I. Biographie Erich Kästners
Jugendjahre
Erich Kästner wurde am 23. Februar 1899 in Dresden geboren. Zur Freude seiner Eltern, welche endlich aus dem täglichen Einerlei herauskamen darum hätte es viel eher lauten müssen, am 23. Februar 1899 wurden Ida Amalia und Emil Erich Kästner geboren.
Der Einfluß des Milieus, in dem ein Kind aufwächst, ist für das ganze Leben entscheidend. Der Vater resignierte im Lebenskampf, aber die Mutter, welche immer mit Hingabe für ihren Sohn da war, meisterte das Leben. Damit genug Geld zur Verfügung stand, vermietete sie ein Zimmer ihrer ohnehin schon sehr kleinen Wohnung. Die Nützlichkeit des Zufalls, daß der erste Mieter ein Lehrer war, leuchtete ihr sofort ein. Die Mutter fühlte sofort, daß dieser Lehrer und seine gezielt ausgesuchten Nachfolger, der richtige Umgang für ihren Sohn waren. Da finanziell von ihrem Mann nicht viel zu erwarten war, ließ sie sich von Näherin auf Friseurin umschulen. Das Schlafzimmer wurde zum Geschäft. Während der Schüler Erich mit Büchern überhäuft wurde, setzte die Mutter alle Phantasie, ihren ganzen Fleiß und ihre gesamte Existenz auf ihren Sohn. Sie ging mit ihm regelmäßig ins Theater, lernte für ihn das Radfahren und machte mit ihrem Sohn Wanderungen.
Da sie die beste Mutter war, wollte Erich der beste Sohn sein. Ihm wurde abverlangt Kind und Erwachsener zugleich zu sein. Vieles was in seinem Leben und seinen Werken zwiespältig erscheinen mag, findet hier seine Erklärung. Erich ist ein Gefangener seines Verantwortungsgefühls und zugleich ein Rebell gegen dessen selbstverständliche Beanspruchung. Und so wurde er ein bindungsscheuer Mensch.
Als der Krieg ausbrach, war Erich im Lehrer-Seminar in Dresden. Er lehnte sich fortwährend gegen Methoden auf, wo man begabte fröhliche Jungen systematisch zu "Untergebenen" umschulte.
Er betrachtete seine Lehrer nun genauer, beobachtete das eingeengte spieß-bürgerliche Milieu in dem sie lebten und dem er einmal angehören sollte und so kam eines Tages eine entscheidende Einsicht hinzu.
Kästner war siebzehn Jahre alt und sollte, da ältere Seminaristen an der Front waren, einer Volksschulklasse Unterricht erteilen. Er bemerkte, daß er nicht lehren sondern lernen wollte, er wollte Neues aufnehmen und um keinen Preis immer wieder Altes weitergeben. Das war eine erschreckende Erkenntnis.
Der Einberufungsbefehl ersparte ihm zunächst eine Antwort auf diese quälende Frage.
Unter den militärischen Ausbildnern trieb ihn ein Sergeant, "Leuteschinder" genannt, bis zur offenen Empörung. Kästner mußte so oft und gründlich strafexerzieren, daß er neunzehnjährig, mit einem schweren Herzleiden ins Lazarett überwiesen wurde. Kurz darauf war der Krieg zu Ende.
Eines seiner ersten Gedichte widmete er ihm:
Wer ihn gekannt hat, vergißt ihn nie.
Den legt man sich auf Eis!
Er war ein Tier. Und er spie und schrie.
Und Sergeant Waurich hieß das Vieh,
damit es jeder weiß.
Der Mann hat mir das Herz versaut.
Das wird ihm nie verziehn.
Es sticht und schmerzt und hämmert laut.
Und wenn mir nachts vorm Schlafen graut,
dann denke ich an ihn.
Student in Leipzig
Was nun? Kästner wußte nur das eine, er wollte nicht mehr Lehrer werden. Dem Zwang erliegt nur, wer sich zwingen läßt. Das hatte er dazugelernt. Er wollte studieren, aber die Mutter war schon fünfzig Jahre alt und konnte ihn finanziell auch nicht mehr so unterstützen.
Und so bekam er vom Kultusministerium, in der Hoffnung, daß Kästner später ein höheres Lehramt bekleiden werde, ein Stipendium. Er belegte die Fächer Germanistik, Geschichte, Philosophie und Theatergeschichte. Auf der Universität lernt er neue Freunde kennen und unter anderem den außergewöhnlich gescheiten Ralph Zucker, welcher später infolge eines dummen Kommilitonen-Witzes Selbstmord beging. Die Sache war so: nach der letzten Prüfung teilte ein Student Zucker mit, er sei in einem Fach durchgefallen, worauf Zucker in seine Studentenbude ging und sich erschoß. Kästner setzte diesem Studenten ein Denkmal mit einem Roman und der Titel dieses Buches lautete "Fabian".
Seit 1919, noch als Schüler des König-Georg-Gymnasiums, begann Kästner zu schreiben. Er wurde Mitarbeiter der Schülerzeitung und druckte in der Theaterzeitschrift "Der Zwinger" Gedichte. Das Theater war eigentlich immer schon die große Liebe Kästners.
Wollte er Schauspieler werden? Nein. Drammatiker? Vielleicht. Regisseur? Ja. Aus diesem Grund wählte er auch das Fach Germanistik und Theatergeschichte aus. Das Abitur bestand er mit Glanz und bekam dafür das Goldene Stipendium der Stadt Dresden.
Im Jahre 1920 erschienen in einem Heft "Dichtungen Leipziger Studenten" drei Arbeiten von Erich Kästner und wurden von der lokalen Presse besonders hervorgehoben.
Der Traum, Regisseur zu werden, war damit freilich noch nicht zu Ende geträumt. Das fünfte Semester verbrachte Kästner in Berlin, es gab zu dieser Zeit Kohlennot, Streiks und Inflation. Trotzdem ließ sich Kästner nicht unterkriegen und er arbeitete an seiner Doktorarbeit über "Lessings Hamburgische Dramaturgie".
Die Geldnot zwang ihn jedoch früher als gewollt arbeiten zu gehen und er nahm eine Stellung als Famulus bei Geheimrat Köster, welcher an der Universität "Metho-disches Arbeiten" unterrichtete, an. Diese Doktorarbeit jedoch schrieb er nie.
Als die Zeiten immer härter wurden, bot man vielen Werkstudenten an, bei Familien in Leipzig mitzuessen. Und so kam Kästner zu einem Stadtbaumeister.
Dieser bot ihm sofort eine Stelle als Buchhalter an. Damit ein wenig Geld zur Verfügung stand, verfaßte Kästner auch noch Theaterkritiken über Erstaufführungen für das Zeitungswissenschaftliche Institut. Trotz aller Arbeit schrieb er auch für sich, nämlich eine satirische Glosse über die Geldentwertung. "Max und sein Frack" hieß dieses Stück, er schickte es zum Spaß an das Leipziger Tageblatt und es erschien zwei Tage später als Lokalspitze. Der Verlagsdirektor engagierte ihn vom Fleck weg als Redakteur.
Der junge Schriftsteller
Er hatte einen Beruf, er verdiente Geld und er war unabhängig. Er brauchte die Opfer der Mutter nun nicht mehr zu beanspruchen. Trotzdem schrieb er täglich an seine Mutter und diese anwortete immer mit dem Satz: "Schick die Wäsche" und er wußte, daß er dieses Wäscheband nicht zerreißen durfte.
Es war eine Zeit voller Arbeit. Erich Kästner schrieb satirische Gedichte, politische Glossen, Stories, Reportagen, Feuilletons, Theaterkritiken und Kunstkritiken. Und wieder einmal machte er sich an seine Doktorarbeit. Diesmal mit dem Thema "Die Erwiderungen auf Friedrichs des Großen Schrift". 1925 erhielt Kästner mit dieser Arbeit den Titel Doktor der Philosopie.
Doch kurz darauf brach ein jäher Wirbelsturm los. Kästner publizierte ein erotisch, satirisches Gedicht in der "Plauener Volkszeitung" und es begann mit "Du meine Neunte, letzte Symphonie! Wenn du das Hemd an hast mit rosa Streifen " und das an Beethovens 100. Todestag.
Die Folge war die Entlassung.
Berlin, Kästners Durchbruch
Daraufhin ging er nach Berlin, wo ihm der Posten eines Theaterkritikers einer Berliner Zeitung angeboten wurde. Da er nun wieder einmal vom Existenzminimum leben mußte, denn die Stelle als Theaterkritiker brachte nicht sehr viel ein, suchte er noch Arbeit beim Ullstein Verlag.
Am liebsten schrieb er von je her im Cafe. Dort wurde ihm auch von der Zeitung "Montag Morgen" angeboten, ein wöchentliches Gedicht abzuliefern. Er schrieb über die erste Berliner Zeit:
Nun bin ich zirka 31 Jahre
und habe eine kleine Versfabrik.
Ach, an den Schläfen blühn schon graue Haare,
und meine Freunde werden langsam dick.
Ich setze mich sehr gerne zwischen Stühle.
Ich säge an dem Ast, auf dem wir sitzen.
Ich gehe durch die Gärten der Gefühle,
die tot sind, und bepflanze sie mit Witzen.
In Berlin traf er sich öfter mit den Herausgebern und Mitarbeitern der "Weltbühne", zum Beispiel Kurt Tucholsky, Alfred Polgar, Morus, Rudolf Arnheim,
Entscheidend war auch die Freundschaft mit der Witwe Jacobsohn, welche Kästner ermunterte für ihren Kinderbuchverlag zu schreiben. Er machte sich an die Arbeit und es erschien das Buch "Emil und die Detektive", welches 1928 erschien und ein großer Erfolg wurde.
Kurz darauf erschienen auch die Gedichtbände "Herz auf Taille" und "Lärm im Spiegel", welche Kästner mit einem Schlag berühmt machten und endlich als deutschen Lyriker anerkannten.
Die Kritiker schrieben über Kästners Gedichte: "Lyrik unserer Zeit kann gar nicht anders aussehen. Kästner schreibt Verse, die ebenso lebensnahe und zeitgemäß wie künstlerisch durchgebildet und unnachahmlicher Prägnanz formuliert sind". Auch die Kritik des Literarhistorikers Heinz Kindermann war interessant:
"Mit eisiger Ruhe spricht Kästner in seinen polemischen Gedichten die Anklagen gegen die Zeit aus, aber niemals ohne Zukunftsaussichten. Stets bereit, den Gegner durch überlegene Ironie zu Fall zu bringen und dennoch hinter dieser mitleidlosen, bewußt parteiisch eingestellten Geste zu helfen, brutal in seiner Überehrlichkeit und dennoch feinsten, unsagbaren Seelenregungen zugänglich".
Jedes Jahr erschien von ihm etwas Neues. 1929 das Hörspiel "Leben in dieser Zeit", ein satirisches akustisches Großstadtgemälde.
Ein zweites Kinderbuch folgte, "Pünktchen und Anton", und 1930 der dritte Gedichtband "Ein Mann gibt Auskunft". Im gleichen Jahr wurde "Emil und die Detektive" dramatisiert in Berlin aufgeführt. Der erste Herr "Grundeis" war Theo Lingen. Bald darauf inszenierte ein junger Regisseur seinen ersten Film von Erich Kästner und dieser hieß "Dann schon lieber Lebertran".
1931 erschien sein erster großer Roman, vom Autor "Der Gang vor die Hunde" genannt. Der Verlag lehnte den Titel ab und man einigte sich auf "Fabian, Geschichte eines Moralisten".
1931 wurde Kästner in den PEN gewählt. Er erhielt die "Ehrende Erwähnung" bei der Kleist-Preisverteilung.
Kästners Erfolg war ungewöhnlich und es gab keine Fehlschläge. Es folgte nun "Der 35. Mai", ein Kinderbuch, abenteuerlich und märchenhaft wie sein Titel. 1932 spielte man "Pünktchen und Anton" bei Max Reinhardt und sein vierter Gedichtband "Gesang zwischen den Stühlen" wurde publiziert. Anschließend erschienen die Kindergedichtbände "Arthur mit dem langen Arm", "Das verhexte Telefon" und der Roman "Das fliegende Klassenzimmer".
Von seinem ersten Erfolg bis zu seinem literarischen Scheintod im Dritten Reich blieben ihm genau sechs Jahre. Er begründete seinen Ruf als Zeitkritiker, Lyriker und als Kinderbuchautor.
Dann kam das Dritte Reich und wie viele anderer Autoren wurden auch Kästners Bücher verboten.
Lakonisch berichtete Erich Kästner in seiner Rede über das Verbrennen von Büchern: " Der Feldmarschall und Reichspräsident kapitulierte in der Potsdamer Garnisonkirche. Das geschah am 21. März. Zwei Tage später kapitulierten mit Ausnahme der Sozialdemokraten, die Parteien in der Krolloper. Eine Woche später wurden die Länder gleichgeschaltet. Am 1. April wurde der Judenboykott inszeniert. Er war eine mißglückte Inszenierung, und man setzte das blutige Stück vorübergehend vom Spielplan ab. Am 7. April wurden die Gauleiter als Reichsstatthalter herausstaffiert. Am 2. Mai wurden die Gewerkschaften aufgelöst. Am 10. Mai brauchte man wieder Feuer. Für die Bücher".
Am 27. Februar 1933, Kästner war auf einer Ferienreise, kehrte er trotz Warnungen seiner Freunde, offiziell mit einem Zug nach Berlin zurück. Sein Motto:
Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen.
Mich läßt die Heimat nicht fort.
Ich bin wie ein Baum, der, in Deutschland gewachsen,
wenn´s sein muß, in Deutschland verdorrt.
Kästner schrieb später: "Ich blieb um Augenzeuge zu sein". Der rechthaberische Bürger wollte Zeuge des Unrechts werden, das am bürgerlichen Recht geschah. Und zwar am Ort der Tat. In einem Punkt jedoch behielt er recht: Er hatte ein früheres Ende der Diktatur erwartet, und dieser Irrtum kostete ihn zwölf Jahre seines Schriftstellerlebens.
Leben als verbotener Autor
Am 6. Mai war ein Rundschreiben an die Buchhändler gegangen: "Der Kampfausschuß ersucht Sie hiermit, aus Ihrer Leihbücherei und aus dem Vertrieb all die Literatur zu entfernen, die Sie auf der anliegenden Schwarzen Liste vermerkt finden, damit diese Bücher am 10. Mai auf dem Opernplatz öffentlich verbrannt werden können".
Mit den Worten "Gegen Dekadenz und moralischen Zerfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe den Flammen die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner!" flogen die Bücher ins Feuer.
Kurz darauf wurde Erich Kästner von der Gestapo verhaftet. Man warf ihm vor in der Prager Emigrantenzeitschrift das Dritte Reich angegriffen zu haben. Fakt war, daß man ein altes Montag-Morgen-Gedicht um zwölf Zeilen erweitert hat, und diese zwölf Zeilen strotzten von aktuellen Angriffen auf das Dritte Reich. Es ging nun um zwölf Zeilen, welche er nicht verfaßt hatte, und um den Kopf. Die Gestapo ließ ihn wieder frei, drohte allerdings mit Schritten falls er publizieren sollte; er durfte nur für sich schreiben.
Im Herbst 1934 erschien im Buchhändlerblatt die Anzeige eines neuen Kästner-Buches, "Drei Männer im Schnee". Goebbels tobte. Eine Stunde später hatte die Deutsche Verlagsanstalt bereits die Mitteilung von Kästners erneutem und endgültigen Verbot in Händen. Später erlaubte man ihm jedoch im Ausland zu veröffentlichen und so kam es, daß das Buch zuerst in Zürich erschien.
Der Not gehorchend und auch weil es ihm Spaß machte, hatte sich Kästner einer neuen Literaturgattung zugewandt, dem heiteren Unterhaltungsroman. Metro-Goldwyn-Mayer kaufte die Filmrechte der "Drei Männer im Schnee", und später "Die verschwundene Miniatur".
Von einigen Bühnen wurde der Roman "Drei Männer im Schnee" angenommen und unter dem Titel "Das lebenslängliche Kind" aufgeführt und mitten im Erfolg verboten, nachdem ein österreichischer Journalist naseweis geschrieben hatte : "Kästner tarnt sich ". 1937 wurde er zum zweiten Mal verhaftet.
Kurz darauf fuhr er nach Reichenhall, wo er viele seiner Bekannten und Freunde wiedertraf. Er schrieb an einem Buch, welches zu den Salzburger Festspielen 1938 hätte erscheinen sollen.
Das Buch, welches "Der kleine Grenzverkehr" hieß, wurde rechtzeitig fertig, doch die Salzburger Festspiele fanden nicht statt. Hitler marschierte in Österreich ein.
Kästners Bücher wurden wieder einmal beschlagnahmt. Kästner, weder ein jüdischer noch ein marxistischer Schriftsteller, lebte nun wieder in Deutschland als verbotener Autor. Mit dem Etikett "Zersetzende Literatur" hatte man Kästner verfemt.
Kästner und seine Freunde waren völlig überrascht, als ihm 1942 plötzlich mündlich eröffnet wurde, ihm sei die Sondergenehmigung erteilt worden, zum fünfund-zwanzigsten Jubiläum der Ufa das Drehbuch für einen Film zu schreiben. Das ließ sich Kästner nicht zweimal sagen, und schrieb sofort das Drehbuch für "Münchhausen". Der Film mit Hans Albers wurde ein großer Erfolg. Als man Hitler berichtete, wer der Autor sei, schäumte er, und Kästner wurde daraufhin sofort wieder - und zwar restlos -verboten, diesmal auch fürs Ausland. Dabei war Kästner mitten in seiner Arbeit des nächsten Buches "Das doppelte Lottchen". Zwischendurch wurde Kästner zweimal gemustert und wegen seines Herzleidens wieder ausgemustert.
1944 fällt Kästners Wohnung einem Bombenangriff zum Opfer und er zieht zu seiner langjährigen Freundin Luiselotte Enderle.
1945 war Dresden zerstört und Kästner hatte keine Möglichkeit mehr sein Geld von der Bank zu bekommen, da man ihn wirtschaftlich vernichten wollte.
In dieser Zeit bot ihm ein Regisseur an mit ihm ins Zillertal zu kommen, da dort ein Film gedreht wurde. Und so, durch gute Beziehungen, welche für Reisepapiere sorgten, landete im Zillertal.
Im Mai 1945 suchten ihn dort zwei amerikanische Kulturfachleute auf und übermittelten die Botschaft, daß wieder Friede sei. Man berichtete von einem großen Zeitungsprojekt, für das man Kästners Mitarbeit erhoffte.
Friede und Arbeit
Erich Kästner geht nach München und schreibt dort seine erste Nachkriegs-Theaterkritik. Und im Nachkriegskabarett "Schaubude" wurden Erich Kästners Gedichte rezitiert. Im Herbst 1945 wurde Kästner die Leitung des Feuilletons der "Neuen Zeitung" angeboten.
Nach dreizehn Jahren endlich, wurde wieder ein Kästner-Buch verlegt, nämlich die Vorauswahl "Bei Durchsicht meiner Bücher" . Ein Schweizer Literat äußerte sich 1950 über Kästners damaliges Schaffen: "Er schrieb Kabarettnummern, schrieb Artikel gegen unkluge Maßnahmen der Besatzungsarmeen, selbst auf die Gefahr hin, als Reaktionär zu gelten. Er kroch auch jetzt nicht zu Kreuze". Unter diesem Titel schrieb Kästner später "Der tägliche Kram", und "Frieden und Freiheit und Gerechtigkeit"; das waren für ihn die Werte, für die es sich lohnte sich einzusetzen.
1946 fuhr er zum erstenmal wieder in die Heimatstadt zu seinen Eltern. Freunde warnten ihn: "Fahre nicht hin, du erträgst den Schmerz nicht".
"Ich habe mich genau geprüft. Ich habe den Schmerz kontrolliert. Er wächst nicht mit der Anzahl der Wunden. Er erreicht seine Grenzen früher. Was noch an Schmerz hinzukommen will, löst sich nicht mehr in Empfindung auf. Es ist, als fiele das Herz in eine tiefe Ohnmacht". Kästner fuhr nach München zurück.
1947 schrieb Kästner nach Anregung der Gründerin der Internationalen Jugendbibliothek in München das Buch "Konferenz der Tiere". Noch während Kästner sein Märchen schrieb, ereignete sich die Währungsreform.
Die kleine Freiheit
Am 25. Januar 1951 wurde das Münchner Kabarett "Die kleine Freiheit" eröffnet, Kästner war einer der Mitbegründer und festen Mitarbeiter. Eines der Chansons welche Kästner schrieb, lautete:
Als sie, krank von den letzten Kriegen, Droben zerfielen inzwischen die Städte.
tief in die Erde hinunterstiegen, Brücken und Bahnhöfe stürzten ein.
in die Kellerstädte, die drunterliegen, Die Fabriken sahn aus wie verrenkte Skelette
war noch keinem der Völker klar, Die Menschheit hatte die große Wette
daß es der Abschied für immer war verloren, und der Pan war wieder allein.
Als Kästner einmal von einem zartbesaiteten Kritiker gefragt wurde, warum er sich als Schwarzmaler und Bürgerschreck gebärde, verwies er den Journalisten auf die authentischen Meldungen aus Japan, wonach Tausende Kinder, denen man die Katastrophe verschwiegen hatte, nach Hiroshima aufgebrochen waren, um in den Ruinen der verseuchten Stadt die Eltern zu suchen. "Bürgerschreck? Besser die Bürger erschrecken rechtzeitig vor Schriftstellern, als zu spät vor Luftmarschällen!"
Blick auf die eigene Wiese
1951 starb Kästners Mutter an geistiger Umnachtung. Sie konnte es nicht verkraften, daß sie keine Post mehr erhielt. Das Wäscheband war gerissen. Kästners Vater sollte sie noch zehn Jahre überleben. Kurz vor seinem Tod besuchte er noch seinen Sohn in München und verstand, warum er nicht mehr nach Hause zurückkehren wollte.
Nach seinem Umzug nach Herzogenpark fragte ihn ein Schriftsteller: "Was täte ein satirischer Schriftsteller, wenn er im Paradies lebte?" und er antwortete darauf: "Dann wäre seine Existenz grundsätzlich bedroht! Denn was täte er ohne die Dummheit und Bosheit der Menschen? Was finge er an, wenn ihm die Gesellschaft, der Staat, die Welt kein Argernis böten? Würde und könnte er, kurz gesagt, im Paradies überhaupt noch schreiben?" Und was tat der Satiriker Kästner, als er sich ungewollt und unvermutet am Rande des Paradieses ansiedeln mußte? Er griff zur Harfe, die Schönheit der Natur und ihren Rhythmus zu preisen. Dies war keine Wandlung, sondern nur ein romantischer Ausflug. In diese Ruhe hinein schrieb er die bittere politische Satyre "Die Schule der Diktatoren". Dies war ein direkter Nachkomme seiner ersten Lyrikbände und des Fabian.
Ein Jahr nach "Der Schule der Diktatoren", erschien das autobiographische Buch "Als ich ein kleiner Junge war". Es ist von ergreifender Ehrlichkeit.
Doch so unterschiedlich Kästners Themen sind, o einheitlich ist sein Stil.
Als Thornton Wilder ihn kennenlernte, rief er vergnügt: "He looks like his books and his books look like him" und nach längerer Bekanntschaft schrieb Wilder an ihn: " I know six Kästners. Do the six Erich Kästners know another?"
Darauf antwortete Kästner: "Sie kennen sich, sie schauen einander in die Karten. Aber kiebitzen verpflichtet zur Diskretion".
Da Kästner, wie einst in Berlin allabendlich in kleine sparsam beleuchtete Bars geht, kennen ihn viele Kellner der Stadt. Sie stellen ihm automatisch eine Kerze auf den Tisch, damit er sehen kann, was er schreibt. Und was er schreibt ist Stenographie, Notizen für seine jeweilige Arbeit.
Als er einmal gefragt wurde, ob er Telefon habe, antwortete er: "Leider, eine Erfindung die keine Zukunft haben sollte!"
Patient mit Stammkneipe
Es gibt Glücks- , aber auch Pechsträhnen und so blieb ein Theaterstück "Die Eiszeit", auf der Strecke. Der Autor bekam den ungewöhnlichen Stoff nicht in den Griff. Auch die geplante Erzählung "Die Kavaliersreise" blieb in Kästners Notizen stecken.
Er meinte dazu: "Die Geschichte ist ausweglos traurig und mir ist ohnedies recht melancholisch zumute. Ich würde bei der Niederschrift Tränenkrüge vollweinen. Und das widerspräche dem Abkommen zwischen Erzählung und Erzähler". Kästner war krank, ohne es zu wissen. In dieser passiven Stimmung arbeitete er seine Notizen von 1945 auf. 1961 erschien ein Diarum mit dem Titel "Notabene 45". Das Vorwort Kästners war: "Ich notierte nicht alles, was ich damals erlebte. Das versteht sich. Doch alles, was ich damals notierte, habe ich erlebt".
Im Herbst des gleichen Jahres erschien auch das Werk "Gulliver". "Eulenspiegel, Gestiefelter Kater, Schildbürger von Münchhausen und Don Quichotte" diese Werke waren vorausgegangen. Kästner arbeitete an seiner Gulliver-Fassung über ein halbes Jahr. Er machte sich das heimliche Vergnügen, die herrlichen Abenteuer durch eigene kleine Einfälle, bei den Zwergen wie bei den Riesen, zu bereichern.
Im Januar 1962 mußte Kästner aus Gesundheitsgründen, - Ischias und Erkrankung der Atmungsorgane - in ein Sanatorium nach Agra, ins Tessin übersiedeln.
Kästner meinte scherzhaft: "Da hat es ein Schriftsteller am leichtesten, er kann seinem Beruf nachgehen, auch während der Liegekur auf dem Bock, auch mit dem Thermometer im Mund, auch beim Warten vorm Laboratorium, vorm Röntgen-zimmer und auf die Visite". Bald fand er auch in Agra eine Kneipe und so schien das reduzierte Dasein nur mehr halb so schlimm.
In dieser Zeit entstand das Lustspiel "Zu treuen Händen", das Drehbuch "Liebe will gelernt sein" und das Buch "Der kleine Mann".
Ein Jahr später kehrte Kästner wieder nach München zurück, nicht völlig geheilt, aber fürs normale Leben verwendbar. Im Herbst erschien dann in London "Let´s Face it", eine von englischen Professoren übersetzte Auswahl seiner Gedichte. Im Januar 1964 fuhr Kästner, auf Anraten der Arzte, wieder ins Sanatorium nach Agra. Diesmal dauerte der Aufenthalt nur sieben Monate.
Nach vielen offiziellen Tätigkeiten und Reisen, zum Beispiel Reise nach Schweden zur Eröffnung der Kästner-Ausstellung, oder Reise nach Dänemark zu seiner Ausstellung in Kopenhagen, erholte sich Kästner wieder einmal bei einem Kinderbuch: "Der kleine Mann und die kleine Miss". Unerwartet kam auch wieder Kästners Doktorarbeit "Friedrich der Große und die deutsche Literatur" ins Verlegergespräch und erschien 1972.
Anfang 1973 war Kästner an Grippe erkrankt und bei einer Untersuchung stellte man fest, daß er Speiseröhrenkrebs hatte. Am 29. Juli 1974 starb Erich Kästner.
Ein Verleger und Freund des Hauses schrieb: "Ein Tag ist zu Ende. Sprechen wir nicht von Sonnenuntergang. Sprechen wir von dem, was im Italienischen "Tramonte" heißt. Die Sonne ist nicht untergegangen. Die Sonne ist über die Berge entschwunden, aber sie ist da.
II. Erich Kästners Werke
Zu seinen frühen Werken zählte "Herz auf Taille", 1928, "Gesang zwischen den Stühlen", 1932, "Bei Durchsicht meiner Bücher", 1946 und "Dr. Kästners lyrische Hausapotheke", 1936.
"Der tägliche Kram", 1948, ist ein satirisches Prosastück zum Zeitgeschehen, zum Teil für die Schaubude geschrieben.
"Kurz und bündig", 1948, sind kurze geschliffene Epigramme.
"Die kleine Freiheit", 1952, ebenso für die Schaubühne geschrieben, als Chanson und Prosa.
Kästner ist auch ein viel gelesener Erzähler, bekannt durch seinen ersten Roman "Fabian, die Geschichte eines Moralisten", 1931, in welchem er Berlin einen Zerr-spiegel vorhält.
Der Inhalt:
Ein Nichtschwimmer versucht die Menschen anständig und vernünftig zu machen, er bleibt aber als Moralist auf verlorenen Posten. Denn der Moloch "Großstadt" ist eine einzige Lasterhöhle. Vergeblich lehnt sich Fabian gegen brutalen Egoismus auf, verliert seine Stelle, seine Freundin geht mit seinem Freund Labude durch. Er hat genug vom Leben. Beim Versuch einen Knaben aus dem Fluß zu retten, ertrinkt der Nichtschwimmer. Denn er konnte nicht schwimmen, auch nicht mit der Zeit.
"Drei Männer im Schnee", 1934, ist eine Erzählung.
Der Inhalt:
Die Erzählung handelt von einem Millionär, der in der Rolle eines armen Preisausschreibengewinners für Verwechslung und Aufregung sorgt.
"Die verschwundene Miniatur ist ein Roman.
Der Inhalt:
Der Roman schildert die Abenteuer eines empfindsamen Fleischhauers.
"Georg und die Zwischenfälle", 1938, ist ein humoristischer Tagebuchroman, welcher von der Ufa als Jubiläumsfilm gedreht wurde und dann 1949 "Der kleine Grenzverkehr", genannt wurde.
Der Inhalt:
Ein reicher Junggeselle, der mangels Devisen täglich durch die Zollsperre zu den Salzburger Festspielen fährt und in einer Komtesse, welche sich als Stubenmädchen ausgibt, die künftige Gattin kennenlernt.
Seine Kinderbücher wurden in viele Sprachen übersetzt und teilweise auch verfilmt.
"Emil und die Detektive",
"Pünktchen und Anton",
"Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee",
"Arthur mit dem langen Arm", 1932
"Das verhexte Telefon",
"Das fliegende Klassenzimmer", 1933
"Emil und die drei Zwillinge",
"Till Eulenspiegel",
"Konferenz der Tiere",
"Das doppelte Lottchen",
"Der gestiefelte Kater",
"Des Freiherrn von Münchhausen wunderbare Reisen und Abenteuer zu Wasser und
zu Lande",
"Die Schildbürger",
"Leben und Taten des scharfsinnigen Ritter Don Quichotte", 1956
"Als ich ein kleiner Junge war", 1957
"Gullivers Reisen",
"Das Schwein beim Friseur",
"Der kleine Mann", 1963
Der kleine Mann und die kleine Miss",
Außerdem schrieb Kästner das Drehbuch zum Film "Münchhausen", sowie das Drama "Die Schule der Diktatoren", 1957, eine politische Tragikomödie über die chronische Aktualität der Musterdiktatur.
III. Analyse von Erich Kästners Werken
Erich Kästner war einer der wichtigsten Vertreter der neusachlichen Gebrauchslyrik.
In seinen humoristisch satirischen Gedichten versuchte er schonungslos und oft zynisch Deutschland durch Ironie, Kritik, Anklage und Hohn zu warnen.
Durch seine Kinderbücher ist er heute populärer als durch seinen satirischen Roman "Fabian". Im Dritten Reich gehörte Kästner zu den "verbrannten Dichtern", ohne zu emigrieren. Seine Lebensgeschichte ist ganz eng verbunden mit den gesellschaft-lichen Verhältnissen seiner Zeit.
Er formuliert seine Bücher klar und sachlich, sie sind fair und neugiererweckend ge-schrieben. Mit großer Differenziertheit, geschickter Einbeziehung des Zeithintergrunds und wirklich für Jedermann. Sie verschweigen nichts, lehren jedoch zugleich Verständnis für die persönlichen und historischen Bedingungen, denen Kästners Werke unterlagen.
Kästner war immer entsetzt über Unbildung. Auch die Schweigsamkeit städtischer Behörden seitens der Bücherverbrennung hat ihm immer wieder Probleme verursacht.
Er versuchte immer wieder aufzurütteln. So schrieb er 1957: "Wer seine Schwiegermutter totschlägt, wird geköpft. Das ist ein uralter verständlicher Brauch. Wer aber Hunderttausende umbringt, erhält ein Denkmal. Straßen werden nach ihm benannt. Und die Schulkinder müssen auswendig lernen, wann er geboren wurde und wann er friedlich die gütigen Augen für immer schloß".
Kästner reichten die Erfahrungen der sechziger Jahre, um sich seine endgültige Resignation einzugestehen. Der Autor, der als nerviger, hochintelligenter Asphaltliterat begann und hellsichtig Zeit und Zukunft hochrechnete, verzweifelte am gesunden Menschenverstand, den er ein Leben lang einforderte und der, wie er erkennen mußte, für alle Zeit in der Minderheit bleiben werde.
Für spätere Generationen ist Erich Kästner deshalb nur noch der Sozialromantiker und Kinderbuchonkel. Sie können nicht begreifen, weshalb Kästner von den Nazis verboten war. Und auch heute hat Kästner nur noch einen gesicherten Platz als Kinderbuchautor.
Das ist viel für einen Autor, dessen Romane für Kinder vor über sechzig Jahren erstmals erschienen. Und ist doch zu wenig für einen der vielseitigsten, deutschen Schriftsteller und Zeitkritiker dieses Jahrhunderts.
Ja, die Bösen und Beschränkten
sind die Meisten und die Stärkern.
Aber spiel nicht den Gekränkten.
Bleib am Leben, sie zu ärgern.
IV. Analyse von Kästner über Kästner
Erich Kästner liebte Vorworte. "Ich bin nicht dafür, daß die Besucher gleich mit der Tür ins Haus fallen. Es ist weder für die Besucher gut, noch fürs Haus. Und für die Tür auch nicht".
So lasse ich ihn selbst eine Analyse über sich schreiben.
Berlin, 19. Januar 1940
in einem Cafe am Kurfürstendamm
Mein lieber Kästner,
Früher schriebst Du Bücher, damit andere Menschen, Kinder und auch solche Leute, die nicht mehr wachsen, läsen was Du gut oder schlecht, schön oder abscheulich, zum Lachen oder Weinen fandest. Du glaubtest, Dich nützlich zu machen. Es war ein Irrtum, über den Du heute, ohne daß uns das Herz weh tut, nachsichtig lächelst.
Deine Hoffnungen waren das Lehrgeld, das noch jeder hat zahlen müssen, der vermeinte, die Menschen sehnten sich vorwärts, um weiterzukommen.
Nun, Du weißt, daß Du im Irrtum warst, als Du bessern wolltest. Du glichst dem Manne, der die Fische im Fluß überreden möchte, doch endlich ans Ufer zu kommen, laufen zu lernen und sich den Vorzügen des Landlebens hinzugeben.
Der Teufel muß Dich geritten haben, daß Du Deine kostbare Zeit damit vergeudest, der Mitwelt zu erzählen, Kriege seien verwerflich, das Leben habe einen höheren Sinn als etwa den, einander zu ärgern, zu betrügen und den Kragen umzudrehen.
Es müsse unsere Aufgabe sein, den kommenden Geschlechtern eine bessere, schönere, vernünftigere und glücklichere Erde zu überantworten! Wie konntest Du nur so dumm und anmaßend sein! Warst Du denn nur deshalb nicht Volksschul-lehrer geblieben, um es später erst recht zu werden?
Es ist eine Anmaßung, die Welt, und eine Zumutung, die Menschen veredeln zu wollen. Das Quadrat will kein Kreis werden; auch dann nicht, wenn man es davon überzeugen könnte, daß der Kreis die vollkommenere Figur sei.
Die Menschen lehnen es seit Jahrhunderten mit Nachdruck ab, sich von uneigen-nützigen Schwärmern zu Engeln umschulen zu lassen.
Sie verwahren sich mit allen Mitteln dagegen. Sie nehmen diesen Engelmachern die Habe, die Freiheit und schließlich das Leben. Nun, das Leben hat man Dir gelassen.
"Wer die Menschen ändern will, beginne bei sich selbst", lautet ein altes Wort, das aber nur den Anfang einer Wahrheit mitteilt. Wer die Menschen ändern will, der beginne nicht nur bei sich, sondern er höre auch bei sich selber damit auf!
Mehr wäre hierüber im Augenblick nicht zu schreiben. Der Rest verdient, gelebt zu werden. Versuch es, und sei gewiß, daß Dich meine besten Wünsche begleiten!
Dein unzertrennlicher Freund
Erich Kästner
PS:
Der sich dies schreibt, ist ein Mann im besten Alter. Er hat einen hoffnungsvollen Anfang hinter sich und wird wenige Jahre später noch einmal von vorn beginnen.
V. Betrachtung über Erich Kästner
Erich Kästner mußte zum kritischen Menschen werden, da ihn bereits die Kindheit prägte. Er erlebte, wie seine miteinander unglücklichen Eltern lebten, wie seine Mutter ihm gestand, daß er ein "Fehltritt" war, und dies bevor er ins Feld mußte.
Er wuchs in ärmlichsten Verhältnissen auf, verstand nie seinen wahren Vater, dafür aber die prügelnden Lehrer mit dem Rohrstock und so, frustriert von der Art und Weise wie einem heranwachsenden Jugendlichen Wissen vermittelt wurde, entwickelte sich aus einem unpolitischen Menschen ein Skeptiker und Kritiker am System.
Er war stets ein hellwacher Beobachter dieser Zeit, einer, der Partei ergriff - politisch und literarisch. Ein Leben in der Zeit gegen die Zeit.
VI. Der verbotene Autor Erich Kästner
Der Zug mit der Nazilokomotive rollte. Wer in diesem Zug nicht mitfahren wollte, mußte abspringen. Der in Deutschland gebliebene Kästner fuhr mit. Allerdings nur als stummer Passagier, denn der Autor, der aus seiner Gegnerschaft zu den Nazis nie ein Hehl machte, erhielt schon bald vom Reichspropagandaministerium Schreibverbot. Trotzdem saß er mit im Zug, raste mit ihm in den Abgrund. Kästner wollte Zeuge sein, wollte sehen, was dieses Volk alles erträgt und mit sich geschehen ließ, also mußte er diesen hohen Preis bezahlen.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, ein verbotener Schriftsteller zu sein und seine Bücher nie mehr in den Regalen und Schaufenstern der Buchläden zu sehen und das in keiner Stadt des gesamten Vaterlandes. Nicht einmal in der Heimatstadt, noch zu Weihnachten, wenn die Deutschen durch die Straßen eilten um Geschenke zu besorgen. Er war ein lebender Leichnam.
Und damit die lebenden Leichname auch in den Bibliotheken nicht ausgegraben werden konnten, gab es dort schon bald die "Schwarzen Listen", auf denen viele Titel festgehalten wurden, die aus den Beständen zu entfernen waren.
Doch wie konnte ein verbotener Autor in diesem Deutschland überleben? Natürlich war es Kästner erlaubt für sich zu schreiben, hatte das Reichspropagandaministerium angedeutet. Sollte er aber die Absicht haben zu veröffentlichen, müssten seine Werke zuvor dem Propagandaminister Joseph Goebbels zur Begutachtung vorge-legt werden.
Also legte Kästner, der ja irgendwie Geld verdienen mußte, das Buch "Doppel-gänger" zur Seite und begann mit dem Unterhaltungsroman "Drei Männer im Schnee". Er bot diesen Roman der Deutschen Verlagsanstalt an und diese warb damit im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels. Worauf Kästner endgültiges Schreibverbot erhielt. Damit war Kästners Existenz so gut wie vernichtet.
Da man jedoch im Reichspropagandaministerium bald merkte, daß durch das Schreibverbot "verbotener Schriftsteller" nun auch keine Devisen mehr aus dem Ausland zur Verfügung standen, lockerte man dieses Verbot zumindest für das Ausland.
Solange Kästners Popularität im Ausland anhielt, mußten die Nazis, die ja anfangs noch Wert auf ihren Ruf im Ausland legten, vorsichtig mit ihm umgehen. Außerdem war Kästner klar, daß seine, nun in der Schweiz publizierten Titel im Reichspropagan-daministerium aufmerksam gelesen wurden.
Einen weiteren Schritt zur Unterdrückung machte die geheime Staatspolizei, indem sie die Konten und Depots von vierundvierzig, größtenteils bereits emigrierten Schriftstellern sperren ließ. Auf der Liste standen neben Kästner noch Autoren wie Berthold Brecht, Joseph Roth, Anna Seghers, Oskar Maria Graf, Hermann Kesten und Arnold Zweig. So wurde den Schriftstellern jede Möglichkeit genommen auf diesem Weg zu Geld zu kommen.
Das Überleben als "verbotener Autor" war ein gefährliches Unterfangen. Jeder neuen Freundschaft oder Bekanntschaft war vorerst zu mißtrauen; jedes falsche Wort konnte den Kopf kosten. Die Gestapo überwachte deshalb alle Bühnen und Kaba-retts und wenn das Propagandaministerium etwas in die falsche Kehle bekam, wie zum Beispiel Kästners alte Gedichte, so wurde man verhaftet, oft war es zu unrecht. Wenn man womöglich noch zum Freundeskreis eines verbotenen Autors zählte, konnte es schon passieren, daß man für einige Wochen oder für immer ins Konzen-trationslager Esterwegen gebracht wurde.
Trotz aller Bespitzelungen und Anfeindungen der Nazis blieb Kästner seiner einmal getroffenen Entscheidung, nicht zu emigrieren, treu.
Kästners Maxime besonders in dieser Zeit lautete:
Was auch immer geschieht:
Nie dürft ihr so tief sinken,
vom dem Kakao, durch den man euch zieht,
auch noch zu trinken!
Viele Deutsche wurden 1932 gezwungen das braune Hemd zu tragen und die Hand zum deutschen Gruß zu heben.
Andere international bekannte Autoren, die in Deutschland geblieben sind, wie etwa Gerhart Hauptmann, Gottfried Benn oder Hans Fallada, haben zwar nicht das braune Hemd angezogen, aber ganz ohne von dem Kakao zu trinken sind sie nicht davongekommen.
Auch der Freundeskreis Kästners änderte sich; Heinz Kindermann zum Beispiel, den vor 1933 Kästners Lyrik begeisterte und welcher von seiner überlegenen Ironie schwärmte, trank nicht nur von dem braunen Zeug, er rührte es mit an und badete darin. Der überehrliche Kästner, dessen Texte niemals ohne positive Zukunftsaussichten waren, war für Kindermann 1933 nur noch ein mephistophelischer Spötter und Weltverneiner, der nur in der völligen Vernichtung des Erdballs und seiner Menschheit das Heil sah.
Aber es war nicht nur der Gesinnungswechsel der den Daheimgebliebenen das Leben schwer machte. Viel schwerer wiegte der Weggang vieler Kollegen und Freunde, welche nun in der für sie fremdsprachigen Welt um ihr Überleben kämpften. Denn wer nicht gerade Thomas Mann oder Lion Feuchtwanger hieß, dem fiel es schwer, im Ausland Fuß zu fassen.
Gut und Böse, unwandelbare Maßstäbe des menschlichen Daseins, wurden durch Gesetz und Verordnung ausgetauscht. Wer unschuldige Menschen umbrachte, wurde befördert. Wer seine menschliche oder christliche Meinung sagte, wurde vernichtet.
So war es doch für Kästner Glück, daß er im Ausland publizieren konnte und, wenn auch über mehrere Ecken, seine Bücher doch international übersetzt wurden.
VII. Bücherverbrennung - Scheiterhaufen
Verbotene Dichter der 30-er Jahre
Vor 64 Jahren, im Mai 1933, flammten in Deutschland die Scheiterhaufen, wo es Universitäten und Hochschulen gab. Denn von den Universitäten aus wurde die Büchervernichtung in Angriff genommen. Professoren gaben dem Ereignis mit Festreden die akademische Weihe und Studenten führten die Verbrennungen durch.
Wie war es möglich, daß ausgerechnet eine Institution der Freiheit des Geistes verriet, von der man eigentlich, wie von keiner anderen, entschlossene Verteidigung hätte erwarten sollen?
War es Hitlers Einfluß auf die Zitadelle des Geistes, welcher die Professoren veranlaßte die Bücherverbrennungen zu organisieren?
Allerdings diese Perversität war gewollt, sie war ein Einfall des neu ernannten Ministers für "Volksaufklärung und Propaganda", Dr. Goebbels. Goebbels nannte die Bücherverbrennung eine große, starke, symbolische Handlung. Daß man die Bücherverbrennungen von den Universitäten selbst durchführen ließ und nicht gewaltsam von primitiven Schlägertrupps, war der diplomatische Schlag der traf. Denn jede Beschäftigung mit einem Buch distanziert den Leser von der Gemeinschaft. Wer liest, setzt sich als Einzelner einer individuellen geistigen Begegnung aus, die niemand kontrollieren kann, denn Gedanken sind mächtig.
Und so wurden die Schriften, welche jahrzehntelang das Volk vergifteten, dem Scheiterhaufen mit den Rufen übergeben:
"Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft, die Schriften von Marx und Kautzky".
"Gegen Dekadenz und moralischen Verfall, für Zucht und Sitte, die Schriften von Heinrich Mann und Erich Kästner".
"Gegen Überschätzung des Trieblebens, für den Adel der menschlichen Seele, die Schriften von Sigmund Freud".
"Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem deutschen Volksgeist, die Schriften von Tucholsky" u.s.w.
Dieses Feuer sollte, nachdem der Reichskanzler Adolf Hitler das Reich politisch erobert hatte, nun allen undeutschen Geist entfernen. Im Kampf voran die Studenten, den Ideen des neuen Deutschlands den Weg zu bahnen. Im Geist Horst Wessels, des Kämpfervorbildes für alle Studenten. Wobei, nebenbei bemerkt, Wessel ein gescheiterter Student war, welcher im Zuhältermilieu gelebt hat und auf mysteriöse Weise erschossen wurde.
VIII. Gedichte - Kritik am System
In den Büchern "Gesang zwischen den Stühlen" ,"Lyrische Hausapotheke" und "Bei Durchsicht meiner Bücher", gibt es mehrere Gedichte, wo Kästner Kritik und Anklage am System übt. Bereits als er den Krieg kommen sah, versuchte er die Menschen mittels seiner Werke zu warnen. Er blickte in das Privatleben der Wirtschaftskrise, in den Kehricht der bankrotten Profitwirtschaft, in die Augen der Gewalt und öffnete in wirksamen Strophen dem Leser die Augen für eigene und fremde Inkonsequenz. Kästner hatte immer schon scharfe Augen. Es macht den Eindruck, als ob er alles sah; er sah die Lüge, die Attrappe, die Kulisse und die Imitation. Den Mitmenschen aber lehrte er, sie zu sehen. Er hatte aber auch helle Ohren, er hörte das Sterbemurmeln der alten Zeit, hörte die Lautsprecher des Rückschritts und hörte den Applaus für den neuesten Sieg der Dummheit. Durch die politische Krise bekamen seine Gedichte ein ganz neues Gewicht. Wie recht Kästner mit seinen Warnungen hatte, bewies die Geschichte.
Als Beispiel das Gedicht:
Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?
Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?
Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!
Dort stehn die Prokuristen stolz und kühn
in den Büros, als wären es Kasernen.
Dort wachsen unterm Schlips Gefreitenknöpfe.
Und unsichtbare Helme trägt man dort.
Gesichter hat man dort, doch keine Köpfe.
Und wer zu Bett geht, pflanzt sich auch schon fort
Kennst Du das Land? Es könnte glücklich sein.
Es könnte glücklich sein und glücklich machen!
Dort gibt es Acker, Kohle, Stahl und Stein
und Fleiß und Kraft und andre schöne Sachen.
Selbst Geist und Güte gibt´s dort dann und wann!
Und wahres Heldentum. Doch nicht bei vielen.
Dort steckt ein Kind in jedem zweiten Mann.
Das will mit Bleisoldaten spielen.
Dort reift die Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün.
Was man auch baut - es werden stets Kasernen.
Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?
Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!
Durch dieses Gedicht verdarb es sich Kästner mit vielen seiner Landsleute. Deutsch-land als Land der Kasernen, der Bleisoldaten und der Unfreiheit darzustellen war in ihren Augen Vaterlandsverrat.
Zwei Jahre später gelang es Kästner auch noch die restlichen Zeitgenossen zu verletzen, und zwar mit dem Gedicht "Die andre Möglichkeit". Hier fragte er sich, wie es in seiner Heimat aussehen würde, wenn Deutschland diesen Krieg gewonnen hätte, und entwirft ein düsteres, aber keineswegs übertriebenes Bild eines aus dem Ersten Weltkrieg als Sieger hervorgegangenen Deutschlands.
Dieses Gedicht, noch zutreffender für die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg, endet mit der Feststellung:
"Wenn wir den Krieg gewonnen hätten -
zum Glück gewannen wir ihn nicht!"
Ein Stoßseufzer, der als Jubelruf mißverstanden wurde und dem jungen Autor viel Haß und Feindschaft einbrachte. Er mußte lernen mit seinen Feinden zu leben - und er lebte zwölf Jahre unter ihnen.
IX. Inhaltsangabe des Buches "Der kleine Grenzverkehr"
Der Junggeselle und Privatgelehrte Georg Rentmeister besucht die Salzburger Festspiele. Wegen der strengen Devisenvorschriften - das Geschehen spielt ein paar Jahre vor dem 2. Weltkrieg - muß er in Bad Reichenhall Quartier nehmen und im kleinen Grenzverkehr täglich ins Salzburgische pendeln. Dort ist er ganz auf Freikarten und die Gastfreundschaft seiner Bekannten angewiesen, da er ja keine Devisen ins Ausland nehmen darf. Doch eines Tages vergißt sein Freund Karl das vereinbarte Rendezvous und Georg kann die Tasse Kaffe nicht bezahlen, welche er bereits getrunken hat. Aus der peinlichen Situation befreit ihn eine junge Dame, welche sich als Stubenmädchen auf einem Schloß in Salzburg ausgibt. Die Liebesgeschichte, die sich nun entwickelt, bringt Verwirrung in das ganze Geschehen, insbesondere da sich der schriftstellernde Vater des angeblichen Stubenmädchens, als der Schloßherr entpuppt. Dieser wiederum bedient als Kammerdiener in seinem eigenen Schloß Amerikaner und fordert dies auch von seinen Kindern.
Nach einigen humorvollen Verwirrungen, bei dem sich unter anderem auch heraus-stellt, daß die Amerikaner das Spiel längst durchschaut haben, gibt es das große Happy End für Georg, welcher seine Komtesse heimführen darf.
Analyse und Vorgeschichte des Buches "Der kleine Grenzverkehr"
Auf die Handlung dieses Buches stieß Kästner durch das Tagesbuch seines Freundes, des nie veröffentlichten Schriftstellers Georg Rentmeister, welcher diese Geschichte wirklich erlebte und seine, Kästners eigene Erfahrungen beim Grenzverkehr.
Als Erich Kästner das Buch "Georg und die Zwischenfälle" während der Salzburger Festspiele 1937 vorbereitete, waren Österreich und Deutschland durch Grenzpfähle getrennt. Bei Grenzüberschreitung durften pro Monat ohne weitere Erlaubnis höchstens 10 Reichsmark mitgenommen werden.
Kästner errechnete bei 30 Tagen einen Tagesverbrauch von 33,33 Pfennigen, was selbst für nur einen Besuch in Salzburg nicht reichen konnte. Kästner lebte deshalb in Bad Reichenhall und fuhr täglich im kleinen Grenzverkehr mit dem Bus nach Salzburg, wo er auch andere emigrierte Schriftsteller und Maler treffen konnte.
Das Buch "Georg und die Ziwschenfälle" wurde kurz nach Veröffentlichung vom Reichspropagandaministerium für das In- und Ausland verboten. Daraufhin schrieb Kästner ein Drehbuch mit dem Titel "Der kleine Grenzverkehr", welches von der Ufa verfilmt wurde und nach Besichtigung einiger Szenen von Hitler erneut verboten wurde. Denn in Kästners Film kamen keine Hakenkreuzfahnen vor. Die Absicht dieses Verbotes war nicht mißzuverstehen, man wollte Kästner wirtschaftlich erledigen.
Ein halbes Jahr später gab es den kleinen Grenzverkehr nicht mehr. Österreich wurde dem Deutschen Reich "angeschlossen".
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