend, wenn auch
oberflächlich, anzueignen. Große Erfolge erzielen in ihrer Zeit Felix Dahn
und Georg Ebers.
FELIX DAHN (1834 - 1912)
Felix Dahn war ein Professor des Deutschen Rechtes und schildert in vielen
Romanen die Zeit des germanischen Altertums und der Völkerwanderung. In
seinem Roman "Ein Kampf um Rom" (1876) erzählt er den Kampf der Ostgoten
gegen die Römer, der mit dem Unter-gang der Ostgoten endet. Trotz der darin
von Dahn verwendeten Schwarzweißtechnik - die Goten sind die Guten, die
Römer die Schlechten - wird der Roman auch heute noch gern gelesen.
Der Gesellschaftsroman
Mit seinem Alterswerk, einer Reihe von Zeitromanen, führte der frühere
Journalist und Reisebuchautor Theodor Fontane die deutsche Erzählprosa
wieder auf weltliterarische Höhe. Die Schauplätze dieser Bücher sind oft
gesellschaftliche Veranstaltungen bei denen der Au-tor seine Personen in
strenger Objektivität im Dialog sich selbst darstellen läßt.
"Effi Briest" (1895) von THEODOR FONTANE (1819 - 1898)
Effi Briest flüchtet aus der liebesarmen Ehe mit dem über 20 Jahre älteren
Baron von Inn-stetten in ein kurzes Verhältnis mit dem Major Crampas. Nach
sieben Jahren entdeckt Inn-stetten das Verhältnis, tötet Crampas und lässt
sich von seiner Frau scheiden.
1892 wurde der Roman "Frau Jenny Treibel", geschrieben von Theodor Fontane,
veröffent-licht. Er schildert den Konflikt zwischen der Vermehrung des
Besitzes und dem Entstehen von Gefühlen. Das Eigentum ist wichtiger als
Liebe, Ehen werden nur geschlossen, um den Konventionen genüge zu tun.
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